DESIDERATUM

Autoren: Rachel Anton und Laura Blaurosen

RaValliano@aol.com und Mezzo4@aol.com

 

Titel: Desideratum I: Verloren

Originaltitel: Desideratum I: Lost

Rating: NC-17

Kategorie: S, A, R

Schlüsselwörter: MSR, Angst

Spoiler: Gehen wir sicher und sagen 5. Staffel und FTF.

Dementi: Uns gehören Mulder, Scully, Skinner, Bill und Maggie Scully und der Begriff von Charles Scully nicht. Alle anderen Charaktere sind unsere eigenen.

Verteilung: überall, solange unsere Namen und unsere e-mail-Adressen dabei stehen

Zusammenfassung: Wie weit kann man im Namen der Liebe gehen?

Wie immer, danke an Amy für Ansporn und Rat

Übersetzung: ClaudiaQueequeg (queequeg@myrealbox.com) und Sylvia (aktex_sm@hotmail.com)

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Desideratum I: Verloren

Kapitel 1/11

Scully erwachte zitternd. Jemand war in ihrem Apartment, sie konnte es einfach fühlen. Glaubend, es wäre vielleicht ein Restgefühl von einem Traum, den sie gehabt hatte, lag sie einen Moment still und lauschte aufmerksam auf irgendwelche Störungen der nächtlichen Stille. Als sie den Kühlschrank anspringen hörte, machte ihr Herz einen Satz. Sie sagte sich, dass sie sich entspannen sollte, drehte sich aber, auf der Suche nach ihrer Waffe, dennoch langsam in Richtung Nachttisch.

"Vergiss es einfach."

Scully schoss in ihrem Bett hoch, um zu sehen, wer da war, aber bevor sie es konnte, hob der Eindringling seine Hand und schlug ihr mit dem Lauf einer Waffe ins Gesicht. Der Schlag war kräftig genug, um sie außer Gefecht zu setzen. Scullys Welt wurde schwarz.

 

xxxxxx

 

xx zwei Monate früher xx

Jane Harris sah sich nervös in Mulders Apartment um, sie wusste, dass er nicht so bald zurückkehren würde, dass er einen Fall untersuchte, aber sie war nichtsdestotrotz nervös. Sie konnte nichts dagegen tun, dass sie bei jedem Geräusch zusammenzuckte. Jane tat etwas, von dem sie wusste, dass es ihn sehr wütend machen würde. Sie missbrauchte sein Vertrauen und verletzte seine Privatsphäre und sie konnte nicht riskieren dabei erwischt zu werden.

Da sie bereits jeden Winkel und jede Ritze der Wohnung saubergemacht hatte, fand sie, es war an der Zeit für eine Belohnung für einen gut erledigten Job. Sie hatte sich auf seine Couch gesetzt. Die Couch. Sie versank in dem Leder und roch lächelnd daran. Es fühlte sich so an, als ob er überall wäre, als ob er sie umgeben würde.

Ihre Hände zitterten vor Aufregung an dem Buch, das sie hielt. Es war endlich eine Chance, seine intimsten persönlichen Gedanken kennenzulernen, diesen brillanten, wundervollen, begehrenswerten Mann zu verstehen. Wenn sie ihn erst einmal verstand, würde sie wissen, was sie zu tun hatte.

Es war wie das Auspacken eines Weihnachtsgeschenkes. Langsam öffnete sie den ledergebundenen Deckel des Buches. Der erste Eintrag trug das Datum 14. Januar 1996. Zu weit zurück. Begierig durchblätterte sie die Seiten, suchte nach dem Tag, an dem sie ihn das erste Mal getroffen hatte. Sie hatte vor, das ganze Ding von Anfang bis Ende zu lesen, aber sie musste diese Seite zuerst sehen.

Jane spürte, wie ihr Herz schneller schlug, als sie die Seite mit dem Datum 14. September 1998 fand. Er hatte an diesem Tag geschrieben, er war bedeutsam für ihn. An diesen Tag erinnerte sie sich deutlicher, als an irgendeinen anderen. Sie erinnerte sich daran, wie es gewesen war, ihn tatsächlich das erste Mal persönlich zu sehen, nachdem sie so viele Artikel über ihn gelesen, so viele Fotos von ihm gesehen hatte. In Persona war er sogar noch faszinierender. Er hatte so aufmerksam zugehört, als sie ihm ihre Geschichte erzählte. Und er schien so besorgt, so begierig darauf, ihr zu helfen. An jeden Ausdruck auf seinem Gesicht, an jedes Wort, das er gesprochen hatte, konnte sie sich erinnern. Sie fragte sich, ob er so oft an diesen Tag dachte wie sie. Wenigstens wusste sie nun, dass er darüber geschrieben hatte, so wie sie es getan hatte. Sie sah mit schmachtendem Blick auf seine Handschrift.

14. September 1998

Heute begann ein neuer Fall. Oder sollte ich sagen, ein neuer Auftrag. Irgend jemand da oben ist mächtig sauer auf Scully und mich, das ist verdammt sicher. Irgendetwas über einen beschissenen Farmer, der erst sein Schaf und dann seine Frau aus einem unbekannten Grund getötet hat. Morgen früh fliegen wir nach Nebraska. Ich kann mir nicht helfen, aber ich bin mit dem momentanen Verlauf meines Lebens unzufrieden. Es scheint ewig herzusein, dass ich einen guten Fall hatte, in den ich mich verbeißen konnte. Nur ein langweiliges Ende nach dem anderen. Ich nehme an, dass ich dankbar für die relative Ruhe sein sollte, aber im Gegensatz zum Rest der menschlichen Rasse macht mich Ruhe nervös. Sie gibt mir mehr Zeit zum Nachdenken. Mehr Zeit für Tagträume, Phantasien. Das ist nie eine gute Idee. Es wird jeden Tag schlimmer.

In der letzten Zeit bin ich ihr aus dem Weg gegangen. Ich glaube, sie hat es bemerkt, aber sie sagt natürlich nie etwas dazu. Manchmal laufe ich tatsächlich in die entgegengesetzte Richtung, wenn ich sie den Flur entlangkommen sehe oder so. Das ist wirklich jämmerlich. Es ist nicht so, dass ich verlegen bin oder so. Es ist nur, dass in der letzten Zeit, nun, ich weiß nicht. Die Wochen gleich nach unserem Pseudeokuss waren so chaotisch und bizarr. Wir waren so beschäftigt, dass ich kaum Zeit hatte, darüber nachzudenken, was da beinahe zwischen uns passiert war. Und wenn ich darüber nachgedacht habe, war ich immer noch in dieser euphorischen Phase, einfach verblüfft darüber zu sein, dass wir so weit gegangen sind, dass ich wirklich den Mut dazu hatte.

Nun, es ist genug Zeit vergangen , so dass meine Selbstbeglückwünschungen vorüber sind. Die leichte, fröhliche Stimmung zwischen uns ist zu einer vertrauten Routine geworden. Und ich habe aufgehört, darüber nachzudenken (tatsächlich davon besessen zu sein), was womöglich als nächstes zu tun ist.

Ich denke, der nächste Schritt muss wirklich von ihr kommen. Wenigsten habe ich das irgendwie in meinem Kopf erkannt. Aber manchmal spüre ich meinen Körper rebellieren. Manchmal sehe ich sie an und erwische mich dabei, erschreckend nahe daran zu sein, etwas kolossal verrücktes zu tun. So etwas, wie ‚Was ist mit diesem Moment, in dem wir uns beinahe geküsst haben? Wollen wir es noch einmal versuchen??’ herauszuposaunen. Oder sie einfach auf meinen Schoß ziehen und mein Gesicht in ihrer Halsbeuge vergraben. Manchmal denke ich so sehr darüber nach, dass ich das Gefühl habe, als würde ich tatsächlich etwas in der Art tun.

Es ist wie ein Schwindelanfall. Wie auf der Spitze eines Gebäudes zu stehen und herunterzusehen und zu dabei wissen, dass man springen könnte, dass die Tat an sich unglaublich leicht wäre und man starrt und starrt über den Rand, bis man überzeugt ist, dass man springt, es sei denn man geht verdammt noch mal weg von dort. Liebe ist wie ein Schwindelanfall. Ich frage mich, ob man es deshalb der Liebe verfallen nennt. Zu verdammt verständnisvoll, hm? Ich denke, es ist Zeit, meinen Geist aus dem Lala-Land zurückzuholen und auf dringende Angelegenheiten zu lenken. Wie diesen verrückten Fall.

Oh, ich habe endlich eine neue Putzfrau eingestellt. Sie wird glücklich sein, es zu hören, da bin ich mir sicher. In der letzten Zeit hat sie mich mit der Unordnung aufgezogen, die in meiner Wohnung herrschte.

 

Das war das Ende des Eintrags. Jane schüttelte den Kopf und versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die sie kommen spürte. Heute eine neue Putzfrau eingestellt? Das war alles, was ihre Anwesenheit bestätigte? Und wer war diese ‚sie’, von der er sprach? Seine verrückte Partnerin? Scully? Jane hatte diese Frau durch ihre Videoüberwachungseinrichtung bei einer Reihe von Gelegenheiten gesehen. Sie schienen sich ziemlich nahe zu stehen. Sie musste wissen, ob Scully diese ‚sie’ war, von der er träumte. Ob sie das Haupthindernis war. Jane blätterte zur nächsten Seite, die auch den letzten Eintrag enthielt.

 

3. Oktober 1998

Gott verdammt. Was zur Hölle stimmt nicht mit mir? Ich dachte, es wäre vorher schon schlimm, aber heute war es am schlimmsten. Ich verstand dieses Mädchen in dem College, das mir erzählte, dass es ein Junge sein wollte, weil Jungen pinkeln und sich einen runterholen könnten, wo immer sie wollten. Ich erklärte ihr, dass es ein gemischter Segen war. Nun, heute habe ich es sicher bewiesen.

Ich weiß nicht, woran zur Hölle ich gedacht habe. Na ja, das ist nicht ganz wahr. Ich wusste schon, woran ich gedacht habe. Ich habe an die Art gedacht, wie sie heute duftete, die Art wie sie sich bewegte. Ich habe an ihren Mund gedacht, ihre Beine und einfach alles an ihr. Alles, was ich gesehen habe. Ja, es gab keine Notwendigkeit mehr, die alten Bilder zu benutzen. Okay, als ich sie damals sah, hatte ich nicht wirklich eine Chance, zu genau hinzusehen. Ich habe nicht einmal über die Tatsache nachgedacht, dass sie nackt war, wie an dem Tag, an dem sie geboren wurde, weil alles, woran ich denken konnte, war, sie verdammt noch mal von diesem grauenvollen Ort fort und in Sicherheit zu bringen. Aber ich *habe* sie gesehen und dieses Bild ist da, für immer in mein Gedächtnis gebrannt. Und manchmal hat es diese Eigenart, sich in meine Gedanken zu schleichen. Viele Male. Die ganze verdammte Zeit. Es ist einfach da. Jeden Tag, wenn ich sie ansehe, weiß ich, was darunter ist. Manchmal, wenn ich mich genug konzentriere, ist es, als würde ich eine Röntgenbrille tragen. Ich kann richtig durch ihre Sachen hindurchsehen. Und wenn sie nicht da ist, ist es sogar noch schlimmer.

Auf jeden Fall waren die letzten paar Wochen auf diese Art wirklich schlimm. Ein bisschen Wissen ist eine zerstörerische Sache. Das ist bei einer Frau genauso wahr wie bei jeder anderen Sache. Ich weiß ein bisschen von ihr, von ihrem Körper und ihren Gefühlen und dem, was zwischen uns sein könnte. Und dieses Wissen ist für mich schlimmer als das bisschen Wissen, das ich darüber habe, was mit Sam passiert ist. Es ist mehr als eine fixe Idee, es ist eine verdammte Wahl der Lebensart.

Ich vermute, ich sollte auf den Punkt kommen. Der Punkt ist der, seit wir von unserem kleinen Abenteuer in der Antarktis zurückgekommen sind, habe ich bestimmte unleugbare Bedürfnisse. Triebe, die schwächer werden sollten, anstatt sich in scheußlichen Aktionen zu zeigen. Okay, der Punkt ist, dass ich mir in der verdammten Toilette vier- oder fünfmal an einem Arbeitstag einen runterhole, um mich davon abzuhalten, sie gegen den Aktenschrank zu stoßen und sie bis zum Umfallen zu bumsen.

Ich weiß, ich weiß. Das ist jämmerlich. Beinahe traurig, wenn es nicht so lustig wäre. Aber wenigstens funktioniert es. Keine Anzeigen wegen sexueller Belästigung bis jetzt und das ist mehr Erfolg, als ich wirklich erhoffen konnte. Es ist so sehr ein Teil meiner Routine geworden, dass ich bis jetzt nicht einmal wirklich darüber nachgedacht habe. Es dauert nur ein oder zwei Minuten, manchmal ist es eine Sache von Sekunden, wenn ich an die richtige Sache denke. Und soweit ich weiß, hat sie es wirklich nicht bemerkt.

Aber heute passierte etwas mit mir. Etwas war anders. Ich weiß nicht, was zur Hölle sie getan hat, aber aus irgendeinem Grunde konnte ich, als sie ging um diese dumme Autopsie vorzunehmen, nicht warten. Schaffte es nicht einmal bis zur Toilette. Musste ihn gleich dort unter dem Schreibtisch herausholen. Unglaublich idiotisch, ich weiß. Aber ich rechnete damit, dass sie für wenigstens eine Stunde weg war. Niemand anders würde sich blicken lassen, also warum nicht, verdammt noch mal. Richtig?

Nun, das war meine Logik, oder der Mangel daran, irgendwie. Ich habe nicht mitbekommen, dass sie ihr blödes gottverdammtes Diktiergerät vergessen hatte. Na, wenigstens war das blöde Ding nicht an.

Also auf jeden Fall kommt sie zurück, ohne anzuklopfen und ich sitze da, mit meinem Schwanz in der Hand, eine Millisekunde davon entfernt, zu kommen, mein Kopf zurückgeworfen inmitten eines lächerlichen Ächzens und sie steht einfach da. Steht einfach da und sieht mich mit diesem besorgten Ausdruck auf ihrem Gesicht an. Bist du in Ordnung, Mulder, fragt sie mich. Bist du in Ordnung? Nun, die Antwort darauf war offensichtlich nein. Ich war nicht in Ordnung. Aber ich nickte einfach in der Hoffnung, sie würde tun, was zur Hölle sie tun musste und dann gehen.

Aber das tat sie nicht. Sie nahm ihr Diktiergerät und dann kam sie zum Schreibtisch hinüber. Sie stand mir genau gegenüber am Schreibtisch, so dass ich schließlich meinen Schwanz losließ und meine Hände auf den Schreibtisch legte. Bist du sicher, dass du in Ordnung bist, fragte sie wieder. Du siehst ein wenig erhitzt aus und du schwitzt. Du solltest nicht schwitzen, wenn es hier drin so kalt ist, Mulder. Vielleicht hast du Fieber. Dann streckte sie ihre Hand über den Schreibtisch aus und berührte meine Stirn, um zu fühlen, ob ich Fieber habe.

Also, das war alles, was es dazu brauchte. Ich kam. Ich kam genau dort vor ihr durch einen verdammten Temperaturtest. Kannst du das Wort jämmerlich buchstabieren?

Ein wenig zu meiner Ehre schaffte ich es, es mit einem künstlichen Niesen gekonnt zu überspielen. Was natürlich ihre Sorge schürte, ich wäre richtig krank. Langer Rede kurzer Sinn, ich verbrachte einen langen, peinlichen Nachmittag bei einem FBI-Arzt, um sie zu besänftigen.

Also, jedenfalls funktioniert das ganze einfach nicht mehr. Irgendetwas muss passieren und zwar bald und ich bin im Moment tatsächlich erschrocken über mich selbst. Ich hoffe nur, ihr Gott beschützt sie.

 

Immer noch keine Erwähnung des Namens dieses verdammten Flittchens. Jane blätterte etliche Seiten zurück.

 

16. Dezember 1996

Was zur Hölle ist los? Was zur Hölle ist los, Scully? Ihr Leben. Das ist ihr Leben. Nicht alles dreht sich um mich. Wie kann sie es nicht erkennen? Könnte sie so blind sein? Ist es möglich, dass sie nicht weiß, dass jede verdammte Sache, die sie tut, eine Wirkung auf mich hat? Dass nicht nur ihr Leben für mich so wichtig ist wie für sie, sondern dass sie mein Leben ist. Dass ich ohne sie kein Leben habe. Es ist nicht nur, dass sie mit irgendeinem gottverdammten Fremden geschlafen hat. Okay, vielleicht ist es das. Ich weiß nicht. Es ist nur, sich selbst so in Gefahr zu bringen, so ein unnötiges Risiko einzugehen. Und wofür? Was zur Hölle konnte sie womöglich davon gehabt haben? Sie wollte verrückt und impulsiv sein. Warum zur Hölle konnte sie das nicht mit mir tun? Was zur Hölle ist verkehrt an mir, Scully? Sie wollte flachgelegt werden? Nun, ich bin hier. Ich bin besser fürs Bett als irgend so ein dämlicher Sack, der keine Ahnung davon hat, was sie braucht. Verdammtes Tattoo. Ich hätte ihr vor vier Jahren schon zu so einem dummen Tattoo verholfen, wenn ich gewusst hätte, dass es sie so anmachen würde. Verdammt. Ich glaub, ich muss kotzen.

 

Scully, es war Scully. Wie konnte das möglich sein? Jane schüttelte ungläubig den Kopf, unterdrückte ein weiteres Schluchzen und blätterte zu einer anderen Seite.

 

20. Dezember 1997

Scully verbringt dieses Jahr Weihnachten bei ihrem Bruder. In Kalifornien. Ich wünschte, ich könnte mit ihr gehen. Ich wünschte, ihre ganze Familie würde mich nicht hassen. Aber dafür habe ich Thanksgiving mit ihr verbracht und es war das beste Thanksgiving, das ich je hatte. Sie hat uns Lasagne gemacht, weil sie weiß, wie sehr ich Truthahn hasse und dann haben wir uns ‚Das Leben ist schön’ im Fernsehen angeguckt. Ich schwöre bei Gott, dass ich eine Träne über ihre Wange laufen sah während dieses verdammten Films! Auf jeden Fall denke ich, dass es einer der besten Tage meines Lebens war.

 

Eine andere zufällige Seite.

 

23. März 1998

Scully macht dieses Wochenende Urlaub. Urlaub von mir, denke ich. Sie will nicht, dass ich sie anrufe, aber ich werde es trotzdem tun. Das Leben ist einfach so langweilig und lahm, wenn sie nicht in meiner Nähe ist. Irgendwie bin ich besorgt wegen ihres Urlaubes.

 

Eine andere.

 

17. August 1998

Sie hatte heute dieses verdammte Kostüm an. Das schwarze mit dem Rock, der nur ein bisschen kürzer als üblich ist, der Halsausschnitt ein bisschen tiefer. Ich glaube, sie versucht mich zu verwirren.

 

Eine weitere.

 

26. Juli 1996

Scully hat heute Abend meine Hand genommen. Über den Schreibtisch hinweg. Ich vermute, sie wusste, dass ich verletzt war. Ihre Finger waren so weich. Ich hoffe, sie hat nicht bemerkt, dass ich eine Erektion bekommen habe.

 

Und noch eine.

 

19. Februar 1997

Warum will sie nicht mit mir reden? Warum zum Teufel will sie nicht mit mir reden? Ich halte das nicht mehr aus. Ich kann nicht zusehen, wie das mit ihr geschieht. Ich wünschte, ich hätte den Mumm, mir in den Kopf zu schießen, so dass ich es nicht sehen muss. Ich wünschte, ich würde mir keine Sorgen darum machen, was ich ihr damit antun würde, weil dieser Gedanke das einzige ist, was mich davon abhält, es zu tun. Das und die verzweifelte Hoffnung, dass wir in der Lage sein werden, es aufzuhalten. Gott, Scully. Bitte stirb nicht.

 

Jane schlug das Buch wütend zu. Sie konnte es nicht über sich bringen, ein weiteres Wort zu lesen, sie musste es nicht. Nun wusste sie, was sie tun musste.

