IRGENDWANN

(Originaltitel: Someday)

von Chad Tanaka

( chadt@aloha.net )

 

aus dem Englischen übersetzt von Sylvia < aktex_sm@hotmail.com >

 

Rating: NC-17 (für Sprache, Sex, Hunde und Katzen, die zusammen leben ...)

 

Spoiler: X-Files Fight The Future. Verschiedene Referenzen zu Folgen der Staffeln Eins bis Fünf.

 

Stichwort: Mulder/Scully Romance - Angst

 

Archiv: Überall, solage mein Name, E-Mail Adresse und Disclaimer dabei bleiben.

 

Zusammenfassung: Scully muß mit einigen nicht besprochenen Problemen hinsichtlich ihres Partners fertig werden und bekommt dabei Hilfe von einer alten Academy Freundin. Findet nach dem X-Files Film statt, aber noch vor der ersten Folge der sechsten Staffel.

 

Disclaimer: Dana Scully, Fox Mulder und Walter Skinner gehören Chris Carter, Twentieth Century Fox und Ten-Thirteen Productions. Clarice Starling, Jack Crawford, Buffalo Bill und Dr. Hannibal Lecter gehören Thomas Harris und Orion Productions (oder wer immer auch die Rechte des Filmes 'Schweigen der Lämmer' inne hat... MGM, glaube ich). Alle Charaktere werden ohne Erlaubnis aus rein nicht-profitablen Zwecken zur Unterhaltung gebraucht. Eine Verletzung des Copyrights ist nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

 

"Irgendwann"

 

 

 

FBI Hauptquartier Washington D.C. 1:15 pm

 

Es war kalt, stellte Mulder fest. Der Winter hatte Washington D.C. in seinem frostigen Griff. Schnee war noch nicht gefallen, aber ein Sturm wurde bald erwartet. Er schlenderte aus dem J. Edgar Hoover Gebäude, ohne genau zu wissen, warum er hier war oder wohin er ging.

 

Mulder zog seinen dunkelblauen Mantel fester um seinen mageren Körper, um sich vor der starken Kälte zu schützen und dann machte er sich auf den Weg.  Seine Beine gingen ihren eigenen Weg. Er hatte absolut keine Ahnung, wo er enden würde, aber darum machte sich Mulder im Moment auch nicht besonders Sorgen. Er fröstelte ein wenig, er war sich nicht sicher, ob wegen des Wetters oder eher wegen der frischen Erinnerungen, die seine Sinne überfluteten.

 

Er war niedergeschlagen. Mulder hatte gerade wieder eine Auseinandersetzung mit Scully gehabt. Es schien ihm, als ob diese sinnlosen Streitereien zur Normalität geworden waren. Seit sie aus der Antarktis zurück waren, war es immer dasselbe - ein falsches Wort hier, ein zweideutiger Blick da. Zur Zeit, gab Mulder traurig zu, reichte das kleinste Bißchen, um zu streiten.  Und die hitzigen Meinungsverschiedenheiten wurden immer feindseliger.

 

Er nahm an, daß die Spannungen zwischen ihnen daher rührten, daß keiner von beiden es fertiggebracht hatte, über die Nacht auf seinem Flur zu sprechen.  Wann war das, versuchte Mulder sich zu erinnern - vor zwei Monaten? <Es scheint mir wie vor einer Million Jahren,> dachte er wehmütig. Mulder wünschte sich die einfacheren Zeiten zurück, als es leichter war, mit ihr umzugehen.

 

Andererseits, wenn Mulder ehrlich zu sich selbst war, wann war es jemals leicht gewesen, wenn es um Scully ging?

 

<Jemanden zu lieben, ist niemals leicht,> sagte Mulder sich. Ja, er gab es zu. "Spooky" Mulder, der sonderbare verdrehte frühere Golden Boy der VCS und jetzige Spitzenreiter auf der Liste der beim FBI am meisten unerwünschten Personen war hoffnungslos und absolut in seine Partnerin verliebt. Und was es noch trauriger machte: so verrückt er auch war, Mulder fürchtete sich zu sehr, dem wichtigsten Menschen in seinem Leben, seiner besten Freundin, der einzigen Frau, die er liebte, zu sagen, was er für sie empfand.

 

Es würde so einfach sein, dachte er sich. In seinem Flur war er nahe daran, es ihr zu sagen. In dieser Nacht hatte Scully ihn aus dem Gleichgewicht gebracht mit ihren Neuigkeiten über ihre Kündigung. Er hatte sie nie zuvor so geschlagen gesehen - nicht einmal in ihrem Kampf gegen den Krebs hatte Scully jemals aufgegeben. Es erschreckte ihn. Scully schien zu glauben, daß alles für sie beide vorüber wäre.

 

Mulder wußte, er brauchte sie - und nicht nur in beruflicher Hinsicht.  Nichts, was er in seinem Leben tun würde, würde eine Bedeutung haben ohne Scully an seiner Seite. Wohl wissend, daß sie mit ihm zusammen nur weitermachte, wenn er ihr die Wahrheit sagte und er offen zu ihr war, lief er ihr nach in den Flur und stellte sich der 1,56 m großen, rothaarigen Sturheit, die Dana Scully sein konnte, wenn sie sich zu etwas entschlossen hatte.

 

Mit der Handfläche über sein müdes Gesicht streichend, erinnerte sich Mulder, daß er wirklich versucht hatte, Scully zu sagen, daß er sie mehr als alles andere in seinem ganzen Leben liebte - sogar mehr als Samantha.  Aber nachdem er einige wage Dinge gesagt hatte, <Durch Dich bin ich reifer geworden?> stoppte er, kurz bevor er seine Seele vor ihr entblößte.

 

In dieser Nacht hatte Scully Mulder in Verlegenheit gebracht und ihn unwissentlich dazu gezwungen, die Karten auf den Tisch zu legen. Er wußte, daß sie seine Worte verstanden hatte. Aber wie um alles in der Welt sollte sie glauben, was er sagte? Würde sie denken, daß sie einen Moment der Ehrlichkeit bei Mulder erlebt hatte oder würde sie denken, daß er sich ihr nur an den Hals geworfen hatte, um zu verhindern, daß sie ihn allein mit seiner Arbeit ließ? Mulder befürchtete, daß Scully denken könnte, seine Handlungen in dieser Nacht wären geboren aus selbstsüchtiger Verzweiflung, nicht aus wahrer Liebe.

 

Mulder fürchtete, daß er als Folge dieser verwirrenden und grauenvollen Nacht niemals in der Lage sein würde, Scully zu überzeugen, daß seine Gefühle für sie echt waren. Mulder zog frustriert die Augenbrauen zusammen.

Scully würde wahrscheinlich denken, daß jeder romantische

Annäherungsversuch von ihm nur eine andauernde List sein würde, sie von einer Kündigung abzuhalten, sie daran zu hindern, das FBI zu verlassen...  und ihn.

 

Laut seufzend dachte Mulder, während er ziellos umherwanderte, welche Ironie es doch war, daß all diese Zweifel vermutlich nie aufgekommen wären, wenn er Scully tatsächlich geküßt hätte, so wie er es beabsichtigt hatte.  Er fühlte ganz sicher, daß sie Mulders wahre Gefühle erkannt hätte, wenn sie seine Leidenschaft für sie gespürt hätte beim Aufeinandertreffen ihrer Lippen.

 

Aber, so mußte Mulder anerkennen, eine gute Verschwörung wußte genau, wann sie ihr Vorhandensein deutlich machen muß. Es war Schicksal oder Karma oder was auch immer, das dafür verantwortlich war, daß die virusverseuchte Afrikanische Honigbiene Scully genau in diesem völlig unangebrachten Moment stechen mußte.

 

Er kam zu der deprimierenden Erkenntnis, daß das ganze Universum wirklich dagegen war, daß sie zusammenfanden.

 

So wußte Scully immer noch nicht Bescheid. Mulder war sich nicht sicher, ob sie jemals Bescheid wissen würde.

 

<Was zur Hölle kann ich tun?> fragte er sich.

 

Der frustrierte Agent schüttelte seinen Kopf ein wenig, um von diesen brütenden Gedanken loszukommen. Er atmete heftig ein. Die kalte Luft biß in seine Nase und seine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit und seine unmittelbare Umgebung zurück.

 

Mulder stand vor dem Hof des J. Edgar Hoover Gebäudes. Zu seiner Linken konnte er die niedrige Mauer mit den großen Buchstaben aus Messing sehen, die das Gebäude als das Hauptquartier des FBI auswiesen.

 

<Ich frage mich, was das Bureau für verwirrte Individuen derart anziehend macht,> dachte Mulder süffisant. Er fühlte in diesem Moment eine Art verrückter Verwandtschaft mit dem Namensgeber des Gebäudes. <Vielleicht ist ein Transvestit der nächste Schritt für mich,> grübelte Mulder.

 

Seine Augen wanderten zu einer der einsamen Bänke, die über den Hof verteilt standen. Verlassen saß dort eine dunkel gekleidete Frau. Sie drehte ihm den Rücken zu und er konnte ihren Atem rhythmisch ausströmen sehen. Sie war es. Durch ihr flammend rotes Haar und ihre zarte Gestalt konnte man Dana Scully jederzeit erkennen, dachte Mulder. Ihm konnte die Art ihrer Körperhaltung nicht entgehen. Sie war eine starke Frau und es zeigte sich stets in der Art und Weise, wie sie sich behauptete.

 

Gott, er liebte sie.

 

<Und warum muß ich sie dann immer so verletzen?>

 

Mulder ging langsam in Richtung Scully. Er war nicht näher als zehn Schritte an sie herangekommen, als sie sprach.

 

"Geh weg, Mulder." sagte sie müde. Sie hatte sich noch nicht umgedreht und ihn angesehen.

 

"Woher wußtest Du, daß ich es bin?" entgegnete er schüchtern.

 

Mit einem müden Seufzer drehte sich Scully zu ihm um. "Wer sonst ist so verrückt, bei diesem gottverdammten Wetter hier draußen herumzulaufen?" fragte sie ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue. Sie vernachlässigte absichtlich die Tatsache, daß sie genauso draußen war wie Mulder.

 

Als die einzige Reaktion, die Scully erhielt, der ausdruckslose starre Blick Mulders war, fuhr sie fort. "Tatsächlich hast Du einen sehr charakteristischen Gang, Mulder. Ich konnte am Rhythmus Deiner Schritte erkennen, daß Du Dich an mich heranschleichst."

 

<Jesus, Scully, mußt Du immer so eine Wissenschaftlerin sein?> fragte sich Mulder. <Einen Moment mal...> kam ihm ein anderer Gedanke.

 

"Ich habe mich nicht angeschlichen," erwiderte er sich verteidigend.

 

"Fein, wie auch immer." antwortete Scully barsch. Sie zog ihr schlanke behandschuhte Hand aus der Manteltasche, hob sie an ihr Gesicht und rieb ihren Nasenrücken mit Daumen und Zeigefinger. "Ich will überhaupt nicht mit Dir streiten, Mulder," sagte sie mit gedämpfter Stimme. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Kopf war gesenkt.

 

Unerwartet überwand Mulder rasch die Entfernung zwischen ihnen und setzte sich zwanglos neben Scully auf die Bank.

 

"Jesus, Mulder!" rief sie mit erschreckter Stimme. Sie öffnete ihre Augen und richtete einen brennenden Blick auf ihn.

 

"Verzeihung," entgegnete Mulder entschuldigend. Sich näher zu ihr beugend, fragte er teilnahmsvoll "Kopfschmerzen?"

 

Scully brummte nur zustimmend. Sich zurücklehnend, öffnete sie ihre Augen und blickte in den kalten, grauen, wolkenverhangenen Himmel.

 

Mulder warf einen verstohlenen Blick auf seine Partnerin. Er bemerkte, wohl zum millionsten Mal, wie unglaublich schön Scully war. Ihre klassischen, ebenmäßigen Gesichtszüge waren exquisit, dachte Mulder bei sich. Er folgte ihrem Blick in den Himmel, wohl wissend, daß ihr melancholischer Blick nicht nach oben, sondern nach innen ging. Mulder durchzuckte schmerzlich ein unmittelbares Gefühl der Schuld, als er wahrnahm, daß sie litt, während er es ziemlich genoß, sie vorsichtig anzusehen.

 

"Ich bin müde," sagte Scully leise. Mulder hatte es beinahe überhört, aber er lehnte sich nach vorn, um jedes ihrer Worte zu verstehen.

 

Vorsichtig erwiderte er "Es war eine schwere Woche, Scully. Vielleicht solltest Du nach Hause gehen und Dich etwas ausruhen. Gott weiß, Du hast es verdient." Er wartete geduldig auf ihre Reaktion.

 

Nach einem Moment des Zögerns drehte sich Scully noch einmal zu Mulder um.  Er war überrascht über die tiefe Verärgerung in ihren Augen und ihrer Stimme. "Nein, Mulder," sagte sie, als spräche sie zu einem Kind, das besonders schwer von Begriff war. "Ich meine... ich bin müde wegen uns. All diese Auseinandersetzungen und Unannehmlichkeiten zwischen uns." Sie knabberte nervös an ihrer Unterlippe. "Ich meine," erklärte sie mit verwirrter Stimme "was passiert mit uns?"

 

Mulder war ein wenig verblüfft. Er hatte nie zuvor erlebt, daß Scully so vollkommen ihre Gefühle offenbarte. Er fragte sich vergeblich, ob ihre letzten Torturen ihr eine neue Sicht auf die Dinge gegeben hatten. Es war gelinde gesagt erfrischend, entschied er.

 

Nachdem er seinen anfänglichen Schock überwunden hatte, überdachte Mulder ihre Frage. Er hatte sich niemals vorgestellt, daß dies Scully so sehr quälte. Sie hatten bereits vorher ähnlich rauhe Zeiten erlebt. Beschämt vermutete er, daß Scully sein Verhalten nur als eine weitere emotionell oder sexuell frustrierte Phase einordnete und er sie mit einem Achselzucken abtat. Er hatte dummerweise als selbstverständlich vorausgesetzt, daß sie es verstehen würde - daß es vorübergehen würde, ohne daß sie darüber sprachen.

 

Das war einfach die Art, wie es Scully und er immer getan hatten.

 

Nun mußte er erfahren, daß er sich geirrt hatte. Grauenvoll geirrt. Mulders Blick wurde weich und er legte seine große behandschuhte Hand sanft auf ihre winzige Hand.

 

"Es tut mir so leid, Scully," bat er inständig. "Ich wollte nie... nun, ich dachte, es wäre irgendwie vorübergehend, was wir beide durchmachen, verstehst Du?" Er sah in ihre großen blauen Augen und Mulder konnte erkennen, daß Scully kurz davor war, zu weinen.

 

Seine Schuldgefühle wuchsen.

 

Eine einzelne untypische Träne der Frustration hinterließ eine silberne Spur auf Scullys Wange. Instinktiv hob Mulder eine Hand, um sie fortzuwischen. Sie hob ihre eigene Hand, um seine zu stoppen. Sie nahm ein Taschentuch aus der Tasche und trocknete sich die Augen. Verlegen darüber, daß sie ihre Gefühle so offen gezeigt hatte, senkte sie ihren Kopf und knetete nervös ihre Hände in ihrem Schoß.

 

Nach einer langen Pause fragte sie "Was machen wir durch, Mulder?" Ihr Haar fiel nach vorn und verdeckte ihre Gesichtszüge. Mulder streckte vorsichtig die Hand aus und strich die feurigen Strähnen zurück hinter ihr zartes Ohr.  Mit einem tiefen Seufzer antwortete Mulder "Ich weiß es nicht, Scully."

 

Als wenn sie ihn nicht gehört hätte, fuhr sie fort "Ich meine, wir waren nie besonders glücklich miteinander, nicht wahr?" Mulders Augen weiteten sich in Angst und Besorgnis. "Nein, nein," versuchte sie, zu erklären. "Es ist nicht so, daß wir als Partner nicht glücklich waren, aber die X-Akten selbst verweigerten uns jede Chance, wirklich glücklich zu sein, verstehst Du, was ich meine?" Sie sah ihm flehend in die Augen und wünschte, daß er verstand.

 

Und er tat es. "Ja, tatsächlich tue ich das," entgegnete er. "Wir haben das beste aus einer fünf Jahre währenden Pechsträhne gemacht." Dies brachte ihm ein zartes Lächeln von Scully ein, das ihn lächerlich glücklich machte.  "Aber," fügte er hinzu "was Du tatsächlich meinst ist, daß die Dinge zwischen uns besonders schlecht stehen, nicht wahr?"

 

Ein Hoffnungsschimmer glomm in Scullys Augen. "Exakt, Mulder... aber warum?" Sie war wahrhaftig verblüfft - es war nicht so, daß sie diejenige war, die den Streit vom Zaun brach, nicht wahr?

 

<Okay, vielleicht ein- oder zweimal,> gab sie zu.

 

Doch das mußte jetzt ein Ende haben. Die Spannung und der Ärger hatten tatsächlich gedroht, sie zu zerreißen. Scully hob ihren Kopf, um einen strengen Blick auf Mulder zu werfen.

 

"Mulder," sagte sie mit fester Stimme. "Laß es raus. Was quält Dich?" fragte sie.

 

Mulder richtete seine grün-braunen Augen auf Scully. Sie sah eine müde Traurigkeit in ihnen, die sie nur allzu gut kannte. Er sprach zu ihr in einem ruhigen, bedächtigen Ton. "Ich denke, Du weißt genauso gut wie ich, was passiert ist, Scully." Mulder lehnte sich auf der Bank zurück und sah sie erwartungsvoll an.

 

Er lobte diesen geschickten Zug, ihre Aufmerksamkeit zurückzugewinnen.

Scully versuchte, ihr Verlangen Mulder zu erwürgen, zu verbergen.

 

Statt dessen sammelte sie ihre Gedanken. Langsam, wie Wasser aus einem immer größer werdenden Leck aus einem gebrochenen Staudamm floß, erkannte sie, was in den letzten Wochen tatsächlich los war.

 

Der Flur.

 

Der Beinahe-Kuß.

 

Der Stich der Biene, der - nach Scullys Meinung - ihre Partnerschaft gerettet hat.

 

Scully hatte diesen Moment absichtlich aus ihrem Bewußtsein verdrängt. Wenn sie tatsächlich irgendeinen Gedanken an den Sinn oder die Bedeutung dieses kurzen Streifzugs in die gegenseitige Verwundbarkeit verschwendet hätte, wäre sie bestimmt verrückt geworden.

 

Konnte Mulder nicht sehen, fragte sie sich, daß dieser Beinahe-Kuß viel zu gefährlich war, um darüber nachzudenken?

 

"Ich weiß, wir haben nicht darüber geredet, Mulder," begann sie vorsichtig.  "Aber Du weißt, daß wir das nicht können." Sie blickte mit ihren schimmernden strahlend blauen Augen auf Mulder. Er konnte die verzweifelte Sorge hinter ihren Worten hören. Die Panik umfing sie wie ein Totenschleier.

 

Er würde sich nicht davon abbringen lassen. Sie mußten jetzt darüber reden.

Er mußte damit beginnen.

 

"Warum nicht?" fragte er scharf. "Wir können nicht leugnen, was passiert ist, Scully."

 

Sie seufzte erneut müde. Es schien Mulder, das diese Unterhaltung sie das letzte bißchen Kraft kostete, das Scully hatte, um weiterzumachen.

 

"Es kann nicht funktionieren. Das weißt Du so gut wie ich," sagte sie zu ihm. Ihre Stimme klang wenig überzeugend, eher ablehnend.

 

Nun war Mulder ärgerlich. Er würde nicht akzeptieren, daß seine Scully, die starke, leidenschaftliche Scully, die er liebte, so leicht aufgab. War es so hoffnungslos? Nein, das konnte nicht sein.

 

"Verdammt, Scully," fauchte er sie an. "Von Rechts wegen müßten Du und ich jetzt tot sein. Wir sind so oft gegen die Ungleichheit angegangen, warum denkst Du, daß wir das nicht tun können?" Er gestikulierte mit seinen Händen, bewegte sie zwischen ihren Körpern hin und her und versuchte verzweifelt, ihr die Absurdität ihrer Argumentation vorzuführen.

 

Schließlich gab Scully nach. Sie drehte sich ganz zu ihm und nahm sein Gesicht sanft streichelt zwischen ihre behandschuhten Hände. Sie fühlten sich so warm in Mulders Gesicht an. Er konnte sich fast ihr Mitgefühl und ihre Zärtlichkeit vorstellen, die langsam von ihren Handflächen ausstrahlten.

 

"Mulder, bitte versteh doch," säuselte sie besänftigend. "Ich will nichts lieber als Dich... alles von Dir und mit allen Konsequenzen." Scully atmete tief ein und aus.

 

Mulder schloß seine Augen, er sonnte sich in ihrer Offenbarung. <Sie will mich!> freute er sich. Aber seine Freude war nur von kurzer Dauer. Er wollte, daß sie aufhörte. Mulder wollte nichts mehr hören, weil er wußte, daß er nicht mögen würde, was sie als nächstes sagen würde. Aber er respektierte sie viel zu sehr und so hörte er weiter zu.

 

"Aber?" erwiderte er.

 

"Aber..." begann sie, doch sie verstummte unsicher. Er öffnete seine Augen.  Sie brachte nervös ihre Hände von seinem Gesicht in sein wundervolles kastanienbraunes Haar, genau über seine Ohren. Er vermutete, daß es einfach Scullys Art war, zu vermeiden, daß ihre Hände nervös wurden, während sie sprach. Aber das sinnliche Gefühl trieb Mulder zum äußersten. Er mußte sich auf ihre Stimme konzentrieren, ihre Worte.

 

Dennoch, als Scully ihn so berührte, fiel es ihm sehr, sehr schwer. Mulder änderte seine Sitzhaltung in dem Versuch, die unangenehme Beule in seinem Schritt zu verbergen.

 

"Aber dann wäre alles vorbei, Mulder!" rief sie ein wenig eindringlicher aus, als sie beabsichtigte. Als sie den erschütterten und verwirrten Ausdruck auf seinem Gesicht sah, versuchte Scully, zu erklären.

 

"Dies - alles, was wir jetzt haben," sagte sie in einem ernsten Flüstern, "die wundervolle Partnerschaft, die wir haben, alles wäre vorbei. Nichts wäre mehr dasselbe." Sie sah vorsichtig zu ihm hin, ängstlich, wie er reagieren würde. Sie konnte es in den goldenen Punkten sehen, die im Innern seiner warmen haselnußbraunen Augen schwammen, die Mulders ausdrucksvollen Blick ausmachten. Sie konnte es an den harten Mundwinkeln seiner sinnlichen vollen Lippen sehen. Mulder wollte das nicht akzeptieren. Nichts davon.

 

"Worüber, zur Hölle sprichst Du, Scully?" wurde er laut. "Natürlich würde es nicht dasselbe sein. Es wäre viel besser." sagte er nachdrücklich.

 

Scully schüttelte langsam ihren Kopf. "Nein, Mulder," antwortete sie fest.  "Wir wären zu nahe aneinander dran, um unseren Job ordentlich zu machen. Es gäbe keine... Perspektive, wenn wir unsere Arbeit und unser Privatleben trennen müßten." Als sie sah, daß Mulder sich von ihr entfernte, als wäre ein Schleier auf sein Gesicht gefallen, wußte Scully, daß sie ihm einen Moment Zeit lassen mußte, um zu erkennen, daß sie recht hatte. Wenn er einmal überzeugt war, erkannte sie, würde es keine Diskussion mehr geben.

 

Sie schloß zärtlich ihre Hände um Mulders. "Komm schon, Mulder," fuhr sie fort. "Wie können wir annehmen, daß wir uns im ganzen Land herumtreiben können, um Alienverschwörungen aufzudecken oder mutierte Ziegenmelker zu jagen, wenn alles, was wir erörtern ist, warum Du den Toilettendeckel offen gelassen hast, so daß ich um vier Uhr früh da reinfalle?" Scully fühlte ein ironisches Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie daran dachte, daß das tatsächlich das war, wozu Mulder fähig war.

 

Mulder konnte nichts dagegen tun, daß sich ein Grinsen auf seinen ärgerlich zusammengepreßten Lippen ausbreitete.

 

"Oh, Scully," jammerte er und gab seine wütende und empörte Haltung auf.

"Logisch, Du hast recht. Du warst immer die Pragmatische in dieser

Partnerschaft. Aber ich kann mir nicht helfen, ich habe das Gefühl, wir

geben etwas Wunderbares auf... bestimmt. Etwas, das wir nicht jeden Tag

 

erleben, verstehst Du." Er löste seine Hände aus Scullys und lehnte sich zurück auf die Bank. Er fuhr sich frustriert durch seine dunklen Haare.

 

Dann, mit brennenden Augen und einem entschlossenen Ausdruck auf seinem Gesicht, lenkte Mulder seinen starren Blick auf Scully. Er würde es ihr sagen, entschied er. Er mußte es tun. Er würde alles auf eine Karte setzen und dann gab es kein Zurück mehr. Das war sein letzter Trumpf, den er ausspielen konnte, um ihre Meinung zu ändern.