 

xxxxxx

 

Dana Scully erwachte und bekam langsam mit, dass sie heftige Kopfschmerzen hatte, die nicht versprachen, sehr bald wegzugehen. Als sie sich erhob, um sich eine Schmerztablette zu holen, erkannte sie, dass sie nicht zu Hause war. Der Schmerz steigerte sich zu einem scharfen stechenden Gefühl und sie griff sich an den Kopf, um das Pochen zu vermindern. Im Geiste ging sie ein Checkliste durch, um zu entscheiden, ob sie eine Gehirnerschütterung hatte oder nicht, und um in ihrem Gedächtnis zu graben, wie sie hier hergekommen war. Sie und Mulder hatten sich gestritten, sie hatte sich in den Schlaf geweint, jemand war in ihrem Apartment...

Damit zufrieden, dass sie nicht an einer Gehirnerschütterung litt, stand sie vom Bett auf und durchquerte, auf der Suche nach einem Weg von dort, wo auch immer sie gelandet war, leise den Raum. Es war relativ dunkel und so öffnete sie die Vorhänge am Fenster ein wenig, um etwas Licht in den Raum zu lassen. Ihre Augen hatten sich nun besser daran gewöhnt und so konnte sie das Bett erkennen, in dem sie gelegen hatte – ein altes schmiedeeisernes Bett mit vier hohen Pfosten und einem leeren Baldachin. An der Wand gegenüber dem Bett gab es einen eichenen Kleiderschrank und einen Spiegel hinter der Tür. Neben dem Bett standen ein kleiner Tisch und ein Sessel. An der anderen Seite des Tisches befand sich die Tür zu einem Badezimmer.

Gegenüber sah sie ein weiteres Fenster, das auf so etwas wie einen Hausgarten hinausführte. Sie ging, um es besser zu sehen, hinüber. Dort schien es Hunderte verschiedener Blumen, Büsche und Bäume zu geben, sowohl exotische als auch einheimische. Mittendrin und zwischen zwei Bäumen eingebettet stand ein großer Springbrunnen, dessen Mittelpunkt eine Löwenplastik war. Das Wasser schoss darüber und um sie herum und kam ebenso aus dem Maul des Löwen. Es war großartig. Das Ganze. Scully glaubte nicht, dass sie so etwas schon einmal gesehen hatte.

Bevor sie den Raum noch weiter bewundern konnte, überkamen sie der gesunde Menschenverstand und Angst und sie ging, auf der Suche nach einem Ausgang, zur Tür. Als sie die Türklinke ausprobierte, entdeckte sie, dass sie nachgab. Vorsichtig drückte sie sie herunter, bis sie ein Klicken vernahm, dann hielt sie inne und wartete, dass ein paar Augenblicke vergingen. Nach einer Weile zog sie die Tür nach innen und spähte durch eine schmale Öffnung. Als sie nichts weiter sah als ein anscheinend leeres Wohnzimmer, spürte sie, wie sie eine kleine Welle der Erleichterung durchlief.

Instinktiv griff sie nach ihrer Waffe. Als sie sie nicht fand, erinnerte sie sich daran, dass ihr Entführer sie damit geschlagen hatte. Vielleicht würde sie sie im Apartment finden. Sie betrachtete das Bild, das über dem Bett hing und nahm es für ihren vorläufigen Schutz hinunter. Dann öffnete sie die Tür vollständig und wartete wieder. Nichts. Alles war sehr still. Vorsichtig setzte sie ihren Weg durch den Rest des Apartments fort. Am anderen Ende des Flures, dem Raum gegenüber, in dem sie gewesen war, gab es ein zweites Schlafzimmer und zwischen den beiden Räumen ein weiteres großes Badezimmer. Zu ihrer Rechten befand sich das Wohnzimmer, in dem es auch eine Fensterwand zum Garten gab.

Nun befriedigt darüber, dass sie ganz allein war, lief sie schnell durch das Wohnzimmer ins Foyer und versuchte, die Wohnungstür zu öffnen. Sie war abgeschlossen. Als sie in der angrenzenden Küche kein Telefon sah, ging sie in das andere Schlafzimmer.

Ein schnurloses Telefon lag auf dem Schreibtisch vor dem Fenster und sie ging hinüber in der Hoffnung, auch ihre Waffe zu finden. Auf dem Schreibtisch erblickte Scully einen brandneuen PC, genau so einen, wie ihn Mulder ihr in dem Magazin gezeigt und ihr erzählt hatte, dass er sich nächstes Wochenende einen holen wollte. Trotz ihrer momentanen Situation lächelte sie bei der Erinnerung an den jungenhaften Ausdruck auf seinem Gesicht, während er ihr all die spezifischen Details dieses beispiellosen Stücks Technologie aufzählte. Es war etwas, das er eigentlich nicht brauchte, er wollte nur ein neues Spielzeug.

Ein Ausdruck, genauso wie der, den sie auf dem Foto von ihm sah, das auf dem Schreibtisch neben dem PC stand. Tatsächlich war es genau an dem Tag aufgenommen worden, an den sie sich gerade erinnerte. Sie wühlte durch den kolossalen Berg von Fotos, der den Schreibtisch bedeckte. Da waren Stück-für-Stück-Aufnahmen von jedem Tag, an dem Mulder und sie in der letzten Woche außerhalb des Büros zum Lunch waren. Sogar von den letzten zwei Wochen. Auf den Fotos, auf denen sie sich selbst erkennen konnte, war ihr Gesicht entweder zerkratzt oder ganz herausgeschnitten. Irgend jemand war ihnen gefolgt. Und wie es aussah, wenigstens zwei Monate, wenn nicht länger. Wozu?

Scully musterte den Rest des Schreibtischs und bemerkte ein Foto von Mulder, das aus dem Flachbettscanner neben dem Computer hervorlugte. Soweit sie sehen konnte, sah Mulders Gesichtsausdruck aus, als hätte er ernsthafte Schmerzen. Sie hob den Deckel auf und griff nach dem Foto. Seine Augen waren zusammengekniffen und er biss sich auf die Unterlippe. Sie drehte den Rest der Fotos um, die Stück für Stück auf dem Scanner lagen und als sie sich eines nach dem anderen ansah, hatte sie so eine Ahnung. Es konnte nichts anderes sein. Er war sozusagen auf frischer Tat ertappt worden, die Kamera hatte beinahe jeden Moment eines seiner privatesten Augenblicke festgehalten. Sie war sich sicher, dass er definitiv allein und in seinem Apartment war, das erkannte sie, nachdem sie ein paar Schnappschüsse gesehen hatte. Außerdem waren seine Arme eng an seinen Körper gepresst, genau in so einem Winkel... Dann sah sie den Schnappschuss, der die Antwort auf jeden möglichen Zweifel an der Natur der fraglichen Situation gab. Darauf lag er ausgestreckt auf der Couch, seine heftige Erektion in der Hand, sein Kopf auf die Seite geworfen.

Sie sagte sich selbst, dass sie nicht hinsehen wollte, aber sie konnte ihren Blick nicht abwenden. Das Foto war so nahe und klar, es schien beinahe so, dass es jemand aufgenommen hatte, der mit im Raum war. Sie konnte das Weiße seiner Zähne sehen, die Mulde an seinem Hals, McDonalds-Packungen inmitten eines Berges von Informationsaufzeichnungen und Akten, die mit Sicherheit zum FBI gehörten. Romantischer Abend, Agent Mulder?

Für sie war nun klar, wer immer ihnen auch gefolgt war, er hatte kein Interesse an Mulders FBI-Tätigkeit, an den X-Akten oder ähnlichem. Wer immer sie hierher gebracht hatte, war an Mulder interessiert. Nur an Mulder, an keinerlei Informationen, die er hatte oder nicht hatte. Beim weiteren Durchsehen bemerkte sie andere Dinge, die Mulder gehörten. Eine Krawatte, eine Flasche seines Rasierwassers, etwas von ihm Handgeschriebenes, der Schlüssel zu ihrem Apartment.

Scully blickte rasch auf und bemerkte das Stativ vor dem Fenster, auf dem eine 35-mm-Digitalkamera mit einer mächtigen Zoomlinse befestigt war und die zum Fenster hinaus zeigte. Sie spähte durch den Sucher und sah ein vertrautes Apartment, Mulders, so deutlich wie der Tag. Er schlief auf der Couch.

Ihr Herz begann, als sie ihn sah, schneller zu schlagen. Sie griff nach dem Telefon. Mulders Nummer war als erste eingespeichert. Sie drückte sie und fuhr förmlich aus der Haut vor Schreck, als sie eine Stimme hörte.

"Was zur Hölle..."

Scully senkte das Telefon und sah sich rasch nach etwas um, das sie benutzen konnte, um sich zu schützen. Aber bevor sie nachdenken konnte, fiel eine Frau über sie her, die ihre Arme ergriff, sie nach hinten zog und an den Ellbogen zusammenpresste. Scully hörte ein Geräusch und dann schoss ein heftiger Schmerz durch ihren rechten Arm. Es kam alles so plötzlich und heftig, dass ihre Knie nachgaben. Gerade als sie versuchen wollte, zu schreien, stieß die Frau sie auf die Erde.

"Halt die Klappe! Halt einfach die Klappe und sag kein Wort!"

Während die Frau schrie, zerrte sie heftig an Scullys Armen und Scully hatte Angst, dass sie ihr beide Arme auskugeln würde. Ihre Augen füllten sich vor Schmerz mit Tränen. "Hören Sie auf," wimmerte sie. "Bitte, hören Sie auf."

"Ich höre auf, wenn du versprichst, nicht zu schreien! Gott!" Sie sagte das mit großer Frustration in ihrer Stimme. "Du wirst noch alles verderben!" Sie zog sie kraftvoll nach oben und schubste sie zurück in das Schlafzimmer, aus dem sie gekommen war.

Scully erkannte, dass in beiden Armen etwas ernsthaft verrenkt, wenn nicht sogar gebrochen war. Sie schrie auf, als die Frau ihre Arme wieder nach vorn zerrte und an den Handgelenken fesselte. In dieser Position konnte sie schließlich einen Blick auf die Frau werfen, die sie gefangen hielt. Es war Jane Harris, eine Frau, die sie erst kürzlich getroffen hatte. Jane schubste Scully auf das Bett und sie versuchte, Jane mit den Beinen in den Bauch zu treten. Jane packte ihre Beine mit einem Arm und presste sie, an den Knien haltend, hart nach unten. Scully schrie wieder auf.

"Was wollen Sie von mir?" fragte sie mit schmerzverzerrter Stimme, während Jane irgendeine Art Fessel an einem der Bettpfosten befestigte.

Jane lächelte boshaft und sagte mit dunkler Stimme, "Die ungeteilte Aufmerksamkeit deines Partners, das ist es. Und solange du um ihn herumhängst und ihn ablenkst, bekomme ich die nicht."

"Wollen Sie mich umbringen, Jane?" fragte Scully zwischen heftigen Atemzügen.

Jane lachte. "Willst du mich auf den Arm nehmen? Du musst mich für ganz schön blöd halten." Sie schüttelte den Kopf, öffnete ihre Augen und zeigte Scully den Wahnsinn darin. "Ich brauche nur ein wenig Zeit. Ein wenig Zeit für mich und Mulder, ohne dass du im Weg bist. Das ist alles. Aber wenn du irgendetwas versuchst, werde ich dir beide Arme und beide Beine brechen. Ich kann das." Scullys Herz schlug nun schneller. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass es wahr war.

"Was werden Sie mit Mulder machen?"

Sie kicherte wieder. "Du bist nicht sehr clever, nicht wahr?" Wieder schüttelte sie den Kopf. "Also wirklich Agent Scully, soll ich es für dich buchstabieren?"

"Wovon zur Hölle sprechen Sie?"

"Ich spreche von meiner Beziehung mit Mulder. Sie braucht ein wenig Zeit, um etwas mehr zu wachsen und zu gedeihen. Er braucht das auch, weißt du. Mit dir ständig im Weg hat er kaum einen Augenblick Ruhe, um ihn mit mir zu verbringen," sagte Jane in sachlichem Ton.

"Sie sind verrückt. Mulder und Sie sind nicht..."

"Ach ja?" unterbrach sie Jane. "Woher willst du das wissen? Wie sicher bist du dir, dass er dir alles erzählt, Agent Scully?" Als sie den Raum verließ, fügte sie hinzu, "Ich meine, ist es wirklich wahrscheinlich, dass du die *einzige* Frau in seinem Leben bist? Ist es so unwahrscheinlich zu glauben, dass er eine Geliebte hat?"

Ein paar Augenblicke später hörte Scully, wie die Eingangstür zuschlug. Sie wartete und versuchte, zu schreien, aber nachdem sie es einmal getan hatte, fand sie schwerlich die Kraft dazu, es noch einmal zu tun. Ihr war nun schwindlig und die Schmerzen in ihrem Arm verursachten ihr ein wenig Übelkeit. Sie atmete tief ein und versuchte, sich zu konzentrieren. Denn sie wusste, dass sie sowohl ihre Kraft als auch ihren Verstand brauchen würde, wenn sie da herauskommen wollte.

Aber sie konnte sich nicht daran erinnern, sich jemals in ihrem Leben hilfloser gefühlt zu haben. Mulder hätte sie durchaus sehen können, als sie vorhin an diesem Fenster stand. Hätte sie sehen und ihr zu Hilfe eilen können. Wenn sie gerufen hätte, wäre er vielleicht sogar in der Lage gewesen, sie zu hören. Aber er schlief fest auf seiner Couch, scheinbar unberührt durch die heftigen Worte, die sie sich nur Stunden zuvor gesagt hatten. Er hatte wirklich keinen guten Grund, sie zu retten, nach dem, was sie zu ihm gesagt hatte.

Warum zur Hölle hatte diese Frau seine Nummer auf der Schnellwahltaste ihres Telefons? Sie erinnerte sich Janes Worte, fragte sich, ob Mulder und diese augenscheinlich Verrückte tatsächlich miteinander schliefen. War das möglich? Nein, das konnte nicht sein. Mulder würde das niemals tun, nicht nach allem, was in der letzten Zeit zwischen ihnen gesagt wurde, nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten. Er würde sich niemals jemand anderem zuwenden, oder?

Aber genau das war es ja, Jane – nicht irgendeine – konnte tatsächlich ‚die andere Frau’ sein. Sie und Mulder waren beide keine Geliebten. Er betrog sie nicht wirklich, wenn er es tat. Seit diesem Augenblick in seinem Flur, als sie kurz davor war, ihm zu sagen, dass sie ihn liebte, tanzten sie um die ganze Sache, wie nahe sie sich waren und wie weit sie es gehen lassen würden, herum. Und die Spannung, die schon immer da war, war nun größer als je zuvor. Sie hatten sich beide entschieden, sie zur Seite zu schieben, benahmen sich so, als wäre es nie passiert, und er würde es nicht sagen, wenn sie es nicht sagte, das war nun klar. Und wenn es ihr so schwer fiel, diesen letzten Schritt zu machen, warum sollte er sich dann nicht anderswo das suchen, was er brauchte? Oh Gott, und nach dem, was letzte Nacht passiert war...

Aber sicherlich war diese Frau eine Wahnsinnige. Sie schlich ihm nach. Um Gottes Willen, sie hatte eine Kamera aufgestellt, die direkt in sein Apartment zielte. Machte Fotos von ihm, tat... alles! Natürlich konnte sie von ihm besessen sein und Mulder hatte keine Ahnung. Egal, ob sie Geliebte waren oder nicht.

Er hatte all diese Dinge nicht wirklich gesagt, nur damit sie blieb, oder?

Scullys Herz sank bei diesem Gedanken und sie begann sich zu fragen, ob die Möglichkeit, dass Mulder und Jane Geliebte waren, größer war als sie zuerst angenommen hatte. Nur weil diese Frau ihm nachschlich, bedeutete das nicht, dass sie es nicht waren – sie wollte nicht weiter darüber nachdenken. Die Tatsache blieb dennoch, dass die Dinge zwischen ihnen in der letzten Zeit nicht gerade entspannt gewesen waren. Sie dachte über die letzten paar Wochen nach. Und Mulder hatte eine Menge Zeit mit dieser Frau verbracht. Eine Menge Zeit. Zeit, die er üblicherweise mit ihr verbrachte, im Büro, in ihrem Apartment, am Telefon. Und wenn es Mulder nur um Sex ging, hätte es nicht so viel Zeit gebraucht, um zu wachsen und sich zu entwickeln. Nicht für Gefühle, wie sie sie für ihn empfand.

Oh, Mulder, es tut mir so leid. So leid, dass ich dich warten ließ.

Der Raum begann sich um sie zu drehen und sie schloss die Augen. Sie fürchtete, dass sie einen Schock hatte und dass ihr Arm überall gebrochen war. Es begannen sich bereits große Blutergüsse zu bilden. Sie erkannte, dass sie irgendwie versuchen musste, das Vertrauen dieser Frau zu gewinnen, damit sie sich um sie sorgte und nicht weiter verletzte. Andernfalls fürchtete Scully, dass sie nicht lange genug durchhalten würde, um herauszufinden, ob ihre Überlegungen auch nur annähernd richtig waren. Oder dass sie jemals wieder die Chance erhalten würde, um ihm schließlich zu sagen, was genau er ihr bedeutete.

Ende Kapitel 1/11

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Kapitel 2/11

 

xx Zwei Wochen früher xx

"Also Mulder, woran arbeitest du heute?" rief Scully vom hinteren Teil des Büros aus, wo sie sich einige Röntgenbilder ansah.

Sie hatte bemerkt, daß Mulder einen guten Teil des Morgens innerhalb und außerhalb des Büros verbracht und wenn sie eine Frage an ihn richtete, niemals mehr als eine Sekunde daran verschwendet hatte ein Ja oder Nein als Antwort zu brummte.

Sie drehte das Licht am Betrachter ab, sammelte die Bilder ein und nahm sie in den anderen Raum mit, um sie in einen Umschlag zu stecken. Scheinbar hatte er ihr nicht zugehört, weil er ihre Frage nicht beantwortete.

"Mulder, ich habe dich etwas gefragt. Hast du mich nicht gehört?"

Mulder sah plötzlich auf und gewährte ihr zumindest einen verblüfften Blick. Er hatte keine Ahnung, daß sie überhaupt mit ihm gesprochen hatte.

"Hä?" brummte er.

"Ich habe dich gefragt, woran du heute arbeitest."

Bevor er eine passende Antwort formulieren konnte, klopfte es an der Tür. Mulder schien sich zu erschrecken. "Könntest du auf deinen Weg nach draußen nachsehen, wer das ist, Scully?"

Scully hatte noch nicht einmal bemerkt, daß sie auf dem Weg nach draußen war, doch es war offensichtlich, dass Mulder, wer auch immer diese Verabredung war, sie allein wahrnehmen wollte. Sie öffnete die Tür für eine große, schlanke Frau, möglicherweise in den Mittdreißigern. "Kann ich ihnen helfen?"

"Oh ja, ich suche nach Fox Mulder..." Sie spähte über Scullys Schulter. "Oh, hallo Mulder. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen." Sie blickte zurück zu Scully.

Mulder stand von seinem Stuhl auf. "Ja, ja, es ist gerade richtig. Meine Partnerin wollte gerade gehen. Bitte, komm doch rein."

"Mulder?" fragte ihn Scully, als er herüberkam, um diese Frau hereinzuführen und Scully hinauszuscheuchen. "Brauchst du bei irgend etwas meine Hilfe?"

"Nein nein, es ist okay, ich mach das schon," flüsterte er.

"Was auch immer," gab sie leise murmelnd nach und verließ den Raum. Sie würde ihn später danach fragen.

Sie begann, die Treppen hochzulaufen, erinnerte sich plötzlich an etwas, ging zurück zum Büro und steckte ihren Kopf durch die Tür. "Entschuldigung, tut mir leid," sagte sie, als sie die zwei zusammen lachen sah, die Hand der Frau lag auf Mulders Unterarm. Sie drehten sich und sahen sie an. "Mulder, ich brauche dich bei den Nachforschungen für die Anhörung in dieser Fälschungssache. Könntest du nachsehen und herausfinden, wann Agent Domrose uns 1996 forensisches Beweismaterial und die Resultate derselben herausgegeben hat?"

"Ja, sicher, klar. Ich treffe dich dann zum Mittagessen," sagte er und dann bot er der anderen Frau einen Platz an. Scully schloß die Tür wieder und fragte sich, als sie die Treppen hinaufstieg, ob Mulder ihre Frage auch wirklich gehört hatte.