 

"Ich liebe Dich, Dana Scully," beteuerte er leise. "Das ist alles, was zählt. Keiner der triftigen Gründe, die Du heute angebracht hast, um die Sinnlosigkeit einer Beziehung zwischen uns zu beweisen, kann daran etwas ändern. Nichts kann das, nicht einmal eine Regierungsverschwörung, die wie wir wissen droht, die Erde zu zerstören, wird mich davon abbringen können, daß Du der wichtigste Mensch in meinem Leben bist."

 

<Beschütze ihr liebes Herz>, dachte Mulder bei sich. Tatsächlich berührte es Scully, als sie seine Empfindungen und Gefühle sah. Er konnte sehen, wie sie mit sich selbst Krieg führte, die Leidenschaft, die tief in ihr drinnen brannte, ihre Seele, die gegen ihren kalten wissenschaftlichen Verstand kämpfte, den sie so sehr schätzte. Es war fast schmerzhaft zu beobachten, wie die stürmischen Strudel der Qual ihre klare saphirfarbene Iris dunkel färbte und die tiefen Linien, die sich in ihrem Gesicht abzeichneten, verursacht durch die Anspannung um ihren Mund. Es war für einen zufälligen Beobachter nicht wahrnehmbar, aber Mulder kannte sie besser als irgendein anderer.

 

Sie wollte ihn auch. Aber sie würde es nicht zulassen, das wußte er nun.

 

Dann, obwohl sie dagegen ankämpfte, kamen die Tränen. Ein tiefer Seufzer kam von Scullys Lippen und die salzigen Tränen liefen frei und heiß über ihre erhitzten Wangen. Mulder nahm sie einfach in die Arme und umarmte sie sanft. Er verstand. Auch wenn er es nicht guthieß, er würde sich ihrer Entscheidung beugen. Sie verdiente seinen Respekt und er gab ihn ihr gern.

 

"Gott, Mulder," gelang ihr schließlich ein tiefer Seufzer. Ihr Kopf war in seiner Halsbeuge verborgen. Die warme Feuchtigkeit begann, in sein neues Armani-Jackett einzudringen. Es störte ihn nicht.

 

"Ich... ich liebe Dich auch," murmelte sie schwach. "Aber ich kann unsere Freundschaft und unsere Arbeitsbeziehung, die wir jetzt haben, nicht aufgeben. Ich habe Angst vor dem, was passieren wird, wenn wir es ändern.  Ich... ich habe Angst, Dich zu verlieren." Sie schloß ihre Augen fest und betete, daß er sie verstehen und ihr verzeihen würde.

 

Mulder legte sein Kinn auf ihren Kopf und seufzte. Er liebte sie genug, um zu tun, was er konnte. Wenigstens wußten sie nun beide, daß sie sich liebten. Das war genug für ihn. Es mußte genügen.

 

Er streichelte ihr zärtlich übers Haar. "Nicht weinen, Scully," murmelte er mit tröstender Stimme. "Ich verstehe und ich werde immer zu Dir stehen. Ich vertraue Deinem Urteil, was das beste für uns ist." Er lachte leise und sagte "Der Himmel weiß, mein Urteilsvermögen läßt einiges zu wünschen übrig."

 

In Mulders tröstender Umarmung gewann Scully ihr Lachen zurück. "Yeah, irgend jemand wird uns retten müssen, wenn Du uns wieder von einer verrückten Situation in die nächste bringst." <Und eine intime Beziehung zu haben mit meinem besten Freund und Partner wäre definitiv verrückt,> dachte Scully.

 

Nach einer sehr langen Pause antwortete Mulder. "Da wäre eine Menge darüber zu sagen, wie verrückt man zuweilen sein kann." sagte er zu ihr. Seine Hand wanderte unwillkürlich zu ihrem Rücken, wo Mulder sich vor seinem geistigen Auge, das runde Tattoo, das dort für immer gezeichnet war, vorstelllen konnte.

 

Scully erschauderte bei der Erkenntnis, was er damit meinte. <Nein, ich werde nichts dagegen sagen,> dachte sie, während sie sich an das orangerote Glühen des drückendheißen Ofens und an den abartigen Geruch von verkohltem Fleisch erinnerte. Ihr heftiges Zittern als Folge des Wetters ansehend, zog Mulder sie enger an sich heran. Scully begrüßte die zusätzliche Wärme und verkroch sich tiefer in seine Arme.

 

Als er erkannte, daß sie noch erfrieren würden, wenn sie noch länger hier draußen verweilen würden, löste er sich von Scully und versuchte, ihr in die Augen zu sehen. Da sie ihren starren Blick auf ihre Hände in ihrem Schoß gerichtet hielt, nahm er sanft ihr Kinn in seine Hand und hob ihr Gesicht zu sich. Er konnte die getrockneten Tränen auf ihrem Gesicht sehen und den schuldigen Blick in ihren Augen, als wenn sie ihn irgendwie verraten hätte.

 

<Nichts kann weiter entfernt sein, als die Wahrheit,> dachte er bei sich selbst.

 

"Freunde?" fragte er fröhlich. Er zwang sich zu einem Lächeln. <Ich vergebe

Dir, Scully, obwohl es wirklich nichts zu vergeben gibt.>

 

Erleichterung durchströmte sie und ihr wunderschönes Gesicht leuchtete wieder auf. Mulder war froh. Sie strich mit ihrer Hand an seinem Kinn entlang und antwortete "Gute Freunde, Mulder. Die besten." Und dann erhielt Mulder eines ihrer raren 1000-Watt-Lachen, das ihre perfekten Zähne zeigte und das unwiderstehliche breite Kräuseln ihrer Lippen.

 

Er liebte sie und wenn er zuweilen eines dieser Lachen von ihr bekam, würde alles gut.

 

"Komm," sagte er zu ihr, als er von der Bank aufstand. Seine Knie knackten schmerzhaft, als sie sein ganzes Gewicht spürten. <Du wirst alt, Mulder,> tadelte er sich selbst. Er hielt ihr seine Hand hin und sie ergriff sie.  Sie stand mit der für sie charakteristischen Grazie auf und sie schien keinerlei Anzeichen von Beschwerden zu zeigen, trotz der langen Bewegungslosigkeit.

 

<Sie ist so schön,> sagte er sich selbst, wohl zum billionsten Mal, seit sie sich kannten. <Wie zum Teufel werde ich das nur schaffen?> fragte er sich traurig.

 

Aber er blickte ihr wieder in ihr offenes liebenswertes Gesicht. Wie immer war er sprachlos beim Anblick ihrer glatten cremefarbenen Haut, ihrer klassischen zarten Nase, ihren großen ausdrucksstarken unschuldigen blauen Augen und dem stets wechselnden glänzend schwingenden Schleier ihrer üppigen kastanienbraunen Haare. Sie war so wunderbar.

 

Mulders Blick wanderte über ihr Gesicht und blieb an ihrem Mund hängen. Er verbrachte zahlreiche Gelegenheiten damit, sowohl im Büro als auch unterwegs, ihre sinnlichen Lippen anzusehen. Wenn sie sich die Lippen leckte oder auf ihrer Unterlippe kaute, aus Konzentration oder aus Nervosität, war das beinahe genug für ihn, in Ohnmacht zu fallen.

 

Das lustige an der Sache war, bemerkte er, daß ihr Aussehen bedeutungslos wäre, wenn Dana Katherine Scullys innere Werte nicht wären. Ihre ungeheure Intelligenz brachte ihn aus der Fassung - es befand sich auf einer Ebene, die er niemals in der Lage war, zu erreichen. Aber was Mulder wirklich fesselte, waren ihre Leidenschaft und ihre wahrhaftigen aufrichtigen Gefühle. Ihre innere Wärme glich ihre kühle professionelle Haltung, die sie zeitweilig annahm, aus und sie war ein großer Teil dessen, weshalb er so hingerissen von ihr war.

 

Oh, Mulder wußte, daß es ihn schwer erwischt hatte. Sich in Scully zu verlieben war zugleich das wunderbarste und das schrecklichste, was ihm passieren konnte, in seinem unberechenbaren, armseligen Leben.

 

Dort auf dem Hof stehend bemerkte Scully Mulders prüfenden Blick. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und überlegte, ob sie ihn mit seinem Tagtraum necken sollte oder nicht. Schließlich entschied sie sich, es nicht zu tun.  Statt dessen schenkte sie ihm ein weiteres engelhaftes Lächeln.

 

"Beweg Deinen Hintern, Mulder. Ich will hier draußen nicht erfrieren," sagte sie lächelnd.

 

"Willst Du mich anmachen, Agent Scully?" neckte er sie mit einem närrischen Grinsen. Er nahm ihre Hand in seine und ging mit ihr zurück zum FBI-Gebäude.

 

Und zu seiner Überraschung lachte Scully tatsächlich. <Es kann noch alles gut werden,> grübelte Mulder. "Laß uns zurück an die Arbeit gehen, G-woman," sagte er zu ihr.

 

 

 

 

 

FBI-Hauptquartier

Washington D.C.

8:55 am

 

 

Mulder trat aus dem Fahrstuhl, unmelodisch vor sich hin summend. <Ein neuer Tag, ein neuer Dollar, eine neue Bombe in einem Regierungsgebäude,> scherzte er mit sich selbst. Während er den langen nichtssagenden Flur entlang ging, sann Mulder über seine Laune nach. Seine Stimmung war besser als üblich. Das lag daran, daß er kürzlich die Bestätigung erhalten hatte, daß die X-Akten in der Tat auf der Liste der aktiven Ermittlungsabteilungen des FBI standen und daß sie vorgemerkt waren für ein neues Büro.

 

Es war hart für sie in den letzten sechs Monaten gewesen seit dem Brand in ihrem Büro, bei dem die X-Akten fast völlig zerstört worden waren. Die X-Akten waren geschlossen worden und Scully und er waren zum Gegenstand einer strengen Überwachung durch das Büro für dienstliche Untersuchung geworden. Das Büro war noch zu keinem Ergebnis gekommen in den Anhörungen, die stattgefunden hatten, um über die beiden Agenten und ihre Arbeit für die X-Akten zu befinden. In der Zwischenzeit waren sie verschiedenen anderen Abteilungen des FBI zugeteilt worden. Sie waren eine Weile bei der VCS - Mulders alter Lieblingsabteilung -, dann kamen sie zur Abteilung Organisierte Kriminalität (Dieses Mal zum Glück ohne Abhöraufgaben.)

 

Gegenwärtig arbeiteten die beiden Agenten in der Abteilung

Terrorismusbekämpfung im 4. Stock. In dieser Funktion stolperten sie auch über den Bombenanschlag in Dallas und die Regierungsverschwörung, die er vertuschen sollte. Der Höhepunkt ihrer folgenden Ermittlungen war, daß die Sache in Bewegung geriet und führte zu der Entscheidung, die X-Akten wieder zu öffnen.

 

Mulder hatte seine Informationen von Assistant Director Skinner, der selbst Mitglied im Untersuchungsausschuß des Büros war. War die Entscheidung einmal gefallen, informierte er unverzüglich seine früheren Agenten. Mulder meinte, ein Gefühl der Erleichterung hinter Skinners Worten zu verspüren, aber er war sich nicht ganz sicher.

 

<Bald,> sagte Mulder zu sich selbst. <Es ist so nahe, ich kann es fühlen.> Bald würden Scully und er wieder das tun, was sie am besten konnten. Die X-Akten erschienen ihm wie eine kühle Oase in einer trostlosen Wüste der Hoffnungslosigkeit.

 

Während er sich dem Großraumbüro der Abteilung Terrorismusbekämpfung näherte, sann er darüber nach, wie glücklich er darüber war, daß er nicht von Scully getrennt worden war, betrachtete man all die Bewegung um sie herum. Trotz Skinners Leugnen wußte Mulder, daß es zu einem nicht geringen Teil dem Einfluß des Assistant Directors zu verdanken war, daß sie ihre Partnerschaft fortsetzen konnten. Obwohl Scully bei schwierigen Autopsien hinzugezogen wurde oder von Zeit zu Zeit um wichtige forensische Expertisen gebeten wurde, war Scully nicht gebeten worden, ihren alten Lehrstuhl an der FBI-Akademie in Quantico wieder anzunehmen.

 

Ein winziges Lächeln umspielte seine Lippen, Mulder wußte, daß Scully nie gegangen wäre, selbst wenn man sie gefragt hätte.

 

Mulder wußte, daß er unglaubliches Glück hatte, Dana Scully in seinem Leben zu haben. Vielleicht war er sogar der glücklichste Mann auf der Welt.  Manchmal fühlte er sich so.

 

Auch wenn er sie nicht haben konnte.

 

Auch wenn Mulder Scully nie auf ihr weiches Bett legen konnte, sie ausziehen konnte und sie verführen konnte, bis die Sonne aufging. Er würde niemals ihre verboten weiche Haut genießen können, die unter dieser vernünftigen Dienstkleidung verborgen war, noch würde er ihr sinnliches Flüstern hören können, daß sie nur für ihn hatte, während sie sich heiß liebten.

 

Mulder würde Scully niemals in Weiß sehen, sie die Worte "Ich will" aussprechen hören in einer Kirche, ihre Hand haltend und ihr den goldenen Reif auf den Finger schiebend.

 

Er würde niemals den wunderbaren Ton von Babygeschrei hören - seinem Baby.  Seinem... und Scullys. Er würde niemals den Anblick genießen, Scully ihr winziges Baby stillen zu sehen, er würde sie niemals Worte der Liebe zu ihrem Baby murmeln hören.

 

Er konnte sie vor seinem geistigen Auge sehen. Sie strahlte. Und sie lächelte dieses besondere Lächeln, das sie früher nur für ihn hatte. Er wußte, sie würde ohne zu zögern dieses Lächeln ihrem Kind schenken - ihrer beider Kind.

 

Mulder seufzte auf vertraute Art. <Wehmütig,> sagte er zu sich selbst.

 

Aber als Mulder für eine Augenblick die Augen schloß, war ihm klar, daß es niemals so sein würde, aus mehr als nur einem Grund. Er hatte das zu akzeptieren. Und er würde es tun.

 

Weil er Scully mehr als alles andere auf der Welt liebte. Und sie sagte, sie könnten nur Freunde sein. Gute Freunde. Die besten aller Freunde.

 

Und er versprach, daß er es sein würde.

 

<Großartig, Mulder,> schalt er sich selbst heftig. <Du weißt genau, wie man sich die gute Laune verdirbt.> Leicht den Kopf schüttelnd, ging er um die Ecke und betrat das Büro. Er wurde von einem winzigen Lächeln begrüßt, das seinem eigenen entsprach. Scully saß an ihrem lange überfälligen, redlich verdienten Schreibtisch gegenüber einem identischen Schreibtisch, der als sein eigener gekennzeichnet war. Sie war immer früh im Büro. Sie hörte nie auf, ihn im Büro zu überraschen. Und, wie so oft, stand schon ein großer Becher mit heißem Kaffee auf seinem Schreibtisch - einmal Milch und zwei Stück Zucker, so wie er ihn liebte. Seine warmen haselnußbraunen Augen hielten ihre glänzenden blauen Augen fest und er dankte ihr stumm. Sie nickte ihm kaum merklich zu.

 

Die geschäftigen Aktivitäten um sie herum ignorierend, setzte er sich an seinen Schreibtisch und betrachtete seine wunderbare Partnerin, er trank ihre Schönheit, wie er seinen Kaffee trank. Er stellte die Tasse ab.

 

"Morgen Scully," sagte er schließlich. "Bereit für eine Runde Schiffe versenken?" neckte er sie. Ihr Lächeln verbreiterte sich ein wenig.

 

"Guten Morgen, Mulder," kam ihre Erwiderung. "Heute pünktlich, wie ich sehe," ergänzte sie.

 

"Ja," entgegnete er. "Erstens wäre der Kaffee, den Du immer für mich bereithältst, kalt, wenn ich zu spät käme - obgleich ich diese Geste wirklich sehr schätze, Scully." Dies entlockte ihr ein kleines Lachen. Er vermutete, daß der Kaffee nur ein Trick war, den sie anwandte, um ihn pünktlich ins Büro zu bekommen.

 

Unbekümmert ihrer Reaktion, fuhr Mulder fort. "Und zweitens läßt Du mich schlecht aussehen vor all den anderen Mitarbeitern, wenn Du immer so verdammt früh da bist. Ich glaube, ich werde mich bessern müssen, sonst versetzen sie mich noch zur Bombenentschärfungsabteilung."

 

Scully ließ sich von seiner Neckerei anstecken. "Ja, und bei Deinem Glück, Mulder, würde es keine Woche dauern, bis ich einen Anruf bekäme, daß Du überall im gesamten Gebäude verteilt bist," tadelte sie ihn.

 

Mulders Blick wurde ernst. Die Erinnerung an Dallas war beiden noch frisch im Gedächtnis und was eben noch so lustig schien, war es im nächsten Augenblick nicht mehr. Mulder lehnte sich über seinen Schreibtisch, um Lauscher abzuhalten, und begann sanft zu sprechen. Scully lehnte sich in gleicher Weise herüber, um zuzuhören.

 

"Scully, Du weißt, ich würde Dich niemals so verlassen," flüsterte er ihr zu.

 

"Es gibt keine Garantien, Mulder," entgegnete sie dunkel.

 

Scully senkte ihren Blick auf die Schreibtischunterlage. Sie unterdrückte ein Schaudern, als sie sich vorstellte, daß diese verhängnisvolle Nachricht, die sie immer fürchtete, kommen würde. Mit Entsetzen erkannte sie, daß Mulder sterben könnte, ohne daß sie in der Lage gewesen war, ihm zu zeigen, wie sehr sie ihn liebte und wie sehr sie in wollte...

 

Sie hielt ihre Tränen zurück, die heraus wollten. Beschämt fühlte sie, daß sie weinen wollte - hier - vor all den Leuten. Sie wußte nicht, was mit ihr los war. Ein Bild unter der durchsichtigen Folie der Schreibunterlage erregte ihre Aufmerksamkeit. Es war ein Foto von der Weihnachtsfeier des Büros, das jemand vor ein paar Monaten von ihnen gemacht hatte. Es war ihr Lieblingsfoto von ihnen beiden.

 

Sie beschloß, daß sie hier im Büro keine Schwäche zeigen würde, sie blinzelte ein paar Mal, bis die Tränen verschwanden. An ihrer Stelle blieb ein leeres Gefühl zurück. Sie fuhr zärtlich mit ihrem Finger über die Konturen des Fotos, bevor sie den Kopf hob und Mulder direkt ansah.

 

"Was ist los, Scully?" fragte er besorgt. Er stellte nur fest, daß irgend etwas an ihr nagte. Schließlich bemerkte er die dunklen Ringe unter ihren Augen, die gerötet waren und so aussahen, als würde sie gleich weinen.

 

Irgend etwas war nicht in Ordnung. Mulder wußte es immer - sie konnte es nie vor ihm verbergen, trotz ihrer "Mir geht es gut."-Dementis.

 

"Mir geht es gut, Mulder. Mach Dir keine Sorgen," sagte sie, nicht sehr überzeugend.

 

<Natürlich,> dachte Mulder verzweifelt bei sich. <Warum bin ich nicht

überrascht?>

 

Mulder seufzte müde, er bedauerte die deprimierende Wendung, die der Tag

 

genommen hatte. Er stand von seinem Schreibtisch auf und nahm einen dicken Aktenordner in die Hand.

 

Zögernd sagte er "Es tut mir leid, Scully. Ich habe um 8.15 Uhr einen Termin mit Sektionschef Davis wegen des Gasattentats in der Metro." Scully blickte zu Mulder auf und sah das Bedauern in seinen Augen.

 

"Ich weiß, Mulder. Ich muß auch noch diese Pathologiesache aufarbeiten, die ich für die Forensische Abteilung beenden muß. Geh nur." entgegnete sie.  Sie versuchte, ihm das Herz zu erleichtern und schenkte ihm ein erzwungenes Lächeln.

 

Er ging zu ihr und legte seine warme Hand auf ihre Schulter. Er drückte sie ein bißchen und sie lehnte sich dankbar gegen ihn.

 

"Bist Du sicher, daß Du in Ordnung bist?" fragte er, nicht überzeugt. Sie nickte bestätigend. Er lehnte sich zu ihr herunter und flüsterte ihr ins Ohr.

 

"Treffen wir uns hier zur Lunchzeit, Scully. Ich werde Dich an einen schönen Ort bringen und wir können... reden. Nur reden. In Ordnung?" Er sah sie hoffnungsvoll an.

 

Nach einem kurzen Zögern antwortete sie ihm. "Wenn ich es rechtzeitig schaffe, in Ordnung," sagte sie. Um ihn zu beruhigen, griff sie nach seinem Arm und hielt ihn sanft. Sie streichelte mit ihrer Hand zart hin und her.

 

Offensichtlich befriedigt drückte Mulder noch einmal ihre Schulter und wandte sich dann zum Gehen. Sie sah ihm nach, wie er den Flur entlang ging, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.

 

Mit einem tiefen Seufzer lenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihren Computer. Im Augenblick wurde sie durch die Mißtöne und die Betriebsamkeit um sie herum abgelenkt. In diesem Moment durchzuckte Scully der Gedanke, daß Mulder und sie festsaßen an einem Ort, gefangen in der Zeit, unfähig ihre Vergangenheit zu überwinden und ihre ungewisse Zukunft anzugehen, während um sie herum das Leben stattfand und an ihnen vorbeilief. Scully fühlte sich seltsam ausgeschlossen aus der realen Welt, durch die sie und ihr Partner Tag für Tag trieben.

 

Aber sie wußte auch, daß jegliche Vorstellung von einem normalen Leben ein unerreichbarer Traum war. Ihre Arbeit an den X-Akten hatte sie bereits vor langer Zeit dem normalen Leben entfremdet. Seitdem sie die Nachricht bekommen hatten, daß die X-Akten wieder geöffnet werden sollten, konnte Scully bereits ihre Anziehungskraft fühlen - das Leben, das sie kannte, bevor das Feuer ihre Arbeit zerstörte, rief sie wieder.

 

In einem Reflex hob Scully ihre Hand an ihren Nacken und rieb sich über die kleine Narbe, die ihre Rettung in sich barg - und einen Fluch. Der Ruf der X-Akten war quälend ähnlich dem des Chips in ihrem Nacken, der sie letzten Endes zu dieser dunklen Brücke in Pennsylvania brachte, vor so vielen Nächten.

 

Sie schüttelte ihren Kopf, um ihre trübseligen Gedanken loszuwerden, und beschloß, die pathologische Ausarbeitung auf ihrem Computerbildschirm fürs erste zu vergessen. Statt dessen sah sie sich noch einmal das Foto von letzten Weihnachtsfest an.

 

Normalerweise haßte Scully es, zu irgendwelchen Bürofeierlichkeiten zu gehen. Sie endeten immer deprimierend für sie, weil sie so wenig Gemeinsamkeiten mit den anderen FBI-Angestellten hatte. Während die anderen über aufgeklärte Banküberfälle und das Abholen ihrer Kinder von der Tagespflege sprachen, hatte Scully nur Geschichten über fettsaugende Mutanten und geklonte außerirdische Kreaturen einer konspirierenden Schattenregierung.

 

Unnötig zu sagen, daß sie nicht unbedingt der richtige Gesprächspartner für diese Dinge war.

 

Mulder ging es genauso. Er verabscheute Small Talk - genauso wie wenig Verstand - so daß er üblicherweise diese Parties mied wie die Pest.

 

Aber eine alte Freundin aus ihren Akademietagen, Clarice Starling, war unlängst ins Hauptquartier versetzt worden, nachdem sie einige Jahre für das Büro in Seattle gearbeitet hatte. Es war ihrer Hartnäckigkeit zuzuschreiben, daß Scully schließlich nachgab und einwilligte, im letzten Jahr die Weihnachtsfeier zu besuchen. Irgendwie konnte Scully Mulder überzeugen, sie zu begleiten. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie sie es fertig gebracht hatte, Mulder dazu zu verleiten mitzukommen. Scully mußte all diesen langweiligen Papierkram, den sie beide so haßten, für zwei Monate übernehmen.

 

Sie meinte, immer noch die Krämpfe in ihrer Hand zu spüren von all den Reise-, Spesen- und Anforderungsanträgen, die sie in dieser Zeit ausfüllen mußte.

 

Nachdem sie bei der Feier angekommen waren, die in einem der größeren Konferenzräume im 2. Stock stattfand, hingen die beiden Agenten am Rande herum und betrachteten die Feiernden mit Unbehagen. Sie meinten, daß es ein großer Fehler gewesen war zu kommen und wollten gerade wieder gehen, als Clarice Starling sie entdeckte. Die stets liebenswürdige und kontaktfreudige Starling zog sie ins Getümmel. Sie drängte ihnen einen Drink auf und zwang sie, sich unter die Feiernden zu mischen und lockerer zu werden. Mit der Zeit hatte ihnen Starling den dritten Drink verpaßt und es begann, zu wirken.

 

In einer seltenen Offenbarung von Zuneigung - welche sie später als unerwünschten Nebeneffekt des Alkoholgenusses bezeichnen würde - entschloß sich Scully, einen Mistelzweig über Mulders Kopf zu halten. Im Zauber des Augenblicks fesselte sie ihn mit einem verspielten Knutschen. Agent Starling rief sie in diesem Moment und machte ihr Foto. Scullys Gesicht war in die Kamera gewandt. Mulders Blick war direkt auf das Gesicht seiner Partnerin gerichtet und seine vollen Lippen berührten ihren Mundwinkel, als fürchtete er, darüber hinauszugehen.