 

xxxxxx

 

Montag, 14 Uhr.

J. Edgar Hoover Gebäude

Mulder sah mit Besorgnis auf seine Uhr, was ungefähr das zwanzigste Mal in genau so vielen Minuten gewesen sein mußte. Er hatte gewartet. Er hatte getan, was richtig war, hatte ihr die Zeit und den Raum gegeben, den sie brauchte. Das ganze Wochenende hatte er nicht versucht, sie anzurufen, hatte nicht bei ihr vorbeigeschaut, nichts. Es hatte ihn verrückt gemacht. Absolut und vollkommen verrückt. Ungefähr hundert Mal hatte er den Hörer abgenommen und fast schon ihre Nummer gewählt, doch sein gesunder Menschenverstand und seine Angst hatten die Überhand gewonnen und ihn jedes Mal davon abgehalten. Er schuldete ihr eine Entschuldigung. Er schuldete ihr eine riesige, zeppelingroße Entschuldigung. Er schuldete es ihr, den Rest seines Lebens auf seinen Knien um Vergebung bettelnd zu verbringen. Doch er wußte, wenn er zu früh zu ihr gehen würde, lief er Gefahr alles noch schlimmer zu machen. Sie brauchte etwas Zeit, um sich abzukühlen. Genauso wie er. Also hatte er gewartet.

Und er wartete noch immer. Es war zwei Uhr nachmittags. Es war bereits zwei Uhr und sie war noch immer nicht im Büro aufgetaucht. Hatte sie Angst? War sie noch sauer? Es war nicht ihre Art, einfach so die Arbeit zu schwänzen. Sie hätte zumindest angerufen.

Doch dann wiederum, warum hätte sie es wirklich tun sollen? Was schuldete sie ihm denn noch, so wie er sich am Freitag ihr gegenüber verhalten hatte? Bei dem Gedanken daran erschauerte er. Er war so furchtbar gewesen. Schlimmer, als er sich jemals irgend jemandem gegenüber benommen hatte. Praktisch wie ein verfluchter Vergewaltiger.

Vier nach zwei. Er schloß frustriert die ungelesene Aktenmappe auf seinem Schreibtisch. Wo in Gottes Namen war sie? Er ging hinüber zu dem Tisch, an dem sie für gewöhnlich arbeitete und wühlte sich gedankenverloren durch die Papiere. Vielleicht gab es etwas wichtiges, woran sie arbeitete, etwas, worum sie sich jetzt gerade kümmerte. Vielleicht war da eine andere Sache, bei der ihr hätte helfen sollen, etwas, das verschusselt hatte. Gott, wie hatte er das nur vergessen können? Wieder trat er sich selbst für seine geistige Verwirrung, die zuerst zu dieser abscheulichen Konfrontation geführt hatte, in den Hintern. Schönes fotografisches Gedächtnis, du Idiot. Sogar jetzt konnte er sich einfach nicht daran erinnern, daß sie ihm davon erzählt hatte.

Unter ihren Sachen war nichts, was ihm den kleinsten Hinweis geliefert hätte. Er öffnete eine ihrer Schubladen, ihm war klar, daß er nun eine Art Grenze überschritt, doch es kümmerte ihn nicht wirklich. Nichts außer einer Packung Reiskekse und ein Paar Schuhe. Du hättest mir ruhig einen besseren Hinweis als diesen zurücklassen können, Scully.

Er nahm sich ihr Telefon und wählte den Anschluß für das Labor im Obergeschoß. Vielleicht dokterte sie dort ein wenig herum. Einer der Typen hob das Telefon ab und er fragte ihn, ob er sie überhaupt schon gesehen hatte. Mulder war sich sicher, daß sie sich daran erinnert hätten, wenn sie ihr wandelnder feuchter Traum mit ihrer Anwesenheit beehrt hätte. Keiner von ihnen hatte sie seit letzter Woche gesehen.

Mulder probierte es noch bei ein paar anderen Abteilungen, mit denen sie manchmal zusammenarbeiteten und es schien so, als ob sie niemand in dem Gebäude seit Freitag gesehen hatte. Gegen Viertel nach drei wurde er verzweifelt und versuchte es bei Skinner. Nichts, außer ein wenig Herumgemotze darüber, in welchem unglücklichen Zustand sein Arsch sein wird, wenn er nicht umgehend den einen oder anderen Bericht nach oben bringen würde.

Er fragte sich langsam, wie lange es noch dauern würde, bis er sie in ihrem Apartment anrief.

 

16 Uhr 10

"Scully, ich bin's. Bist du da, Scully? Es ist fast halb fünf und ich beginne...ich frage mich, wo du bist Scully. Ich wollte...ich fühle mich wegen Freitag wirklich mies und ich habe gehofft, daß wir reden können. Bist...bist du da?" Er wartete einen Moment lang, bevor er fortfuhr, hoffte wie verrückt, daß sie einfach an das verdammte Telefon gehen würde. Es hatte ihn sämtlichen Mut, den er aufbringen konnte, gekostet sie tatsächlich anzurufen und er wollte seine Tapferkeit nicht an eine Maschine verschwenden.

"Scully, ich weiß, du denkst das ich ein Idiot gewesen bin, doch ich beginne mir langsam ein wenig Sorgen zu machen. Ich verlasse jetzt die Arbeit und ich werde zu dir rüberkommen, okay? Ich möchte wirklich, dass wir uns aussprechen. Wenn du mich nicht sehen willst, hinterlasse mir an der Tür einfach nur eine Nachricht, irgend etwas, nur damit ich weiß, daß du in Ordnung bist. Okay? Scully?" Er knallte den Hörer mit einem gereizten Seufzer auf die Gabel.

"Verdammt, Scully, wo bist du?"

Er versuchte, mit einer vernünftigen Geschwindigkeit zu fahren. Er sagte sich, daß es keinen Grund zur Panik gab, nichts, worüber man sich wirklich Sorgen machen müßte. Scully war nur halsstarrig, ignorierte ihn. Vielleicht brauchte sie noch mehr Raum. Vielleicht versuchte sie nur, ihre Gedanken zu ordnen, damit sie vernünftig miteinander sprechen können.

*Vielleicht haben die sie dir wieder weggenommen.* Er versuchte, die vertraute Stimme, das vertraute Zucken der Angst zu ignorieren. Das war es nicht. Das war unmöglich. Nein.

Als er gefährlich durch den dreispurigen Verkehr schleuderte, wählte er wieder ihre Nummer. Seine Reifen schlitterten an der Bordsteinkante entlang und einen Moment lang war er sich sicher, daß er in die Betonstrebe einer Überführung rasen würde.

"Scheiße!" war das erste Wort auf dieser Nachricht. "Mann, war das knapp. Scully, bist du da? Ich bin auf dem Weg zu dir. Ich ähm....ich weiß, daß du nicht wirklich willst, dass ich zu dir komme. Ich weiß, daß dich diese Nachrichten möglicherweise höllisch verärgern." Warum zum Teufel hob sie nicht ab? Seine Verzweiflung brachte ihn dazu, Worte zu sagen, die mit einer solchen Leichtigkeit und Ausgeglichenheit, wie Zähne ziehen, von seinen Lippen kamen.

"Es tut mir leid, Scully. Es tut mir wirklich leid. Ich weiß nicht, was ich mir am Freitag gedacht habe. Ich war nur...ich weiß nicht, es gibt dafür keine wirkliche Entschuldigung. Manchmal bin ich einfach so..." er brach ab, suchte unsicher nach dem richtigem Wort. Geil? Frustriert? Verzweifelt? "Angespannt. Ich hätte überhaupt nicht so zu dir kommen sollen und ich...ich meinte nichts von dem, was ich gesagt habe. Diesen Blödsinn darüber, dass du gehen sollst...das meinte ich nicht. Ich meine...verdammt noch mal, Scully. Bitte. Bitte, tu das nicht. Heb einfach ab, okay? Heb einfach ab und sag mir, daß ich ein Stück Scheiße bin und das du mich niemals wiedersehen möchtest. Laß mich nur wissen, dass..." Seine Bitte wurde abrupt durch ein schrilles Piepen unterbrochen, das das Ende seines Zeitlimits markierte. Er warf sein Handy ärgerlich auf den Beifahrersitz.

"Was zum Teufel soll das? Was zum Teufel soll das, Scully?" Das sah ihr nicht ähnlich. Überhaupt nicht. War es wirklich so schlimm gewesen? Hatte er sie so weit fortgetrieben, daß sie niemals wieder zurückkam?

Nein. Er mußte aufhören. Es war nur ein Tag. Sie war erst ein paar Stunden weg. Möglicherweise war sie krank. Vielleicht hatte sie eine Erkältung, oder so. Vielleicht hatte sie nur geschlafen und einfach vergessen, sich krank zu melden. Vielleicht war es etwas schlimmeres als eine Erkältung. Was wenn es etwas ernsthaftes war...

Sein Fuß zuckte nervös am Gaspedal. Verdammter Verkehr.

Er hob das Telefon wieder auf und drückte auf die Wahlwiederholung.

 

17 Uhr 30

Scullys Apartment

 

Als er ihr Apartment erreichte, hatte er sie noch zweimal angerufen und keine Antwort erhalten. Und da war keine Nachricht an der Tür.

Er klopfte zuerst vorsichtig an die Tür, nun da er tatsächlich hier war, ein wenig nervös. Was wenn sie die Tür öffnete und immer noch böse war? Was wenn sie ihm ins Gesicht spuckte?

"Scully?" Er klopfte ein wenig stärker. Zumindest würde er es dann wissen. Solange sie in Sicherheit war, würden sie es sicher irgendwie ausdiskutieren können.. Er war bereit, alles zu tun.

"Scully, bist du da drin? Bitte sprich mit mir, Scully. Ich kann das nicht ertragen." Er zog sein Handy aus der Jackentasche und wählte wieder.

"Scully, geh ans Telefon. Mach die Tür auf, Scully. Verdammt! Bist du da drin? Scully, ich komme rein. Wenn du das nicht willst, dann geh an das Telefon und sag es mir." Er zog sein Schlüsselbund aus seiner Jeans und pflügte sich auf der Suche nach dem richtigen durch die Kollektion. Suchte den einen mit dem kleinen Schildchen, auf dem "Scully" stand. Er hatte ihn schon lange nicht benutzt. Wo zur Hölle war er? Er schnipste rasend durch das Schlüsselbund. Er mußte hier irgendwo sein.

"Verdammt. Verdammt, verdammt, verdammt." Er grub mit seinen Händen in jeder seiner Taschen. Nichts. Er war weg.

"Scully!" Er brüllte jetzt. Seine Knöchel wurden bereits vom heftigen Klopfen rot. "Scully, ich kann meinen Schlüssel nicht finden." Er wählte wieder ihre Nummer.

"Scully, das ist lächerlich. Heb das verdammte Telefon ab, Scully!" Ein gereiztes Kind. Genauso verhielt sie sich. Verdammt sei sie, daß sie ihn so ängstigte.

"Scully, ich gehe jetzt nach Hause, um nach meinen Schlüssel zu suchen. Ich komme wieder, Scully. Ich muß das nicht tun. Sag es mir einfach. Nimm nur das Telefon ab und sag es mir.... Gott, verdammt noch mal. Ich komme wieder, Scully. Nur damit du es weißt. Nur für den Fall, daß es dich interessiert."

 

18 Uhr

Mulders Apartment

 

Jane war sehr aufgeregt. Schließlich fügte sich alles zusammen. Ihre Pläne hatten zwar ein wenig gebraucht, um sich zu entwickeln, doch als die Teile erst mal angefangen hatten, sich zurechtzurücken, hatten sich die Dinge mehr oder weniger perfekt entfaltet. Es hatte sie erregt, sie in der Nacht streiten zu sehen. Sie vermutete, dass es irgendwie mit den dringenden Nachrichten zusammenhing, die Scully für ihm hinterlassen hatte. Nachrichten, die Jane gelöscht hatte. Sie sah so verdammt sauer auf ihn aus. So sauer, daß sie ihn zurückgestoßen hatte. Dumme Gans. Die Dinge werden sich für Mulder zum Besseren wenden. Die kleine Miss Priss war sicher verschnürt in ihrem Apartment und sie war hier. Dort, wo sie hingehört. In Mulders Wohnzimmer.

Sie hatten vereinbart, sich heute Abend zu treffen, um einige Dinge durchzusprechen. Er dachte daran, bei ihr eine Tiefenregressionshypnose durchzuführen. Jane war sich nicht hundertprozentig sicher, was das heißen sollte, doch es klang nach Spaß. Mulder der ein ‚irgendetwas' an ihr machte, klang nach Spaß.

Sie hatte heute ihr absolutes Lieblings-Outfit auf der Welt an. Eine hübsche schwarze Hose und einen durchgeknöpften grauen Sweater. Sie hatte gesehen, daß diese Schlampe etwas ähnliches anhatte, und die Art wie Mulder sie an diesem Tag angesehen hatte, man hätte denken können, dass sie ein Abendkleid von Versage trug.

Jane sah nervös auf die Uhr. Jede Minute. Jede Minute konnte er nun nach Hause in sein frisch aufgeräumtes Apartment kommen. Heute keine Scully auf der Arbeit. Was für eine Schande. Vielleicht ist er ein wenig betrübt wegen dem Streit und fragt sich, ob sie ihn für immer verlassen hat. Und Jane wird hier sein, um ihn zu trösten. Um ihm zu zeigen, daß er die kleine Hexe sowieso nicht brauchte. Er brauchte jemanden, der ihn, ganz gleich was passiert, niemals verlassen würde. Jemanden, der ihn niemals so wegstoßen würde. Was für eine kleine Schlampe diese Scully doch war.

Jede Minute.....

Das Geräusch einer zuknallenden Tür riß sie aus ihren Träumereien und sie stand von der Couch auf. "Mulder?"

Er war es, ganz richtig. Er ging, vielmehr schritt, in das Wohnzimmer, drängte sich an ihr vorbei und grub in seinen Taschen, ein Handy an sein Ohr gedrückt.

"Mulder, bist du okay? Ich..."

"Mrs. Scully? Hi, ähm...hier spricht Fox Mulder. Hören Sie, ich hasse es, Sie zu belästigen, doch ich habe mich gefragt ob Sie kürzlich mit Dana gesprochen haben?" Er ging zu seinem Schreibtisch und begann, die Schubladen aufzuziehen und den Inhalt zu durchsuchen.

"Ich meine, an diesem Wochenende." Papier und Stifte wurden nun durcheinander gebracht, von ihren richtigen Plätzen herausgeworfen. Jane ging näher zu ihm hin, wollte irgendwie ihre Hand ausstrecken. Das war nicht gut. Er rief bereits ihre verdammt Mutter an? Jesus.

"Nein, hm? Wissen Sie, ähm...wissen Sie, ob sie dieses Wochenende irgendwohin fahren wollte?" Jane begann nun, sehr nervös zu werden. Er war fast rasend, wühlte sich durch seine Sachen. Er ging nun in die Küche und durchwühlte praktisch die Wohnung.

"Nein, ich denke nicht...Ich bin nicht sicher, was ich denken soll. Sie kam heute nicht zu Arbeit und ich habe nur angefangen, mir ein wenig Sorgen zu machen. Ich..." Er schaute von seinem Tun auf und sein Blick fiel auf Jane. Zum ersten Mal schien er ihre Anwesenheit zu bemerken. Er sah aus, als ob ihm irgend etwas wichtiges eingefallen war. "Mrs. Scully, ich muß gehen. Ich rufe Sie wieder an." Er schob das Telefon in seine Tasche und drehte sich nun völlig zu ihr um. Jane war augenblicklich erregt. Er wollte mit ihr reden. Sie war wichtig genug, um die Mutter dieser Hure abzuhängen.

"Jane, du hast heute das Apartment aufgeräumt, richtig?" Sie nickte schweigend. Seine Augen begannen ihr ein wenig Angst zu machen. Er sah aus, wie ein eingesperrtes Tier. "Hast du irgendwo einen Schlüssel gesehen, auf dem Scully stand?"

Mist. Das war sehr schlecht. Er hatte bereits bemerkt, daß er den Schlüssel nicht mehr hatte. Vermutlich war er schon bei ihrer Wohnung. Die Dinge passierten viel schneller, als Jane es vorhergesehen hatte.

"Ähm...ich glaube nicht..." Er packte sie roh an den Schultern und sie fühlte ein Zittern der Erregung. So eine Leidenschaft. Wenn er doch nur...

"Du glaubst nicht oder nein? Ich muß das wissen, Jane. Es ist äußerst wichtig. Denk nach. Hast du oder nicht?"

Sie schüttelte den Kopf und gab ihr bestes, um so auszusehen, als ob sie Angst vor ihm hätte. Es sollte ihm leid tun, daß er sie so roh behandelte, während sie doch nur versuchte, ihm zu helfen. "Nein Mulder, hab ich nicht. Es tut...es tut mir leid... " Sie brach ab und zwang eine falsche Träne, um sie ihre Wange hinunterlaufen zu lassen.

Er ließ abrupt von ihr ab und fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar. "Mist. Es ist okay. Es tut mir leid. Ich brauche...ihn nur."

"Ich verstehe, Mulder. Vielleicht können wir ihn zusammen finden." Sie streckte ihre Hand aus, um seinen Arm zu berühren. Ja, die Idee zusammen, mit einem gemeinsamen Ziel, durch sein Apartment zu kriechen, war ein guter Anfang. Doch seine Augen hatten wieder die Konzentration verloren. Er sah sie nicht mehr an. Wieder holte er sein Handy raus und drehte Jane den Rücken zu.

"Scully, das hier hat vor ein paar Stunden aufgehört, komisch zu sein. Ich weiß, daß du auf mich sauer bist. Die Nachricht ist angekommen, okay? Bist du sauer genug, um mich denken zu lassen, daß du nicht in Sicherheit bist? Ist es das, was du mir antun willst, Scully?" Er durchschritt nun, als er sprach das Apartment. "Ich habe deine Mutter angerufen, Scully. Sie macht sich nun Sorgen um dich. Ist es das, was du willst? Scully? Bitte! Wirst du wenigstens deine Mutter anrufen, damit sie mich anruft, um mir zu sagen, dass du okay bist? Scully? Verdammt!" Er schmiß das Telefon zu Boden.

"Mulder? Was..."

"Die verfluchte Maschine ist aus. Ich muß gehen."

Gehen? Wohin zum Teufel gedachte er hinzugehen? Sie hatten heute Nacht Pläne. Er sollte ihr helfen. Das war nicht gut. Überhaupt nicht. Er war schon halb zur Tür raus.

"Mulder, warte, gibt es irgendetwas, das ich tun kann?" Er sah sie einen Moment lang schweigsam an. Seine Brauen legten sich in Falten, als ob er sich eine nützliche Aufgabe für sie überlegen würde. Sie könnte nützlich sein. Sie könnte alles sein.

"Ja, da gibt es was. Bleib hier. Beim Telefon. Wenn Scully anruft, ruf mich sofort auf meinem Handy an." Er beugte sich vor, hob sein Telefon vom Fußboden und schob es sich in die Tasche. Jane lächelte. Zumindest war es eine gute Entschuldigung, um in seinem Apartment zu bleiben. Hier zu sein, wenn er von seiner fruchtlosen Suche zurückkehrt.

"Sicher. Kein Problem."

 

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xx zwei Wochen früher, Fortsetzung xx

Als es fast 1:30 Uhr war, holte Scully ihr Handy heraus und wählte seine Nummer, war nun doch besorgt über seinen Verbleib.

"Bist du hungrig?" Scully hörte seine Gruß in Stereo. Als seine Hand über ihre Schulter glitt, zuckte sie zusammen. Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.

"Nicht mehr. Wo warst du?"

"Bin ein bißchen spät dran, das ist alles."

Scully bemerkte, daß er nichts bei sich hatte. Sie hatte eigentlich erwartet, daß er zumindest einige der Informationen mitbringen würde, um die sie ihm gebeten hatte, bevor sie an diesem Morgen gegangen war. In einen vorsichtigen Ton fragte sie ihn, "Hast du es geschafft irgend etwas zusammenzutragen?"

Sie glaubte, eine kleine Andeutung von Sorge in seinem Blick zu erkennen. Er nahm einen Bissen von dem Sandwich, das sie ihm bestellt hatte und sagte, "Was soll ich zusammentragen?"