 

Scully erinnerte sich an diesen Moment. Es war ein Moment reinster Klarheit, als sie sich von ihm zurückzog und in seine blitzenden grün-braunen Augen starrte. Sie sah den besorgten Blick, den er ihr schenkte, als würde er denken, irgend etwas könnte er falsch gemacht haben.  Scully konnte aber auch den Hoffnungsschimmer darin sehen.

 

Sie sah Mulder an und sie konnte es nicht länger leugnen. Sie wußte, daß sie ihn wie keinen anderen liebte und sie wollte ihn... sie wollte ihn so sehr. In diesem Augenblick wollte sie nichts mehr, als ihn zu küssen. Sie wollte verzweifelt ihre totale Hingabe an Mulder gestehen. Die Vergangenheit und die Gegenwart waren nicht von Bedeutung. Die Zukunft, die sie mit Mulder wollte, lag vor ihr, wenn sie sich entschied, die Chance zu ergreifen. Die moralische Bedeutung, intim mit ihrem Partner zu werden, war ihre geringste Sorge. Nichts war von Bedeutung. Nur er.

 

Und so schnell, wie der Blitz in Agent Starlings Kamera verlosch, erkannte sie, daß sie tatsächlich keine Wahl in dieser Angelegenheit hatte. Mit einem stummen Stöhnen wußte sie, daß ihre Qualen erst vorüber sein würden, wenn sie Mulder gehörte - wie eine Frau einem Mann nur gehören konnte - irgendwie, irgendwann. Sie würde ihm gehören, egal was ihr Verstand ihr versuchte zu sagen. Weil ihr Herz nicht darauf hören würde.

 

 

 

 

 

Dana Scullys Apartment

Washington D.C.

12:10 am

 

 

Sie warf den Autopsiebericht achtlos auf ihren Couchtisch. Ihr gegenwärtiger Fall kam nicht recht voran. Sie hatten keine Hinweise auf die Gruppe, die zahlreiche Banken im ganzen Land bombardierte. Die Gruppe, die sich selbst "Der Hammer" nannte, beteiligte sich an dieser Form des Inlandsterrorismus im Namen des - Mulder würde es lieben - Satans.

 

<Ein wundervoller Plan,> dachte Scully sarkastisch. <Zerstöre Amerikas Vertrauen in das Bankwesen und die Welt fällt in Stücke.> Scully kratzte sich frustriert am Kopf. Es war alles Unsinn, das wußte sie, und unschuldige Menschen mußten sterben.

 

Ein stümperhaftes Bombenattentat in Kalifornien hatte einen toten Terroristen eingebracht. Abgesehen vom Bombenschutt, der von den anderen Plätzen gesammelt wurde und dem rätselhaften Bekenneranruf bei einer lokalen Radiostation in Kansas, war der Leichnam die einzige Hoffnung, den Kopf der Gruppe zu finden. Trotz sorgfältiger Autopsie, die der County Coroner unterstützt von Scully durchgeführt hatte, konnten sie keinerlei Anhaltspunkte finden und deshalb hatten sie auch keine Theorie, wie sie den Kopf der Gruppe finden und verhaften sollten. Die Versuche, den Leichnam zu identifizieren, waren wenig erfolgreich.

 

Mulders Aufgabe in der Ermittlung, zu der Zeugenbefragungen und der Versuch, die Sachen und anderen Gegenstände zu identifizieren, gehörten, erbrachte so gut wie nichts.

 

Scully setzte ihre Brille ab und rieb sich die schmerzenden Augen mit den Fingern. Sie war erschöpft - totmüde. Sie löste die Spange, die ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenhielt, zerzauste ihr Haar und ließ es in den Nacken fallen.

 

<Es ist nur eine Frage der Zeit,> tröstete sie sich selbst. <Aber wieviele Menschen werden noch sterben, bevor wir sie kriegen?> fragte sie sich niedergeschlagen.

 

Scully erkannte wieder einmal, daß es da draußen weit mehr Monster gab und nicht alle waren Mutanten oder Mißbildungen der Natur.

 

Nach dem mehrstündigen Rückflug über den Kontinent zog es Scully nur noch in ihr Apartment. Mulder hatte sie scherzhaft gefragt, ob sie wollte, daß er ihr in ihre Wohnung half und sie ins Bett brachte. Mit einem sehnsüchtigen Lächeln hatte sie bedauerlicherweise abgelehnt. Sobald sie ihre Wohnungstür zugemacht und verschlossen hatte, warf sie ihr Gepäck im Flur ab und lief ins Bad. Dort nahm sie eine wohlverdiente heiße Dusche.  Die Erinnerung an die massierenden Wasserstrahlen, die ihre harten, verspannten Muskeln kneteten, veranlaßte sie jetzt zu einem winzigen vergnüglichen Grinsen. Scully rieb sich ihren Hals und gab ein qualvolles Stöhnen von sich.

 

Sie ließ sich die Vorstellung durch den Kopf gehen, in einem heißen sprudelnden Bad zu schwelgen, um sich zu entspannen. Sie verwarf die Idee jedoch sofort wieder. Vernünftig betrachtet hatte sie bereits gebadet und es würde keinen Sinn machen, so bald wieder ein Bad zu nehmen.

 

<Der Fluch, eine Miss Praktisch zu sein,> neckte sie sich selbst.

 

Statt dessen erwog sie, für heute Abend ins Bett zu gehen. Sie hatte bereits die Tür zu ihrem Schlafzimmer erreicht, als es ihr einfiel. Sie litt nun seit einigen Wochen unter Schlaflosigkeit. Sie war in der Tat totmüde, und zwar aus genau diesem Grund. Sie zögerte. <Soll ich mich heute Nacht wieder so quälen?> fragte sie sich selbst.

 

Nein, entschied sie. Sie wollte sich nicht wieder stundenlang hin und her werfen. Die Bilder, die in ihren unruhigen Gedanken brannten während dieser dunklen Stunden, waren immer dieselben:

 

Mulder.

 

Faktisch konnte sie sagen, daß ihre Gedanken tatsächlich nur um zwei Dinge kreisten - um Mulder und sie selbst. Die Dinge, die sie in ihren fiebrigen Träumen taten, trieben ihr eine heftige Röte in ihre blassen Wangen. In diesen Wachträumen gab es eine Menge Zittern, Winden, Pumpen, Schreien, Stöhnen, Lecken und Saugen. Der befriedigende Höhepunkt dieser Phantasien hatte immer einen entsprechenden physischen Effekt auf Scully.

 

Sie erlebte leidenschaftliche Orgasmen, fast als ob sie nie vorher einen erlebt hatte. Sie waren kraftvoll. Sie waren unglaublich angenehm. Sie waren absolut erschreckend. Erstaunlicherweise hatte sie sich bei all dem nie selbst berührt - gut es war nicht unbedingt notwendig, aber es fühlte sich noch besser an, wenn sie es tat. Er hatte diese ungeheure Wirkung auf sie. Sie fühlte jedesmal eine brennende Schuld und war verlegen nach jedem dieser ungeheuren Orgasmen. Genau wie in der Nacht zuvor in ihrem Hotelzimmer, als Scully so fest in ihr Kopfkissen biß, um zu verhindern, daß sie schrie, - sie befürchtete, Mulder könnte es im Zimmer nebenan hören - daß sie die Naht aufriß und einige der weichen Federn hervorquollen.

 

Sie mußte ihre verlegene Röte verbergen, als Mulder am nächsten Morgen unerwartet in ihr Zimmer kam, um mit ihr einige Aspekte des Falles zu besprechen und verwirrt bemerkte, während er das demolierte Kopfkissen hochhielt, "Oh Mann, früher waren diese Dinger einfach besser gearbeitet, nicht wahr Scully?" In diesem Moment wünschte sie, daß die Erde sich auftun und sie verschlingen würde.

 

Es war alles Mulders Schuld, redete sie sich ein. Eine Weile war alles in Ordnung. Sie konnte ihre lüsternen Wünsche in Bezug auf Mulder tief in sich verbergen, wo sie sie nicht mehr so quälten. Nach fast sechs Jahren des Leugnens war sie wirklich gut darin, ihre Bedürfnisse zu unterdrücken.

 

Aber das war vorher. Vor dieser Nacht.

 

Scullys Atem ging schneller und ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, als sie sich an die Nacht erinnerte, als sie ihn sah... ihn sah in einer Art, die sie sich nicht vorgestellt hatte. Die Szene, die sich vor ihr in dieser entscheidenden Nacht enthüllte, brannte sich fest in ihre Netzhaut ein, ätzte sich in die Oberfläche ihrer gepeinigten Gedanken.

 

 

 

 

 

Drei Wochen vorher

 

Starlite Motor Lodge

Miami, FL

11:21 pm

 

 

Es begann, als sie kurz vor dem Einschlafen war in ihrem Hotelzimmer nach einem langen Tag mit Untersuchungen an einem Fall. Scully hörte ein Geräusch. Zuerst dachte sie, es wäre irgendein gequältes Tier - ein Hund oder so. Aber bald erkannte sie, daß es ein menschliches Geräusch war.

 

Es war ein Mann. Ein Mann, der stöhnte. Es war ein tiefes, gutturale Stöhnen.

 

Ihre Augen klappten auf. Sie fühlte, wie sich ihre Haare an ihren Armen und in ihrem Nacken aufrichteten. Sie lauschte auf das Stöhnen.

 

Es kam aus dem Zimmer nebenan. Mulder.

 

Zuerst befürchtete sie, daß Mulder wieder einen Alptraum hatte, einen von der Sorte, bei dem sie in sein Zimmer lief und ihn sanft in den Arm nahm, beruhigende Worte murmelte, daß er in Sicherheit war und daß er Samantha eines Tages finden würde.

 

Aber Mulder hatte so einen Alptraum seit fast einem Jahr nicht mehr gehabt.

Und nebenbei, sein Stöhnen klang ganz anders...

 

In diesem Augenblick befiel Scully ein Schwindelgefühl und sie begann, ein Prickeln überall zu spüren. Es war beinahe so, als wenn all ihre Sinne hypersensibel wurden. Sie konnte das Blut in ihren Adern rauschen hören, ihr Herz schlug laut in ihrer Brust.

 

Die Geräusche gingen weiter. Sie wurden sogar noch intensiver. Jetzt konnte sie Mulder etwas sagen hören, dazwischen immer wieder leise stöhnend.

 

Sie setzte sich rasch auf im Bett. Sie konnte nicht verstehen, was er sagte. Scully überlegte kurz, ob Mulder wohl eine Frau aufgerissen hatte und diese mit in sein Zimmer genommen hatte. Sie kämpfte die intensive Welle von Wut und Eifersucht, die in ihr aufstieg, nieder. Nein. Irgendwie wußte sie, daß es so nicht war.

 

Fürchterlich beschämt, aber nicht in der Lage, sich zu stoppen, lehnte sie sich an die Wand, die sie beide trennte, und legte ihr Ohr daran.

 

Scullys Augen wurden so groß wie Untertassen, als sie schließlich ausmachte, was Mulder da stöhnte. Sie hörte ihn durch die Wand überraschend klar.

 

"Oh, Scully...Sc...uh," kam die gedämpfte Stimme von nebenan. "Du... Du bist so schön... ah, ah."

 

Scully fiel beinahe aus dem Bett. In ihrem Kopf drehte sich alles. <Mulder ruft nach mir?> fragte sie sich. Sie fühlte die Hitze in ihrer Brust, auf ihrem Hals und in ihr Gesicht aufsteigen. Sie wußte, daß sie errötet war.  Ein vertraute Erregung zwischen ihren Beinen folgte. Scully konnte fühlen, wie die Feuchtigkeit in ihren Slip drang, und sie kämpfte gegen das Verlangen an, sich selbst zu berühren.

 

Sie war sich sehr wohl bewußt, daß sie das nicht hören sollte - daß es Mulder äußerst peinlich sein würde, wenn er wüßte, daß sie zuhörte. Aber aus irgendeinem Grunde konnte Scully es nicht lassen. Sie war wie gefesselt. Sie mußte wissen, was Mulder tat.

 

So stieg sie leise aus dem Bett - nur das Geräusch ihres Satinpyjamas, der über den kalten Bettbezug glitt und Mulders schwaches Stöhnen waren zu hören. Auf Zehenspitzen, wie ein Kind, das sich am Weihnachtsmorgen ins Wohnzimmer schlich, ging sie zur Verbindungstür zwischen ihren Räumen.  Scully wußte, daß er sie niemals verschloß, genauso wenig wie sie.

 

Mit dem Schlag ihres rasenden Herzens in ihren Ohren und einem Gefühl von Übelkeit in der Magengrube drückte sie vorsichtig die Türklinke herunter.  Dankbar dafür, daß sie ordentlich geölt war und keine Geräusche machte.

 

Die Tür nur einen Spalt breit geöffnet, schaute Scully nervös und angestrengt in Mulders dunkles Zimmer. Seine Stimme war nun lauter, und instinktiv wußte sie, daß er schlief. Er lag eingehüllt in das matte Mondlicht, das durch das Fenster seines Zimmer fiel. Das Licht warf einen unwirklichen Schein auf ihn, ließ die Farbe seiner Haut versickern und gab ihr eine silbrige Färbung. Sein vom Schlaf wirres braunes Haar - in der Dunkelheit fast schwarz -fiel über seine fest geschlossenen Augen. Sein Stöhnen war nun als zusammenhangloses Gemurmel, durch seinen Traum verursacht, erkennbar.

 

Aber was Scully überraschte, sie ein Keuchen unterdrücken ließ, war die Tatsache, daß Mulder vollkommen nackt war. Er lag, leicht verrenkt, auf seiner Bettdecke. Scully vermutete, daß Mulder, nachdem er aus der Dusche gekommen war, einfach eingeschlafen war.

 

Allerdings war das nicht das Schockierenste an Mulders Zustand. Scully fiel beinahe in Ohnmacht, als sie schließlich erkannt, was das Unterbewußtsein Mulder mit sich selbst im Schlaf tun ließ.

 

Mulder hatte seinen Penis in der Hand und rieb ihn systematisch, beinahe als wäre es eine automatische Antwort auf seine fiebrigen Träume. Womöglich war es das, vermutete Scully. Obwohl sie Mulder bereits vorher nackt gesehen hatte, so viele Male, wenn sie ihn medizinisch behandelt hatte, war es das erste Mal, daß sie ihn tatsächlich so sah... erregt.

 

Das war ganz anders, bemerkte sie mit Erstaunen.

 

Mulder war sehr groß - mehr als der Durchschnitt gab Scully zu. Ein Bild formte sich in ihren Gedanken - Mulder glitt langsam in sie hinein, spießte sie auf, dehnte sie bis an die Grenzen, füllte sie und erfüllte sie. Sie konnte ihn beinahe fühlen, wie er in sie hineinstieß und wieder herauskam, ihr natürliches Gleitmittel erlaubte es ihr, Mulders imposanten Umfang ohne Schmerzen in sich aufzunehmen - oder so schmerzlos, wie es möglich war, wenn man etwas so großes in sich hatte, dachte sie mit wachsendem Staunen.

 

<Rein und raus... rein und raus... rein und raus...> Scully war deutlich verwirrt.

 

Sie fühlte überall Hitze. Es war, als wenn ihr Blut kochte. Alles an ihr prickelte, von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Sie schnaufte und sie wußte, wenn sie nicht aufhörte, würde sie hyperventilieren. Sie schloß ihre Augen und versuchte Mulder und das, was er sagte, zu ignorieren. Er murmelte wieder und wieder "Oh, Scully... Scully..."

 

Ihr Mund und ihre Kehle wurden trocken und sie schluckte schmerzhaft.  Scully wünschte, daß ihr Herz aufhören würde, so heftig zu schlagen, als wolle es in ihrer Brust zerspringen. Sie fühlte sich schmutzig und klebrig.  Ihr Slip war schon ganz naß. Sie fühlte einen vertrauten Schmerz in ihren Genitalien und ihre Nippel waren unangenehmerweise steinhart. Sie sank auf die Knie, wohl wissend, daß sie Mulders Privatsphäre verletzte, aber nicht in der Lage, sich abzuwenden.

 

Sie öffnete ihre Augen. Mulders Hand pumpte rasch hoch und runter über die Länge seines dick geäderten Schaftes. Die Spitze seines Penis schaute dunkel zu Scully, angefüllt mit Mulders heißem Blut.

 

Und immer noch rief er nach ihr.

 

<Oh, lieber Gott im Himmel,> dachte sie fassungslos. Sie kam langsam. Sie konnte es fühlen. All ihre über sechs Jahre versteckten Wünsche drangen an die Oberfläche. Sie war unfähig, sie zurückzuhalten. Mulders unbeabsichtigt überwältigende Menge an Sexualität brandete über sie hinweg und spülte die letzten Reste ihrer Selbstkontrolle fort.

 

Im Nu bewegte sich ihre zitternde Hand zu ihrem pochenden Geschlecht, glitt leise unter den Gummi ihres Höschens und vorbei an den harten Locken, die ihre schmerzende Vagina umgaben. Sie rieb ihre Finger vorsichtig entlang ihrer nassen, empfindlichen Spalte und versuchsweise steckte sie einen in ihre tropfnasse Öffnung. Rasch legte sie die Finger ihrer anderen Hand auf ihre geschwollene Klitoris und begann sich selbst in winzigen Kreisen zu reiben.

 

Es fühlte sich wie ein Schock an, der sie durchlief. Sie fühlte die Elektrizität. Ihr Mund öffnete sich zu einem stillen "O" der Extase und des Vergnügens. Es würde nicht mehr lange dauern, erkannte Scully.

 

Mit einem winzigen unnatürlichen Schrei rief sie aus "Mulder... Gott Mulder." Dankbar dafür, daß Mulder sie nicht gehört hatte und aus seinem erotischen Schlummer erwacht war.

 

Jedenfalls hatte er sie auf keinen Fall bewußt gehört. Als wenn ihre Stimme das Stichwort gewesen wäre, erreichte Mulder seinen Höhepunkt. Scully sah Mulder, wie sein Kopf vom Bett hoch schnellte und die Adern an seinem Hals hervortraten. Mit einem äußerst geschockten Blick flogen seine Augen auf und er sah hinab auf das, was er tat. Er krächzte "Scully..." und dann war alles für ihn vorbei. Einige kraftvolle Samenstöße schossen aus Mulder heraus. Die Tropfen, die sie formten, glitzerten im Dunkeln für eine kurze Sekunde, dann platschten sie feucht auf seine Brust und seinen Bauch.

 

Das war alles, was Scully brauchte. Mulders Orgasmus zu sehen, schickte Wellen von Vergnügen durch sie hindurch, und bevor sie es richtig mitbekam, verdrehte sie ihre Augen und fühlte die winzigen Kontraktionen ihrer Vaginamuskeln. Sie fuhr fort, sich selbst zu streicheln, durchlebte wundervolle Krämpfe und biß sich auf die Unterlippe, um nicht zu schreien.  Sie schmeckte den kupferhaltigen Geschmack ihres eigenen Blutes, aber es interessierte sie nicht.

 

<Oh, Mulder...>

 

Schließlich wurden die Kontraktionen weniger und Scully war erfüllt von einem tiefen, befriedigenden Gefühl. Sie sank zurück in eine sitzende Position, ihre Hände immer noch auf dem Gipfel zwischen ihren Schenkeln.  Sie schloß ihre Augen und tat einen reinigenden Atemzug. Es war unglaublich, entschied sie. Sie zog ihre Hände aus ihrem Höschen und sog dabei unbeabsichtigt ihren eigenen Geruch ein - ein scharfer Moschusgeruch, der unmißverständlich war... sexuell. Sie erschauderte leicht, als ihr richtig bewußt wurde, was sie hierher gebracht hatte.

 

Wieder Herr ihrer Sinne, erkannte sie, daß Mulder während seiner Ejakulation erwacht war. Er hatte nicht bemerkt, daß Scully ihm aus der Dunkelheit des Raumes zugesehen hatte. Mulder betrachtete sich selbst mit einem Ausdruck puren Ekels. Scully fühlte Tränen in ihre Augen steigen, als sie ihn so leiden sah. Sie fühlte sich schrecklich.

 

Es war alles wegen ihr und diesem idiotischen Pakt, den sie mit ihm

geschlossen hatte. <Freunde... sicher, Dana,> schalt sie sich selbst im

Stillen. <Du bist ihm ein schöner Freund, Dana. Was glaubst Du, wielange er

das noch durchhalten kann, wenn Du ihn in so eine Situation bringst?>

 

Mulder stieß einen tiefen Seufzer aus und erhob sich vom Bett, von seinem Körper tröpfelten seine eigenen Säfte. Er ging ins Badezimmer und schloß die Tür. Ein paar Augenblicke später hörte sie, wie er die Dusche aufdrehte.

 

Scully erhob sich auf zitternden Beinen und schloß leise die Verbindungstür. Sie schleppte sich zu ihrem Bett und ließ sich darauf fallen, komplett und völlig leer.

 

<Oh Gott, Mulder,> dachte sie, als sie ein langes Stöhnen von sich gab.<Was

zum Teufel soll ich jetzt machen?>

 

Sie wußte tief in sich, was sie getan hatte. Es war jetzt nur noch eine Frage der Zeit, bis die tickende Zeitbombe ihrer Wünsche in Bezug auf ihren Partner schließlich explodierte.

 

Und die schlimme Sache bei Bombenexplosionen war, dachte Scully traurig, daß immer Menschen verletzt wurden.

 

Sie fand nicht leicht in den Schlaf in dieser Nacht.

 

 

 

 

 

Drei Wochen später...

 

Dana Scullys Apartment

12:30 am

 

 

Scully blinzelte ein paar Mal, um ihre Träumerei zu beenden. Nein, sie konnte jetzt nicht schlafen. Sie hatte nicht das Bedürfnis, das alles noch einmal zu durchleben. Sie verließ ihr Schlafzimmer und ließ sich teilnahmslos wieder auf die Couch fallen. Alle Lichter im Apartment waren aus. Sie griff nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.

 

<Okay, wenn es bei Mulder funktioniert,> sagte sie sich. Scully starrte mit leerem Blick auf die bunten Bilder, die unbekümmert über den Bildschirm tanzten. Sie hatte den Ton ausgeschaltet und starrte auf die Bilder, ohne sie wirklich zu sehen.

 

Als sie begann, sinnlos durch die Kanäle zu zappen, begann Scully die Verlockung zu begreifen für jemanden, der nicht schlafen konnte, diese lächerliche Sache zu tun. Die stille Kalvakade niemals ruhiger Bilder war faszinierend. Scully stellte sich vor, daß es so ähnlich war wie hypnotisiert sein. Eine Form von Trance, wie eine Tunnelvision, begann einzusetzen, und sie lehnte sich zurück auf die Couch, dachte über nichts im einzelnen nach, konzentrierte sich nur auf das Fernsehen.

 

Vollkommen selig wanderte sie sinnlos zwischen tonlosen Infospots und Musikvideos von Gruppen, die sie nicht einordnen konnte, hin und her. Dann sah sie es - der Titel eine Mitternachtsfilms lief über den Bildschirm. Er hieß "Schaft". Benommen drückte sie die Tontaste und die Digitalanzeige rollte von links nach rechts. Der Ton wurde lauter.

 

Musik aus den 70ern erklang. Sie begleitete das Bild von <... wie hieß er noch gleich?> versuchte sie sich zu erinnern. <Oh, yeah.> Richard Roundtree lief einen Fußweg entlang, prahlerisch in seiner archaischen Machoart. Sie hörte die vertraute Melodie des Titelsongs. Der Text schien so vertraut.  Ihre Gedanken wanderten zurück zu dieser sehr interessanten Nacht in Chaney, Texas.

 

"Wo ist der schwarze Privatdetektiv, wo ist die Sexmaschine mit all den Bienen?

 

Schaft!

 

Kannst Du es kapieren?

 

Sie sagen, diese Katze Schaft ist eine schlechte Mutter -

 

Halt den Mund!

 

Laß uns über Schaft reden."

 

Die klebrig-süße, ruhige, schmalzige Stimme von Isaac Hayes stand im Gegensatz zu Scullys Erinnerung an Mulders relativ höhere Stimme, als er in ihrem Hotelzimmer auf dem Boden gelegen und wirres Zeug geredet hatte. Sie erinnerte sich an seinen glasigen Blick und die entzückenden Brusthaare, die aus dem Halsausschnitt seines Unterhemds hervorlugten. Sie erinnerte sich, wie sie auf seine glänzende Unterlippe geschaut hatte, die dieselben Worte aussprachen, die sie gerade aus dem Fernseher hörte. Die Dusseligkeit und Idiotie dieser Nacht zauberte ein Lächeln auf ihre eigenen Lippen.

 

Langsam fielen Scully die Augen zu. Es war schwer, sich zu konzentrieren.  Sie konnte jetzt Isaac Hayes' Geplapper über seinen Mannesschaft hören, aber es schien so weit weg. Sie begann, auf der Couch zur Seite zu sinken und sie fühlte, wie ihr Kopf das weiche <oh, so weiche> Kissen berührte.  Als Scully schließlich in einen friedlichen Schlummer fiel, ungehindert von brennend heißen sexuellen Phantasien über ihren Partner, hatte sie ein letztes Bild in ihrem Geist, das sie genoß:

 

Es war ein Bild von ihr, sie lehnte sich zu Mulder herunter, der nicht

wußte, was er von sich gab. Mulder, der sich seltsam anhörte wie ein

Schwarzer singend. Sie beugte sich herunter und sie roch an ihm. Mulders

Duft war eine berauschende Mischung aus Hotelseife, Pizza und

Sonnenblumenkernen. Sie begann seine weichen, schmackhaften Lippen sanft zu

küssen. Sie stöhnte im Schlaf, als sie sich vorstellte, wie sie die

Tomatensauce aus den Winkeln seines samtenen Mundes leckte, die die Pizza

hinterlassen hatte, die er gegessen hatte, bevor sie in sein Zimmer

geplatzt war. <Gott, Mulder,> stieß sie in Gedanken hervor, gerade als sie

unter den dunklen Mantel der Bewußtlosigkeit schlüpfte. <Wie zur Hölle kann

ich Dich aus meinem Kopf bekommen?>

 

 

 

 

 

FBI Hauptquartier

Washington D.C.

8:30 am

 

 

Scully schüttete zwei Ibuprofen-Tabletten aus einem Plastikröhrchen in ihre Hand und steckte sie in den Mund. Sie spülte die widerlich süßen Tabletten mit einem Schluck ihres inzwischen kalten Kaffees hinunter. Mit einer Grimasse stellte sie die Tasse zurück auf ihren Schreibtisch und wandte sich wieder dem Computer zu.

 

Sie hatte schließlich die Ausarbeitung beendet, nach der die Pathologen geschrien hatten. Normalerweise war sie schnell fertig, wann immer sie um Rat gebeten wurde. Aber mit ihrem neuen Fall und anderen... Ablenkungen verzögerte sich Scully untypischerweise, bis die Führung des Hauptquartiers sie diplomatisch "überredete", ihr etwas vorzulegen.

 

Nachdem sie die Taste gedrückt hatte, um die vollständige Datei als Attachment per e-mail an sie zu schicken, wandte sich Scully wieder ihrem Schreibtisch zu und stützte ihre Ellbogen auf. Sie legte ihren Kopf in ihre offenen Handflächen. Ihre Finger massierten ihre hämmernden Schläfen.

 

Scully war müde. Sie bekam nicht genug Schlaf. Sie war frustriert. Sie war vollkommen durcheinander. Sie wußte nicht mehr, wo oben und unten war.

 

Und es war alles seine Schuld. Mulder. Wenn sie ihn nicht so sehr lieben würde, würde sie versucht sein, ihn umzubringen.

 

Wenn ihre innere Unruhe während der letzten Monate sie eines gelehrt hatte, dann das, daß Dana Scully das größte lebende Beispiel für Verweigerung in der Geschichte war. Sie mußte erkennen, daß sie Mulder verzweifelt brauchte. Sie brauchte ihn, wie ein Mensch Wasser oder Nahrung brauchte.

 

Sie hatte schamlos unterstellt, daß ihre Bedürfnisse neben ihrer Arbeit zweitrangig waren, daß es genug für sie wäre, Mulder einfach als Partner und als Freund zu haben. Sie wollte das schwache Gleichgewicht zwischen ihrem Job und ihren persönlichen Wünschen nicht zerstören.

 

Allerdings wurde ihr offenkundig deutlich, daß ihr Herz sich wenig darum kümmerte, was sie zerstören wollte oder nicht.

 

Scully wollte Mulder. Ja, sie gierte nach ihm wie ein geiler Teenager. Sie errötete heftig an ihrem Schreibtisch, aber da erst sehr wenige Agenten in dem Großraumbüro waren, blieb es unbemerkt. Seit dem Starlite Motel konnte sie ihn, wann immer sie die Augen schloß, sehen - rauh und wild. Sie wollte, daß ihre Hand da war, ihn streichelte. Sie wollte mit ihm Liebe machen, seinen Namen schreien im Dunkel der Nacht.

 

Wenn das aber alles gewesen wäre, was sie wollte, hätte sie vielleicht schon längst darüber nachgedacht, ihn zu verführen. Aber Scully liebte Mulder. Sie wollte mit ihm leben, jenseits der Arbeit. Sie erkannte, daß ihre Trennung von den Grauen und den Gefahren ihres Jobs gleichbedeutend war mit der Frage an einen Mann, sich den Arm abzuhacken. Jedoch fand Scully es in diesem Moment sehr schwer, sich darüber Gedanken zu machen.

 

Scully schätzte die wenige Zeit, die sie außerhalb der Arbeit gesellig verbrachten. Das letzte Mal war auf der Weihnachtsfeier gewesen. Scully starrte wieder auf das Foto unter ihrer Schreibtischunterlage. Sie wollte mehr Zeit wie diese mit Mulder verbringen - ein Leben lang. Sie wollte mit ihm alt werden. Sie wollte all die einfachen Vergnügungen, die eine Ehefrau mit ihrem Ehemann erleben konnte.

 

Ja, sie wollte Mulder heiraten - "Spooky" Mulder. Sie wollte Mrs. Spooky Mulder werden.

 

<Wie verrückt ist das?> fragte sie sich. Das war es, was Mulder mit ihr machte - er machte sie wahnsinnig. Und dieses Mal war es nicht der normale Wahnsinn, wofür sie ihn schlagen könnte, weil er sich wie ein Kind benahm oder weil er sie vollkommen ignorierte. Nein, sie war wahnsinnig, weil sie all ihre Gefühle für ihn für sich behielt, und sie fühlte, daß sie kurz vor dem Explodieren war.

 

Und das war ihr unangenehm, weil sie ja diejenige gewesen war, die ihrem Partner gesagt hatte, daß eine Beziehung niemals funktionieren würde. Sie hatte da draußen gesessen, vor genau diesem Gebäude und Mulder erklärt, daß sie nur "gute Freunde" sein wollten, dachte sie.

 

<Warum hast Du ihn nicht gleich erschossen oder - noch besser - gleich Dich selbst?> dachte sie. Es tat ihr so leid für Mulder. Denn wenn er auch nur annähernd so fühlte, wie sie neuerdings fühlte, mußte ihr Abblitzenlassen wie ein Schlag in den Magen für ihn gewesen sein.

 

<Was für ein unglaublich selbstsüchtiges Miststück bist Du doch, Dana,> fuhr sie fort, sich mental zu schlagen. Scully war angewidert von ihrer scheinbaren Gefühllosigkeit - weshalb sie ihre Beziehung so lassen wollte, wie sie es wollte. Sie betrog sich selbst, wenn sie sich einredete, daß sie das um ihrer beider Willen tat, aber letztlich war sie selbst so egoistisch, wie sie es ihrem Partner vorwarf, manchmal zu sein.

 

Scully griff nach ihrer Schreibtischunterlage, schob die Finger unter die Plastikhülle, unter der das Weihnachtsfoto lag. Sie holte es hervor und starrte es durchdringend an. <Das muß aufhören,> sagte sie sich.

 

Schließlich beschloß sie, daß etwas passieren mußte. Sie war an einem Wendepunkt. Die Verzögerung der Pathologieausarbeitung zeigte offensichtlich, daß es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ihre Arbeit beeinträchtigt wurde. Sie wußte seit einer ganzen Weile, daß es unumgänglich war, daß sie sich ihren Gefühlen für Mulder stellen mußte.  Leugnen verringerte sie nicht, nicht im geringsten.

 

Wie auf ein Stichwort kam Mulder in diesem Moment ins Büro.

 

"Hey, guten Morgen, Scully," sagte Mulder gutgelaunt. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, die Morgenzeitung unter dem Arm.

 

"Mmm," brummte Scully lediglich.

 

Über den Rand seiner Kaffeetasse, die er sich gerade eingegossen hatte, fragte er "Wir sind nicht besonders gut drauf heute, huh?"

 

Scully schenkte ihm einen zweideutigen Blick. Sie konnte sich nicht

entscheiden, ob sie ärgerlich oder depressiv war. <Wahrscheinlich bin ich

beides.>

 

"Komm schon, Scully," versuchte es Mulder erneut. "Du bläst schon seit Wochen Trübsal. Stimmt irgend etwas nicht?" Er bekam keine Reaktion oder Antwort.

 

"Scully." Seine Stimme klang jetzt gereizt.

 

Sie sah ihn wieder an. Azurblaue Augen bohrten sich in warme haselnußbraune. "Was?" entgegnete sie matt.

 

"Freunde lassen einander nicht im Ungewissen, Scully," belehrte er sie.

 

Als sie ihm einen 'ach, hör schon auf'-Blick zuwarf, wurde er sanfter.  "Okay, okay. Ich bin nicht der beste Beichtvater. Aber bitte, Scully, ich versuche es, ja?" sagte er.

 

Und damit sah sie ihn milde an. "Oh, Mulder. Es tut mir leid," entschuldigte sie sich. "Ich weiß, was für ein Stinkstiefel ich gewesen bin. Es ist nur..." bemerkte sie schwer atmend. Sie wollte fortfahren, aber ihre Entschlossenheit begann zu schwinden. Es war nicht das erste Mal, gab sie zu.

 

"Was?" forderte Mulder sie auf. Nun war er neugierig, sogar ein bißchen beunruhigt. Als sie ihn erschrocken ansah, drängte er "Was ist los, Scully?" Durch Mulders natürlichen Beschützerinstinkt schien sich Scully nur noch weiter in sich selbst zurückzuziehen.

 

Jetzt sicher, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, stand Mulder von seinem Stuhl auf und ging hinüber zu seiner Partnerin. Er ging neben ihr in die Knie und nahm ihre kleinen zitternden Hände in seine. Er drückte sie sanft, bis sie aufhörten zu beben. Er blickte ihr inständig in ihre bereits mit Tränen gefüllten Augen. Mulder ignorierte die vereinzelten Blicke der anderen Agenten, die in dem Großraumbüro arbeiteten. <Zur Hölle mit denen,> dachte Mulder.

 

"Bitte, Scully," bat er. "Laß mich Dir helfen - als Dein Freund. Was ist los?" Er versuchte, soviel Wärme in seine Stimme zu legen, wie er konnte.  Er wußte, sie hatte vor irgend etwas Angst und er wollte ihr versichern, daß er für sie da sein würde, egal was passierte.

 

Er wartete auf ihre Antwort.

 

Sie sah ihn ausweichend an, ihre Augen blickten überall hin außer in seine Augen. Mulder kannte diese Ausweichtaktik nur zu gut. Er starrte sie so intensiv an, bis ihr Blick an seinem hängen blieb.

 

"Mulder... ich, ich," stammelte sie. Mulder begann zu ahnen, daß das, was er als nächstes von Scully hören würde, eine große Bedeutung für ihn und seine Zukunft mit ihr haben würde.

 

Wieder wartete er geduldig, er wollte nichts erzwingen. Er konnte beinahe sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Er bemerkte ihre gerunzelte Braue, eine normale Sache, wenn Scully frustriert oder tief in Gedanken war.

 

Und gerade als Scully ihren Mund öffnete, um zu sprechen, hörte er eine Stimme.

 

Aber es war nicht ihre.

 

"MULDER!" Die donnernde männliche Stimme erklang hinter ihm.

 

Er versuchte, den verärgerten Ausdruck auf seinem Gesicht zu verdrängen, als er sich langsam umdrehte.

 

Es war Agent Carlson. "Hey, Mulder," rief er vom anderen Ende des großen Raumes. "Davis will den Bericht, den er angefordert hat - jetzt." Carlson Blick sagte ihm, in welcher Stimmung Sektionschef Davis an diesem Morgen war.

 

"Ja, ja," erwiderte Mulder gereizt. "Sag ihm, ich bringe ihn gleich."

 

Er drehte sich zurück zu Scully, die in diesem Moment so verloren aussah, daß er sie in seine Arme ziehen wollte, um all ihre Ängste mit einer liebevollen Umarmung wegzuwischen. Er wußte, daß etwas nicht in Ordnung war. Scully war normalerweise so stark und selbstsicher - besonders in Gegenwart anderer. Er wollte ausführlich mit seiner Partnerin reden und sie über ihre rätselhafte Unruhe hinweg trösten, aber er hatte versprochen, seinen Bericht mit Sektionschef Davis zu diskutieren.

 

Er hatte bereits genug Minuspunkte in seiner Personalakte, er konnte nicht noch mehr gebrauchen, besonders jetzt, da Skinner nicht mehr sein Boß war.

 

<Wer hätte gedacht, daß ich mich nach den Tagen sehnen würde, als Skinner mein Vorgesetzter war?> überlegte Mulder.

 

Er grinste sie entschuldigend an. "Verdammt," stieß er hervor. Und zu ihrer Ehre lächelte Scully leicht, die Ironie der Situation wahrnehmend.

 

"Unterbrechungen scheinen tatsächlich unser Pflichtrisiko zu sein, huh?" sagte sie leise zu ihm.

 

"Es tut mir so leid, Scully," antwortete er. Und das tat es wirklich. Es waren Momente wie dieser, wo er ihr eine Schulter zum Anlehnen bieten konnte und ein offenes Ohr, in denen er froh war zu leben.

 

Und glücklich darüber, daß er sie in seinem Leben hatte.

 

Jetzt lächelnd sagte Scully "Geh schon. Wir reden später, okay?"

 

Mulders schwaches Grinsen wurde breiter, seine weißen Zähne wurden sichtbar. "Dann haben wir also eine Verabredung." Er stand auf und sah auf seine zarte Partnerin herab. Er drückte noch einmal ihre Hände, dann entfernte er sich langsam von ihr. Er ging zurück zu seinem Schreibtisch, nahm den dicken Aktenordner, der ihm an diesem Morgen soviel Kopfschmerzen bereitet hatte. Er blickte noch ein letztes Mal auf die müde Rothaarige ihm gegenüber, winkte ihr kurz zu und ging dann hinaus auf den Gang.

 

Scully schloß ihre Augen und tat einen tiefen Seufzer, um sich zu beruhigen.

 

<Was für eine abgefuckte Seifenoper,> dachte sie und schüttelte ihren Kopf.

 

Ihr Telefon klingelte und sie nahm ab. "Scully," sagte sie tonlos.

 

"Dana?" meldete sich eine weibliche Stimme in schwerem West-Virginia-Akzent.

 

"Clarice?" fragte Scully.

 

"Genau die," kam die Antwort. Scully lächelte. Das mußte sie immer, wenn Clarice Starling in ihrer Nähe war. "Wie geht es Dir, Agent Starling?" fragte sie.

 

"Soweit ganz gut, Honey," antwortete Starling. "Ich könnte Dich dasselbe fragen."

 

"Oh, mir geht es gut, Clarice," sagte Scully nicht sehr überzeugend.

 

"Verkauf mich nicht für dumm," entgegnete Starling sanft. "Ich rufe an, weil ich Dich zum Lunch einladen wollte, Dana." Scully hatte das Gefühl, daß das letzte, woran Starling in diesem Moment dachte, Essen war.

 

"Also, ich weiß nicht, Clarice...," versuchte sich Scully zu drücken.

 

"Ich weiß, Honey," säuselte Starling. "Ich weiß, Du möchtest nicht reden.  Das möchtest Du nie." Starling schwieg einen Moment und Scully wollte gerade etwas sagen, als Starling fortfuhr, "Ich hatte das Gefühl, daß Du gerade jetzt einen Freund brauchst. Ich sah Dich gestern auf dem Gang und es schien, daß Du eine Schulter zum Anlehnen gebrauchen könntest."

 

<Bin ich so durchschaubar?> fragte sich Scully.

 

Trotz Scullys Zurückhaltung, sich jemandem außer Mulder oder ihrer Mutter zu öffnen, brauchte sie jemanden zum Reden. Clarice Starling war eine gute Freundin, gab Scully zu, und sie hatte niemals versucht, über sie zu urteilen.

 

Und so sagte Scully, ohne noch länger darüber nachzudenken "Okay, Clarice.

Wo wollen wir uns treffen?"

 

 

 

 

 

DuPont Coffee Shop

Washington D.C.

12:15 p.m.

 

 

Die Kaffeestube war ein relativ ruhiger Platz. Am nordwestlichen Ende der 19. Straße gelegen, war sie nicht unbedingt abgelegen, aber weit genug entfernt, daß sie es vermieden, den üblichen FBI-Angestellten zu begegnen, die die näher zur Arbeit gelegenen Einrichtungen frequentierten.

 

Scully musterte die Menge, die sich vornehmlich aus normal in Anzug und Krawatte gekleideten Angestellten zusammensetzte, die ein nettes, ruhiges Plätzchen wollten, um einen Bissen zu essen. Außerdem waren da ein paar vereinzelte Touristen, die sich in ihrer bequemen Freizeitkleidung von dem gedämpften Grau und Schwarz der Anzüge abhoben.

 

Sie lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf Clarice Starling. Vor der Weihnachtsfeier hatte sie ihre Freundin zuletzt auf der Abschlußfeier der FBI-Ausbildungsakademie in Quantico gesehen. Obwohl sie erst wieder miteinander vertraut werden mußten, war es, als wenn die Jahre dazwischen nie existiert hätten. Scully wurde wieder klar, daß sie in Clarice eine wirkliche Freundin hatte.

 

Starlings "Stern" war rasch aufgestiegen, seit sie sich das letzte Mal trennten. Sie war vom Chef der Abteilung Verhaltensforschung, Jack Crawford, angeworben worden, um den bekannten Serienkiller Dr. Hannibal Lecter, genannt "der Kannibale", zu verhören. Jemanden so unerfahrenen wie Clarice Starling zu nehmen bedeutete, daß sie für die höhere Karrierelaufbahn vorgesehen war.

 

Wie es aussah, wurde die junge FBI-Anwärterin als Köder benutzt, um Informationen aus Dr. Lecter herauszuholen, die zu einem Täterprofil im Fall des Serienmörders "Buffalo Bill" führen sollten.

 

Nachdem sie Crawfords Trick durchschaut hatte, bewies Starling schließlich

sich selbst, daß sie wesentlich beitrug zur Untersuchung. Tatsächlich

schaffte Starling es selbständig, die Motive hinter Buffalo Bills Mordorgie

zu enthüllen und den Verdächtigen aufzuspüren, dessen tatsächlicher Name

 

Jame Gumb war. Unglücklicherweise war Starling während der Verhaftung Gumbs gezwungen, auf ihn zu schießen und ihn zu töten. Letztlich hatte Starling damit Buffalo Bills letztem Opfer das Leben gerettet.

 

Nach dem Abschluß gingen Scully und Starling getrennte Wege. Ihrem Wunsch entsprechend wurde Starling der Abteilung Verhaltensforschung zugeteilt, während Scully ein Lehramt an der Ausbildungsakademie antrat. Als Scully bei den X-Akten angefangen hatte, erfuhr sie, daß Starling in die Außenstelle nach Seattle versetzt worden war. Scully hatte sich oft gefragt, warum ihre Freundin eine so vielversprechende Karriere bei der Abteilung Verhaltensforschung aufgegeben hatte.

 

Scullys Blick streifte Starling flüchtig. Äußerlich waren sich Scully und Starling sehr ähnlich. Sie hatten annähernd dieselbe Größe und dasselbe Gewicht. Ihr Haar war eine Spur dunkler als Scullys und sie trug es etwas länger, aber der Schnitt war fast derselbe.

 

Scully hatte stets Clarice Starlings Gesichtszüge bestaunt. So etwas gab es kein zweites Mal - sie war schön. Sie hatte ein schmales mandelförmiges Gesicht und eine schmale makellose Nase. Ihre Lippen, obwohl nicht ganz so voll wie Scullys, waren sinnlich trotz der Entschlossenheit, die sie ausdrückten. Und die Stimme, die über diese Lippen kam, war voll und kräftig mit dem Klang der warmen, friedlichen Landschaft von West Virginia.

 

Der Brennpunkt in Starlings Gesicht waren jedoch ihre unglaublich ausdrucksstarken Augen. Sie waren groß und sie waren von einem Blau, das die Menschen anzuziehen schien. Man konnte fast in Starlings Gedanken sehen... und in ihr Herz.

 

Scully schüttelte sich im Geiste. Manchmal erinnerte sie Starling an Melissa. Sie kämpfte die Welle von Gefühlen und Schuld nieder, die aufkam, als sie an ihre große Schwester dachte. Um zu vermeiden, daß sie vor ihrer Freundin die Fassung verlor, blickte Scully auf ihren Tisch herab.

 

Die beiden FBI-Agenten hatten sich Geflügelsalat-Sandwiches und Eistee bestellt. Eigentlich hätte Scully lieber etwas Härteres gehabt - vielleicht Whiskey oder Tequilla - aber sie war im Dienst. <Außerdem trinke ich sowieso nicht,> gab sie zu.

 

<Es sind Zeiten wie diese, wo ich mir manchmal wünsche, es zu tun.>

 

Sie strich mit einem Finger an der Seite ihres Glases entlang. Das Schwitzwasser sammelte sich unter ihrem Finger und lief an dem glatten Glas herunter. Als sie das erste Mal in ihren Eistee blickte, mußte sie sofort an Mulder denken. Sie fragte sich, was er jetzt wohl machte. War er noch bei Davis? War er auf der Suche nach ihr, um mit ihr zum Lunch zu gehen?  Sie wußte es nicht.

 

In diesem Moment überkam Scully das irrsinnige Verlangen, in Mulder Gesicht zu sehen - in seine ausdrucksstarken Augen. Sie wollte ihn irgendwie berühren, irgendwie Kontakt mit ihm haben.

 

Sie vermutete, daß sie ihn in diesem Moment ein wenig vermißte.

 

"Dana?" unterbrach Starling ihr Grübeln.

 

Scully blinzelte und zog eine Augenbraue hoch. "Es tut mir leid, was hast Du gesagt?" antwortete sie schüchtern. Scully versuchte ihr Unbehagen hinter einem schnellen Biß von ihrem halbgegessenen Sandwich zu verbergen.

 

"Hey, Du warst tatsächlich einen Moment nicht hier," äußerte Starling nicht unfreundlich. "Wer ist der Glückliche?" fügte sie spröde hinzu.

 

"Huh?" war alles, was Scully sagen konnte.

 

"Oh Dana, bitte," antwortete Starling erbost. "Du hattest denselben Blick bei Jack Willis. Mach mir nichts vor - raus damit!" Ein Schimmern in Clarice Starlings Augen, das Scully nur zu gut aus ihren Akademietagen kannte, begleitete ihr Statement.

 

"Sei nicht albern," entgegnete Scully. Sie begann nervös auf ihrem Sitz herumzurutschen.

 

Jetzt war sich Starling sicher. "Uh-huh, gut," sagte sie. Sie wußte, Scully war sich dessen ebenfalls bewußt. <Glaub bloß nicht, ich wäre blöd,> sagte Starling zu sich selbst. Sie hatte eine dunkle Ahnung, was mit ihrer normalerweise so zurückhaltenden Freundin los war. Sie hatte es ganz klar auf der Weihnachtsfeier gesehen, so klar wie den Tag.

 

Clarice Starling sah Scully mit einem verstohlenen Lächeln an. "Nun, wie geht es Deinem Partner?" fragte sie harmlos.

 

"Es geht ihm gut..." antwortete Scully automatisch, aber nach einem Blick in das Gesicht ihrer Freundin verengten sich Scullys Augen und sie fragte argwöhnisch, "Warum?" Starling wußte, jetzt hatte sie Scully. "Oh, nur so... nur eine Frage," sagte sie.

 

Scully setzte ihren besten skeptischen Blick auf. "Du... Du denkst doch nicht..." stotterte sie.

 

"Denkst was?" Oh, Starling genoß es. <Dana, Du bist so süß, aber Du kannst

nicht lügen, selbst wenn Dein Leben davon abhängt.>

 

"Da ist nichts zwischen Mulder und mir," entgegnete Scully entrüstet.

<Technisch gesehen ist das die Wahrheit.>

 

"Hey, ich hab das nie gesagt, Süße." Starling mußte vorsichtig sein, während ihrer Zeit in der Abteilung Verhaltensforschung hatte sie gelernt, daß man vorsichtig sein mußte, wenn man Menschen dazu bringen wollte, über sensible Themen zu reden.

 

Weil sie in dieser Zeit völlig unberechenbar waren.

 

So startete sie einen weiteren Annäherungsversuch. Sie lehnte sich näher zu Scully herüber und sagte "Ich sah Dich gestern und Du sahst fürchterlich aus. Ich will nur wissen, ob ich Dir irgendwie helfen kann." Sie sah in Scullys wachsame Augen. Blau traf blau. Die beiden Frauen, jede auf ihre Weise entschlossen und hartnäckig, hielten dem Blick der anderen stand, bis eine von ihnen weich wurde.

 

Es war Scully, die schließlich nachgab. Mit einem Seufzen sagte sie "Ich bin so müde, Clarice." Es war nicht unbedingt die Wahrheit, aber es war auch keine Lüge.

 

"Ist es wegen der Arbeit?" wollte Starling wissen. "Du bist beim CTD im Moment, nicht wahr? Nicht bei den..."