"Ich habe dich gebeten, die Informationen für Agent Domroses Anhörung zusammenzutragen."

"Oh, ja," sagte er mit vollen Mund. "Ich hatte keine Zeit dazu. Ich werde sehen, was ich nach dem Essen tun kann. Oder vielleicht morgen. Wann ist diese Anhörung?"

"Sie ist Freitag in einer Woche, Mulder. Hast du denn keines der Rundschreiben darüber gelesen?" fragte sie mit wachsender Frustration.

"Nein, ich schätze, das habe ich nicht." erwiderte er, als er sich wieder den Mund vollstopfte.

Scully schüttelte leicht den Kopf und versuchte eine mögliche Konversation über etwas, das schon den ganzen Vormittag an ihr genagt hatte. "Also, wer war die Frau, die heute ins Büro gekommen ist?"

Er nickte schnell und schluckte. "Ja, ähm, tatsächlich ist sie meine Putzfrau. Sie ist gerade erst hergezogen und hat den Job von meiner vorherigen übernommen."

"Und so hast du sie in das Büro eingeladen, um sie besser kennenzulernen?" sagte sie schleppend.

"Nein, sie, äh, sie forderte <<she claims würde ich in diesem Falle mit ‚sie behauptet’ übersetzen, das bezieht sich auf ihre angeblichen Entführungen.>> - vergiß es, es kümmert dich sowieso nicht."

"Nein, Mulder, wenn das irgend etwas mit unserer Arbeit zu tun hat, dann kümmert es mich natürlich etwas. Also, was hat sie gewollt?" fragte sie und versuchte krampfhaft, nicht wie eine mißtrauische Ehefrau zu klingen.

"Sie sagt, daß sie entführt wurde - siehst du, ich wußte, dass du so reagieren würdest."

Scully hatte ihr Bestes versucht, darauf nicht negativ zu reagieren, doch sie war kaum in der Lage, etwas dagegen zu tun. Als sie Mulders enttäuschten Blick sah, fühlte sie sich schuldig. "Okay, Mulder," sagte sie uns versuchte es wiedergutzumachen. "Also, sie wurde entführt. Ich nehme an, sie glaubt, daß ihr das Außerirdische angetan haben?"

"Nun ja, es scheint so, doch das interessante daran ist, Scully," begann er und Scully bemerkte, daß er ihr nicht wirklich in die Augen sah, während er sprach. "Sie sagte, daß ihre ganze Familie entführt worden ist, alle zur selben Zeit. Sie hat acht nur Geschwister, dazu sie und ihre Eltern. Sie wurden alle zur gleichen Zeit entführt, bei verschiedenen Gelegenheiten, ihr ganzes Leben lang. Verstehst du, sie sind alle gemeinsam am selben Ort gelandet, keines der Familienmitglieder hat ein anderes dahin gerufen, es war nur Zufall, daß sie zusammen waren und dann passierte es." Er zögerte und fügte dann hinzu, "Eine Gruppenentführung, Scully."

Scully mochte überhaupt nicht, wohin das hier führte und es tat ihr nun leid, daß sie ihn dazu gezwungen hatte. "Also, das passiert nun mit ihr?"

"Sieh mal, deshalb ist sie weggezogen, sie hofft, dass es dann nicht mehr passiert. Doch das ist ihr zweiter Umzug in drei Jahren und sie scheint es immer noch zu erleben. Nach ihrem ersten Umzug fand sie sich plötzlich in einem Flugzeug oder in ihrem Auto wieder, auf den Weg zu ihren Eltern. Einmal landete sie zu Hause und konnte sich nicht daran erinnern, wie sie dorthin gelangt war. Seit sie hier ist, kann sie sich nicht daran erinnern, dass es wieder passiert ist, doch sie erlebt das Gefühl einer Präsenz in ihrem Apartment, sie verliert Zeit."

Scully hörte geduldig zu und fühlte, wie sich ihre Schultern verspannten. Sie wollte ihn wieder fragen, was genau das mit der Arbeit des FBI zu tun hatte, doch sie hielt sich zurück. Sie war nicht in der Stimmung, mit ihm zu argumentieren und außerdem wollte sie nicht, daß er irgendwelche Ähnlichkeiten mit dem, was ihr unlängst passiert war, zur Sprache brachte.

Scully hatte keine Gelegenheit zu reagieren, weil sein Telefon klingelte und er sich sofort entschuldigte, nachdem er aufgelegt hatte.

"Mulder, warte eine Min..." Doch er war verschwunden, seine Aufmerksamkeit Millionen Meilen weit weg von ihr oder ihren Sorgen. Sie sammelte sich und ging zurück ins Büro.

 

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Montag, 19 Uhr

Scullys Apartment

"Scully, ich bin's wieder. Ich konnte meinen Schlüssel nicht finden. Ich weiß nicht, was passiert ist. Scully, du mußt mich jetzt reinlassen, okay?" Mulder schüttelte den Kopf und kniff seine Augen frustriert zusammen. Als er zurück zu ihrem Apartment kam, hatte er in ihr Fenster gesehen. Es war ziemlich dunkel. Doch er war immer noch überzeugt davon, daß sie hier sein mußte. Sie versteckte sich vor ihm, das war es, was sie tat. Das mußte es sein, was sie tat.

"Scully, das ist albern. Du mußt mich reinlassen." Als sein Panikpegel stieg, hämmerte er wieder gegen die Tür. "Scully, wenn du mich nicht reinläßt, muß ich mich selbst reinlassen. Willst du für eine weitere zerbrochene Tür zahlen? Ist es das, was du willst?" Nichts. Keine wie auch immer geartete Reaktion. Offensichtlich sorgte sie sich nicht um ihre Tür. Oder ihn. Oder etwas anderes. Er würde sie dazu bringen, dass sie verstand, er würde sie dazu bringen, dass sie sich sorgte. Auf die eine oder andere Art.

"In Ordnung, Scully. Das ist deine letzte Chance. Alles was ich hören muß, ist ein einziges verdammtes Wort von dir und das hier wird nicht passieren." Irgendwo den Flur hinunter öffnete sich eine Tür und eine Stimme rief Mulder etwas zu. Irgend etwas darüber, dass er verdammt noch mal das Maul halten soll.

"Verpiß dich. Ich bin ein Cop," knurrte er, als ob das etwas bedeuten würde. Er ging ein paar Schritte von der Tür weg, genug Platz für einen Anlauf. "Scully, deine Nachbarn hassen mich jetzt. Die hassen dich jetzt möglicherweise auch. Willst du aus dem Haus rausgeschmissen werden? Verdammt Scully! Das ist nicht mehr komisch, verflucht noch mal." Er holte tief Luft, spannte seine Muskeln und bereitete sich vor. "Ich komme jetzt rein Scully. Letzte Chance, mich aufzuhalten." Warum zum Teufel hielt sie ihm nicht auf? Er fühlte eine Träne aus Ärger und Sorge seine Wange hinunterlaufen. "Ich komme Scully." Er rammte die Schulter zuerst in die Tür. Beim Aufprall schoß ein scharfer, stechender Schmerz durch seinen ganzen Körper. Und die Tür blieb verschlossen.

"Verdammt noch mal, Scheiße." Er verfluchte sich selbst, als er sich wieder erinnerte, daß er es gewesen war, der für ihren letzten Türenaustausch bezahlt hatte. Und er hatte ein Modell gewählt, daß man in Ford Knox verwenden könnte. Es war, als ob man gegen einen gottverdammten Metallsafe laufen würde.

"Scully! Willst du, daß ich mir hier draußen meinen Arm breche?" rief er aus, als er wieder gegen das verhaßte Ding knallte. Und wieder. Und wieder. Schließlich wurde der Schmerz für ihn fast zu einer religiösen Erfahrung. Buße. Für sein Verhalten ihr gegenüber am letzen Freitag.

Nach mehreren weiteren Zusammenstößen hörte er es zweimal krachen. Als er in das Apartment fiel, wurde ihm klar, dass es einmal von der nachgebenden Tür kam. Das zweite Krachen kam, wie er nur annehmen konnte, von seiner Schulter.

"Scully!" Seine Stimme schien nun unnatürlich laut. Es war so still. Er drehte das Licht an und sah sich im Wohnzimmer um. So leer. Ein Schauer durchlief seinen Körper. Hier stimmte etwas absolut nicht.

Langsam ging er durch das Apartment, durchsuchte Raum für Raum, suchte in der Dusche, unter dem Bett, überall. Sie war nicht hier. Sie war wirklich nicht hier. Er machte in ihrem Schlafzimmer halt. Das Bett war gemacht, alles war auf seinem richtigen Platz. Es sah nicht danach aus, als ob hier jemand eingebrochen wäre. Es gab keine Anzeichen für einen Kampf. Das Fenster war geschlossen und intakt. Sein Blick fiel auf die Schranktür und er öffnete sie außer sich, war sich plötzlich sicher, daß sie dort auf den Boden hockte. Nichts. Absolut nichts. Er war leer. Vollkommen leer.

Er rannte zu ihrer Kommode und riß die Schubladen ungestüm auf. Auch sie waren leer. Ihre Sachen. Gott. All ihre Sachen waren weg. Alles. Nicht nur genug für einen Wochenendausflug. Genug für ihr ganzes Leben.

Er fühlte sich benommen. Das mußte irgendeine Art Scherz sein. Ein Trick. Jemand versuchte, ihn um den Verstand zu bringen. Das war die einzige Erklärung.

 

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xx Vergangenen Freitag Nacht, 21 Uhr xx

Taxi

Mulder kurbelte das Fenster hinunter. Es ging nur bis zur Hälfte. Er streckte seinen Kopf, so weit er konnte, hinaus und versuchte, etwas frische Luft zu schnappen. Wenn er es bis nach Hause schaffen würde, ohne zu kotzen, konnte er stolz auf sich sein.

Er versuchte, sich daran zu erinnern, wieviele Runden er heute nacht getrunken hatte, wann er angefangen hatte, zu trinken, wo er angefangen, hatte zu trinken. Es war alles verschwommen. Er war sich nicht mal sicher, was er getrunken hatte. Er war so ein schlechter Trinker. So ein Leichtgewicht. Ein gottverdammter emotionaler Trottel.

Er war sich nicht sicher, ob er entschieden hatte abzusaufen, um die Sache mit Scully zu vergessen, oder um sich daran zu erinnern. Hatte er nach einem Ausweg aus der Spannung zwischen ihnen, die Tag und Nacht auf ihm lastete, gesucht?. Oder hatte er Entspannung gesucht? Eine Illusion der Zuversicht, genug Whiskey, um einen weiteren Schritt auf sie zuzumachen? Er konnte sich nicht erinnern. Alles, woran er sich erinnern konnte, war die Tatsache, daß er den ganzen Abend auf den selben verdammten Barhocker gesessen und über die Situation nachsinniert hatte, wie irgendein untauglicher Blödmann. Fragte sich, ob sie genauso wie er darüber dachte. Ob sie Pläne mit ihm hatte, für die Zukunft. Ob sie wegen, oder trotz, seiner Leidenschaft für sie blieb. Ob er jemals die Antwort darauf wissen würde. Seine Gedanken wanderten, wie so oft, zu diesem Moment. Zu ihren Augen, weit aufgerissen, verwirrt, geschockt, vielleicht hungrig. Zu ihren Lippen, die sich unter seinen öffneten. Öffneten. Sie öffnete ihren Mund.

Er stöhnte frustriert und drückte seine Fäuste in den Sitz des Taxis. Er wußte, daß es ein Fehler sein würde, einen Versuch wie diesen zu machen. Sie wußte es nun. Es machte keinen Sinn. Alle seine Karten waren nun auf dem Tisch und der nächste Schritt mußte von ihr kommen. Es mußte so sein.

Doch manchmal geriet er so in Versuchung.

"Okay Mister, hier ist ihr Apartment, richtig?"

Mulder nickte ausdruckslos. Es sah sicherlich wie sein Apartmenthaus aus. Er nahm an, daß es das vermutlich auch war. Nur Momente zuvor wollte er nichts mehr, als hier zu sein, doch nun da er es war, schien der Gedanke daran, zu seiner Couch zu torkeln und mit sich selbst zu spielen, wie eine äußerst deprimierende Aussicht.

"Ähm, ja hier ist es, doch....könnten Sie, ich möchte woanders hin, sozusagen."

"Entschuldigung?"

Das war keine gute Idee. Tausend Warnsirenen gingen in seinem Kopf an. Doch er konnte sich nicht aufhalten.

"Ich will nach Georgetown. Bringen Sie mich nach Georgetown."

"Georgetown? Sehen Sie Mister, ich habe nicht ganze Nacht Zeit, Sie durch ganz Washington zu kutschieren, also... "

"Sie sind doch Taxifahrer, richtig? Was zum Teufel haben sie denn sonst zu tun?" Er griff in seine Tasche und zog einen großen Schein heraus, könnte ein Hunderter gewesen sein, er war sich nicht sicher, und warf ihn dem Fahrer durch das kleine Fenster zu.

 

Ende Kapitel 2/11

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Kapitel 3/11

 

Montag, 22:50

Scullys Apartment

Flackernde rote Lichter, Polizeiabsperrband, Gummihandschuhe, Beweismittelbeutel, namenlose, gesichtslose Agenten, die ihre Sachen durchwühlten, Mulder hatte das schon einmal erlebt. Diesmal war es schlimmer. Diesmal waren Reporter da, Menschen, die Fotos machten und ihn etwas fragten. Irgendwie, irgendwann waren sie beide zu Nachrichten geworden.

Er fragte sich, ob er vielleicht einen Fehler gemacht hatte. Ob er zu schnell in Panik geraten war und sie dieser Störung unnötig unterworfen hatte. Aber seine Angst überrollte alle logischen Einwände, die sein Gehirn aufbieten konnte. Sie war gegangen. Einfach gegangen. Es gab keine Möglichkeit, dies zu ignorieren. Keine Chance, dass er auf seinem Hintern saß und darauf wartete, dass sie anrief und ihm sagte, was Sache war. Weil es sehr wahrscheinlich war, dass sie nicht anrufen konnte.

Durch den Schleier von Geräuschen und Aktivitäten erkannte er Skinner, der im Türrahmen stand und, wie immer, leicht besorgt dreinblickte. Der ältere Mann suchte Mulders Blick und näherte sich ihm vorsichtig.

"Agent Mulder?" Mulder hörte und sah ihn, aber er schien verschwommen zu sein. Alles war so verschwommen.

"Mulder? Was zum Teufel ist hier los?"

"Ich... weiß es nicht." Männer untersuchten ihr Sofa. Das Sofa, auf dem er ein paar Tage zuvor gesessen, sie angesehen und sie gewollt hatte.

"Was meinen Sie damit, Sie wissen es nicht?" Sie standen dicht bei der Tür. Die Tür, durch die sie ihn hinausgeworfen hatte. Wenn er genau hinsah, konnte er sie beide beinahe sehen, konnte sie beinahe hören...

"Agent Mulder! Wann haben Sie Scully das letzte Mal gesehen?" Was hatte er getan? Was zur Hölle hatte er getan? Versucht, sie an den Rand ihrer Kräfte zu treiben? Ihre Abwehr zu brechen, um sie emotional bloßzustellen, damit sie ihm möglicherweise etwas von ihrer selbst offenbarte? War er dumm genug gewesen, zu glauben, wenn er sich ihr gegenüber wie ein Lump benahm, dass sie schließlich die Worte herausgestoßen und ihm ihre unsterbliche Liebe gestanden hätte? War das sein brillanter Plan gewesen? Hatte er geglaubt, wenn er sich ihr aufzwang, würde er sich bei ihr beliebt machen?

"Ich sah... ich war... Freitag. Freitag." Er begann, von Skinner fortzugehen, weil er die Details seiner letzten Begegnung mit Scully nicht diskutieren wollte, aber der Assistant Director packte ihn an der Schulter und zwang ihn, ihn anzusehen.

"Was hat sie Ihnen gesagt? Hat Sie Ihnen irgendeinen Hinweis darauf gegeben, dass sie möglicherweise fortgehen wollte oder..."

"Wenn sie es getan hätte, glauben Sie wirklich, ich hätte dann in diesem Moment die verdammte Nationalgarde in ihrem Apartment?" Er hatte ihr gesagt, dass sie gehen sollte. Er hatte genau auf diesem Stückchen Teppich gestanden und ihr gesagt, dass sie ihn verlassen sollte.

"Beruhigen Sie sich einfach, Mulder. Ich werde versuchen, mir ein genaues Bild von dem, was passiert hier ist, zu machen." So ruhig. So rational. Mulder verspürte ein plötzliches und sehr irrationales Verlangen, seinem Boss einen Baseballschläger auf den Kopf zu hauen.

Jetzt geh schon. Geh einfach. Verdammt noch mal, geh. Vielleicht sollte ich. Verschwinde aus meiner Wohnung. Ich brauche dich nicht. Geh einfach.

Ihre Lippen. Wieder ihre Lippen. Unter seinen. Seine Zunge, die sich in ihren Mund drängte. Ihre gemurmelten Proteste. Seine vollkommene Ignoranz. Seine Dummheit. Wie er sie mit seinen Armen und seiner Erektion an den Küchenschrank nagelte. Sie gefangennahm. Sie wahrscheinlich zu Tode erschreckte.

"Was hier passierte, ist dass eine Agentin vermisst wird und jede Minute, die wir hier damit verbringen, Blödsinn zu reden, ist eine weitere Minute in der sie in Gefahr ist."

Skinner seufzte und rieb sich die Stirn. Er wurde sichtbar mehr und mehr frustriert.

"Mulder, wenn wir sie finden wollen, dann müssen wir einige Dinge herausbekommen. Zum Beispiel, wer sie möglicherweise entführt hat oder ob sie überhaupt entführt wurde. Außer der Tür, die Sie, wie Sie sagen, selbst aufgebrochen haben, gibt es hier keine Beweise für einen erzwungenen Zutritt."

Geh einfach. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Verdammt!

"Was zur Hölle wollen Sie andeuten?"

"Vielleicht will er andeuten, dass sie Sie aus eigenem Antrieb verlassen hat." Mulder zuckte zusammen und fühlte einen Schauer über seinen Rücken laufen. Er drehte sich widerwillig um, um Maggie Scully anzusehen. Skinner murmelte etwas von wegen, er müsse mit jemandem reden und verschwand, wahrscheinlich spürte er, dass sich hier eine grausige Szene anbahnte.

Mulder wünschte, er könnte dasselbe tun. Scullys Mutter sah vollkommen durchnässt aus und er fühlte einen Anflug von Schuld, als er daran dachte, wie er sie abgehängt hatte. Kein Wunder, dass sie hier auftauchte. Und sie war nicht allein. Sie stand neben einem Mann, der ein wenig größer als Mulder war und dunkles Haar und erschrockene, große blaue Augen hatte. Scullys Augen. Er hatte Scullys Augen. Und ihren Mund. Und ihre helle Gesichtsfarbe. Er sah aus, wie sie. Und doch vollkommen anders. Ein weiterer Verwandter? Ein Leibwächter? Ein gemieteter Mörder?

"Was zur Hölle ist passiert, Fox?" Warum fragte ihn jeder dasselbe? Konnten sie alle sehen, was zwischen ihnen vorgefallen war? Glaubten sie, dass er sie fortgetrieben hatte? Hatte er das?

"Es tut mir leid, dass ich vorhin einfach so aufgelegt habe, Mrs. Scully. Ich war irgendwie außer mir. Um die Wahrheit zu sagen, ich bin mir nicht wirklich sicher, was passiert ist." Der andere Mann starrte ihn an. Mulder begann, sich noch unbehaglicher zu fühlen, als er es ohnehin schon tat.

"Nun, was wissen Sie?"

"Ähm... alles, was ich bis jetzt weiß ist, dass niemand etwas seit Freitag Abend von Scully gehört oder gesehen hat und dass einige ihrer Sachen... nun, beinahe alle ihre Sachen weg sind."

"Fox..." Mulder sah Scullys Hauswirt aus den Augenwinkeln. Er musste mit ihm sprechen. Gleich jetzt.

"Mrs. Scully, ich kann mich im Moment wirklich nicht mit Ihnen unterhalten, aber ich..." Er beugte sich zu ihr und berührte leicht ihren Arm. "Ich werde sie finden. Das verspreche ich Ihnen. Ich schwöre bei Gott, ich werde sie finden." Er begann, fortzugehen, aber ihre wütende Forderung hielt ihn auf.