 

"X-Akten?" half Scully. Als Starling nickte, schüttelte Scully den Kopf.  "Ich bin beim CTD, gegenwärtig sind wir nicht den X-Akten zugeteilt," erläuterte sie.

 

"Wir?" fragte Starling.

 

"Mulder und ich," erklärte Scully. "Wir waren Partner, als wir an den X-Akten arbeiteten." Scully spielte jetzt mit ihrer Serviette, riß kleine Stücke ab und rollte sie zu kleinen Kugeln zusammen.

 

"Wow, Ihr müßt eine starke Beziehung haben, um so zusammenzuhalten," sagte Starling mit Erstaunen.

 

Sich bewußt werdend, was sie mit der armen Serviette anstellte, ballte Scully ihre Hände zu Fäusten zusammen und legte sie in ihren Schoß. "Ja, sicher," sagte Scully trocken. "Ich denke, wir sind ein gutes Team."

 

Eine Welle von Verständnis überkam Starling in diesem Moment, ohne daß sie so recht wußte, warum. Sie fühlte, daß sie dabei war, Grenzen zu überschreiten, die nicht dazu bestimmt waren, überschritten zu werden. Sie dachte, sie könnte Scully zu sehr bedrängt haben. Das letzte, was sie wollte, war aufdringlich zu sein. Sie hatte nur wenige gute Freunde und sie wollte nicht riskieren, noch einen zu verlieren.

 

"Sieh, Dana," begann Starling. "Es tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich sein. Ich wollte nur helfen. Vergiß, was ich gesagt habe." Sie tätschelte verlegen Scullys Hand und lehnt sich zurück.

 

Jetzt war es Scully, die verlegen war. "Nein. Ich bin diejenige, die sich entschuldigen muß. Ich benehme mich schrecklich," sagte sie. Scully schüttelte langsam ihren Kopf. "Es ist sehr schwer für mich, bestimmte Dinge zuzugeben, weißt Du?" Sie sah ihre Freundin bittend an.

 

"Ja, ich weiß," entgegnete Starling.

 

Clarice Starling wußte besser als jeder andere, was Scully meinte. Zu stark zu empfinden, sich zu sehr der Arbeit hinzugeben - oder der Liebe, ließ einen Menschen empfänglich werden für Verletzungen. Clarice hatte die meiste Zeit ihres Lebens als Waise verbracht. Manchmal, wenn sie darüber nachdachte, was sie verloren hatte und was sie niemals haben würde, empfand sie es beinahe als zu schwer, um es zu ertragen.

 

Sie hatte oft den Boden einer Likörflasche gesehen. Sie fragte sich, ob es Scully auch so ergangen war.

 

Schließlich hatte sie sich wieder ihrer Arbeit zugewandt - und sie tat sie so gut sie konnte. Gefühle waren dabei nur im Weg. Gefühle waren dazu bestimmt, versteckt zu werden, wenn das Leben weitergehen sollte.

 

Ja, Clarice Starling verstand. Sie und Dana Scully waren Veteranen geworden im Kampf gegen ihre Gefühle.

 

Nach einer sehr langen Pause, während der die Kellnerin ihr Geschirr abräumte, fuhr Starling fort. "Möchtest Du darüber reden?" fragte sie vorsichtig.

 

Scully dachte intensiv über diese Frage nach. Schließlich legte sie ihre Arme auf den Tisch und stieß einen tiefen Seufzer aus.

 

"Ich konnte noch nie etwas vor Dir verbergen, Clarice," sagte sie. Nach einem Moment des Nachdenkens fuhr sie fort. "Ich weiß nicht, es ist nichts, worüber ich so einfach reden könnte..." Als sie sah, daß Starling etwas sagen wollte, schnitt sie ihr das Wort ab. "Aber ich brauche wirklich Deine Hilfe." Scully preßte ihre Hände zusammen und ließ es wieder sein, bevor es offensichtlich wurde.

 

Schließlich kam sie zu einer Entscheidung, schloß die Augen und stieß hervor, "Es ist wegen Mulder. Es ist wegen meines Partners." Sie öffnete die Augen und wartete auf eine Reaktion.

 

"Mmm," erwiderte Starling zurückhaltend. Sie war letztlich nicht überrascht.

 

"Was?" fragte Scully gereizt.

 

Starling grinste ihre Freundin an. "Dana, Liebling. Es ist offensichtlich für jeden, der halbswegs bei Verstand ist, daß Du ihn liebst." Sie schaute Scully mitfühlend an. "Ich wäre froh, wenn Du es schließlich Dir selbst gegenüber zugeben könntest."

 

Scully atmete frustriert aus. "Was soll ich denn machen, Clarice?" fragte sie verzweifelt und hoffte, daß sie eine Antwort bekommen würde.

 

Starling ließ sich die möglichen Antworten durch den Kopf gehen. Sie wollte Scully nicht noch mehr Probleme bereiten. Sie wußte, daß sie nicht unbedingt ein Experte in Herzensangelegenheiten war.

 

Vorsichtig antwortete sie, "Letztlich ist es Deine Entscheidung, Dana. Ich kann Dir nur meine Meinung sagen. Aber bei den schlechten Erfahrungen, die ich gemacht habe, würde ich alles, was ich sage, mit Vorsicht genießen."

 

Scully war neugierig geworden. Sie begrüßte die Chance, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. "Was meinst Du, Clarice?" fragte sie zögernd. "Ich meine, wir reden die ganze Zeit über mich. Aber was ist mit Deinem Leben?  Du möchtest natürlich nicht, daß ich das frage," fügte sie hinzu.

 

Starling seufzte geschlagen. "Nein, ich denke, es ist nur fair - wo ich Dir schon die ganze Zeit zusetze." Sie drückte ihre Hände fest zusammen auf dem Tisch und sammelte ihre Gedanken und Erinnerungen.

 

"Wo soll ich beginnen?" fragte sich Starling vergeblich.

 

"Wie wäre es damit, nachdem wir unseren Abschluß gemacht haben und Du zur Abteilung Verhaltensforschung gegangen bist," forderte Scully sie auf. Sie bemerkte, daß Starling einen abwesenden Ausdruck in den Augen hatte, als sie sich an diese Zeit erinnerte. Sie wartete.

 

Sehnsüchtig aus dem Fenster der Kaffeestube auf die vorüberziehenden Autos und Menschen blickend, begann Starling zu sprechen.

 

"Eine Zeitlang lief alles ganz gut," sagte sie. "Ich lernte eine Menge in sehr kurzer Zeit. Jack - Assistant Director Crawford - nahm mich unter seine Fittiche und ließ mich an einigen wirklich wichtigen Fällen mitarbeiten..." Starling verstummte, tief in Erinnerungen versunken.

 

"Hört sich an, als wäre alles auf Deine Weise gelaufen," brach Scully in ihre Träumerei ein und versuchte, Starling aus der Reserve zu locken.

 

Starling seufzte. Scully kam dieser Seufzer sehr bekannt vor. <Bedauern und 'es wird nie so sein'-Sehnsüchte,> dachte sie. Sie legte ihre warme Handfläche auf Starlings zusammengepreßte Hände und wurde mit einem dankbaren Blick belohnt.

 

Als Antwort auf Scullys Bemerkung, entgegnete sie "Ja, so war es, bis..."

 

Und in dem Moment wußte Scully Bescheid. Das Aufflammen von Verständnis war erschreckend, aber sie schrieb es ihrem verstärkten emotionalen Empfinden zu.

 

"Du hattest eine Affäre mit Crawford, nicht wahr?" Sie sagte es, aber es war keine Frage.

 

Starlings gequälte saphirblaue Augen funkelten im Nachmittagslicht. Sie konnte sehen, wie sie sich mit Tränen füllten und sie fühlte die mitfühlende Reaktion in ihren eigenen Augen.

 

"Ich denke, jeder mit halbwegs klarem Verstand hätte das bemerkt, oder?" sagte Starling mit einem trockenen Lachen. Scully schenkte ihr nur ein entschuldigendes Lächeln.

 

"Ich dachte wirklich, er liebt mich, und ich war so naiv, Dana," sagte sie, als würde sie um Vergebung bitten für ihre jugendliche Taktlosigkeit. "Aber er war verheiratet," fuhr sie fort. "Und er hatte niemals die Absicht, seine Frau zu verlassen." Starling sah auf ihre Hände herab und eine einsame Träne fiel aus ihrem Auge. Sie fiel naß auf die Hand, die Scully über ihre gelegt hatte.

 

Verlegen versuchte Starling, die Feuchtigkeit von der zarten Porzellanhaut ihrer Freundin fortzuwischen. "Es tut mir so leid," sagte sie, während sie ihre Hände unter Scullys wegzog.

 

Scully ergriff Starlings Hand, um sie daran zu hindern. "Es muß Dir nicht leid tun, Clarice. Wir sind füreinander da, okay?" Scully versuchte, ihre eigenen Tränen zurückzuhalten, aber es gelang ihr nur schlecht.

 

Starling nickte und fühlte, daß Scully wollte, daß sie weitermachte. Also tat sie es.

 

"Ich... ich konnte danach nicht länger bleiben. Ich wollte in der Abteilung

Verhaltensforschung arbeiten, mehr als alles andere. Aber ihn jeden Tag

 

sehen..." Starling schüttelte heftig ihren Kopf, als würde sie versuchen, die Erinnerungen aus ihrem Kopf zu schleudern.

 

"Und deshalb hast Du Dich nach Seattle versetzen lassen?" Wieder eine Feststellung, keine Frage.

 

"Ja. Ich dachte, Jack würde es auch schlecht gehen, wegen dem, was passiert war. Aber als ich um Versetzung soweit weg wie möglich von seinem Department bat, unterschrieb er den Antrag und das war's," erklärte Starling.

 

Scully fühlte mit Clarice Starling. Sie hatte keine Vorstellung von den Qualen, die sie ertragen hatte. Sie dachte, eine Waise zu sein, war schon schlimm genug und dann auch noch das...

 

"Und ging es in Seattle besser?" wollte Scully wissen. Sie hoffte, daß es so war.

 

Zu ihrer Bestürzung schlug Starling die Hände vors Gesicht und unterdrückte ein Schluchzen. Scully streichelte leicht Starling Arm und murmelte ihr beruhigend zu.

 

"Oh, Clarice, es tut mir so leid. Laß uns aufhören, okay?" Einige der Gäste schauten schon herüber und sie erkannte, wie sie selbst vor einer Weile in dem Großraumbüro mit Mulder auf die anderen gewirkt haben mußte. Sie fuhr fort, ihre weinende Freundin zu trösten.

 

Starling nahm ihre Hände vom Gesicht und schüttelte den Kopf. "Nein," sagte sie mit überraschend fester Stimme. "Es ist schon eine Weile her, seit ich über diese Dinge nachgedacht habe." Sie hob ihr Kinn herausfordernd an und wischte sich ärgerlich über die Augen. "Es ist okay - wirklich," versuchte sie Scully zu beruhigen.

 

Für einen kurzen Moment hatte Scully das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen. Ihr war das passiert, was Starling schon vor langer Zeit passiert war. Die Vorstellung versetzte ihr einen Schock und sie gab ihr einen flüchtigen Einblick, wie sie auf andere wirkte.

 

Es war etwas, worüber sie nachdenken mußte.

 

Scully zog ein Taschentuch hervor und gab es Starling. Es dämmerte Scully, daß sie demnächst häufiger Taschentücher brauchen würde. Sie fragte sich kurz, was das womöglich bedeutete.

 

Starling betupfte spröde ihre Augen. Nachdem sie ihre Fassung wiedererlangt hatte, fuhr sie fort. "Was zwischen Dir und Mulder ist... das ist gar nicht so ungewöhnlich, wie Du denkst, Dana," sagte sie.

 

Scully lehnte sich weiter zu Starling herüber. Sie war überrascht von ihrer Bemerkung, ja gefesselt davon, was das bedeuten könnte. "War es dein Partner?" fragte Scully.

 

Starling nickte ernst. "Er war ein brillanter Ermittler - direkt von der Rechtsakademie angeworben. Aber dann schickten sie ihn in die Wildnis von Washington und vergaßen ihn. Irgendwie störte es ihn nicht," führte sie näher aus. In ihren Erinnerungen verloren, malte sie mit ihrem Zeigefinger kleine Kreise in den nassen Ring, den ihr Glas auf dem Tisch hinterlassen hatte.

 

"Ich wurde sein Partner. Nach Jack Crawford hatte ich geschworen, mich nie mehr mit eine Kollegen einzulassen. Aber Dana," sagte Starling, während sie der Frau ihr gegenüber einen intensiven Blick zuwarf. "Du bist die einzige, die weiß, wie das ist. Ihn zu kennen, all seine Geheimnisse kennenzulernen, seine Hoffnungen und seine Träume, seine Ängste... einfach alles."

 

Scully konnte nur verstehend nicken.

 

"Gott, Dana. Nach vier Jahren, hat er mir gestanden, daß er mich liebt," stieß Starling zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ihr Augen waren geschlossen, als würde sie intensive Qualen leiden.

 

"Hast Du ihn geliebt?" wollte Scully wissen.

 

"Ja. Von ganzem Herzen." Die offensichtliche Qual legte sich und Starlings Gesicht entspannte sich. "Aber die Ironie an der Sache ist, daß ich nie etwas dazu getan habe - ich wollte es nicht zulassen." Starling schlug die Hände vors Gesicht und Scully dachte, sie würde wieder anfangen zu weinen.  Aber Starling schaute schnell auf und legte ihre Hände auf den Tisch.

 

"Wir waren Partner, wir waren Freunde und das war alles," sagte Starling mit einer Endgültigkeit, die Scully erschreckte. Die Worte waren ihr bekannt und ihr wurde schlagartig bewußt, warum sie zusammen dieses Essen hatten.

 

"Was passierte dann?" fragte Scully, äußerlich gleichmütig, während in ihrem Innern Angst und Besorgnis wirbelten. Es war, als hörte sie die Geschichte ihres eigenen Lebens und sie wollte wissen, wie sie ausgehen würde.

 

Starling preßte ihre Hände zusammen, bis die Knöchel weiß hervortraten.  Ihre Lippen wurden zu einer schmalen Linie. Mit trüben Augen hielt sie Scullys durchdringendem Blick stand. "Er... ist gestorben,  Dana," Starlings Stimme war jetzt kalt und leblos. Scully konnte sich vorstellen, was Starling anstellen mußte, um sich vor diesen Qualen zu schützen. Sie war überzeugt, daß ihre Reaktion nicht anders sein würde, wenn sie an ihrer Stelle wäre.

 

Starling atmete zitternd ein. "Eines Tages verhörte er einen Verdächtigen bei einem unserer Fälle, allein ohne Unterstützung. Ich glaube, er hat mir nichts erzählt, weil er glaubte, daß es ‚zu gefährlich' wäre oder so etwas." Starling schüttelte ärgerlich den Kopf. "Was zur Hölle hat er sich gedacht?" fragte sie. "Ich war seine gottverdammte Partnerin! Dafür war ich da" schrie sie. Ein paar Zuschauer mehr in dem kleinen Etablissement drehte ihr Köpfe. Sich des besorgten Gemurmels um sie herum nicht bewußt, fuhr sie fort. "Dieser Verdächtige schoß mit einer 45er auf ihn und das war's. Er war gegangen... für immer." Die frühere Seattle-Agentin neigte ihren Kopf schwer, als wäre es eine zu große Anstrengung für sie, ihn aufrecht zu halten.

 

Scully griff wieder hinüber und nahm Starlings Hand in ihre. Sie hielt sie fest, und sie fühlte sich Clarice Starling näher als je zuvor. Sie hatte sich niemals vorgestellt, daß irgend jemand die Verunsicherung und die Qualen kennen könnte, die sie manchmal wegen Mulder empfand, und ihre aufrichtigen Sympathien gehörten ihrer Freundin.

 

"Ich war zerstört. Zuerst wollte ich mich umbringen wegen der Schuld und des Schmerzes," sagte Starling, leise schnüffelnd. "Ich habe niemals die Chance ergriffen, die Beziehung anzunehmen, die wir hätten haben können - sie wachsen zu lassen." Starling sah auf den Tisch herab. "Und ich muß mit diesem furchtbaren Fehler leben, für den Rest meines Lebens."

 

Tränen rannen nun über Scullys Gesicht. Sie erkannte, mit einem kleinen Wink des Schicksals, daß sie an Clarice Starlings Stelle sitzen könnte und denselben Schmerz empfinden könnte. Wäre sie in der Lage, weiterzumachen, so wie ihre Freundin? Irgendwie ahnte sie, daß sie es nicht könnte.

 

Und in diesem Augenblick erkannte Scully das Geschenk, das Clarice ihr da gab - ein Blick in eine mögliche Zukunft, eine Zeit, wenn sie sich nicht den Luxus leisten würde, die Gefühle, die sie tief in ihrem Herzen hatte, herauszulassen. Scully hatte geglaubt, daß ihr noch genug Zeit mit Mulder bleiben würde, daß sie irgendwann, wenn die Wahrheit ans Licht gekommen war - ein Leben mit ihm haben würde, wenn sie es wollte.

 

Es war wie ein Schlag ins Gesicht - Clarice Starling sagte ihr, daß es dieses "irgendwann" womöglich niemals geben würde.

 

Selbst nach ihrer Begegnung mit dem Tod durch den mysteriösen nasopharyngealen Tumor hatte sie niemals ganz begriffen, welche Wirkung ihr Tod auf ihren Partner haben würde. Ihr Glaube machte sie stark. Und obwohl sie Schmerzen hatte, wußte sie, daß sie an einen besseren, glücklicheren Ort gehen würde. Sie hatte nicht die Notwendigkeit gesehen, ihn mit ihren Gefühlen für ihn zu belasten. Tatsächlich war sie sich sicher, daß sie niemals wollte, daß er mit so einer Offenbarung leben mußte.

 

Sie war dabei, Mulder zu verlassen. Sie beruhigte sich selbst mit der Tatsache, daß er auch ohne sie weitermachen würde. Und auch wenn Mulder niemals erkannt hatte, wie sehr Scully ihn liebte, auf so viele Arten würde sie in seinem Herzen weiterleben.

 

Das war genug für sie. Sie machte ihren Frieden.

 

Und als es ihr besser ging, erkannte Scully sehr bald die Schwierigkeit, ihr Leben radikal zu ändern, so wertvoll es auch war. Es war rundweg einfacher, sich in die Arbeit zu stürzen und diese Zeit ihres Lebens ganz tief drinnen zu verbergen, wo sie ihr nie mehr begegnen würde. Ihre Liebe zu Mulder zurückzulassen, sie für "irgendwann" aufzuheben, schien das Vernünftigste zu sein.

 

Sie wollte ihr Leben wieder so leben, wie vorher. Scully wollte die Kontrolle über ihr Leben zurück.

 

Ihr Herz Mulder zu schenken, hieße die Kontrolle , die sie sich so sehr wünschte, - nein, die sie brauchte - abzugeben.

 

Jetzt, im Nachhinein, erkannte Scully, wie selbstsüchtig das war, was sie ihm angetan hatte. Der Gedanke, Mulder zu verlieren, erschien ihr auf einmal schrecklich. Scully erkannte, daß Mulder nicht anders empfinden würde.

 

Sie wußte, daß die Lücke, die Mulder in ihrem Herzen zurücklassen würde, sie ihre Seele kosten würde und sie als hohles, leeres Wrack zurücklassen würde.

 

Als sie sah, daß Scully verstand, sagte Starling, "Aber es ist noch nicht zu spät für Dich." Mit aller Überzeugung, die sie aufbringen konnte, sagte sie zu Scully, "Laß Dir die Chance, die wahre Liebe zu erleben, nicht entgehen - ich sehe es in Deinen Augen, wenn Du das tust, wirst Du nicht in der Lage sein, weiterzuleben, sollte irgend etwas passieren." Starling schwieg, um Scully Zeit zu geben, die Worte auf sich wirken zu lassen.

 

Immer noch tapfer versuchend, die Rolle der Skeptikerin aufrecht zu erhalten, schüttelte Scully langsam den Kopf. "Aber ich habe Angst, Clarice," sagte sie. "Was, wenn sich irgend etwas ändert? Ich werde seine Freundschaft verlieren, Ich werde sie niemals zurückgewinnen können."

 

"Du kannst nicht immer auf der sicheren Seite spielen, Dana," entgegnete Starling. "Es gibt immer Risiken. Du kannst vielleicht verlieren, was Du hast, aber bedenke, was Du gewinnen kannst - ein bißchen Glück in Deinem Leben."

 

Als Scully nicht antwortete, fuhr Starling fort. "Ich dachte auch einmal wie Du. Ich meinte, das richtige zu tun - für uns beide." All ihre Kraft aufbringend, um nicht unter den sie überwältigenden Gefühlen zusammenzubrechen, die sie vollkommen zu verzehren drohten, hielt Clarice Starling die Hand ihrer Freundin noch fester, als vorher. "Aber das alles zählt nicht mehr, wenn sie Dreck über die wichtigste Person in Deinem Leben schaufeln."

 

"Dann wird es zu spät sein, Dana," schloß sie. Die Tür zu einer Zukunft, die Scully ängstigte, obwohl sie sich mit all ihrem Sein danach sehnte, wurde für sie von einem gleichgesinnten Geist - einer wahren Freundin offengehalten, um zu sehen.

 

Scully sah in Clarice Starlings beschwörende eisblaue Augen und lächelte.

 

<Ich verstehe... und ich danke Dir,> sagte sie mit ihrem traurigen Lächeln.

 

"Gern geschehen," antwortete Starling auf Scullys stumme Geste. "Wie das alte Sprichwort sagt, Dana, ‚Tue das, was ich sage und nicht das, was ich tue.'"

 

 

 

 

 

Tidal Basin Gardens

3:01 pm

 

 

Scully fragte sich zerstreut, warum Mulder noch nicht versucht hatte, sie zu kontaktieren. Als sie ihr Handy aus der Tasche nahm, erkannte sie warum.  Mulder konnte sie gar nicht erreichen, weil sie ihr Handy ausgeschaltet hatte. Scully hatte vergessen, daß sie es getan hatte, als sie in der Kaffeestube angekommen waren. Ihr Dienst-Handy auszuschalten, verstieß gegen die Vorschrift - ein Agent wußte nie, wann ein dringender Anruf wegen eines Falls kam - aber sie hatten keinen aktuellen Fall und sie wollte wirklich nichts von ihrem Partner hören.

 

Sie brauchte Zeit, um über ihr Leben nachzudenken.

 

Befangen erkannte sie, daß sie Büroregeln und -vorschriften mit alarmierender Häufigkeit beugte oder brach. Scully wußte, sie hatte persönliche Probleme, die sie lösen mußte - und zwar bald. Das war nicht sie, sagte sie sich selbst. Special Agent Dana Scully war eine mustergültige Regierungsangestellte. Sie tat alles genau nach Vorschrift, oder zumindest so gut es jemand tun konnte, der einen Partner wie Fox Mulder hatte, fügte sie mit einem winzigen Grinsen hinzu.

 

Nach dem Lunch mit Clarice brauchte Scully Zeit zum Nachdenken. Mit einer weiteren Abweichung von ihrem Arbeitszeitplan fuhr sie in Richtung Shopping Center. Bald endete sie im Tidal Basin Garden, bummelte dort entlang, sie wollte die Kirschbaumblüten sehen, die nur in den zwei Wochen zwischen Ende Mai und Anfang Juni blühten. Die zartrosa Blüten waren bereits voll aufgeblüht und ab und zu fiel eine Blüte auf Scully herab, als sie durch den Tidal Basin wanderte. Die friedliche und romantische Umgebung um sie herum stand in starkem Kontrast zu der inneren Unruhe, mit der sie kämpfte.

 

Sie erreichte das Jefferson-Denkmal. Einen kurzen Blick auf das Gebilde werfend, das zu Ehren des dritten Präsidenten der Vereinigten Staaten errichtet worden war, drehte sie sich um und sah auf das ruhige Wasser des Potomac. Scully blickte über das träge dahinfließende Wasser und dachte über ihr Dilemma nach. Als Bundesagentin und forensische Pathologin des FBI war sie eine pflichtbewußte Beamtin. Es war eine schwierige Aufgabe gewesen, dahin zu kommen, wo sie war, besonders als Frau in einer männerdominierten Welt. Scully mußte sich fragen: war eine Beziehung zu ihrem Partner zu haben die Risiken für ihre Karriere wert?

 

<Ja,> antwortete ihr Herz.

 

Außerdem, ergänzte ihr Verstand, war die Möglichkeit einer liebevollen und erfüllten Beziehung mit Mulder ausreichend genug, das Risiko, seine Freundschaft zu verlieren, einzugehen? Würden sie in der Lage sein, ihr Privatleben und ihre Arbeit auseinanderzuhalten?

 

Wieder sagte ihr Herz <Ja.>

 

Dennoch sagte ihr Verstand <Sei Dir nicht so verdammt sicher, Dana.>

 

Hier begann Scullys innerer Kampf. Der Verlust ihres Rufes (der sowieso fragwürdig war) innerhalb des FBI war ihr nicht so wichtig wie der Erhalt der einmaligen und besonderen Beziehung, die sie zu Mulder hatte. Scully fürchtete, das Band zwischen Mulder und ihr zu zerstören, ohne daß sie es wieder in Ordnung bringen konnte, wenn sie mit ihrem Partner ins Bett gehen würde. Sie fürchtete, daß die Meinungsverschiedenheiten und die Ablenkungen, die ein wesentlicher Bestandteil ihrer Verbindung mit Mulder sein würden, sie bei ihrer Suche nach der Wahrheit behindern würden.

 

Scully gab zu, daß sie auch ohne, daß sie intim waren,

Meinungsverschiedenheiten und Ablenkungen hatten. Manchmal wunderte sie sich über die Tatsache, daß sie überhaput irgend etwas zu Ende gebracht hatten in den sechs Jahren, in denen sie zusammen arbeiteten. Würde mit Mulder zu schlafen sie über die Grenzen treiben und alles zerstören, wofür sie bislang gearbeitet hatten?

 

Aber vielleicht, nur vielleicht, räumte Scully ein, konnte eine intime Beziehung mit Mulder das, was sie hatten, noch stärker und tiefer machen.  Mulder hatte so viel gesagt, so daß sie wußte, wie er darüber dachte. Aber Scully war immer die Skeptikerin gegenüber Mulder, der glauben wollte, und sie fühlte, daß es nachlässig von ihr war gegenüber ihrem Partner und Freund, es nicht von allen Seiten zu betrachten.

 

Scully kehrte zum Denkmal zurück. Eine leichte Brise war aufgekommen und blies ihr Strähnen ihres roten Haares ins Gesicht. Sie schmeckte die schwachen, verräterischen Zeichen bevorstehenden Regens. Geistesabwesend die widerspenstigen Haarsträhnen hinter ihr zartes Ohr streichend, ging sie zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war.

 

Sie überdachte ihre Unterhaltung mit Clarice Starling. Wenn sie sich

einigen romantischen Gedanken, Mulder betreffend, hingab, was käme dabei

 

wohl heraus? Zwar sagte sie zu Mulder, daß es keine Garantien im Leben gäbe, aber es wäre durchaus möglich - manche würden sagen eher wahrscheinlich - daß sie wie ihre alte Akademiefreundin enden könnte, brutal getrennt von dem Menschen, der ihr alles bedeutete.

 

In ihrem Hinterkopf kannte Scully letztlich den Weg, den sie nehmen mußte.  Ungeachtet der Risiken für ihre Karriere und ihre eigene Sicherheit - auch wenn sie sich sicher war, daß ihre Feinde diese Gelegenheit gegen sie nutzen würden - Scully mußte es wissen. Sie mußte wissen, wie es sein würde, Mulder zu lieben, ihn wirklich zu lieben, ohne alle künstlichen Barrieren, die sie um sich herum aufgebaut hatten.

 

Es war so wie sie es vorher zu Mulder gesagt hatte, sie war müde. Scully gab zu, daß sie es auf viele Arten war. Sie wollte das Spiel nicht mehr spielen. Sie war es leid, einer Entscheidung aus dem Weg zu gehen, sie wollte keine weiteren Grenzen mehr ziehen. Es war an der Zeit, diese Grenzen zu überschreiten.

 

Sie wollte den Weg gehen, bevor es zu spät war. Scully wollte wissen, wo sie dieser Weg letztlich hinführen würde, zum Guten oder zum Bösen.

 

Am Potomacfluß stehend und zusehend, wie die goldene Scheibe der Sonne langsam im blassen Blau des Himmels sank, kam Scully schließlich zu einer großen Entscheidung, die sie beide ganz sicher auf die eine oder andere Art unwiderruflich beeinflussen würde. Scully schwor sich, daß es zwischen ihnen keine Schranken mehr geben würde.

 

<Heute Nacht,> dachte Scully bei sich. Heute Nacht wird Mulder wissen, wie sehr Scully ihn wollte und wie sehr sie ihn liebte.

 

Ihr Schritte beschleunigten sich, die Kirschblüten auf dem Boden zertretend, bis sie beinahe zu ihrem Auto rannte.

 

 

 

 

 

FBI-Hauptquartier

4:45 pm

 

 

"Scully, wo warst Du?" fragte Mulder. Scully konnte den gelassenen Ausdruck auf seinem Gesicht sehen, aber Scully meinte einen Hauch von stummer Angst in seinen Augen zu entdecken.

 

Scully haßte es, wenn Mulder so besorgt um sie war. Aber gleichzeitig mußte sie anerkennen, daß er allen Grund hatte, so zu fühlen.

 

Sie hatte die Angewohnheit, zu verschwinden. Und es geschah im allgemeinen gegen ihren Willen. Aber nicht dieses Mal.

 

"Mulder, mir geht es gut," sagte sie beruhigend.

 

Mulder sprach weiter, als hätte er sie nicht gehört. "Ich versuche, Dich seit Mittag anzurufen, aber Dein Telefon war abgestellt," sagte er ungezwungen. Scully konnte erkennen, daß er auf ihre Erklärung wartete.

 

"Ich hab es ausgeschaltet," stellte sie einfach fest. Sie verschränkte ihre Arme defensiv und wartete, daß Mulder fortfuhr. Sie wußte, worauf er hinaus wollte.

 

"Du kennst die Regeln, Scully..." begann er. Scully unterbrach ihn.

 

"Oh, komm mir jetzt nicht so, Mulder! sagte Scully sarkastisch. Als sie sah, daß Mulder den Mund öffnete, um sich zu revanchieren, beeilte sie sich zu erklären.

 

"Ich erinnere mich dunkel an einige Gelegenheiten, bei denen ich nicht in der Lage war, Dich zu erreichen, aus eben diesem Grund," rechtfertigte sie sich.

 

Und das stoppte Mulder sofort, weil er wußte, daß Scully absolut Recht hatte. Er hatte sein Telefon viele Male abgestellt, als sie noch an den X-Akten arbeiteten. Es passierte im allgemeinen, wenn Mulder Scully irgendwie loswerden wollte. Trotzdem wußte Mulder, daß Scully alles in allem niemand war, der verantwortungslos handelte.

 

In Zeiten wie diesen schien sie so sehr zu sein, wie... er, erkannte Mulder.

 

Es dämmerte ihm, wie egoistisch es war, so zu handeln. In der letzten Zeit war Scully nicht sie selbst und als Freund mußte er ihr helfen und sie nicht erdrücken wie ein herrischer Vater. Er trat näher an sie heran und liebkoste leicht ihre Arme mit sanften Händen.

 

"Du hast recht, Scully. Es tut mir leid," entschuldigte er sich. "Ich sorge mich um Dich, und ich weiß, daß Du es haßt, aber ich habe Angst um Dich." Mulder schenkte Scully seinen patentierten beschämten Gesichtsausdruck Nr.

5, den

‚Ich-bin-ein-gefühlloser-testosterongefüllter-Idiot-Kannst-Du-mir-noch-einmal-verzeihen?'-Blick.

 

Ein kleines Lächeln erschien auf Scullys Gesicht. <Es funktioniert immer,> dachte Mulder triumphierend.

 

"Weißt Du, Mulder, daß Dein Gesichtsausdruck mich noch ein bißchen mehr entzücken würde, wenn Du dieses selbstzufriedene, triumphierende Grinsen sein lassen könntest," sagte sie ironisch. Sie löste ihre Arme und ging aus Mulders Reichweite.

 

"Ich schätze, ich habe noch nicht genug vor dem Spiegel geübt," gab er mit einem Lächeln in seiner Stimme zurück.

 

Sie betrachteten sich einen Moment lang schweigend. Sie wichen an ihre jeweiligen Schreibtische im CTD-Großraumbüro zurück. Die letzten Mitarbeiter hatten schließlich das Büro verlassen. Es war Freitag und es schien, daß niemand gezwungen war, Überstunden zu machen - ausgenommen Scully und Mulder natürlich.

 

"Es ist Freitag," sagte Mulder zögernd. "Mein ursprüngliches Angebot zu Speis und Trank steht noch, was sagst Du dazu?"

 

"Sagen zu was genau?" entgegnete Scully unschuldig.

 

"Dinner," erklärte er einfach.

 

"Oh." <Großartig, wir reden jetzt in Ein-Wort-Sätzen,> tadelte sie sich selbst.

 

"Okay," sagte sie. Scully konnte ihr Lächeln nicht verbergen. Mulder beantwortete es mit dem ihm eigenen Grinsen.

 

"Aber weißt Du was, Mulder?" sagte Scully mit trügerisch ruhiger Stimme.  "Wie wäre es, wenn wir bei mir zu Abend essen? Du kommst in zwei, drei Stunden und bringst etwas zu essen mit - Du zahlst?" Scullys Herz schlug laut in ihrer Brust. Sie hoffte verzweifelt, daß Mulder es nicht bemerken würde.

 

"Aber Scully," jammerte Mulder, "Wir haben das früher oft gemacht, wenn wir an einem Fall gearbeitet haben." Er verschränkte seine Arme wie ein launisches Kind.

 

"Aber wir haben im Moment keinen Fall, nicht wahr Mulder?" sagte Scully zweideutig.

 

Die Luft um sie herum schien dicker zu werden, beinahe drückend. Die Zeit schien stehenzubleiben. Mulder stand bewegungslos da, suchte in Scullys Augen nach einem Anflug von Humor oder spielerischem Scherz, den sie sich im allgemeinen erlaubten, wenn die sexuelle Spannung zu intensiv wurde.

 

Scully starrte einfach in Mulders vorsichtig blickende Augen. Sie trug eine Maske der Gelassenheit, geschaffen in den Jahren des Umgangs mit kriminellen Subjekten, die ihr Herzklopfen verursachten, denen sie aber keine Schwäche zeigen wollte. Sie würde Mulder nicht in ihre Pläne für diese Nacht einweihen.

 

"Uh," Mulder suchte in seinem nicht richtig funktionierenden Hirn nach einer passenden Erwiderung. "Ich glaube nicht," schloß er. Mulder scharrte einen Moment mit den Füßen. Die Spannung zwischen ihnen war fühlbar.

 

"Okay," sagte Mulder. Er mußte hier raus, bevor er etwas ganz Dummes anstellen würde. <So etwas, wie sie in die Arme zu nehmen und alle möglichen unangebrachten, nicht-partnerschaftlichen Dinge mit ihr zu tun,> sagte er sich.

 

Er griff nach seinem Jackett, zog es an und hastete zur Tür. "Ich komme dann in zwei Stunden," sagte er zu ihr mit einem Beben in der Stimme.  <Warum bin ich nur so nervös?> fragte er sich.

 

"Ich werde warten, Mulder," antwortete sie. Die Ruhe in ihrer Stimme strafte den absoluten Terror, den sie erlebte, Lügen. Sie lächelte schwach, als Mulder sich zum Gehen wandte.

 

Nach ihren Sachen greifend, stand Scully auf und machte sich zum Gehen bereit. Sie sah auf ihre Hände und bemerkte, daß sie zitterten. Sie preßte sie einen Moment zusammen, ehe sie ihre Aktentasche schloß und sich zum Gehen wandte.

 

Inmitten des wirbelnden Durcheinanders von Gedanken und Emotionen, die durch Dana Scullys Kopf fegten, stand eine Frage im Vordergrund und bat um Antwort:

 

<Was zum Teufel tust Du da, Scully?">

 

Und wie immer, hatte sie keine Antwort.

 

 

 

 

 

Dana Scullys Apartment

 

6:50 pm

 

Mulder stieg schließlich die letzten Stufen hinauf, die zu Scullys Apartment führten. Er war pünktlich und Scully erwartete ihn.

 

<Warum bin ich dann nur um Haaresbreite davon entfernt, in die entgegengesetzte Richtung davonzulaufen und von meiner Partnerin soweit wegzulaufen, wie es menschlich nur möglich ist?> fragte er sich.

 

Es war, wurde Mulder sich bewußt, weil diesmal alles anders war. Dies war mehr als nur ein einfaches Zusammentreffen, um einige Berichte durchzugehen. Es war auch nicht dasselbe, als wenn er sich selbst ihre Wohnung aufschloß, um sich vor irgendwelchen ominösen Verschwörungsprogrammen der Regierung zu verbergen.

 

Mulder fühlte die Spannung in der Luft. Irgend etwas würde passieren, er war sich nur nicht sicher was.

 

Er wußte, daß irgend etwas mit Scully los war. Die letzten paar Wochen waren seltsam gewesen. Scully war zurückhaltend <gut, mehr als im allgemeinen sowieso schon> und sie schien über irgend etwas beunruhigt zu sein - über etwas ernstes.

 

Sehr langsam die letzten Schritte zu Scullys Wohnung zurücklegend, nagte etwas an Mulder. Es war etwas in Scullys Verhalten. Er wußte zwar noch nicht genau, was es war, aber irgendwie wußte Mulder, daß Scully nicht unglücklich war mit ihm. Ihre zweideutigen Bemerkungen im Büro brachten ihn durcheinander und quälten ihn zugleich, aber Mulder war nicht so dumm, irgendeine Hoffnung zu hegen, daß Scully irgend etwas anderes wollte, als enge Freunde zu sein. Sie hatten das bereits alles durch, erinnerte er sich selbst.

 

<Vielleicht ist ihr die Arbeit zuviel,> grübelte Mulder. <Viellecht hilft

ihr ein nettes Abendessen, ein wenig zu entspannen.>

 

Bei diesem Gedanken fühlte sich Mulder ein wenig besser. Er würde da sein für Scully, obwohl er sie schon zu oft im Stich gelassen hatte. Jetzt würde er versuchen, es wieder gutzumachen.

 

Er klopfte leicht an die Hartholztür.

 

Ein paar Sekunden vergingen. Nichts.

 

Er klopfte noch einmal. "Scully?" rief er leise.

 

Dann hörte er, wie der Türriegel zur Seite geschoben wurde und der Türgriff sich bewegte. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Die Tür schwang langsam auf.

 

"Scully?" rief Mulder noch einmal. Er betrat das dunkle Foyer.

 

Er lugte hinter die Tür. Da. Da war sie... barfuß und nur mit einem Seidenmantel bekleidet.

 

Mulder schluckte hörbar in dem stillen Apartment. Scully hatte bisher nicht ein Wort gesagt.

 

"Scully?" fragte er behutsam. <Zeit für ein umfassenderes Vokabular,> dachte er sardonisch.

 

Scully schloß die Tür und schob den Riegel vor. Der geräuschvolle Ton jagte ein Frösteln über Mulders Rücken. Ein Gefühl des Eingeschlossenseins überkam ihn, als wenn er mit einem schönen, aber gefährlichen wilden Tier eingeschlossen war.

 

Wenn er es nicht besser gewußt hätte, hätte Mulder schwören können, daß Scully ihn mit ihren Augen verschlang.

 

<Oh Boy,> der Gedanke schlich sich ungebeten in sein Gehirn. <Was zur Hölle ist hier los?> Er hielt die große Tüte mit den chinesischen Fertiggerichten in der einen Hand und eine gekühlte Flasche Wein in der anderen.

 

"Ich hab dies hier..." begann er zu reden. Mulder kam nicht dazu, den Satz zu beenden.

 

Scully - Special Agent Dana Scully - die stets perfekt gekleidet war und die sich jedem gegenüber kühl und distanziert verhielt und dabei Professionalität und Intelligenz ausstrahlte - verführte ihren Partner.

 

<Ja, sie ist definitiv dabei, mich zu verführen,> erkannte Mulder mit höchstem Unglauben.

 

Scully eilte wortlos auf Mulder zu. Dabei ergab ihr Größenunterschied ein lustiges Bild. Scully stürzte vorwärts, flog praktisch in Mulders offene Arme. Sie legte ihre Arme um den Hals ihres Partners und hob ihren Kopf, um einen völlig geschockten Mulder zu küssen.

 

"Scu...mmfph!" war alles, was Mulder über die Lippen brachte. Ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, ließ Mulder die Tüte und die Flasche fallen. Die Flasche schlug hart auf und rollte unter Scullys Couch. Die Tüte landete mit einem feuchten Klatsch auf dem Boden, der dem hinteren Teil von Mulders Gehirn signalisierte, daß das Dinner definitiv ruiniert war.

 

Allerdings war ihm dies in diesem Moment völlig gleichgültig. Denn Scully war dabei, gierig ihre Zunge in Mulders Kehle zu stoßen. Er kam ihr gehorsam entgegen und ließ sie in seinen wartenden willigen Mund hinein.  Sie schmeckte nach Minze. Er konnte ihren Atem aus ihrer Nase fühlen, die warme Luft strich erotisch über seine Wangen. Er roch sie. Sie hatte offensichtlich gerade geduscht. Sie roch frisch und sauber - nach Babypuder oder so etwas. Und ihr Körper, <oh, Gott,> dies war gänzlich anders, dachte er erstaunt.

 

Mulder hatte schließlich seine langen Arme um ihre Taille gelegt. Sie war mit ihm verschmolzen. Ihre kleinen Brüste drückten gegen seine Brust. Er konnte ihre harten Nippel durch den Stoff seines T-Shirts fühlen. Der Saum ihres klasse Seidenmantels war über ihre Hüften gerutscht und erlaubte ihr so, ihre wohlgeformten Beine um Mulders Körper zu schlingen. Langsam, bedächtig erlaubte Mulder seinen Händen, tiefer zu rutschen, bis sie ihr Gesäß erreichten. Er rieb seine Handflächen über den weichen, glatten Stoff, der es bedeckte. Seine Händen rutschten ein winziges Stück weiter nach unten und dann machte Mulder eine unglaubliche Entdeckung...

 

Scully trug nichts unter ihrem Seidenmantel.

 

Mit hämmerndem Herzen, im Gleichklang mit dem seiner Partnerin, glitten seine zitternden Finger unter ihren Mantel, bis seine Hände ihr nacktes Gesäß umfaßten.

 

<Oh, Gott.> Es war warm und unglaublich weich, bemerkte er. Er drückte seine Finger zart dagegen.

 

Scully stöhnte laut in Mulders Mund. Sie stieß ihre feuchte Mitte gegen seinen Penis. Mulder war jetzt vollkommen erregt, sein schmerzendes Glied drückte unbehaglich gegen seine Hose. Ein leises Knurren drang tief aus Mulders Brust herauf.

 

Er zitterte am ganzen Körper. Sein Kopf drehte sich. Und von seinen Genitalien ging das intensivste, angenehmste Gefühl aus. <Scully hat ihren Schritt gegen Deinen Penis gedrückt, Mulder> dachte er bei sich.

 

Aber... warum? Warum passierte das jetzt alles? Mulder hatte allerdings keine Zeit, darüber nachzudenken, denn Scully war dabei, die erstaunlichsten Dinge mit ihm zu tun. Sie begann, kleine feuchte Küsse entlang seiner frisch rasierten Kinnlinie zu placieren, bis sie sein linkes Ohrläppchen erreicht hatte. Er schluckte ein wenig, als sie ihre warme, glatte Zunge in sein Ohr stieß.

 

"Scuullyy..." stöhnte er. <Yeah, Mulder, Dein Wortschatz wächst mit der Zeit, nicht wahr?> Bevor er seine Sinne wieder beisammen hatte, sprach sie in sein empfindlich gequältes Ohr mit einem tiefen, belegten Schnurren.

 

"Ich will, daß Du mit mir schläfst, Mulder... jetzt," sagte sie.

 

Mulder stolperte rückwärts, bis sein Rücken mit einem schmerzhaften Schlag gegen ihre Wohnungstür prallte. Er verzog das Gesicht und versuchte, zu denken. In einem hinteren Teil seines Gehirns ertönten Alarmsignale - das war nicht das, was er erwartet hatte - er hatte sich niemals vorgestellt, daß seine Scully ihn jemals um so etwas bitten würde. Mulder zog kurz die Möglichkeit in Erwägung, daß sie betrunken war - oder besessen - oder ein Klon - oder, oder...

 

<Vergiß es,> antwortete der andere Teil seines Gehirns. <Mach einfach, was

sie sagt, Mulder. Sie weiß, was sie tut.>

 

<Vertrau ihr,> sagte ihm sein Verstand. Und er tat es - mit seinem ganzen Herzen. <Ich hoffe nur, daß es nicht mittendrin endet,> dachte er mit Bangen.

 

Er verdrängte diese Angst aus seinem Kopf und schenkte Scully ein herzliches Lächeln. Er sah sie an und sagte, "Wenn Du mich um so etwas bittest, wie kann ich da widerstehen?" Sie erwiderte sein Lächeln, blieb aber stumm. Nachdem sie sich einem weiteren leidenschaftlichen Kuß hingegeben hatten, flüsterte sie "Halt mich fest, Mulder." Er folgte ihrer Bitte und legte seine Hände fest um ihre Hüfte.

 

Mit überraschender Leichtigkeit und Grazie lehnte sich Scully zurück, während ihre Beine immer noch um Mulders Hüfte lagen. Mit einem unanständigen Lächeln sah sie nach unten und ließ ihre Hände von seinem Nacken über seine Brust heruntergleiten bis zu seinem Hosenbund. Mulder verfolgte Scullys Tun mit Ehrfurcht und Erstaunen.

 

Sie schaffte es, den Knopf seiner Hose zu öffnen und arbeitete nun an seinem Reißverschluß. Ihre überraschend kraftvollen Schenkel zusammendrückend <wer hätte das gedacht> zog sie ihr Becken von Mulders Leistengegend gerade soweit weg, daß sie seinen Reißverschluß öffnen konnte. Dann drückte sie sich wieder gegen Mulder. Seine offenen Khakihosen rutschten herunter bis zu seinen Knöcheln. Mit einem raschen Atemzug erkannte Mulder, daß das einzige, was ihn noch daran hinderte, in Scully einzudringen, der sehr dünne Stoff seiner Baumwollboxershorts war.

 

Scully atmete nun in schweren Zügen. Ihr Kopf war zurückgelehnt in heißer Erwartung und sie stöhnte "Jetzt, Mulder. Bitte." Sie stieß ihren Schritt wild gegen seinen. Ihre Feuchtigkeit durch drang den Stoff seiner Boxershorts. Mulder konnte nicht mehr an sich halten. Sie mit einer Hand haltend, griff er mit dem Daumen der anderen unter den Gummi seiner Boxershorts und zog sie roh herunter.

 

Und ohne einen weiteren Gedanken oder eine Ermutigung hob er sie an den Hüften hoch und stieß seinen schmerzenden Penis in Scully hinein, vergrub sich völlig in ihr.

 

<Heiliger Gott,> schrie sein Hirn. Das Gefühl, das erste Mal mit Scully vereint zu sein, war noch unglaublicher, als er es sich jemals vorgestellt hatte. Ihre weiche, warme Umhüllung fühlte sich so einladend an. Es war mehr als sexuell, erkannte er überrascht. Es war, als wenn seine Seele mit ihrer verschmolz - lächerlich, gab er zu, aber es fühlte sich nichtsdestotrotz so an. Es war eines der natürlichsten Dinge, die er jemals getan hatte. Sie paßten perfekt zusammen.

 

"Gott, Scully," stöhnte er. "Du fühlst Dich so gut an." Er lehnte sich wieder gegen ihre Wohnungstür und begann, sich langsam in ihr zu bewegen, hinein und heraus. Scully hob ihren Kopf und zeigte ihm das ganze Ausmaß ihrer Erregung, die ihr offensichtlich ins Gesicht geschrieben stand. Ein heiseres Stöhnen der Lust kam über ihre Lippen.

 

<Sie ist so feucht!> Er drängte eine Träne des puren Glücks zurück. Er könnte jetzt sterben, ohne jemals einen Orgasmus mit Scully gehabt zu haben, und er würde zufrieden sein. Nach Scullys Gesichtsausdruck zu urteilen, glaubte Mulder, daß sie ebenso empfand.

 

Er starrte sie an, die wundervollen Empfindungen, die er fühlte, spiegelten sich in Scullys durchdringendem Blick. Er sah ihr tief in die Augen, als Mulder sah, wie sie sie plötzlich verdrehte, bis er nur noch das Weiße darin sehen konnte. Ihr Mund öffnete sich in einem stummen Schrei überschwappender Gefühle.

 

Dann rollte ihr Kopf zur Seite und ihre Bewegungen hörten auf.

 

Für einen Moment sah er sie sprachlos an. <Nein, sie konnte doch nicht...>

 

"Scully?" fragte er zögernd.

 

Sie lag still da und schwebte irgendwo zwischen verschiedenen Ebenen ihres Bewußtseins.

 

Nachdem sie sich jahrelang gefragt hatte, wie es wohl sein würde, sich mit Mulder zu lieben, wollte Scully schließlich wissen, ob die Realität in jeder Hinsicht mit ihren fiebrigen Phantasien vergleichbar war.

 

Es war so, entschied Scully. <Und wie!>

 

Scully war so verwirrt. Das war ihr niemals vorher passiert. Aber ihre Wünsche und die Unsicherheit, die damit verbunden war während der letzten paar Monate, hatten ihren Tribut gefordert. Schließlich schien es, daß der Moment, den zu erreichen die beiden sechs Jahre gebraucht hatten, nun gekommen war. Und es fühlte sich so gut an - wie ein langer kalter Schluck Wasser, nachdem man durch trostloses Ödland getrieben war - es war nahezu zu viel für ihren schon verletzlichen Verstand... und ihre Seele.