"Und was dann, Fox? Vielleicht finden Sie sie dieses Mal, aber was passiert beim nächsten Mal? Und beim Mal danach?" Mulder starrte sie einfach an, war nicht in der Lage oder nicht willens, auf ihren Ausbruch zu reagieren. Der Mann neben ihr legte seinen Arm um sie.

"Komm schon, Mom. Es gibt nichts, was wir hier tun können. Lass uns einfach nach Hause gehen, okay?" Mom. Er nannte sie Mom. Nun dämmerte es Mulder, dass das Scullys Bruder sein musste. Ihr anderer Bruder. Charles? War das sein Name?

Sie entzog sich ihm und starrte Mulder an. "Sie können Sie so viele Male retten, wie Sie wollen, Fox. Aber sie hätte es gar nicht nötig, gerettet zu werden, wenn..." Sie verstummte und seufzte.

"Komm schon, Mom." Scullys Bruder sah von seiner Mutter zu Mulder und dann wieder zurück. Maggie drehte sich von Mulder weg und ging fort, ohne ihren Satz zu beenden. Sie musste es nicht. Mulder hörte den Rest laut und klar.

 

xx Vergangenen Freitag Nacht, 22:30 xx

 

"Scully? Bist du da?" Mulder glaubte, dass er flüsterte, aber tatsächlich schrie er. Er glaubte, dass er leicht anklopfte, aber tatsächlich hämmerte er. Die Tür flog auf und sie erschien vor ihm. Im goldfarbenen Seidenpyjama. Und mit einem Gesichtsausdruck, der besagte, dass sie nicht so erfreut war, ihn zu sehen.

"Mulder, was machst du hier?"

"Mmmm..." Sie duftete so gut. Er stolperte schwerfällig in ihr Apartment und warf die Tür zu.

"Wieder mal betrunken, Mulder? Ich hoffe sehr, dass du hier kein wirkliches Problem entwickelst." Er roch fürchterlich, er und sein Whiskeyatem. Und er war betrunkener als das letzte Mal, als er in dieser Verfassung aufgetaucht war. Scully wusste nicht, was er sich dabei dachte, heute Nacht herzukommen. Sie war müde von einem langen Tag, an dem sie einen kochenden Ärger über ihn mit sich herumtrug, weil er wieder einmal etwas nicht zu Ende gebracht hatte und sie hatte wirklich nicht mehr die Energie, sich jetzt mit ihm abzugeben.

Mulder schüttelte entschieden den Kopf und öffnete den Mund, um sie anzulügen. "Ich bin nicht betrunken, Scully. Und darüber hinaus bin ich verletzt, dass du glaubst, ich würde in so einem Zustand herkommen." Plötzlich waren zwei von ihr da. Blindlings griff er nach einer von ihr. Glücklicherweise war es die richtige. Er packte sie an den Schultern und beugte sich herab. Er wollte an ihr Ohr und er musste sich praktisch vornüber beugen, um heran zu kommen. Aus diesem Winkel konnte er ein wenig von dem Tal zwischen ihren Brüsten sehen. Verlangen schoss durch seine Adern, zusätzlich zu dem Feuer, das in seinen Lenden zu brennen begann. "Ich habe etwas... ich... ich habe dir etwas zu geben." Er hatte keine Ahnung, was er versuchte, ihr zu sagen.

Sie schob seine Hände sanft weg und drehte ihm den Rücken zu. "Ich werde dir einen Kaffee machen. Du musst nüchtern werden. Setz dich."

Er setzte sich, während Scully in die Küche ging, auf die Couch. Wenigstens war es diesmal nicht drei Uhr morgens, aber sie konnte immer noch nicht glauben, dass er den Nerv dazu hatte. Sie polterte in der Küche herum und hoffte, dass das die heftigen Kopfschmerzen, die er, die er verdiente, verursachen würde.

Mulder beobachtete sie vom Wohnzimmer aus. Sie war einfach zu schön. Es war nicht fair. Wie konnte man von ihm erwarten, dass er jeden einzelnen Tag damit klarkam? Es war zu viel. Er spürte, wie alle Selbstkontrolle, die er noch hatte, und der winzige Rest an Geduld, der noch in seinem Körper und seiner Seele verblieben war, während er ihr zusah rasch dahinschwand. Er war es leid, zu warten. Er war es leid, zuzusehen.

Mulder stand auf und ging zu ihr hinüber. Als er hinter ihr stand, schlang er seine Arme um ihre Taille und glitt unter ihr Pyjamaoberteil. Ihre Haut war so weich. Nichts sollte so verdammt weich sein.

Scully zuckte zusammen und warf das Kaffeepulver in die Kanne statt in den Filter. Augenblicklich fühlte sich ihre Haut an, als würde sie brennen, Millionen sanfter Nadelstiche pulsierten in ihrem Unterleib und schossen hinauf zu ihren Brüsten und ihrem Hals. Sie konnte nicht atmen. Was zur Hölle tat er? Sie hörte ihn in ihr Ohr stöhnen, er presste sich an sie und stieß ihr seine Errektion in den Rücken.

Sie versuchte, zu sprechen, seine Aufmerksamkeit zu erregen und ihn dazu zu bringen, aufzuhören, bevor es zu weit ging. "Mulder..." sagte sie und leider kam es mehr wie ein Stöhnen heraus.

Mulder wusste, dass er verrückt war. Was zur Hölle wollte er damit erreichen? Aber es fühlte sich so gut an. Er wollte sich einfach nur gut fühlen, wollte, dass sie sich gut fühlte. "Scully... du fühlst dich so gut an. Ich denke jede Nacht an dich. Daran, dich zu berühren." Er drückte seinen offenen Mund auf die warme Haut genau hinter ihrem Ohr.

Da gaben ihre Knie nach und sie musste sich buchstäblich an den Küchenschrank hängen. Was ging hier vor? Was brachte ihn dazu, das zu tun? Er fuhr fort, hinter ihrem Ohr zu saugen, der Druck nahm immer noch zu. Sie konnte den Küchenschrank vor sich nicht mehr erkennen und alles was sie tun konnte, war sich von wimmern abzuhalten. So wundervoll es sich auch anfühlte, sie wusste, es war nicht richtig.

Dann kam es ihr in den Sinn, dass er vielleicht versuchte, sie vergessen zu machen, was er heute getan hatte. Oder um genauer zu sein, was er nicht getan hatte. Und sie musste ihn dazu bringen, dass er aufhörte, das mit ihr zu machen oder sie würde nicht mehr in der Lage sein, klar zu denken. Sie hatten immer noch einige Dinge zu klären.

"Mulder, du." Als er seine Nase über ihren Nacken rieb, hielt sie inne und schluckte schwer. "Wo warst du?" Sie atmete aus.

"Ich war in einer Bar. Es tut mir leid. Ich hätte hier sein sollen." Seine Hände glitten besitzergreifend über ihre Seiten und ihren Bauch. Er glaubte, dass er sie sanft streichelte. Tatsächlich grabschte und drückte, klammerte und zwickte er.

Was erzählte er da? Er begrapschte sie plump wie ein Teenager und ihr Ärger begann, die Gefühle, die er in ihr geweckt hatte, zu erdrücken. Mit diesmal ein bisschen gleichmäßigerer Stimme, versuchte sie, mit mehr Kraft zu sprechen. "Nein, ich meine heute. Wo warst du heute?"

Sie klang ärgerlich. Vielleicht hatte sie den ganzen Tag darauf gewartet? Oder länger. Vielleicht hatte sie lange, lange Zeit darauf gewartet, dass er das tat. Es war egal, er würde es jetzt wiedergutmachen. Er würde heute Nacht alles wiedergutmachen. Er bis ihr ins Ohrläppchen. Und glaubte, es wäre ein Knabbern.

"Ich war... ich weiß nicht..." Er konnte sich in diesem Moment nicht daran erinnern, wo er den ganzen Tag gewesen war. "Jetzt bin ich hier, Baby. es ist in Ordnung. Ich bin hier und ich will mit dich bumsen." Er glaubte, es wäre die romantischste Sache, die er je gesagt hatte. Seine Zunge begann, die Innenseite ihres Ohr zu erforschen. Es schmeckte so gut.

Es dauerte einen Moment oder zwei, um zu registrieren, was er da gesagt hatte. In der Zwischenzeit konzentrierte sie sich darauf, in der Lage zu sein, wieder natürlich ein- und auszuatmen. Er machte sie wahnsinnig. Er war in ihr... Oh Gott, seine Zunge. Und dann holte es sie ein. "Ich will mit dir bumsen." Mich bumsen? War er deswegen hierher gekommen? Er hatte sein Geld schon in der Bar verschwendet, warum suchte er sich keine Nutte, wenn ihm danach war? Sie stöhnte und versuchte, wieder zu sprechen, aber ihr Ton war immer noch ziemlich atemlos.

"Du solltest..." Sie zuckte vor seinem Mund zurück und stieß die Worte hervor. "Du solltest auf dieser Anhörung sein."

Anhörung? Was war eine Anhörung? Vielleicht hatte es etwas mit ihrem Ohr zu tun.

"Mmmm... die was?"

"Die Anhörung, Mulder. Die verrückte Anhörung." Sie wirbelte herum, um ihn anzusehen und ihm so den Ärger auf ihrem Gesicht zu zeigen.

"Scully, ich weiß nicht, wovon du sprichst." Seine Worte schürten das Feuer ihres Ärgers, aber der Klang seiner Stimme machte sie verrückt, machte sie ebenso betrunken.

Mulder bemerkte, dass ihre Lippen fest zusammengekniffen waren. Sie sah so angespannt aus. Sie musste sich entspannen. Seine Hände begannen, ihre Schultern zu massieren. Er senkte den Kopf und drückte einen Kuss auf ihre Halsbeuge.

"Anhörung," brachte sie erstickt hervor. Sie versuchte, lauter zu sprechen. "Die Anhörung. Agent Domrose." Er drückte sich immer noch an sie, seine Händen fuhren, drängend und reibend, über ihren Körper. Sie konnte sich nicht bewegen. Er war es, der sie mit der Art, wie er sie festhielt, aufrecht hielt. Und dann... oh Gott... woher hatte er gewusst, dass es ihr Hals war, der sie erregte? Oh Gott, das fühlte sich so gut an. Sie wollte einfach vergessen, mit ihm, wie er gesagt hatte, bumsen, gleich hier auf dem Küchenschrank. Die ganze Nacht, wenn er es wollte. In diesem Moment wollte sie nichts anderes.

Aber das war genau das, was sie in der ganzen Zeit mit ihm gemacht hatte. Sie hatte ihn zu oft machen lassen. Und genau in diesem Moment war er betrunken. Verdammt betrunken und er begrabschte sie in einer Weise, die ihr blaue Flecke verschaffen würde. Er achtete nicht wirklich darauf, wie er mit ihr umging. Alles was er wollte war, sie bumsen. Sich selbst erleichtern, sie benutzen, wie ein weiteres Stück in seiner Pornosammlung. Auf diese Weise würde es nicht passieren.

"Die Betrugsanhörung. Verdammt, Mulder! Du hättest dort sein sollen. Du hast mir gesagt, dass du versuchen würdest ihm zu helfen." Nur ein paar ihrer Worte drangen in sein Gehirn. Er konnte nicht verstehen, was irgend etwas davon mit ihm zu tun hatte.

"Agent Dumbwas? Scully, ich will nicht über die Arbeit reden." Ihre Lippen teilten sich in einem Ausdruck von Unglauben. Er musste die Bewegung als Einladung verstanden haben, denn er hielt ihre Schultern fest umklammert, beugte sich herab und sah sie mit dem hungrigsten Ausdruck an, den sie je auf seinem Gesicht gesehen hatte.

"Scully, du bist so schön. Dein Gesicht, es ist so perfekt, makellos. Ich liebe es." Sie spürte, wie ihr Herz bei seinen Worten schmerzte. Sie waren so wundervoll. Und gleichzeitig so vollkommend wuterregend. Dann beugte er sich noch näher heran und sie warf ihm, als sie erkannte was er tun wollte, mit ihren Augen einen warnenden Blick zu. Er verschloss ihren Mund mit seinem. Als er seine Zunge in ihren Mund stieß, wimmerte und stöhnte sie gegen ihren Willen.

Innerhalb von Sekunden hatte er sie an den Küchenschrank genagelt. Seine Zunge erforschte ihren Mund und seine Hände fuhren großzügig und lüstern über ihren gesamten Körper. Es fühlte sich für ihn so gut an, so richtig, so perfekt. Er stöhnte erregt und zerrte an ihrem Pyjama, wollte verzweifelt ihre nackte Haut an ihm spüren. Als sie begann, kleine gedämpfte Geräusche von sich zu geben, nahm er das als weitere Ermutigung und presste sich härter an sie. Seine Hände glitten über ihr Pyjamaoberteil und seine Finger streiften über ihre Brustwarzen. Hart. Sie waren hart. Er nahm eine zwischen Daumen und Zeigefinger und drückte sie mit einem unfeinen Ächzen. So gut. Sie fühlte sich so gut.

"Mulder," stöhnte sie, als er wieder zu ihrem Hals zurückkehrte. Ihre Luftröhre schien sich zu verengen und sie schnappte jetzt förmlich nach Luft.

"Mmmm... Scully..." Seine Zunge wusch über ihre Kinnlinie. Sie fühlte sich so benommen. So übermäßig warm. "Mulder, nicht," flüsterte sie, gerade bevor sein Mund ihren wieder fand. Sie fühlte sich, als könnte sie explodieren. Aber sie wusste, das musste aufhören. Sie war gefangen zwischen seinem reibenden Unterleib und dem Küchenschrank. Seine Hände glitten unter den Bund ihrer Pyjamahosen und umschlossen ihren Po, versuchten, sie hochzuheben. Diesmal keuchte sie vor Angst. Dann ballten sich ihre Hände zu kleinen Fäusten und sie begann, gegen seine Brust zu schlagen, ihn wegzuschubsen.

Die plötzliche Erkenntnis traf ihn wie ein Ziegelstein und er stolperte zurück. Er stand ein paar Schritte von ihr entfernt und schnappte nach Luft. "Mist. Mist," murmelte er. Er hatte es versaut. Gott, er hatte es komplett versaut. "Tut mir leid... ich... es tut mir leid... ich... Mist."

"Verdammt, Mulder! Sag mir, wo zur Hölle du heute warst!" Schließlich hatte sie die Kraft wiedergefunden, ihn anzuschreien. Sie wusste, ihr Gesicht musste in diesem Augenblick roter als ihre Haare sein und sie konnte ihn immer noch nicht klar erkennen. Sie keuchten beide schwer. Als sie beobachtete, wie ein betrunkener Mulder versuchte, eine intelligente Antwort zu formulieren, wuchs ihr Ärger um ein Vielfaches.

Mulder schüttelte langsam den Kopf und versuchte sein bestes, wenigstens etwas Klarheit zurückzugewinnen. Er musste nüchtern werden. Das war sehr, sehr wichtig. Er wusste, dass es das war. Sie wollte wissen, wo er heute gewesen war. Wie sollte er sich jetzt daran erinnern? Und was hatte das damit zu tun, was passiert war? Mit dem, was er gerade getan hatte?

"Ich... ich denke, ich hab gearbeitet. Ähm... an den X-Akten. Ich denke, ich habe mit Jane geredet oder so etwas. Sie glaubt, dass sie wieder entführt wird." Er war stolz darauf, dass er es geschafft hatte, sich an so viel zu erinnern.

"Mulder, hast du eine Ahnung, wie sehr uns Agent Domrose in der letzten Zeit geholfen hat? Wie interessiert er an der Wiedereröffnung der X-Akten war? Wir schulden ihm etwas. Du schuldest ihm etwas."

Noch mehr von Agent Werauchimmer. Mulder fühlte sich schwindlig und total überwältigt. Was hatte all das mit Sex zu tun? Er atmete tief ein und versuchte, sich zu konzentrieren. Er begann zu verstehen, dass das hier ziemlich ernst war. Dass er nahe daran war, dass etwas sehr schlimmes passierte. Wenn es nicht bereits geschehen war.

"Scully, wer ist Agent Dumbbutt und was sollte ich tun, um ihm zu helfen?"

Sie konnte seine Frechheit immer noch nicht glauben. Sie hatte ihn nie so selbstsüchtig handeln sehen wie jetzt. Er wollte nicht sie. Er wollte sie vergessen machen, dass er sie sitzengelassen hatte.

"Agent Domrose, der Leiter der Laborabteilung!" Sie rollte mit den Augen und stelzte aus der Küche, fort von ihm. So weit fort. Sie spürte ihn hinter sich, wie er ihr ins Wohnzimmer folgte. "Es ist nur das Thema jeder Unterhaltung im Fahrstuhl, in der Cafeteria, im Parkhaus, auf den Toiletten in den letzten drei Monaten gewesen."

"Ich habe aufgehört, auf den Büroklatsch zu hören, als sie begannen, Spekulationen über die Größe meiner Männlichkeit anzustellen," murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr.

"Du hast gesagt, dass du mir dabei helfen würdest, dass du zu der Anhörung kommen würdest." Er sah aus wie ein Affe. Ein betrunkener, geiler, stinkender Affe, als er einfach so dumm dastand. Er hatte immer noch eine verdammte Errektion, um Gottes Willen! Ihr Puls pochte schmerzhaft in ihren Ohren.

Schon wieder Anhörung. Anhörung, Anhörung, Anhörung. Er suchte in den Resten seines Gehirns nach irgendeiner Erinnerung. Aber er hatte keine.

"Ich wusste nicht einmal, dass heute eine Anhörung war."

"Wie konntest du das NICHT wissen? Abgesehen davon, dass es in aller Munde ist, dass es in allen Zeitungen quer durchs Land steht. Und darüber hinaus." Sie hielt ihre Hand hoch, um ihn am Sprechen zu hindern. "Darüber hinaus habe ich dir diese Woche drei Nachrichten und eine Erinnerung auf deiner Voice Mail Box hinterlassen, dass ich jede Information brauchte, die du bis Freitagmorgen bekommen konntest."

"Ich habe niemals eine Nachricht erhalten, Scully." Das musste die Wahrheit sein. Er hätte ihre Nachrichten beachtet. Und er würde sich daran erinnern.

Sie stand, sprachlos darüber, dass er sie so schamlos anlog da. Sie anlog und erwartete, dass er das alles wegbumsen konnte. Ihre Augen begannen sich mit Tränen zu füllen. "Weißt du, wie sehr dieser Mann uns in den letzten fünf Jahren geholfen hat, Mulder? Nun ist er in Gefahr, seine Stellung zu verlieren und ins Gefängnis zu kommen und du spielst den Ritter in der strahlenden Rüstung bei dieser Jane."

"Ich denke nicht, dass ich irgend etwas hatte, das helfen konnte, Scully. Ich habe nicht... ich hatte nicht..." Er fuhr sich ärgerlich mit den Händen durchs Haar. Er musste klar werden. Er musste in der Lage sein, das zu erklären. Immer noch verstand er nicht, warum irgend etwas davon relevant war. Ignorierte sie seine Avancen einfach vollkommen? Indem sie vortäuschte, dass es nicht einmal geschehen war und das Thema wechselte? Er wünschte, dass sie es ihm einfach sagen würde, wenn sie ihn nicht wollte, anstatt Entschuldigungen vorzubringen.

"Verdammt, Mulder, verdammt! Was zur Hölle hast du dann die ganze Woche lang getan? Wir hatten keine Aufträge, du hattest dich keiner anderen Abteilung zur Verfügung gestellt, um zu helfen, und ich weiß, dass du diese Profilbeschreibungen nicht fertig gemacht hast, die du Skinner schon vor Wochen versprochen hast." Gott, worüber um alles in der Welt sprach sie? Sie regte sich so auf, schrie und wedelte mit den Armen. Ihr Gesicht war rot und ihre Augen waren mit Tränen der Frustration gefüllt. Und hielt ihm obendrein eine Predigt über seine Arbeitsweise.

"Beantworte meine Frage, Mulder. Welche Art von Büroarbeit hast du die ganze Woche gemacht?"

"Arbeit an den X-Akten, das, was mein Job ist. Verdammt Scully, ich weiß, wie ich meinen Job zu erledigen habe. Ich habe nicht..." Er spürte, wie er an seinen eigen Tränen der Frustration schluckte. "Deswegen bin ich nicht hergekommen," murmelte er leise.

"Und Mulder, ist es dir auch nur eine Minute in den Sinn gekommen, dass diese Frau nur mit dir spielt? Und was zur Hölle hat diese ‚sie’ überhaupt mit unserer Arbeit an den X-Akten zu tun? Sie ist deine Putzfrau, Mulder und ehrlich gesagt, glaube ich, dass sie beginnt, eine ungesunde Wertschätzung für dich zu entwickeln." Aus einem Grund, den sie nicht nachvollziehen konnte, schoss ihr eine Szene durch den Kopf, in der Jane und Mulder lachend und sich zusammen krümmend auf seiner Couch saßen, während ihre nicht erkannte Stimme auf dem Anrufbeantworter im Hintergrund erklang. Ihre Mundwinkel rutschten nach unten.

"Was soll das heißen?" Er drehte sich zu ihr um, ärgerlich und durcheinander. Erst war es Agent Dumbbutt und nun war es Jane. Es schien so, dass sie über jede irrelevante Sache in der Welt reden wollte, außer der Tatsache, dass er sie eben geküsst, sie begrapscht, sie verdammt noch mal angegriffen hatte. Er begann sich zu fragen, was zur Hölle er tun musste, um etwas Aufmerksamkeit von ihr zu bekommen.

"Mulder, komm schon. Sie ist die ganze Zeit da. Sie ruft dich permanent an." In diesem Moment klang sie mehr und mehr anklagend. Sie hasste sich selbst dafür, aber sie musste wissen, warum; warum er so darauf bestand, mit dieser Frau zu arbeiten.

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn an, als ob er ein kleines Kind wäre. Oder komplett verrückt. Gott, sie bis sich jetzt wirklich daran fest. Er hatte das Bedürfnis, es ihr zu erklären, so dass sie verstand, warum Janes Geschichte so wichtig für ihn war. Wenn schon aus keinem anderen Grunde, so würde es wenigstens eine Sache sein, um sie als Ablenkung zu benutzen.

"Scully, sie braucht jemanden. Sie ist durch die Hölle gegangen. Eine Hölle, die gerade du, glaube ich, verstehen müsstest." Ihr Blick ging zu Boden und er wusste, dass er sie irgendwie getroffen hatte. Vielleicht würde sie es jetzt verstehen. Er musste nicht nur für sich selbst daran arbeiten, sondern auch für Scully. Um herauszufinden, was mit ihr geschehen war. Er war kein selbstsüchtiger Bastard. Verdammt, das war er nicht. Das war wichtig für sie beide, ob sie es nun verstehen konnte oder nicht.

"Wag es ja nicht. Wag es ja nicht, das als eine verdammte Entschuldigung zu benutzen."

Als er ihr Gesicht wieder sah, begann er sich zu fragen, ob er einen Fehler gemacht hatte. Ihre Lippen waren fest zusammengekniffen und ihre Augen waren vollkommen verschlossen vor ihm. Ihre Stimme hatte sich zu einem leisen bedrohlichen Ton gesenkt und plötzlich fühlte er sich sehr, sehr nüchtern. Warum hatte er versucht, es zu erklären?

"Scully..."

"Nein!" Sie hielt ihre Hand hoch, als würde sie ihn abwehren. "Nein. Sag jetzt nicht, dass du das tust, weil du mich beschützen willst. Ich bin es so leid, diesen Mist aus deinem Mund zu hören, jedes mal, wenn du mich sitzen lässt oder mich anlügst oder etwas vor mir verbirgst. Du tust das nicht für mich, Mulder. Also, mach dir nicht selbst etwas vor, okay?" Er sah so traurig aus, so verzweifelt, wie er so dastand, aber sie war nicht bereit, sich damit wieder herumkriegen zu lassen. "Jane ist überhaupt nicht der Punkt, Mulder. Der Punkt ist das..." Sie verstummte und drehte ihm den Rücken zu.

Mulder packte sie an den Schultern und drehte sie herum. Vollkommen sprachlos stand er vor ihr. Er glaubte nicht, sie jemals so verärgert gesehen zu haben, jedenfalls konnte er sich nicht daran erinnern. Dies geriet ihm völlig außer Kontrolle. Warum konnte sie nicht verstehen, dass er alles, was er tat, nur wegen ihr tat? Was musste er tun, damit sie es verstand?

"Was ist es, Scully? Was ist der Punkt? Dass du verdammt noch mal nichts von mir verstehst oder worum ich mir Sorgen mache?" Mulder war überrascht, welchen Ärger er empfand. Er schüttelte sie und ließ seine Hände sinken, als er erkannte, dass er ihr womöglich wehtat und trat ein paar Schritte zurück.

"Nein," stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. "Der Punkt ist, dass ich nach allem, was ich für dich geopfert habe, nach allem, was wir durchgemacht haben, wenigstens geglaubt habe, erwarten zu könnte, dass du für mich da bist, wenn ich einen Gefallen brauche. Das ist der verdammte Punkt." Er wusste, es war ein guter Punkt und er sollte sich einfach entschuldigen, die ganze Sache in diesem Moment einfach beenden, aber ihre Worte hatten ihn zu tief getroffen.

"Ich habe nicht erkannt, dass ich so eine Last für dich bin, Scully," spuckte er mit mehr Bitterkeit aus, als er beabsichtigt hatte.

"Verdammt, Mulder, das habe ich nicht gesagt." Ihr Gesicht wurde hochrot und sie zitterte noch mehr. "Du hörst mir niemals zu! Du hörst nur was du hören willst und ignorierst den Rest! Gott, das ist so dumm. So verdammt sinnlos. Du bist wie eine gottverdammte Ziegelmauer. Geh einfach, Mulder."

Gehen? Sie wollte, dass er jetzt ging? Mittendrin? Wo sie sich noch nicht einmal mit etwas Wichtigen beschäftigt hatten? Nicht diesmal. Nicht jetzt.

"Nein."

"Mulder, ich möchte, dass du gehst. Wir werden das am Montag beenden." Was tat er? Scully fragte sich, ob er nicht einfach ein vollkommen hoffnungsloser Fall war. Ob er jemals darauf geachtet hatte, was sie zu ihm sagte.

"Ich werde nicht gehen, bevor wir das beendet haben, Scully. Du hast offensichtlich eine Menge Vorbehalte gegen mich aufgebaut und ich weiß nicht, Scully, ich beginne wieder zu glauben, dass du vielleicht hättest gehen sollen, als du es das erste Mal wolltest." Die Worte fühlten sich wie Gift auf seiner Zunge an. Sie waren verkehrt. Das alles war verkehrt.

Ihr rasender Herzschlag beruhigte sich gerade lange genug, um drei Herzschläge zu überspringen. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn zuerst richtig verstanden hatte. Sie sah ihn an und erinnerte sich an all das, was er ihr gesagt hatte, damit sie blieb. Waren es Lügen gewesen?

"Vielleicht hätte ich es tun sollen."

Scully fixierte ihn mit einem tödlichen Blick und sein Herz zog sich zusammen und zerbrach. Er zuckte zusammen und biss sich auf die Lippe. Das war nicht die richtige Antwort. Das war der Teil, wo sie sagen sollte, ’Nein, Mulder, ich könnte dich niemals verlassen. Weißt du das nicht?’ Das war der Teil, wo sie sich beide entschuldigen, sich daran erinnern sollten, was sie beide durchgemacht hatten und sich tröstend umarmen sollten. Warum passierte das nicht? Er fühlte Panik aufsteigen, etwas ähnliches, wie eine Herzattacke, dessen war er sich sicher. Aber immer noch fand er Worte, die aus seinem Mund kamen. Eine Herausforderung. Er musste wissen, wie ernst es ihr war, wie weit sie gehen würde.

"Also, warum tust du es nicht, Scully? Warum befreist du dich nicht aus der ganzen Misere und gehst einfach entgültig?" Gott, nein. Bitte, Scully. Beende das einfach. Sag mir einfach, dass du es nicht kannst. Sag mir, dass du es nicht tun wirst. Sag mir, dass du mich liebst.

"Verlass verdammt noch mal meine Wohnung, Mulder! Jetzt!" Sein Blick war verächtlich. Er kreuzte die Arme vor der Brust und grinste sie an. Sie spürte das ungewöhnliche Verlangen, ihm ins Gesicht zu schlagen. Was zur Hölle glaubte er, zu tun?

Ihre Stimme war kalt wie Eis. Aber ihre Augen. Mulder sah ihr tief in die Augen und sah einen Schimmer von Schwäche, eine winzigen Schein, der ihm sagte, dass sie nicht wirklich wollte, dass er ging.

"Bring mich dazu."

"Verdammt, Fox Mulder. Verdammt! Ich brauche diesen Mist nicht und ich brauche dich jetzt nicht. VERSCHWINDE VERDAMMT NOCH MAL AUS MEINER WOHNUNG!" Sie stürmte an ihm vorbei und riss die Tür auf.

Einen Moment lang konnte er nichts weiter tun, als sie ausdruckslos unter Schock anzustarren. Sie nickte ärgerlich in Richtung Tür und er erkannte, dass er keine Chance hatte. Sie war dazu fähig, in der nächsten Sekunde ihre Waffe hervorzuholen.

 

Ende Kapitel 3/11

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Kapitel 4/11

 

 

Dienstag, 00:10

Mulders Apartment

Jane gähnte, stand auf und streckte ihre Beine aus. Sie hatte keine Ahnung, wie viele Stunden sie nun schon bei diesen dummen Telefon gesessen hatte. Es begann, bereits lächerlich zu werden. Was zum Teufel tat er? Er musste jetzt in ihr Apartment hineingekommen sein, musste gesehen haben, dass sie weg war, dass ihre Kleidung weg war. Nach diesem Streit war es nur einleuchtend, dass er vermutete, sie hätte ihn verlassen. Das war es, worauf Jane gezählt hatte.

Aber würde er nach ihr suchen? Das war die Frage. Das war wirklich das zentrale Problem. Sie hatte immer noch keinen Weg gefunden um sicherzugehen, dass er es nicht tat. Sie musste einen Weg finden, seine Unsicherheit auszunutzen, ihn glauben zu machen, dass sie ihn verlassen hatte, weil sie es wollte und dass er sie einfach gehen lassen musste.

Sie ließ sich mit einem Seufzer auf die Couch fallen und schaltete den Fernseher ein. Wenn er doch nur nach Hause kommen würde, so dass sie sehen könnte, was zum Teufel los war. Nachrichten, Nachrichten, Nachrichten. Sie starrte desinteressiert auf den Bildschirm, zappte von Sender zu Sender. Plötzlich stach ihr etwas ins Auge. Oder besser gesagt jemand. Er war es. Mulder. Mulder war im Fernsehen. Er lief außerhalb irgendeines Schauplatzes eines Verbrechens herum. Da waren uniformierte Polizisten und Männer in Anzügen und Reporter. Ein Reporter stand im Vordergrund.

Als sie Mulder im Fernsehen sah, fühlte Jane ein Beben der Erregung. Er sah so... offiziell aus. So verantwortlich. Rannte herum und war Mr. FBI. Sie beugte sich näher heran und versuchte, einen besseren Blick auf ihn zu erhaschen. Er sprach mit einen kleinen alten Mann. Nun, sprechen war vielleicht nicht das richtige Wort. Er fuchtelte wild mit den Armen herum und sein Gesicht wurde rot. Er sah verärgert und besorgt aus.

Jane lehnte sich nervös vor und drehte die Lautstärke auf.

"Bisher scheint es so zu sein, dass vom FBI nur wenige Informationen bezüglich des Verschwindens der Bundesagentin Dana Scully zu erwarten sind. So weit wir wissen, gibt es keine wichtigen Hinweise und es gab bisher auch keine offizielle Erklärung... "

Jane schaltete den Fernseher an der Fernbedienung aus und versuchte, einen beruhigenden Atemzug zu machen. Das war nicht gut. Das war sehr, sehr schlecht. Schon die Polizei? Ihr Apartment ein verdammter Schauplatz des Verbrechens? Sie war vorsichtig gewesen. Sie wusste, dass in Scullys Apartment keine Hinweise zu finden waren. Zumindest war sie sich relativ sicher. Mulder war jedoch ein verdammt guter Ermittler. Wenn sie irgend etwas übersehen hatte, würde er es ohne Zweifel entdecken.

Sie fühlte ihr Herz schnell klopfen. Es war möglich. Was wenn sie irgend etwas vermasselt hatte? Sie könnte nicht ins Gefängnis gehen. Sie wollte nicht.

Jane brauchte etwas anderes. Etwas, das ihn davon abhalten würde, weiter zu suchen. Um ihn und jeden anderen davon zu überzeugen, dass dieses Miststück einfach gegangen war. Dass sie nicht gefunden werden wollte.

 

2:45 morgens

 

Jane fuhr bei dem Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss drehte, zusammen. Nervös sah sie auf das Buch in ihrem Schoß und schob es unter die Couchpolsterung. Sie hatte begierig in Mulders Tagebuch gelesen und damit begonnen, einen Plan zu entwickeln.

Sie blickte zur Tür und Mulder schwankte herein, er sah abgehärmter aus, als sie glaubte, ihn je zuvor gesehen zu haben. Einen Moment lang schien er sie nicht zu sehen. Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen, sein Körper sackte ein und er seufzte schwer. Seine Augen glitten zu und er vergrub sein Gesicht in den Händen. Er gab einen Ton, irgendwo zwischen einem Stöhnen und einem Schluchzen, von sich.

"Mulder?" Das erregte seine Aufmerksamkeit und er sah sie verwirrt und erschreckt an.

"Jane? Was...was tust du hier? Es ist so spät."

"Ich habe auf Scullys Anruf gewartet, so wie du gesagt hast." Er blinzelte eine Sekunde fragend und schien sich dann zum ersten Mal an seine Bitte zu erinnern.

"Du hättest...du hättest nicht die ganze Zeit hier warten müssen." Er ging auf sie zu und eine Minute lang war sie sicher, dass er sich neben sie setzen würde. Doch er ging an der Couch vorbei, blieb am Schreibtisch stehen und blickte aus dem Fenster. Eine Weile stand er schweigend da und starrte ausdruckslos durch das Glas. "Sie hat nicht angerufen, nicht wahr?"

"Ähm...nein. Nein, das hat sie nicht." Er ließ einen Atemzug, den er scheinbar angehalten hatte, aus und drehte sich zu ihr um.

"Nun, trotzdem danke. Du kannst jetzt heimgehen. Ich denke nicht, dass sie noch anruft." Er schien so hoffnungslos. Vielleicht musste sie nichts tun. Vielleicht wurde ihm von selbst klar, dass sie ihn verlassen hatte.

"Ich muss nicht gehen. Willst du darüber reden?"

"Darüber reden... nein. Nein, da gibt es nichts, worüber man sprechen könnte. Ich bleibe sowieso nicht hier. Ich bin nur zurückgekommen, um zu duschen."

"Wo gehst du hin?"

"Ich suche nach Scully." Er sagte es, als ob es die offensichtlichste Sache der Welt wäre. Als ob sie ein Narr wäre, das auch nur zu fragen.

"Mulder, bist du sicher, dass das eine gute Idee ist? Vielleicht solltest du dich ausruhen. Oder zumindest mit jemandem reden..."

"Ausruhen? Reden?! Meinst du das verdammt noch mal ernst?" Plötzlich wirkte er äußerst verärgert. "Sieh mal Jane, danke, dass du hier gewartet hast und alles, aber du musst nach Hause gehen. Und ich muss von hier verschwinden." Er ging an ihr vorbei in Richtung Badezimmer.

"Mulder...," rief sie mit ihrer traurigsten Stimme. Er drehte sich um und sah sie wieder mit dem gleichen verärgerten Ausdruck an. Sie versuchte, ihm die herbe Enttäuschung, die sie für ihren verlorenen Abend empfand, zu zeigen. Als sie sah, wie sich sein Gesicht ein wenig entspannte, pochte ihr Herz.

Mulder fuhr mit der Hand durchs Haar und wischte sich dann über die Augen. Er seufzte tief und sagte, "Sieh mal Jane, es tut mir leid. Ich hätte nicht so... Danke. Ich danke dir sehr, dass du geblieben bist, das war wirklich..." Er brach für einen Moment ab und trat näher zu ihr. Jane kam ihm auf halbem Weg entgegen. "Das war wirklich wundervoll von dir."

Jane fühlte bei dem Klang seines nun leisen, sanften Tons eine Welle der Wärme durch ihren ganzen Körper laufen. Sie hatte etwas richtig gemacht. Er glaubte, sie war wundervoll. Und trotz des erschöpften Ausdrucks auf seinem Gesicht sah er erstaunlich aus. Bei der Erkenntnis, wie nahe er ihr gerade war, klopfte ihr Herz sogar noch schneller. Als er seine Augenbrauen mit der Bitte um Vergebung anhob, spürte sie wie sich ihr Atem beschleunigte. Sie lächelte so liebevoll, wie sie konnte. Bevor er weggehen konnte, sprach sie, "Mulder, ich hasse es, dich das jetzt zu fragen, aber..." Unsicher darüber wie sie ihn fragen sollte, verstummte sie.

"Was ist denn, Jane?" Oh Gott, seine Stimme war wie Samt.

"Was ist mit der Regression?" Sie hob ihren Kopf und bedachte ihn mit einem erbarmungswürdigen Blick.

Er öffnete den Mund und entfernte sich von ihr. "Jane, ich..." begann er. "Ich glaube nicht, dass wir das bald tun können. Tatsächlich bin ich mir nicht sicher ob wir überhaupt dazu imstande sein werden. Ich kann nicht... ich muss... ich muss sie finden."

"Aber Mulder, ich habe Ang-," Sie brach ab, weil er den Raum bereits verlassen hatte.

 

Jane Harris Apartment

3:00 morgens

"Verdammt!" Scully hörte Jane durch die Vordertür hereinstürzen und durch das Wohnzimmer stürmen. Sie riss die Tür zu Scullys Zimmer auf und knipste das Licht an. Mit Augen wild vor Zorn starrte sie Scully an.

"Das ist einfach großartig. Verdammt großartig." Sie lief zum Kleiderschrank und zog ein großes Kuvert aus einer der Schubladen.

Scully beobachtete Jane bei ihrem Anfall und sagte leise, "Jane. Jane, bitte, Ich brauche etwas Wasser. Bitte."

Jane schien Scully nicht reden gehört zu haben, als sie den Inhalt des Kuverts auf den Tisch neben dem Bett kippte. Sie setzte sich in den Sessel und wühlte sich durch die leeren Papierblätter. "Auf keinen verdammten Fall. Du musst da was für mich tun."

Jane kam auf das Bett zu und beugte sich zu Scullys Gesicht hinunter. Sie presste Scullys Ohrläppchen zwischen ihren Fingern, den Druck immer verstärkend. "Und wenn du irgend etwas versuchst, IRGEND ETWAS, Dana Scully, dann breche ich dir beide Beine." Als Jane begann, das Ohrläppchen mit ihrem Ohrring hinunter zu ziehen und etwas Haut aufriss, saugte Scully an ihrer Unterlippe und hielt ihren Atem an. "Ich meine das verdammt ernst. Du wirst mir das hier NICHT ruinieren. Kapierst du das?"

Scully nickte und Jane zog sie zu dem Sessel. Die Seiten vor ihr waren verschwommen und für einen Moment dachte sie, dass sie sich darüber übergeben würde. Als Jane ihr einen Füller reichte, wurde ihr klar, dass sie von ihr erwartete, die Lösegeldforderung zu schreiben. Oder ihren Selbstmordbrief? Ihr Herz klopfte bis in den Hals.

"Schreib einen Brief, Agent Scully."

 

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Langsam aufwachend, wurde Scully bewusst, dass ihr Kopf nun schlimmer schmerzte als je zuvor. Sie untersuchte ihren Arm so gut sie konnte und stellte an der Art, wie er aussah und an dem intensiven Pochen, das sie fühlte, fest, dass er gebrochen sein musste. Sie brauchte nur einen Augenblick, um sich daran zu erinnern, wozu Jane sie letzte Nacht gezwungen hatte. Diesen verfluchten Brief zu schreiben, ihr rechter Arm schmerzte so sehr, dass sie glaubte, ohnmächtig zu werden. Verdammt sei diese Frau und verdammt sei Mulders dumme Besessenheit. Wie hatte er sich nur in die Geschichte dieser Frau hineinziehen lassen können?