 

Als sich ihr Sinn trübte und sie auf Mulder kollabierte, fühlte sie ihr Bewußtsein über der beinahe komischen Szenerie schweben. Ihr Verstand, irgendwie weit entfernt von ihrer physischen Umgebung, überprüfte die Situation.

 

Sie hatte immer gedacht, daß der Gedanke, durch sexuelle Lust ohnmächtig zu werden, für romantische Geschichten geeignet war, aber ohne Bezug zur Realität. Nachdem sie sich an die letzten paar irren Minuten des sich Windens auf Mulder erinnerte, erkannte sie, daß sie bis dahin einfach noch nicht den richtigen Partner gefunden hatte, um solche Phänomene zu erleben.

 

Partner... Phänomene. Sie hatte sich mit ihrem Partner geliebt und damit ein Phänomen erlebt, ein unerklärliches oder ungewöhnliches Ereignis - etwas, das die X-Akten wesentlich bestimmte.

 

<Ja,> kam sie überein. Sich mit Mulder zu lieben, erschien ihr tatsächlich wie eine X-Akte. In Ohnmacht zu fallen, während sie rittlings auf ihm saß, machte es ihres Erachtens nur noch mehr dazu, dachte sie, ein wenig enttäuscht von sich selbst.

 

Langsam, ganz allmählich, kamen ihre Sinne zurück. Sie bemerkte, daß sie sich nun in einer horizontalen Lage befand, sie fühlte die Weichheit des Sofas in ihrem Wohnzimmer an ihrem entblößten Po. Als sie ihre Augen öffnete, konzentrierte sie sich auf das Bild ihres wundervollen Partners über ihr. Scully sah die Wirbel von Betroffenheit in seinen Augen und sie bemerkte auch seine gerunzelte Braue.

 

<Oh, sie wollte ihn nicht beunruhigen. Sie war in Ordnung.> Und sie sagte es ihm. "Es ist alles in Ordnung, Mulder. Mir geht es gut. Ich bin nur ein bißchen... überwältigt, das ist alles," beruhigte sie ihn.

 

"Danke für die Stärkung meines sexuellen Selbstbewußtseins, Scully," antwortete er mit einem halben Grinsen. "Aber erschreck mich nie wieder so wie eben," schloß er und versuchte die Angst zu verbergen, die ein paar Sekunden zuvor nach seinem Herzen gegriffen hatte, nachdem sie das Bewußtsein verloren hatte.

 

Scully hob ihre schmale Hand und ließ sie über seine Wange gleiten. "Oh, Mulder. Es tut mir leid. Ich wollte Dich nicht erschrecken," säuselte sie mit sanfter Stimme. Aber dann schlug ihre Stimmung rasch um, als wenn jemand einen Schalter in ihrem Kopf umgelegt hätte. Sie legte ihre Hand auf seinen Nacken und zog sein Gesicht zu sich herunter "Nun, Agent Mulder," brummte sie. "Wo waren wir?"

 

Aber zu ihrer Bestürzung war Mulder gar nicht willig. Er zog sich von ihr zurück, ein Ausdruck von Verwirrung und Unsicherheit hatte sich um seinen Mund und auf seiner Stirn eingeprägt. "Nein, Scully," flüsterte er fest.  "Ich möchte wissen... warum?"

 

Scully sah in seine dunklen haselnußfarbenen Augen und sah etwas darin. Sie bemerkte, daß sie eine Menge zu erklären hatte und drehte ihren Kopf zur Seite und schüttelte ihn leicht.

 

"Gott," sagte sie sanft. "Gott... es tut mir so leid, Mulder. Es war falsch. Es tut mir leid," flüsterte sie mit gebrochener Stimme.

 

Mulder umfaßte ihr Gesicht mir seinen Handflächen und drehte es zu sich. Er sah in ihre tränengefüllten Augen, die in der Dunkelheit des Wohnzimmers glänzten. Das Mondlicht, das durch das Fenster fiel, spiegelte sich im Glitzern ihrer tiefblauen Augen wider. Sogar in dem silbernen Licht konnte er die erregte Röte auf ihren Wangen sehen. Ihre Lippen waren geschwollen von ihren wilden Küssen, aber immer noch sanft und geschmeidig.

 

Sie war schön. <Was zur Hölle habe ich getan, daß ich sie verdiene?> fragte er sich im Stillen. Er befürchtete, daß nichts, was er tun könnte, ihn einer Frau wie Scully würdig machen würde.

 

"Es muß Dir nicht leid tun, Scully," beruhigte er sie. "Du weißt, daß ich es genauso sehr will wie Du. Ich... ich möchte nur wissen, warum. Warum so?  Warum jetzt?" fragte er sanft. Er konnte die Verzweiflung, die hinter ihrem Entgegenkommen steckte, nicht übersehen. Er war neugierig - aber auch ein wenig argwöhnisch wegen der ganzen Situation.

 

Sie zögerte. Immer noch zärtlich ihr Gesicht in seinen Händen haltend, fragte er "Warum? Sag es mir... bitte."

 

"Weil," platzte sie heraus, "wenn Du morgen sterben würdest, Mulder, würdest Du niemals wissen, wie sehr ich Dich wirklich liebe und mich um Dich sorge." Sie schürzte ihre Lippen - sie war gewöhnlich nicht so ehrlich und mitteilsam, besonders nicht zu Mulder. Es war schwer, gab sie zu. Aber es war viel qualvoller, sich noch länger selbst zu belügen.

 

Nachdem er kurz darüber nachgedacht hatte, was sie gesagt hatte, schenkte Mulder ihr das süßeste Lächeln, das sie je bei ihm gesehen hatte. Es brachte ein winziges Lächeln auf ihr Gesicht. "Scully, ich weiß, was Du für mich empfindest," sagte er. "Du zeigst es mir jeden Tag. Seit wir Partner sind und Du mir Dein Vertrauen geschenkt hast - seitdem weiß ich, wie sehr Du Dich um mich sorgst."

 

"Das ist nicht genug, Mulder," war sie nicht einverstanden. "Es kann nicht genug sein - nicht mehr." Sie ergriff eine seiner Hände an ihrer Wange und drückte sie liebevoll.

 

Mulder lehnte sich herunter und küßte sie leicht auf die Lippen. Scully schloß langsam ihre Augen, schwelgte in dem neuen, und doch seltsam vertrauten Gefühl.

 

"Du mußt das nicht tun, Dana," flüsterte er. Damit öffnete sie ihre Augen.  Scully sah Mulder an, wie es schien eine Ewigkeit. Sie versuchte sich selbst in seinen Augen zu sehen. <Will er es wirklich?> Flüchtig erwog sie die Möglichkeit, daß Mulder keine Beziehung mit ihr wollte. Aber dann, als sie ihre Unterlippe mit der Spitze ihrer Zunge leckte, dachte Scully an seine Küsse. Darin zeigten sich Mulder Gefühle für sie ganz offensichtlich.  Letztlich entschied sie, daß ihr erster Impuls richtig war - in gewissem Sinne unausweichlich. Er liebte sie, liebte alles, was sie war... und alles, was sie nicht war.

 

Und das war mehr als genug für sie.

 

Sie sah keinen Grund, warum sie nicht so glücklich sein sollte, wie sie konnte in der Zeit, die Mulder und sie auf dieser Welt hatten. Und Gott weiß, Mulder verdiente ein bißchen Abwechslung in der Dunkelheit, die sein ganzes Wesen umgab, sagte sie sich.

 

"Nein, ich muß das nicht tun," räumte sie ein. "Aber ich will es, mehr als Du je wissen wirst." Sie langte hinüber und zog Mulder zu sich heran. Er landete auf seiner Seite, zwischen ihr und der Rückenlehne des Sofas.  Scully machte ein wenig Platz und dann legte sie ihren Kopf langsam auf Mulders Brust. Sie schloß ihre Augen und hörte auf seinen kräftigen, beruhigenden Herzschlag. Sie atmete seinen berauschenden Duft ein. Sie hörte sein zufriedenes Seufzen, als er seine Wange an ihren Kopf legte.

 

"Ich habe heute mit Clarice Starling geredet, Mulder. Ich vertraue ihr beinahe so, wie ich Dir vertraue," begann sie. Als Mulder nicht reagierte, fuhr sie fort. "Und sie erzählte mir von ihren Erlebnissen - die harten Lektionen, die das Leben sie gelehrt hat. Sie wollte mir die Qual und die Trauer ersparen, die sie durchleiden mußte."

 

Ein Funken von Verständnis flammte in Mulders Hirn auf. Er küßte Scully auf die Stirn und erlaubte ihr, fortzufahren.

 

Sie sprach weiter. "Clarice lehrte mich, wenn die wahre Liebe kommt, wenn Du dem Menschen gegenüberstehst, von dem Du weißt, daß Ihr füreinander bestimmt seid - dann ist es ein Verbrechen, ihn von Dir fernzuhalten, auch wenn es aus Angst oder Unsicherheit ist."

 

Scully hob ihren Kopf, um Mulder direkt anzusehen. Sie blickte ihn intensiv an und er blieb starr, wartete auf ihre nächsten Worte.

 

"Ich versuchte zu sagen ‚irgendwann', Mulder. Wenn all die Verschwörungen und Mysterien zu unserer Zufriedenheit aufgelöst worden sind, dann könnte ich ‚extreme Möglichkeiten' mit Dir erwägen," flüsterte sie sanft. Er lächelte sie zärtlich an.

 

Sie lächelte zurück, gab ihm einen keuschen Kuß auf die Stirn und zog sich langsam zurück. "So wie unser Leben funktioniert, Mulder, besteht aber eher die Chance, daß dieses ‚irgendwann' niemals kommen wird. Und deshalb sind wir heute hier - beide nackt von der Taille abwärts." Ihre Augen blinzelten verschmitzt, unfähig, den düsteren Unterton ihrer dramatischen, aber aufrichtigen Rede beizubehalten.

 

"Nun, Agent Scully," antwortete Mulder weich und versucht nicht, seinen belustigten Ausdruck vor ihr zu verbergen. "Ich denke, das kann man schnell ändern, meinst Du nicht?" Er langte hinüber, um den Gürtel ihres Seidenmantels zu betasten.

 

<Ist es wirklich das, was Du willst,> fragte er sie stumm.

 

<Natürlich,> antwortete sie. Scully staunte darüber, wie die stille Verständigung, die sie so gut in den Jahren ihrer Zusammenarbeit beherrscht hatten, nun auch ihr unglaublich intimes romantisches Band besiegelte und ihnen die klare... Richtigkeit all dessen bewies.

 

Mulder nickte leicht und löste den Knoten, der das einzige Kleidungsstück, das sie trug, zusammenhielt. Er ließ sich mühelos öffnen, nur das raschelnde Geräusch von Seide auf Seide brach die völlige Stille des Raumes.

 

"Oh, Scully," sagte Mulder, ohne nachzudenken, als er behutsam ihren Seidenmantel auseinander schob. Es ähnelte sehr dem Entfalten eines Blütenblattes einer exotischen Blume. Mulder versuchte, alles von ihr in sich aufzunehmen. Er wußte, daß das Wunder, alles von ihr das erste Mal zu sehen, nur einmal in seinem Leben geschehen würde. Mulder hatte den Zwischenfall in der Antarktis fast gänzlich aus seinem Gedächtnis verbannt.  Ihre Nacktheit an dieser Stelle - beeinträchtigt durch eine große Menge von gefrorener Alienschmiere - zählte nicht.

 

Nein, beharrte Mulder unnachgiebig, dies würde das erste Mal sein, daß er sie wirklich nackt sehen würde. Und sie war großartig. Er hielt inne, atmete nicht einmal, als er ihre Erscheinung in sich aufnahm.

 

Sie sah so weich aus, dachte er bei sich. Ihre Haut war milchweiß, genauso wie er sie sich vorgestellt hatte. Ihre Brüste waren klein, aber schön gerundet und verführerisch fest. Während er sie anstarrte, bemerkte er die dunklen korallenfarbenen Knospen, die unter seinem Blick hart wurden. Er wollte nichts mehr, als sich hinunterzubeugen und eine davon in den Mund zu nehmen. Er sah sie an und er war sicher, daß sie es ungeheuer genießen würde, wenn er es tat.

 

Aber er war noch nicht damit fertig, sie anzusehen. Er zwang sich, den Blick von ihrem Gesicht zu nehmen und den Rest ihres Körpers zu studieren.  Ihre Haut war so glatt und so überraschend ungezeichnet von Narben oder anderen Verletzungen. Das einzige Merkmal, das auf ihrer zarten Porzellanhaut hervorstach, waren ein paar entzückende Sommersprossen auf ihrer Brust. <Oh, das wird schwierig,> gab er zu. Er würde nicht in der Lage sein, sich noch lange zurückzuhalten, aber er wollte alles sehen.

 

Scully verstand sein Verlangen, sie wartete geduldig und sonnte sich in Mulders kindlicher Erkundung. Sie sah ihm zu, wie er sie betrachtete, seine Empfindungen in sein Gesicht geschrieben. Es war so erotisch, sinnierte sie. Sie fühlte sich schön. Mulder betrachtete sie mit... ja, womit? Das fragte sie sich. Unglaublich, das Wort "Verehrung" kam ihr in den Sinn.  Scully erschauerte unwillkürlich. Niemand hatte sie jemals so angesehen.

 

Sie fühlte eine vertraute Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln hervorsickern. Sie rann auf ihre Sofapolster. <Das wird einen Fleck geben,> dachte sie bei sich. Aber anstatt darüber bestürzt zu sein, fühlte sie eine Welle von Erregung, die Art, die sie fühlte, wenn sie etwas Aufsässiges tat - etwas für sie Untypisches. Der Gedanke, einen physischen Beweis dafür, daß Mulder sie geliebt hatte, zurückzulassen, speziell hier in der Mitte ihres Wohnzimmers, gab ihr einen Kick.

 

Mehr und mehr erregt begann Scully, sich zu winden. Mulder mußte es bemerken. Seine Blicke waren abwärts gewandert, abwärts bis sein Blick da hängenblieb, wo der größte Schatz von Dana Scully verborgen war. Mulder griff zögernd nach dem kupferfarbenen Gipfel zwischen ihren Schenkeln. Er hatte immer vermutet, daß Scully ihr Haar färbte, wenn auch nur, um den roten Ton zu bekräftigen, aber die drahtigen Locken, die dank ihrer Erregung glitzerten, waren ein Ton dunkler - vielleicht ein bißchen mehr braun als die flammenden Locken, die alle Welt tagsüber sah. Und mit einem Grinsen bekräftigte Mulder, daß Scully ein Rotschopf war, durch und durch.

 

Mit zitternden Fingern streichelte er sie. Scully wölbte ihr Becken vor Extase.

 

"Mullderrr...," stöhnte sie mit einer weichen, atemlosen Stimme.

 

Ermutigt fuhr er fort. Er legte seine Handfläche auf Scullys fleischigen Venushügel. <So weich,> die Beschreibung schoß durch Mulders Kopf.  Vorsichtig bewegte er seine Hand, bis seine schlanken Finger ihre warme, feuchte Öffnung fanden. Und wie ein Himmelstor spreizte Scully ihre Beine ein wenig, um ihrem neugefundenen Liebhaber mehr Zugang zu ermöglichen.

 

Mulder konnte seinen Atem nicht kontrollieren. Er bemerkte, daß Scully genauso heftig atmete wie er. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Gesicht zeigte den heitersten und engelhaftesten Ausdruck. Sie öffnete sich für Mulder und erwartete ergeben seine Dienste. Aufs neue erkannte er, welch kostbares Geschenk ihm Scully gemacht hatte: ihre vollständige Hingabe und ihr vollstes Vertrauen in ihn.

 

Mulder würde ihr zeigen, wie sehr er sie dafür liebte. Ohne Vorspiel begann er sie zu streicheln. Er beschrieb mit seinen Fingern winzige Kreise um ihre Klitoris. In diesem Moment flogen Scullys Augenlider auf und ihre Lippen öffneten sich ein wenig. Der Ausdruck purer Erregung zeichnete sich auf ihren exquisiten Gesichtszügen ab.

 

"Oh yeah, Mulder," hauchte sie sanft. "Das ist es." Sie griff nach seinem Gesicht, nahm es in ihre Hände und zog es grob an ihres heran. Sie küßte ihn hart, gefangen in der Hitze des Augenblicks. Sie stieß ihre Zunge in seinen Mund, ließ sie über seine Schneidezähne gleiten. Mulder reagierte in gleicher Weise, seine Zunge traf ihre, verband und duellierte sich mit ihr.  Dann biß Scully auf seine Unterlippe - was er mit einer komischen Grimasse quittierte. Mit einem entschuldigenden Augenaufschlag zog sie sie zwischen ihre Lippen und linderte den Biß mit ihrer umherwandernden Zunge.

 

Nun rieb Mulder die zarten Falten ihrer Schamlippen. Scully schob ihre Hüften noch höher. Sie begann, die vertrauten Zuckungen eines beginnenden Orgasmus zu fühlen. "Ohh, hör nicht auf," murmelte sie. Und Mulder enttäuschte sie nicht. Ihrer Bitte entsprechend führte er sanft seinen Zeigefinger in ihre feuchte Öffnung. Er stoppte erst, als sein Finger so weit in ihr drin war, wie es ging, sein Knöchel streifte ihre glänzend rosa Knospe.

 

Scully sah Sterne. Als Mulder begann, sie zu befriedigen, sah sie winzige Lichtpunkte tanzen. <Er ist unglaublich,> dachte sie mit Erstaunen. Sein Finger fuhr leicht hinein und heraus. Scully fühlte, daß sie kam. Sie fühlte, daß sie am Rande eine äußerst heftigen Orgasmus stand. Sie wollte ihn gerade aufhalten, weil sie nicht wollte, daß diese Nacht ihr Lust bereitete, sondern ihm, als Mulder etwas Unerwartetes tat. Scully fühlte eine warme, strukturierte Schlüpfrigkeit an ihrer geschwollenen Klitoris.

Unmittelbar erkannte Scully:

 

Ihr süßer Mulder war jetzt da unten.

 

Sie fühlte sich, als würde sie aus allen Nähten platzen. Nachdem seine Zunge nur einmal über ihre hypersensible Zone geglitten war, war sie nicht mehr in der Lage, sich zurückzuhalten.

 

Sie kam... hart.

 

Der Schrei zerschnitt die Stille des Wohnzimmers und verklang in der Lautlosigkeit der Nacht. Mulder grinste, obwohl sein Mund die sensible Knospe der Lust seiner Geliebten fest umschloß. Er überstand ihre krampfartigen Zuckungen und sonnte sich in seiner Fähigkeit, Dana Scully all die Opfer, die sie während der letzten Jahre für ihn gebracht hatte, auf eine kleine Weise zurückzuzahlen.

 

<Es wird niemals genug sein,> erinnerte er sich selbst. <Aber es ist ein

Wahnsinnsanfang.>

 

Der Rest von Scullys Orgasmus erschöpfte sich in aufatmendem Stöhnen und winzigem Wimmern, bis sie schließlich gegen Mulder stieß und die Geräusche ihres Höhepunktes abklangen. Scully bewegte sich matt, ihr Kopf fiel zur Seite. Ihr Gesicht zeigte eine Zufriedenheit und Erfüllung, die Mulder nie zuvor gesehen hatte. Er legte sich vorsichtig neben sie und sah den dünnen Schweißfilm auf ihrer Oberlippe und ihrer Stirn. Er lehnte sich herüber und küßte sie über ihrer linken Augenbraue.

 

Mit einem leisen Glucksen fragte er "Wie war das?"

 

Scullys Augenlider öffneten sich schwer und sie richtete einen feuchten Blick auf ihn. "Ich bin froh, daß ich das nicht mehr zurückhalten mußte - die Geräusche, die ich mache. Ich habe in genug Hotelzimmerkopfkissen gebissen deswegen," sagte sie ein wenig verlegen.

 

Mulders Lachen wurde lauter. "So war das also! Ich hätte niemals gedacht, daß Du ein Schreier bist, Scully," entgegnete er neckend. Als er die heftige Röte sah, die ihre beinahe glühenden Wangen hinaufkroch, fügte er hinzu "Aber es gibt nichts, was mich mehr abschreckt, als eine stille Frau." Er zeigte sein patentiertes Grinsen.

 

Mit einem untypischen Kichern antwortete Scully "Dann glaube ich, daß Du Dir die richtige Frau ausgesucht hast, huh Mulder?"

 

"Das ist richtig," sagte er. Er beugte sich herüber für einen weiteren Kuß.  Sie legte ihre Arme um ihn. Dieser Kuß war eine gemächliche Bekräftigung ihrer tiefen Verehrung füreinander, irgendwie im Kontrast zu der wilden Hingabe, in der sie sich beide noch ein paar Momente zuvor befanden.  Schließlich lösten sie sich voneinander und sahen sich tief in die Augen.

Worte waren nicht notwendig - sie waren es nie wirklich.

 

Und jetzt war es Scully, die zuerst sprach. "Mach es Dir nicht zu bequem, mein Herr. Ich bin noch nicht fertig mit Dir," sagte sie.

 

"Oh?" erwiderte Mulder. "Und was führst Du im Schilde?"

 

Sobald er Scullys sanfte, anmutige Fingerspitzen seinen Penis berühren und streicheln fühlte, wußte er genau, was sie vorhatte.

 

"Oh nein!" rief er leise aus. "Nur Arbeit und kein Vergnügen machen aus Mulder einen lustlosen Jungen," scherzte er.

 

"Was auch immer Du mit mir machst, Mulder," schnurrte sie. "Du wirst niemals ein lustloser Junge sein."

 

Mit einem dummen Grinsen sagte Mulder "Du weißt, Scully, ich mag es wirklich, wenn Du so unanständig mit mir redest!"

 

Scully erwiderte sein Lächeln und erregte ihn wieder mit dem Wissen, daß sie dieses Lächeln nur für ihn hatte.

 

<Zeit, an die ‚Arbeit' zu gehen,> schalt er sich selbst. Als Scully ihn mit glitzernden Augen ansah, zog er rasch sein T-Shirt aus und warf es achtlos zur Seite. Dann streckte er seinen langen, schlanken Körper aus, bis er seine zarte Partnerin praktisch unter sich eingehüllt hatte. Scully spreizte ihre Beine und er brachte sich vorsichtig in Position - die Länge seines Penis stieß drängend gegen die sensiblen Zonen ihrer Vagina.

 

Scully keuchte, als sie das harte, feste Fleisch von Mulders Männlichkeit gegen ihre Öffnung stoßen fühlte.

 

<Komm schon rein,> dachte sie.

 

Mulder ließ ein schnaufendes Lachen hören. "Nichts dagegen, Scully," sagte er, seine Stimme voller Freude.

 

Sie errötete wieder. "Gott, Mulder," sagte sie. "Du hast mich wirklich in Verlegenheit gebracht, weil ich nicht sagen kann, ob ich es gedacht oder tatsächlich laut gesagt habe." Sie konnte nicht anders, sie mußte auch lachen und sich die Lächerlichkeit der Situation eingestehen.

 

Und dann verließ sie alles rationale Denken, als Mulder noch einmal in sie eindrang. Als er sich so tief er konnte, in ihr vergrub, zuckte Scully unkontrolliert vor Lust. "Kannst Du fühlen, was Du mit mir machst?" fragte sie heiser.

 

Mulder lächelte. "Oh yeah, Scully. Das ist gut," sagte er, während ihr winziger Orgasmus vorüberging. "Aber das ist erst der Anfang," fügte er hinzu.

 

Scully öffnete den Mund, um zu antworten, aber die Worte erstarben auf ihren Lippen, als Mulder jetzt ernsthaft begann, in sie zu stoßen. Alles, ausgenommen das Gefühl von Mulder in ihr, fiel von ihr ab. Nichts existierte nun in ihrem Universum außer ihrem Liebhaber und sie selbst. Ihr Körper zitterte, er summte förmlich in den Gefühlen, die sie nie zuvor in ihrem Leben erlebt hatte.

 

In ihren früheren sexuellen Beziehungen hatte Scully nie mehr als einen Orgasmus in einer Nacht. Manchmal hatte sie auch überhaupt keinen. Und eigentlich hatte ihr Liebhaber meistens mehr Spaß im Bett als sie je hatte.  Deshalb hatte Sex bisher keine besondere Bedeutung in Dana Scullys Leben.

 

<Offensichtlich,> tadelte sie sich. <Sechs Jahre ohne sind eine sehr lange

Zeit.>

 

Doch als Scully von Ferne hörte, daß Mulder Liebesworte in ihr Ohr flüsterte, erkannte sie erstaunt, daß Mulder sie wahrscheinlich noch mehrmals in dieser Nacht zum Orgasmus bringen würde. Sie war jetzt nahe daran...

 

Mulders Finger glitten über ihren Körper, bis sie ihre linke Brust fanden.  Er strich mit seinen Fingerspitzen über ihren erregten Nippel. Sie keuchte, als er sich schmerzvoll zusammenzog und härter wurde. Der Schmerz wurde dadurch gelindert, daß er seinen Mund darauf legte und zärtlich daran saugte.

 

Sie sah zu Mulder herunter. Die Akrobatik, die er vollführte, um diese Art von gleichzeitigem Verkehr und oraler Stimulation zu erreichen war erstaunlich. Die Tatsache, daß er um einiges größer war als sie, konnte ihrer Wahrnehmung nicht entgehen.

 

<Er ist wie eine Brezel,> sinnierte sie. <Ich muß ihn fragen, wo er das

gelernt hat.>

 

Nun, die Wirkung, daß Mulder sie liebte, während er gleichzeitig ihre sensiblen Brüste liebkoste, war sehr angenehm. Schon konnte sie das Zittern ihrer wachsenden Erregung tief in sich fühlen.

 

"Fester, Baby," murmelte sie. Mulder willigte glücklich ein. Er stieß tatsächlich in ihr Becken, die klatschenden Geräusche ihres Zusammentreffens hallten laut durch die Stille des Raumes. Jeder Stoß schickte einen Stromstoß durch Scullys Körper, beginnend bei ihren Genitalien und sich in alle Richtungen ausbreitend.

 

Tropfen von Mulders Schweiß spritzten auf ihre Brust und in ihr Gesicht. Zu wissen, daß sein Schweiß davon herrührte, daß sie sich liebten, erregte sie noch mehr. Ein Tropfen fiel auf ihren Mundwinkel. Sie schloß ihre Lippen und ließ ihre Zunge sinnlich darübergleiten. Scully schmeckte die salzige Essenz ihres Liebhabers über ihr und lächelte.

 

Er sah dies und es entflammte ihn noch mehr, Mulder erreichte nun rasch seinen Explosionspunkt. "Scully," stöhnte er erbärmlich.

 

Seine Bitte war nicht umsonst. Sie hielt Mulders Gesicht in ihren zarten Handflächen und sah in seine glitzernden Augen. Sie sah feurige Funken im Braun-Grün seiner Iris. Sie verlor sich in diesen Tiefen und erkannte nun, daß die Intensität ihrer Verbindung zu einem großen Teil ihrer tiefen Liebe und Achtung füreinander entsprang.

 

<Das ist es, was ich all die Jahre vermißt habe,> dachte sie.

 

Sich vollständig dem wundervollen Druck, der in ihr wuchs, hingebend, antwortete sie Mulder mit einer klaren und beruhigenden Stimme. "Ja, Mulder, ich weiß. Gib es mir. Nur keine Angst." Sie hob ihren Kopf und gab ihm einen tiefen, ihre Seele entblößenden Kuß.

 

Als sie sich voneinander lösten, erhöhte Mulder das Tempo. Sein Atem kam stoßweise und er hielt seine Augen fest geschlossen. Scully fühlte, daß sie den Gipfel ihrer Lust rasch erreichte.

 

<Ja, ja, ja,> sang sie in Gedanken. <Ja!>

 

"Oh yeah, Mulder," wimmerte sie. Es war passiert... wieder. Zum zweiten Mal in einer Nacht, stellte ihr Gehirn in einer weit entfernten Ecke fest. Sie packte Mulders Rücken mit festem Griff und war vorbereitet, um den intensivsten Orgasmus ihres Lebens zu erleben.

 

"Komm für mich, Scully," flüsterte Mulder in ihr Ohr.

 

"Oh Gott," schrie sie, als sie ihren Höhepunkt erreichte.

 

Scully schloß ihre Augen und sah Blitze von strahlenden Farben in der Dunkelheit. Diffuse Bilder von ihrem Leben mit Mulder drangen in ihr Bewußtsein und wehten wieder davon, wie Schnappschüsse im Wind. Eine Hand, die sie hielt, ein keuscher Kuß auf ihrer Stirn. Eine Szene eines fallengelassenen Mantels in einem dunklen Hotelzimmer, gefolgt von einer angeregten Begegnung in Flur vor Mulders Apartment. All die bedeutenden Momente, die Scully mit ihrem Partner erlebt hatte, schwirrten durch ihren Kopf, begleitet von den Zuckungen purer Erlösung, die sie in ihrem Körper erlebte.

 

Schließlich ließ der intensive Sturm hinter ihren Augen langsam nach, so wie sich die Flutwelle ihres Orgasmus legte. Sie hob ihre schweren Augenlider, um Mulder anzusehen.

 

"Mulder," brachte sie atemlos hervor. Aber sie sah, daß Mulder jenseits der Möglichkeit zu antworten war. An dem hingerissenen Ausdruck in seinem Gesicht erkannte Scully, daß Mulder auf dem Höhepunkt seines eigenen Orgasmus war. Das Wissen darum ließ sie wieder vor Lust zucken.

 

<Es ist Zeit,> sagte sie ihm ohne Worte. <Gib es mir.>

 

"Yeah, Mulder," säuselte sie sanft. "Komm, halt es nicht zurück."

 

"Oh, Scully!" stöhnte er.

 

Er stieß noch ein paarmal in sie und dann kam er. Mit einem lauten Aufstöhnen zuckte er heftig und entleerte sich heiß in Scully und füllte lange unbeachtete Lücken tief in ihr drin mit seinem Saft. Als Mulder ihren Namen hervorstieß und er über ihr kollabierte, lächelte Scully. Das warme Gefühl, daß Mulder in ihr gekommen war, verkörperte ihre tiefe Beziehung zueinander. Sie hielt nun einen kleinen Teil von Mulder in sich, in ihrer Gebärmutter und in ihrem Herzen. Der physische und emotionale Ausdruck ihrer Liebe brachte Tränen in ihre Augen. Sie schossen hervor und hinterließen glitzernde Bäche auf ihren geröteten Wangen.

 

Nachdem er seinen Atem wieder unter Kontrolle hatte, hob Mulder den Kopf.  Als er sie weinen sah, fragte er "Was ist los?" Tiefe Sorge und Verwirrung verdunkelten seinen Gesichtsausdruck.

 

Scully schüttelte ihren Kopf und antwortete nicht. Sie war nicht in der Lage, sich in diesem Moment zu artikulieren. Es kostete sie all ihre Kraft, um nicht vor Mulder zusammenzubrechen und sie wollte ihm keinen falschen Eindruck vermitteln. <Jeder Mann will, daß seine Geliebte nach dem Sex weint - ein großer Vertrauensbeweis,> züchtigte sie sich selbst.

 

Statt dessen lächelte sie für ihn unter Tränen an. Als Mulder dieses 1000-Watt-Lächeln sah, das sie für niemand anderen, nur für ihn reserviert hatte, wußte er, daß sie okay war.

 

Er fühlte sich ein wenig verletzlich, aber er wollte sicherstellen, daß es keine Mißverständnisse gab. Er lächelte zurück und sagte "Ich liebe Dich, Scully." Er beugte sich herunter und gab ihr einen unschuldigen, aber liebevollen feuchten Kuß auf die Wange. Er leckte herausfordernd die salzige Feuchtigkeit ihrer Tränen mit seinen Lippen ab, er wollte sichergehen, daß Scully sah, daß er ihr ihre frühere Gefälligkeit zurückgab.

 

"Ich liebe Dich auch, Mulder," sagte sie einfach. Sie griff nach ihm und schenkte ihm eine tröstliche Umarmung. Ihre rasch abkühlenden Körper waren miteinander verflochten und förderten die Illusion ihrer Verschmelzung.

 

Ihr Adrenalinspiegel, der sich während ihrer heftigen Aktivitäten aufgebaut hatte, sank schnell und eine zufriedene Mattigkeit befiel beide. Als Scullys Augen zufielen, streichelte sie Mulders feuchtes dunkles Haar. Sie sah, daß er unter den tiefen Mantel des Schlafs rutschte.

 

"Wünschst Du nicht manchmal, wir könnten diesen Schießstand stürmen und zusammen irgendwohin gehen?" hörte sie Mulder erschöpft murmeln.

 

Sie konnte nur vermuten, daß er ihre Arbeit beim FBI meinte. Sie seufzte.

"Ja, mehr als alles andere," stimmte sie zu.

 

"Das Leben ist grausam, nicht wahr, Scully?" fragte er, bevor er abglitt.

 

"Aber manchmal machst Du es für mich ein bißchen weniger grausam, Mulder," antwortete sie wahrheitsgemäß. Sie sah herunter zu Mulder, der seinen Kopf in ihre rechte Armbeuge gelegt hatte.

 

Er hatte sie nicht mehr gehört. Mulder war in einen erschöpften Schlummer gesunken.

 

Scully küßte ihn leicht auf die Stirn und legte sich zurück, ließ sich von der Nacht in ihre liebkosende Umarmung nehmen.

 

 

 

 

 

7:15 am

 

Die Nacht wurde schließlich zum Morgen.

 

Er kam viel zu schnell.

 

Der traumhafte Zauber des vergangenen Abends zerbrach unbarmherzig.

 

Scully rührte sich. Zuerst hatte sie keine Ahnung, wo sie war oder wie sie dahin gekommen war. Sie öffnete ihre Augen in dem schwachen Sonnenlicht, das durch die Schlitze der Jalousie in ihr Wohnzimmer drang.

 

<Zuhause,> dachte sie aufgeregt.

 

Scully streckte sich matt wie eine zufriedene Katze und unterdrückte ein Gähnen. Sie sah an sich herunter. Sie war nackt, wie an dem Tag, als sie geboren wurde.

 

<Oh,> jetzt erinnerte sie sich. Mulder. Ein breites Lächeln überzog ihr strahlendes Gesicht. Ein Gesicht, das wie sie wußte fremd an ihr aussah, ein Gesicht, das sie nicht gewöhnt war, zu machen.

 

Die Dinge hatten sich geändert, dachte sie bei sich selbst. Sie sah sich um und fragte sich, wo Mulder war. Und dann, als sie ihren Kopf wieder zurück zum Fenster drehte, sah sie ihn.

 

<Und einige Dinge ändern sich nie,> mußte Scully zugestehen. Scully warf einen Blick in Mulders finsteres, gequältes Gesicht und sie wußte, daß die letzte Nacht tatsächlich nicht alles geändert hatte.

 

Während sie dalag, sah sie Mulder starr aus dem Fenster blicken. Das Morgenlicht, das durch die halbgeöffneten Blenden fiel, zeichnete ein trübe gestreiftes Muster aus Licht und Schatten auf Mulders Gesicht und seinen nackten Körper. Scully wünschte. sie könnte ihren Liebhaber ansehen und einfach seine physische Spannkraft bewundern, aber die Spannung und Aufregung, die praktisch in schmerzvollen Wellen von seinem Körper ausgingen, fegten all diese Bedürfnisse hinweg.

 

Vorsichtig sprach sie. "Mulder," krächzte sie in einem trockenen Flüstern.  Ihre ekstatischen Schreie der letzten Nacht holten sie nun ein. Mulder hatte sie entweder nicht gehört oder zog es einfach vor, nicht zu reagieren. Scully räusperte sich laut und stand auf mit wackligen Beinen.  Still ging sie herüber zu Mulder und legte ihre Arme um seine Hüften.  Zuerst reagierte er überrascht, als wäre er sich nicht bewußt gewesen, daß sie im Raum war. Langsam entspannte er sich und Scully festigte ihren Griff.

 

"Was ist los?" fragte sie ihn mit heiserer, sinnlicher Stimme, wie sie nur Liebende hatten. Sie sah genau in dem Moment auf, als Mulder langsam seinen Kopf schüttelte, aber sein ferner Ausdruck sagte ihr, daß er ihr nicht wirklich zuhörte. Sie beschloß zu warten, bis er bereit war zu sprechen.  Sie schmiegte sich zwischen seine Schulterblätter und küßte ihn dort.

 

Schließlich sprach Mulder. "Ich habe gerade mit Skinner geredet," murmelte er. Als Scully nichts sagte, fuhr er fort. "Möchtest... möchtest Du zuerst die gute oder die schlechte Nachricht hören?" Er sah über seine Schulter hinweg zu Scully. Als er ihr Gesicht nicht sehen konnte, drehte er sich in ihren Armen, bis er sie ansah.

 

Die Probleme bedenkend, die er heute Morgen entdeckt hatte, beabsichtigte Mulder ganz und gar, ein fachliches Gespräch mit Scully zu führen, als wenn sie einen Fall in ihrer Arbeit besprechen würden. Aber Haut an Haut mit seiner überwältigenden und nackten Partnerin fühlte er seine Entschlossenheit schnell schwinden. Die Tatsache, daß sie zu ihm aufsah mit diesen großen unschuldigen blauen Augen machte die Sache nicht einfacher.

 

Seine Gesichtszüge wurden weicher und er beugte sich herab und gab Scully einen tiefen Kuß. Er zog sich langsam zurück und lächelte sie süß an.  "Guten Morgen," sagte er zu ihr.

 

Scully gab sein glückseliges Lächeln zurück. "Dir auch einen guten Morgen," tadelte sie ihn, als sie ihm einen Stoß in die Rippen gab. Sie befreite sich aus seiner Umarmung und eilte zurück zum Sofa. Sie bückte sich und hob ihren vorher abgelegten Seidenmantel vom Abend vorher auf. Sie zog ihn über und ging wieder zu ihrem Partner zurück.

 

"So, Du hast also mit Skinner geredet," fragte sie zwanglos und versuchte ihre wachsende Unruhe zu verbergen.

 

Mulder hatte gerade seine Boxershorts angezogen und versuchte, sein T-Shirt über den Kopf zu ziehen. "Mmmh," hörte sie ihn zurückmurmeln von irgendwo in seinem T-Shirt. Schließlich kam sein Kopf aus dem dafür vorgesehenen Loch heraus. "Die schlechte oder die gute Nachricht?" fragte er noch einmal.

 

Ihre Arme defensiv vor ihrer Brust gekreuzt, antwortete Scully mit einem Achselzucken "Deine Wahl."

 

Für einen Moment zeigte sich ein ärgerlicher Ausdruck auf Mulders Gesichtszügen, aber sie wußte, daß er nicht ihr galt. Dann tat er einen erschöpften Seufzer und antwortete "Skinner sagt, daß das OPR noch einmal zusammenkommt, diesmal um zu entscheiden, ob wir wieder den X-Akten zugeteilt werden oder nicht." Er sah frustriert weg und versuchte, den Anschein von Ruhe zu bewahren.

 

Scully saß da, mit vor Staunen offenem Mund, die Farbe wich aus ihrem Gesicht. "Aber wir wurden gerade überprüft. Die X-Akten wurden wiedereröffnet!" rief sie aus.

 

Mulder fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes, stachliges Haar.  "Anscheinend ist sich das OPR nicht ganz sicher, ob wir die geeigneten Agenten sind, ihnen zugeteilt zu werden," sagte er bitter.

 

Scully war verblüfft. "Was?" sagte sie mit schriller Stimme. "Du willst mich veralbern, nicht wahr?" Als er traurig seinen Kopf schüttelte, wurde sie wütend. "Das ist einfach lächerlich! Wir waren der Grund, weswegen die X-Akten überhaupt wiedereröffnet wurden!" brüllte sie.

 

"Das habe ich Skinner auch gesagt," sagte er leise zu ihr.

 

"Ich kann das nicht glauben," sagte Scully ungläubig.

 

Mulder schenkte ihr einen mitfühlenden Blick und griff nach ihrer Hand. Er schüttelte langsam seinen Kopf und sagte "Ich auch nicht, Scully." Er fuhr sich mit seiner freien Hand erschöpft über das Gesicht. "Ich meine, Skinner sagte, daß sie bereit sind, unsere Arbeit jemand anderem zu übertragen, aber er hat für uns interveniert und uns eine Anhörung verschafft."

 

Ihr Interesse wuchs trotz ihres Ärgers. "Wen wollen sie an unserer Stelle nehmen?"

 

Mulder zuckte die Achseln. "Ich weiß nicht. Aber wir haben eine Chance, wenn wir die Stichhaltigkeit unserer Untersuchungen der Verschwörung nachweisen können," antwortete er gleichmäßig.

 

Scully atmete frustriert aus und wandte sich wieder Mulder zu. Sie lehnte sich zurück und bemühte sich, den Sturm der Gefühle, der tief in ihr tobte, zu zügeln.

 

"Was ist nun die gute Nachricht? Ich könnte jetzt sicher eine gebrauchen," witzelte sie mit einer Leichtigkeit, die sie tatsächlich in diesem Moment nicht empfand.

 

"Das war die gute Nachricht," antwortete Mulder. Sein Gesicht offenbarte eine versteckte Qual, gegen die er ankämpfte.

 

"Wie bitte?" fragte sie, ihre Augenbraue verstört hochziehend.

 

Mulder seufzte abermals und trat näher an Scully heran. Sie sah ihn mit Besorgnis an. Ihre anfängliche Unruhe wuchs beinahe zur Panik. Mulder blickte nervös drein, er fürchtete sich offensichtlich vor seinen nächsten Worten. Er legte sanft seine Arme um ihre Schultern, fast wie eine schützende Geste.

 

<Oh, das wird nicht gut gehen,> wußte sie.

 

"Scully," begann er. "Skinner ließ uns wissen, daß das OPR jetzt jeden unserer Schritte überwacht. Alles, was wir tun, wird genauestens überprüft.  Sie wollen den Beweis, daß wir die besten Agenten für diesen Job sind - daß wir dieser Untersuchungen würdig sind. Ich hoffe, daß die Nebenbeiarbeit, die ich gemacht habe, um die verbrannten Akten wieder zusammenzusetzen, sie überzeugen werden, zu..."

 

"Mulder," unterbrach Scully ihn.

 

"Huh?"

 

"Die schlechte Nachricht?" verlangte sie. Ihre Geduld war an diesem Morgen verdammt dünn.

 

Mulder schaute weg, unfähig Scully anzusehen. Nun nahm er all seine Kraft zusammen und bereitete sich vor, ihr die Wahrheit zu sagen.

 

"Sie betrachten und bewerten alles, Scully," ein niedergeschlagener Ton begann, sich in seine Stimme zu schleichen.

 

"Und das bedeutet, auch unser Privatleben." Mulder drehte seinen Kopf, und Scully sah den untröstlichen Ausdruck in seinem Gesicht.

 

Plötzlich wurde ihr klar, was er da sagte. "Nein," stöhnte sie schwach in totalem Unglauben. "Nein!" sagte sie eindringlicher. Sie erhob sich von ihrem Sofa und begann, ruhelos durch ihr Wohnzimmer zu laufen.

 

"Das können sie nicht tun!" schrie sie und versuchte, sich selbst zu überzeugen, daß ihre Worte wahr waren. "Sie können nichts dagegen tun!" Scully kämpfte ihre Tränen nieder, die diesmal Tränen unfähiger Wut waren.

 

Mulder fing sie in ihrem Umherlaufen ab. Er stellte sich ihr in den Weg und hielt ihre Arme sanft mit seinen weichen Händen.

 

"Sie können und sie werden, Scully," sagte er. "Auch wenn das, was wir tun, nicht strikt verboten ist, unsere Beziehung wird vielleicht genug für sie sein, uns abzuhängen - uns die X-Akten zu verweigern," schlußfolgerte er.

 

Scully schob Mulder beiseite. "Und darauf läuft alles hinaus, huh?" fragte sie ihren Partner und fühlte sich verraten. "Wir müssen eine Wahl treffen - entweder die Chance auf Liebe und Glück oder die X-Akten!" Scully fühlte, wie sich ihr Magen unangenehm umdrehte und sie mußte die Welle von Übelkeit bekämpfen, die sie überrollte.

 

"Das ist eine Wahl, die wir besser nie treffen sollten, Scully," sagte er zu ihr, während sie zitternd in der Mitte ihres Wohnzimmers stand. "Aber es läßt sich nicht ändern. Jetzt haben wir die Frage zu beantworten: was sollen wir tun?"

 

Scully wollte nichts mehr hören. Gerade als sie dachte, sie könnte alles haben, zog ihr irgendwer den verdammten Boden unter den Füßen weg.

 

So wie sie es immer tun.

 

<Was wollen sie denn noch von mir?> schrie ihr Verstand voller Verzweiflung. Sie hatten ihr praktisch alles genommen, was ihr lieb war.  War Mulder der nächste?

 

Mulder ging einen Schritt auf Scully zu und schloß sie in eine tröstende Umarmung. Zuerst wollte sie sich widersetzen und ausfallend gegen ihn werden in ihrer Frustration. Aber schließlich gab sie den Gedanken auf.  Mulder traf keine Schuld, sagte sie sich. Sie sank in seine Arme und ließ die Tränen kommen.

 

Ihr Weinen begann leise, aber bald schon wurde es zu einem unkontrollierten Schluchzen. Scullys qualvolles Wimmern zerriß Mulder das Herz, bis er seine eigenen Tränen nicht länger zurückhalten konnte. Sie hielten einander ganz fest, sie fürchteten sich davor, den anderen loszulassen und beklagten den Moment, in dem sie es schließlich mußten.

 

Mulder hatte sich als erster wieder unter Kontrolle. Ein wenig schniefend fragte er so sanft wie er konnte "Willst Du, daß ich aufhöre zu suchen? Ich würde alles für Dich aufgeben, Dana. Die X-Akten bedeuten mir nichts ohne Dich."

 

Scully rieb ihre geröteten, geschwollenen Augen. Sie lächelte ihn an. "Ja, ich glaube, Du würdest alles aufgeben." Sie senkte ihren Blick und vergrub sich tiefer in Mulders Armen. "Aber es wäre nicht fair Dir gegenüber, Mulder... oder mir gegenüber," erklärte sie.

 

"Wir würden der Wahrheit den Rücken kehren und Du weißt das."

 

Mulder küßte Scully leicht auf die Stirn.

 

"Was wir zusammen haben, Scully, ist auch die Wahrheit."

 

Sie hob wieder ihren Kopf und nahm sein Gesicht in ihre zitternden Händen.

"Wir haben einander unsere Gefühle gestanden, wir haben sie uns bewiesen.  Das wird sich niemals ändern, Mulder, was immer auch passiert," versuchte sie ihn zu beruhigen.

 

"Unser Zusammenleben wäre umsonst, wenn wir den Kampf jetzt aufgeben.  Alles, was wir gesehen haben... alles, was wir verloren haben. Wir können jetzt nicht aufgeben. Wir müssen die X-Akten zurückbekommen," sagte sie.  Nach einer langen Pause nickte Mulder zustimmend.

 

"Du hast recht," antwortete er.

 

Mulder gab ihr langen, leidenschaftlichen Kuß. Es schien, als würde er für immer dauern. Die Vergangenheit, die Gegenwart und die mögliche Zukunft - alles zog im Geist an Mulder vorüber in der kurzen Zeit, in der er sich in Scullys sinnlichen Lippen verlor.

 

"Gut, wir haben immer noch ‚irgendwann', das auf uns wartet, richtig?" fragte er, als er sich widerwillig aus Scullys Umarmung löste.

 

"Yeah, irgendwann," wiederholte Scully. Mit einem traurigen Lächeln auf ihrem Gesicht und dem Schmerz in ihrem Herzen ließ sie ihn gehen.

 

Wortlos zog Mulder seine Sachen an und hob die Dinge auf, die er in der letzten Nacht mitgebracht hatte, dann ging er zu ihrer Wohnungstür.

 

Im Foyer drehte er sich um und hielt ihr die Flasche Wein hin.

 

Scully schüttelte den Kopf und schob sie sanft zur Seite. "Nimm sie," sagte sie leise.

 

Mulder hielt inne, von einem Bein aufs andere tretend, offensichtlich unsicher darüber, wie er sich verabschieden sollte.

 

Scully ergriff die Initiative. Sie umfaßte mit einer Hand seinen Nacken und brachte seine Lippen an ihre. Die Liebenden küßten sich ein letztes Mal - es war ein Abschiedskuß.

 

Aber vielleicht nicht für immer.

 

"Ich sehe Dich am Montag, Partner," sagte Mulder, als er umdrehte, um die Tür zu öffnen.

 

"Ja, bis dann, Mulder," kam ihre Antwort.

 

In der offenen Eingangstür wirbelte Mulder herum, er wollte einen letzten Blick auf Scully als seine Geliebte werfen. Er beugte sich nahe zu ihr herunter und sagte "Ich liebe Dich - vergiß das nie."

 

Sie strich mit ihrer Hand über seine stoppelige Wange und erwiderte unter neuerlichen Tränen "Ich werde es nicht vergessen. Ich liebe Dich auch."

 

Und dann war er gegangen. Sie schloß die Tür mit tauben Fingern. Sie konnte durch ihren verschwommenen Blick nicht sehen, um den Riegel vorzulegen. Sie ließ es wie es war.

 

Sie ging gedankenverloren zum Fenster hinüber. Durch die Schlitze der Jalousie sah sie Mulder in sein Auto steigen. Sie sah ihn dort einen Moment lang sitzen, direkt zu ihr heraufschauend. Sie war nicht sicher, ob er sie sah, aber als er die Finger seiner linken Hand an seine Lippen legte und dann zu ihr wandte, wußte sie es.

 

Scully legte ihre eigenen Finger an ihre Lippen und stellte sich vor, daß sie tatsächlich seinen Kuß fühlen konnte, der sie über die Entfernung erreichte. Sie wischte die Tränen von ihrem Gesicht und dann winkte sie Mulder nach als er davonfuhr.

 

"Irgendwann, Mulder," sagte Scully leise zu sich selbst.

 

ENDE

 

 

 

Long before I knew

I'd be making love to you

I dreamed that maybe I would one day

lose myself in someone, someday...