Sie hatte Mulder einen Abschiedsbrief geschrieben. Einen Brief, den sie tatsächlich schon einmal selbst geschrieben hatte. Die Worte waren zwar anders, doch irgendwie war es im wesentlichen das gewesen, was sie ihm in dem Brief vor Jahren, bevor die X-Akten zum ersten Mal geschlossen wurden, geschrieben hatte.

Er drohte, sie völlig, mit ihrer Karriere und ihren Gefühlen, zu verschlingen, wenn sie sich selbst nicht unter Kontrolle hielt. Sie fragte sich immer wieder selbst, wo sie hoffte hinzugelangen, wenn sie ihre ersten Jahre beim FBI mit diesem Mann, den jedermann mit einem Wahnsinnigen zu vergleichen schien, verbringen würde. In irgendeinen Kellerraum abgeschoben, um mit ihrem `Partner´ zu verstauben.

Was sie Mulder hauptsächlich geschrieben hatte, als sie es erstmals zu Papier gebracht hatte, war ein `Lieber John´ Brief gewesen. Sie hatte ihn sich durchgelesen und in sich hineingelacht, da er sich nicht einmal auf irgendwas in ihrer Partnerschaft bezog. Die Wahrheit bei der ganzen Sache war, dass sie sich vor dem fürchtete, was sie für diesen Mann zu empfinden begann. Sie ängstigte sich zu Tode, weil sie wusste, wie gefährlich es sein könnte, sich zu sehr auf Fox Mulder einzulassen. Also beschloss sie in einem flüchtigen Moment der Angst, dass sie nicht lange genug in der Nähe bleiben würde, um das herauszufinden.

Doch statt dessen folgte sie ihm in den Olympic National Wald, wo ihr klar wurde, wie sehr sie sich um ihn sorgte. Danach wusste sie es dann ohne jeden Zweifel, also sagte sie ihm in einem dunklen Auto, dass sie sich für niemand anderen außer ihm in Gefahr bringen würde. Sie meinte es so und der Brief wurde nachher verbrannt. Nun waren die Dinge so anders. Jetzt wusste sie, dass sie ihn liebte und begehrte und wollte, aber dennoch stieß sie ihn weiterhin fort.

Mulder darf diesen Brief nicht bekommen, dachte sie äußerst besorgt. Sie hatte solche Schmerzen und fühlte sich sehr schwach, doch sie war von dem Bedürfnis überwältigt, hier herauszukommen und zu Mulder zu gelangen, bevor der Brief ihn erreichte. Die Satzstellung war so wie ihre eigene, es war unheimlich. Sie fürchtete, dass sein Selbstmitleid und seine Schuldgefühle über seinen gesunden Menschenverstand siegen würden und er, wenn er daran glaubte, etwas dummes tun würde. Und wenn sie von dort, wo sie gerade war, nicht in einem Stück herauskam, würde er sich die Dinge, die er getan hatte, niemals verzeihen. Und die Dinge, die gesagt worden waren.

"Jane?" rief sie schwach. Eins, zwei, drei; nichts. "Jane?" sie rief ein wenig lauter. Immer noch keine Antwort. Sie nahm einen tiefen Atemzug, füllte ihren Bauch mit Luft und schrie "Hilfe! Bitte, irgend jemand, helft mir!" Das `mir´ kam ein sehr abgehackt heraus und sie begann zu husten. Sie hustete so stark, dass ihre Rippen wehtaten. Sie versuchte wieder zu schreien, dieses Mal zog sie sich näher zu der Wand hinter ihr heran und hoffte, dass die Nachbarn sie hören würden.

Einige Zeit hatte sie Schwierigkeiten, zu atmen und ihr Herz raste gefährlich schnell. Sie weinte vor Enttäuschung. Ihre Arme taten ihr von Janes gewalttätiger Behandlung fürchterlich weh, doch sie versuchte die Schmerzen zu ignorieren und hämmerte das Kopfteil des Bettes gegen sie Wand. "Hilfe," schrie sie wieder mit Tränen in der Stimme. "Helft mir doch irgendjemand."

Scully ächzte gequält auf. Wütend auf sich selbst, dass sie nicht in der Lage gewesen war, sich aus dieser Situation zu befreien, bevor es soweit gekommen war, stöhnte sie gequält auf. Mit den Füßen griff sie nach einem Bein des Tisches, an dem sie den Brief geschrieben hatte, zog ihn zu sich heran und warf ihn dann so kraftvoll sie konnte um.

"Helft mir, ich bin hier drinnen, ich brauche Hilfe," flehte sie wieder jeden potentiellen Retter an.

Vom Stockwerk unter ihr hörte sie ein Geräusch. Jemand schrie ihr zu, mit dem Krach aufzuhören. "Nein, bitte... " Sie stockte und rang nach Atem. "Ich brauche Ihre Hilfe." Sie langte, so wie sie es bei dem Tisch getan hatte, nach dem Stuhl und schaffte es, ihn weit durch den Raum zu schleudern, bis er gegen den Schrank knallte.

"DAS REICHT, HÖREN SIE DAMIT AUF!" Dieses Mal konnte sie die Beschwerde deutlich hören.

Scully schwitzte und keuchte vor Anstrengung, brach auf den Boden zusammen und blieb dort liegen in dem Versuch, sich lange genug zu entspannen, um den stechenden Schmerz in ihrem Arm zu beruhigen. Sie sah sich nach einer anderen Möglichkeit um, Lärm zu machen um, doch sie fand nichts innerhalb ihrer Reichweite.

Oh Gott, Mulder. Wo bist du? Ich brauche dich.

 

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Jane hielt an und parkte vor Mulders Wohnhaus. Sie hatte sich gerade neue Pflanzen für den Garten besorgt, wollte feiern, den Tag kennzeichnen, an dem sie den Brief, der ihrer aller Leben auf eine wunderbare Weise verändern würde, eingeworfen hatte.

Sie lungerte auf dem Bürgersteig vor Mulders Haus herum, in der Hoffnung, er würde sie vielleicht entdecken. Während sie das tat, bemerkte sie ein Polizeiauto, das einige Blocks weiter um die Ecke bog. Von der Angst gepackt, das Auto wäre für sie bestimmt, dass sie womöglich entdeckt worden war, rannte sie zu ihrem Haus und die Treppen zu ihrem Apartment hoch. Sie achtete darauf, niemandem zu begegnen und als sie ihre Wohnungstür erreichte, hörte sie Scully erschöpft schreien.

Durch die Tür stürmend warf sie Scully einen Blick zu, der lebhaften Ärger ausdrückte. "Verdammte Schlampe!" schrie sie sie an, drehte sich dann um und warf einen Blick durch das Fenster. Der Einsatzwagen parkte in zweiter Spur vor dem Haus und sie konnte zwei Polizisten dabei beobachten, wie sie aus dem Wagen stiegen und ins Gebäude gingen.

"Scheiße, Scheiße! Du gottverdammtes kleines Miststück, jetzt ist die Polizei hier! Verdammt." Auf der Suche nach einem geeigneten Versteck für ihre Geisel schritt sie durch den Raum. Zuerst sah sie Scully an und dann den Schrank. Sie ging zu ihm hin, holte alle Sachen, die darin waren, heraus und warf sie auf das Bett. Schnell wie immer, band sie einen Lumpen eng um ihren Kopf, entfernte die Kette vom Kopfende und zog Scully vom Bett hoch. Mit einer Hand hielt Jane Scullys Arm fest und drückte ihn kräftig, mit der anderen packte sie sie an den Haaren und zog ihren Kopf nach hinten, bis sie aufschrie. Diesmal war der Schrei jedoch eindeutig erstickt.

"Würdest du jetzt die Klappe halten? Jesus!" flüsterte Jane harsch.

Sie stieß Scully in den Schrank. Natürlich wehrte sich Scully, bis Jane ihr an den Hals griff und dadurch erreichte, dass Scully benommen und folglich ein wenig schlaff wurde. Dadurch war es Jane besser möglich, sie in das Möbelstück zu packen und die Tür abzuschließen.

Dann lief sie zum Telefon, um Mulder anzurufen. Er hob gerade in dem Moment ab, als sie ein Klopfen an der Tür hörte.

"Jane Harris? Ms. Harris, machen Sie auf! Polizei"

"Nur einen Moment, bitte."

"Hör mal Jane, es tut mir wirklich leid, aber ich bin gerade ziemlich beschäftigt. Ist es in Ordnung, wenn ich dich später anrufe?" Offensichtlich hatte er den Brief noch nicht gefunden. Verdammt.

"Oh, Mulder, bitte, könntest du bitte rüberkommen? Sieh aus dem Fenster, die Polizei ist hier und die sind an meiner Tür, ich weiß nicht was los ist, die schreien mich an, ich soll sie reinlassen und ich weiß nicht mal, wieso..." Sie atmete scharf ein. "Mulder, was soll ich tun? Muss ich sie reinlassen?"

"In Ordnung, bleib' einfach, wo du bist. Ich komme rüber."

 

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"Verdammt! Verdammt noch mal! Verdammte Scheiße!" Mulder grummelte eine scheinbar endlose Flut von Obszönitäten vor sich hin, als er aus seinem Apartment und über die Straße lief. Er hatte gerade versucht, eine alte Quelle und gelegentlichen Informanten zu kontaktieren, nur um herauszufinden, dass dessen Telefon abgeschaltet wurde. Als Jane angerufen hatte, war er gerade dabei gewesen, zurück ins Büro zu hetzen, um die Fingerabdrücke aus Scullys Wohnung im Labor untersuchen zu lassen.

Er hatte es so eilig gehabt zu gehen, dass er fast wieder aufgelegt hätte. Doch dann erinnerte er sich daran, wie sie letzte Nacht Stunden und Stunden neben seinem Telefon gewartet hatte. Er nahm an, dass er ihr etwas dafür schuldete. Scully hätte ihm gesagt, dass er gehen und ihr helfen sollte. Sie war sein Gewissen. Zu dumm, dass er nur darauf hörte, wenn sie nicht bei ihm war.

Als er Janes Apartment erreichte, stand die Tür offen. In ihrem Wohnzimmer standen zwei uniformierte Polizisten und sie schüttelte weinend den Kopf. Es war gelinde gesagt ein seltsamer Anblick, doch Mulder war viel zu verwirrt, um darüber wirklich einen Moment lang nachzudenken.

"Ähm, gibt es hier ein Problem?"

Einer der Polizisten drehte sich zu ihm um. "Es wurde von einem Nachbarn eine Meldung wegen Ruhestörung gemacht. Wer sind Sie?"

Mulder zückte seinen Ausweis, stellte sich selbst vor und die Polizisten wechselten einen Blick. "Es scheint, als ob man sich um das wie auch immer geartete Problem bereits gekümmert hätte. Warum lassen wir die Lady nicht in Ruhe, Jungs?" Er schaukelte unruhig auf seinen Hacken vor und zurück und hoffte, bald von hier verschwinden zu können.

"Uhh...ja sicher. Ich schätze, Sie haben es im Griff." Mulder nickte und brachte die beiden Männer zur Tür. Als sie fortwaren, wandte er sich wieder Jane zu.

 

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Mulders Stimme. Das ist Mulders Stimme.

Scully konnte die Worte zwar nicht verstehen, doch sie wusste, dass er es war. Sie stöhnte schwach. Dann versuchte sie es mit Wimmern. Nichts. Sie sprachen immer noch.

"Mulder, hilf mir," versuchte sie durch den Knebel zu schreien. Mit all der Kraft, die sie noch hatte, versuchte sie sich gegen die Rückwand des Schrankes zu werfen und hoffte, so irgendein Geräusch zu erzeugen. Nach dem ersten Stoß schnappte sie schwer nach Luft. Der Schmerz in ihrem Arm schwoll stark an und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie weinte. Es tat so weh, dass sie glaubte, sie würde sich dort, wo sie war, wieder übergeben.

Plötzlich wurden die Stimmen lauter und sie hörte, wie sich die Tür öffnete. Gott sei Dank, er wusste, dass sie hier war. Er würde sie nach Hause bringen. Gott sei Dank.

Scully hörte seine Stimme nun noch klarer. Sie wimmerte so laut sie konnte, doch sie machten zu viele Geräusche; Mulder, Jane und andere Männer? Vielleicht die Polizei? Sie glaubte das Klicken von Handschellen und ein Kurzwellenfunkgerät zu hören, dessen Rauschen auf- und abschwellte.

Ihr Weinen konnte ihre Aufmerksamkeit nicht erregen und sie war so eng in das Möbelstück eingezwängt, dass sie nicht einmal kräftig genug mit den Füßen trampeln konnte. Frustriert weinte sie noch mehr.

*Mulder, ich bin hier, kannst du mich nicht hören? Weißt du nicht, dass ich hier bin?*

Sie hörte nun nur noch Mulder und Jane sprechen.

"Bist du okay?" fragte Mulder sie.

"Ja, ja, ich glaube schon," antwortete Jane mit falschen Tränen in ihrer Stimme. Dann, "...so viel...Angst...Ich weiß nicht, was ich ohne dich hier getan hätte...wundervoll..."

Scully hörte Mulder wieder leise etwas murmeln. Sie konzentrierte sich auf den Klang seiner Stimme, als ob sie glauben würde, sie würde sie zum letzten Mal hören.

*Mulder, ich brauche deine Hilfe. Bitte. Es tut mir so leid. Bitte lass mich hier nicht zurück.*

"Ich muss gehen...ruf mich an, wenn du was brauchst....Ich muss gehen, Jane," sagte Mulder.

Und dann hörte Scully ihn nicht mehr.

 

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Dienstag, 21:45

Mulders Apartment

Mulder schwankte durch seine Tür und warf seinen Mantel in Richtung Kleiderablage. Er verfehlte sie. Alles war so verschwommen. Und bewegte sich. Leblose Objekte sollten sich nicht so bewegen. Er rieb sich die Augen, versuchte sich den Schleier, der sie bedeckte, abzuwischen, doch das machte alles nur noch schlimmer. Er wusste, was er wirklich brauchte, war Schlaf. Doch das war keine Option. Gott wusste, er war oft genug hier gewesen, um das zu erkennen.

Er hatte nichts. Absolut nichts. Keine Hinweise, keine Anhaltspunkte. Es war, als wäre sie verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Er wusste, dass hier irgend etwas sein musste, das er übersehen hatte. Etwas, das sein Gehirn ihm nicht zu sehen erlaubte. Etwas, das er nicht fassen konnte, weil er zu verwirrt war. Wenn er in dieser Nacht nur nicht zu ihrer Wohnung gegangen wäre. Gott alleine wusste, wie anders die Dinge dann wären.

Mulder fragte sich wieder, was in aller Welt er sich dabei gedacht hatte. Warum hatte er es getan? In welchem hormongesteuerten Zustand hatte er sich befunden?. Ein verdammter psychotischer Schwachkopf, der mitten in der Nacht seine Partnerin sexuell belästigte. Was zur Hölle stimmte nicht mit ihm?

Als er, sich selbst fleißig scheltend, am Esstisch vorbeiging, bemerkte er aus den Augenwinkel heraus etwas. Es war ein Briefumschlag, auf dem in großen, schwarzen Buchstaben sein Name stand. Jemand hatte ihn hierher gelegt. Jemand mit einem Schlüssel.

Er setzte sich zum Tisch und nahm den Umschlag in seine Hände. Sie zitterten. Sein ganzer Körper zitterte. Seine Finger glitten über die Vorderseite des Umschlags. Er war von Scully. Das wusste er. Er musste ihn sofort öffnen, doch er wurde von einer unerklärlichen Angst, die an Panik grenzte, gepackt. Er wollte ihn nicht öffnen.

Sobald er den Verschluss geöffnet hatte und die klare, regelmäßige, ordentliche, kleine Handschrift sah, verstand er. Und er fühlte, wie sich ein vernichtendes Schluchzen in seiner Brust entwickelte, noch bevor er ein einziges Wort gelesen hatte.

 

Mulder,

Ich hoffe, dass du mir in deinem Inneren dafür vergeben kannst, dass ich dir dies hier nicht persönlich mitteile. Ich denke, du weißt so gut wie ich, wenn ich mit dir von Angesicht zu Angesicht sprechen würde, würdest du die Worte, die Mittel finden, um meine Meinung zu ändern. Du wusstest immer, wie du mich manipulieren konntest, so subtil, dass ich es selbst kaum wahrnehmen konnte. Und dieses Mal kann ich es mir nicht leisten, in dieser Weise beeinflusst zu werden. Dieses Mal muss meine Entscheidung endgültig sein, in Stein gemeißelt.

 

Nachdem er den ersten Absatz gelesen hatte, traf ihn die Erkenntnis, dass sie hierher gekommen sein musste, in sein Apartment. Sie war in diesem Raum. Und das erst kürzlich. Wie kürzlich? Hatte er sie gerade um Minuten verpasst?

Ohne noch mal darüber nachzudenken, sprang er von seinem Sitz auf und stürmte in den Hausflur. Er sah sich wild um und rief laut ihren Namen. Der Flur war verlassen. Seine Stimme hallte von den Wänden wider.

Er rannte zum Aufzug und drückte den Abwärtsknopf. Nach fünfzehn Sekunden entschied er, dass das zu lange dauerte und stürmte zu den Treppen. Er nahm gleich zwei, drei, vier Stufen auf einmal. Sein Herz klopfte ungestüm in seiner Brust. Sie ist hier gewesen. Sie ist verdammt noch mal hier gewesen. Und er könnte sie vielleicht noch einholen. Er hielt nicht an, um einen Moment darüber nachzudenken, was er ihr sagen würde, wenn er sie erwischte.

Schließlich erreichte er das Foyer seines Wohnhauses und rief ihren Namen, als er es betrat. Wieder antwortete keiner. Er ging hinaus auf die dunkle Straße und stand auf dem Bürgersteig, suchte die Umgebung nach ihrem Wagen, ihrem Gesicht, ab.

"Scully!" Er brüllte nun. Leute gingen an ihm vorbei, manche starrten ihn an, die meisten ignorierten ihn. Er sah nur wie ein weiterer Irrer aus, der die Straßen der Stadt durchstreifte.

Nachdem er den Umkreis von drei oder vier Meilen um sein Wohnhaus abgesucht hatte, wurde im klar, dass sie nicht in der unmittelbaren Umgebung war und er nicht wusste, in welche Richtung sie gegangen war. Er entdeckte den obdachlosen Mann, der in der Gasse neben seinem Wohnhaus schlief und rannte zu ihn hinüber. Er war immer da. Vielleicht hatte er sie gesehen.

Mulder warf eine Zwanzigdollarnote in den Schoß des Mannes.

"Wow, danke..."

"Haben Sie eine Frau gesehen?"

"Yep, ich hab eine Menge gesehen."

"Nein, ich meine kürzlich. So in den letzten paar Stunden. Eine...eine kleine Frau, ungefähr diese Größe." Er zeigte mit der Hand auf die Mitte seiner Brust, "rotes, kinnlanges Haar, wirklich hübsches Gesicht..."

"Die, die immer in Ihre Wohnung kommt?"

"Ja, ja, das ist sie."

Der Mann schüttelte den Kopf. "Hab sie heute nicht gesehn. Tut mir leid."

"Mist. Sind Sie sicher? Waren Sie den ganzen Tag hier?" Der Mann nickte und zuckte mit den Schultern.

Mulder sah sich nach jemand anderem um, den er fragen könnte, doch jeder auf der Straße ging eilig von einem Ort zum anderen. Keiner sah so aus, als ob er lange Zeit an diesem besonderen Platz gewesen wäre. Vielleicht hatte sie ja jemand in seinem Wohnhaus gesehen.

Mulder begann im ersten Stock, klopfte an eine Tür nach der anderen, befragte seine Nachbarn auf immer rasendere Art. Er arbeitete sich so bis zu seinem eigenen Stockwerk durch und als er seinen direkten Nachbarn erreichte, war er entmutigt und frustriert genug, um vor dem alten Mann zu weinen. Der Typ fragte ihn tatsächlich, ob er nicht reinkommen wolle, um darüber zu reden.

Nachdem alle Möglichkeiten erschöpft zu sein schienen, kehrte er in sein Apartment zurück. Zu dem Brief. Zu dem, was sein Schicksal zu sein schien.

Er griff den Brief vom Tisch und ließ sich damit auf die Couch fallen, bereitete sich auf die Worte vor, von denen er wusste, dass sie ihn zerstören würden. Und dann las er.

 

Ende Kapitel 4/11

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Kapitel 5/11

 

Dienstag, 22:50

Janes Apartment

Scully keuchte heftig und schoss kerzengerade im Bett hoch.

"Oh Gott, Mulder, nein!"

Sie hatte keine Ahnung, warum sie das gesagt hatte. Sie wusste nur, dass sie von der überwältigenden Angst gefangen war, dass Mulder in Gefahr war, dass er verletzt werden würde. Ihr Herz hämmerte, als sie versuchte, das Gefühl abzuschütteln. Ihr Atem ging schneller und sie fühlte sich sehr verschwitzt. Und plötzlich schrecklich traurig.

Sie sah Mulder in seinem Apartment. Nicht vor sich, aber in ihrem Kopf, wie in einem Wachtraum. Sein Apartment war vollständig zerlegt. Papier, zerbrochenes Glas, Abfall, Bücher bedeckten den Boden. Das einzige Möbelstück, das nicht umgeworfen war, war die Couch, auf der er saß. Sein Körper war vornüber gebeugt und er hielt den Kopf in den Händen, während er vor und zurück schaukelte.

Dann sah sie ihn aufstehen und seine Hände auf den Fernseher legen, so als ob er ihn hochheben wolle. Plötzlich trat er zurück, zog seinen Arm nach hinten, stieß ihn kraftvoll nach vorn und schlug seine Faust durch die Bildröhre. Er warf seinen Kopf mit einem schmerzvollen Schrei zurück und sank auf den Boden.

"Oh Gott, Mulder, nein!" schrie sie in Richtung Fenster. "Mulder, nein!"

"Ich glaube nicht, dass er dich hören kann, Schätzchen."

Es war Jane, die mit einem Grinsen im Gesicht in der Tür stand und sich gegen den Rahmen lehnte. "Jane, bitte..." flehte sie.

"Jane bitte, Jane bitte," äffte sie sie nach. "Weißt du, wie krank es mich macht, das zu hören?"

"Jane bitte, hören Sie mir zu. Ich weiß, wie sehr Sie sich um Mulder sorgen," rief Scully müde. "Sie müssen jetzt zu ihm hinübergehen und ihm helfen. Ich glaube, er hat sich gerade selbst schwer verletzt."

Es schien so, als würde das wenigstens für einen kurzen Augenblick ihre Aufmerksamkeit erregen. Sie überlegte, ob sie ihr glauben sollte oder nicht. "Ach ja. Wie zur Hölle willst du das wissen? Was bist du, Hellseher oder was? Du kannst ihn von hier aus gar nicht sehen!"

Janes Worte klangen für Scully wider besseren Wissens wahr. Sie hatte keine Möglichkeit zu wissen, ob das stressbedingte Halluzinationen waren oder nicht. Worüber sie sich aber absolut sicher war, war das Gefühl der Verzweiflung, nicht für sich selbst, sondern für Mulder. Alles worüber sie sich im Moment Sorgen machte war, ob Mulder in Ordnung war. Jane war ihre einzige Hoffnung. "Ich weiß nicht, woher ich es weiß. Ich habe nur, ich habe nur dieses Gefühl." Sie seufzte schwer und wusste selbst nicht genau, wo die Worte herkamen, die sie da aussprach. "Sehen Sie nach. Bitte. Wir müssen ihn daran hindern, sich selbst zu verletzen."

Jane lachte boshaft. "*Wir* machen gar nichts, Ms Scully. Du versuchst doch nur, mich auszutricksen. Wie, weiß ich nicht, aber wenn du auch nur eine Minute glaubst, du könntest dich aus dieser Situation herausreden, dann bist du verrückt. Nun, sogar verrückter, als du dich bereits benimmst." Sie stand am Fußende des Bettes und lachte Scully kopfschüttelnd aus.

"Hey, wir sind nicht sehr dickhäutig, nicht wahr? Es braucht nicht viel, dich um den Verstand zu bringen, oder?" Sie schnalzte laut mit der Zunge. "Und Mulder sagt, du bist die Starke. Ha!" Sie kam zu Scully und beugte sich über sie. Für Scully überraschend, packte sie sie an den Haaren und zerrte daran. "Nun, jetzt finden wir die Wahrheit heraus, nicht wahr?"

Jane lachte wieder, als sie die Tür zuschlug und in ihren Garten ging. Als sie so dastand und die Früchte ihrer Arbeit bewunderte, siegte die Neugier in ihr und sie wollte unbedingt Mulder sehen. Vielleicht war er beschäftigt, mit dem beschäftigt, wobei sie ihm am liebsten zusah. Sie spürte, wie ihr sehr warm wurde bei der Erinnerung daran, als sie mit großer Erwartung durch die Kamera sah. Ihre Augen leuchteten angesichts dessen, was sie sah.

Jane lief los und begutachtete sich im Spiegel. Natürlich sah sie wunderbar aus. Zwei Minuten bis zum Vorhang, Ms. Harris, Sie werden heute Abend den Part der Ärztin anstelle von Agent Scully spielen. Sie lächelte und gluckste angesichts der Bilder von Mulder und ihr, die ihr Gehirn ihr offerierte.

"Perfekt!" rief sie aus, als sie aus dem Badezimmer rauschte. Sie lachte beinahe unkontrolliert. "Das ist einfach zu PERFEKT!!" schrie sie aufgeregt.

 

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Ich vermute, dass du jetzt, wo du meine Abwesenheit bemerkt hast, weder Zeit noch Mühe scheuen wirst um nach mir zu suchen. Ich schreibe dies, um dich von dieser Last zu befreien. Ich schreibe dies, um dich wissen zu lassen, dass ich nicht gefunden werden möchte.

Zu allererst muss ich dir sagen, dass diese Entscheidung nicht allein auf unserer Auseinandersetzung von Freitag Nacht beruht. Dies ist kein unüberlegter Schritt, geboren aus der Hitze des Augenblicks. Obwohl es wahr ist, dass die Ereignisse dieser Nacht einen bestimmten Drang zur Eile schufen, ein Bedürfnis, diesen grausamen, uns gegenseitig zerstörenden Weg, auf dem wir uns befinden, so schnell wie möglich zu verlassen, so sind die Probleme, die sie hervorbrachten, nicht neu.

Tatsache ist, obwohl wir diese Jahre zusammen verbrachten, in denen wir uns gegenseitig bis zu einem gewissen Grad unterstützt haben, kann ich den Fakt nicht länger ignorieren, dass wir mehr Leid in das Leben des anderen bringen als Glück.

Wir waren schon früher in dieser Sackgasse. Das letzte Mal war mein Verlangen nach getrennten Wegen beinahe vollkommen durch das Bedürfnis motiviert, dich zu beschützen. Ich spürte, dass meine Gegenwart in deinem Leben ein Hemmnis war, dass ich dich davon abhielt, deine Ziele zu erreichen und dass ich als Werkzeug von denen benutzt worden war , die dir schaden wollten. Diese Sorgen sind nicht verschwunden. Ich erkenne, dass du glaubst, du würdest mich brauchen. Ich kann mir dich jetzt vorstellen, während ich das schreibe, wie du protestierend deinen Kopf schüttelst, wenn du das liest. Aber Mulder, deine Weigerung, meinen zerstörerischen Einfluss anzuerkennen und deine wachsende Abhängigkeit von mir vergrößern die Probleme nur.

Und diese Probleme sind genauso die meinen. Dieses Mal gehe ich nicht nur zu deinem Schutz, sondern auch zu meinem. Ich muss deine Worte beherzigen, Mulder, mein eigenes Leben finden, Ärztin sein, solange ich noch kann, fliehen bevor ich ganz geschluckt werde.

Ich hoffe, du kannst dieses Bedürfnis verstehen und du kannst mich gehen lassen und mir schließlich vergeben. Ich weiß, dass du dich fürchtest, dass du glaubst, nicht in der Lage zu sein, dich allein der Zukunft zu stellen. Das ist mit ein Grund, warum ich gehen muss, damit du deine eigene Stärke kennenlernen kannst. Du hast sie in dir, um diese Reise fortzusetzen und du musst es tun. Und du musst aufhören, nach mir zu suchen, Mulder. Du musst mich aufgeben, um unser beider willen. Wenn du versuchst, mich zu finden, wirst du kein Glück haben und wenn es dir doch gelingt, wirst du damit nichts erreichen. Du musst mir mein Leben zurückgeben. Du musst mich glücklich werden lassen und selbst ein bisschen Frieden finden.

Du musst mir zuhören, wenn ich Lebe wohl sage, Mulder.

Lebe wohl, für immer.

Scully.

 

Mulder saß lange Zeit auf der Couch und starrte ausdruckslos auf die Worte auf dem Papier, ohne ihre Bedeutung vollständig aufzunehmen. Er las sie wieder. Und wieder. Und wieder. Und langsam begannen sie, ihm klarzuwerden. Sie wurden klarer und klarer, drangen in seinen Geist ein, schlichen sich in seine Seele, sein Herz, sein Blut.

Sie verließ ihn. Nein, nicht verließ, sie hatte ihn verlassen. Sie hatte ihn bereits verlassen. Nicht das FBI, nicht die X-Akten, sondern ihn. Für immer.

Mit zitternden Beinen stand er auf und brachte den Brief zu seinem Schreibtisch, um ihn in besserem Licht lesen zu können. Vielleicht hatte er irgend etwas übersehen. Vielleicht gab es ein Wort oder einen Satz, den er zufällig übersprungen hatte.

Mulder saß am Schreibtisch und las jedes einzelne Wort.

In Stein gemeißelt.

Ich möchte nicht gefunden werden.

Gegenseitig zerstörender Weg.

Zerstörender Einfluss.

Deine Worte beherzigen.

Ganz geschluckt.

Lass mich glücklich sein.

Leb Wohl.

Leb wohl.

Leb wohl.

Für immer.

Die Worte begannen zu verschwimmen, als Tränen seinen Blick trübten. Seine Hände zitterten, als er die oberste Schublade seines Schreibtisches aufzog und den Brief mit einer seltsamen, sanften Erehrbietung hineinlegte. Es war alles, was er von ihr hatte. Alles, was er jemals haben würde.

Er schloss die Schublade und starrte ausdruckslos auf seinen Computerbildschirm. Sein e-mail-Ordner war offen und die 15 Nachrichten, die er in den letzten 24 Stunden an sie geschickt hatte, starrten ihn an. Nachrichten, die niemals beantwortet werden würden.

Aus irgendeinem Grunde war das der letzte Strohhalm, der Gedanke, der bewirkte, dass ihm die Realität der Situation voll zum Bewusstsein kam. Seine Hände zuckten auf der Schreibtischplatte. Er bis sich auf die Unterlippe und versuchte, das hilflose Jammern zurückzuhalten, das sich in ihm bildete. Es funktionierte nicht. Er stieß einen Schrei aus, ähnlich dem eines verwundeten Tieres, und schleuderte die Sachen, die auf seinem Schreibtisch standen, auf den Boden, einschließlich des Computers.

Unzufrieden mit dem Grad der Erleichterung, den er erreichte, stand er auf und ging zum Couchtisch, kippte ihn um und zerbrach dabei auch die Lampe. Es war nicht genug. Es konnte nie genug sein.

Mit verzweifelter Entsagung begann er Bücherregale, Beistelltischchen, Lampen, Sessel, Altpapier und schmutziges Geschirr umzuwerfen. Alle Erinnerungsstücke an ein anderes Leben. Ein Leben, das nun vorbei war.

Er bemerkte sein Tagebuch, das auf dem Boden ausgebreitet lag. Worte. Seine Worte. Noch mehr sinnlose, dumme Worte, die ihn nie mehr irgendwohin führten.

Ich will sie so sehr.

Gott sei Dank hat sie mich nicht verlassen.

Ich hoffe, sie kann mir verzeihen.

So schön.

Ich liebe sie.

Ich brauche sie.

Ich will sie.

Wütend riss er eine Seite nach der anderen aus dem Buch und zerfetzte sie in kleine Schnipsel. Dumme, dumme Gedanken. Seite um Seite jämmerliche, besitzergreifende, zerstörerische Gedanken.

Er machte sich über seine Videosammlung her. So viel Bänder. Beinahe eins für jeden verdammten Tag, den er damit verbracht hatte, sich vorzustellen, Scully und er wären die Menschen auf dem Bildschirm. Krankhafte Gedanken. Krankhafte Wünsche. Wünsche, die sie fortgetrieben hatten.

Er riss die Bänder aus den Plastikhüllen und wollte, dass alles, was sie in seinem Leben repräsentierten, mit ihnen verschwand. Und dabei leierte er.

"Es tut mir leid, Scully. Es tut mir leid. Tut mir leid. Tut mir leid."

Bald war sein ganzes Apartment bis zur Unkenntlichkeit zerlegt. Und sie war dennoch gegangen. Es hatte sie nicht zurück gebracht und es hatte ihm keinerlei Befriedigung gegeben.

Inmitten der Trümmer ging er in die Knie, direkt vor dem Fernseher. Da war eine Frau auf dem Bildschirm, ihr Mund offen in einem stummen Schrei, während sie sich unter den Händen eines gesichtslosen Mannes wand. Ekelhaft. Schmutziges ekelhaftes gemeines Schwein. Natürlich war sie gegangen. Wer würde bleiben?

Er ballte seine Hand zur Faust und stieß sie zerstörend durch die Bildröhre.

 

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Jane klopfte vorsichtig an Mulders Tür, aufgeregt, aber auch ein wenig nervös. Er schien extrem labil zu sein, als sie ihn durchs Fenster gesehen hatte. Das war möglicherweise zu ihrem Vorteil, aber sie war sich nicht ganz sicher, was sie zu erwarten hatte.

Sie hörte ein gedämpftes Stöhnen als Antwort auf ihr Klopfen. Und dann irgend etwas, das sich wie ’Verschwinde’ anhörte.

Jane probierte den Türgriff und fand die Tür unverschlossen vor. Sie schob sich in das Apartment und schloss die Tür hinter sich. Er saß immer noch wie ein heulender Narr auf dem Boden, starrte auf den zersplitterten Bildschirm des Fernsehgerätes, war sich anscheinend der zerfetzten, blutigen Reste seines Armes nicht bewusst. Es sah auch so aus, als würde er im Glas knien.

"Mulder?" rief sie leise. Er blickte auf und sie sah, dass er auch einige Schnittwunden und Kratzer im Gesicht hatte. Und dass da Tränen waren, die über seine Wangen liefen.

"Ja?" Er sah sie an, als hätte er sie nie zuvor im Leben gesehen.

"Mulder, was ist passiert? Bist du in Ordnung?" Jane eilte an seine Seite und setzte sich zu ihm in die Trümmer. Er schüttelte den Kopf und fuhr fort, auf den Bildschirm zu starren.

"Hat mich verlassen... sie... sie ist fort..." Perfekt. Absolut perfekt. Endlich hatte er den Brief bemerkt. Und ihn voll und ganz abgekauft.

"Oh Mulder. Es tut mir so leid." Sie streckte ihre Hand aus und streichelte ihm sanft übers Haar. So krank es sie machte, ihn so verzweifelt wegen dieser dummen Hexe zu sehen, musste sie doch zugeben, dass es etwas unheimlich Erotisches hatte, ihn so zu sehen.

"Sie... sie ist fort... sie... ich kann sie nicht finden..." Nein, das kannst du nicht. Und du wirst sie niemals finden. Er hatte schließlich aufgegeben. Gott sei Dank.

Sie kroch herum, um sich vor ihn zu setzen, zwischen seine Knie. Sie nahm sein Gesicht in ihre Hände und zwang ihn dazu, sie anzusehen. Sein Blick war unkonzentriert, aber er schien zum ersten Mal zu bemerken, dass sie tatsächlich da war.

"Jane?"

"Ja, Mulder. Ich bin es. Ich bin hier." Mit ihrem Daumen strich sie ihm die Tränen fort.

"Sie ist gegangen." Er sagte es so, als würde er ihr etwas sagen, dass sie nicht bereits wusste. Als wenn er nicht die ganze Zeit darüber geplappert hätte, seit sie herein gekommen war.

"Ich weiß, Mulder. Es tut mir leid. Ich... ich verstehe es nicht..."

"Sie ist gegangen."

"Ich weiß, aber... aber warum? Ich meine..." Sie sah ihm tief in die Augen und flüsterte, "wie?"

"Sie ist gegangen." Sie spürte eine Anflug von Ärger. Er war total durcheinander. Er würde es niemals schätzen, dass sie da war und sich um ihn sorgte, wenn sie nicht einmal mit ihm reden konnte. Und dann schien er eine Sekunde lang auf seinen Knien zu schwanken. Es sah aus, als würde er gleich umfallen. Und er packte ihre Schultern. Er packte sie. Er berührte sie! Umklammerte sie so fest, dass sie daran zerbrechen konnte.

"Ich verstehe nicht, wie sie das machen konnte. Wie irgend jemand dich verlassen könnte. Mulder, jede Frau wäre froh, dich zu haben. Glücklich."

"Sie ist fort." Verdammt! Ihre Worte gingen vollkommen an ihm vorbei. Sie brauchte etwas drastischeres. Sie musste mit den Andeutungen aufhören und ihn wissen lassen, dass sie in jeder denkbaren Weise für ihn da war. Sie musste ihn da herausholen.

"Mulder, es war falsch von ihr, dich zu verlassen. Wenn sie verrückt genug war, dich zu verlassen, verdient sie dich überhaupt nicht. Du brauchst jemanden, der dich versteht und dich akzeptiert. Jemanden, der sich um dich kümmern kann."

"Sie..." Mulder verstummte und blickte sie neugierig an. "Was?" Seine Lippen öffneten sich verwirrt. Wundervolle, erotische Verwirrung. Oder war es etwas anderes? Vielleicht eine Einladung? Bestätigung, dass sie die Wahrheit sprach? Dass er schließlich verstand, was sie ihm geben konnte? Wie auch immer, irgendwie war sie zu ihm durchgedrungen. Er war hier. Irgendwie.

Rasch wog sie ihre Möglichkeiten ab. Es war an der Zeit. Die Art, wie er sie ansah, wie seine Lippen offen und feucht waren – er wartete auf sie. Er wollte, dass sie ihm half, den Schmerz fortnahm und ihm ein wirkliches Leben gab, eine wirkliche Frau. Das war der Augenblick. Es war nicht mehr nötig, noch länger zu warten. Er war bereit für sie und Gott wusste, sie war bereit für ihn. Seine Haut war kalt unter ihrer Hand, aber sein Atem war warm in ihrem Gesicht. Er war so wunderschön, sogar jetzt. Gott, es war wirklich an der Zeit.

Sie beugte sich zu ihm und ihre Lippen legten sich sanft auf seine.

 

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Als sie ihren Aufschrei der Freude hörte, war sich Scully sicher, dass Jane das gesehen hatte, was sie sich gerade vorgestellt hatte. Sie war sowohl erleichtert als auch verängstigt darüber, dass Jane zu Mulder hinübergegangen war.

Scully drehte sich um und versuchte, es sich in dem Bett bequemer zu machen. Sie war so erschöpft, sie fühlte sich so krank. Schwindlig. Müde. Und ihre Harnblase brachte sie um. Sie wusste, dass es nicht gut war, mit dem Drang dazuliegen, aber sie hatte sich so davor gefürchtet, das Bett zu verlassen, solange sie wusste, dass Jane da war. Jane hatte ihr bewiesen, dass sie absolut unberechenbar und unglaublich wahnsinnig war, so dass Scully nie wusste, was sie von ihr zu erwarten hatte. In einer Minute schien sie normal, in der nächsten war sie so erschreckend. Egal wie, sie fürchtete sich schrecklich davor, auch nur falsch zu atmen.

Sie war dabei verrückt, zu werden. Jane scherzte nicht.

Jane war so rücksichtsvoll gewesen, die Kette, an die sie gefesselt war, lang genug zu lassen, damit sie das angrenzende Bad erreichen konnte. Was nett war, wenn man von der Tatsache absah, dass Scully nichts dagegen machen konnte, sich wie ein Haustier zu fühlen, dem es nur erlaubt war, sich ein paar Schritte frei zu bewegen, innerhalb derer es sich hinlegen und sein Bedürfnis verrichten konnte.

Scully stand von der Toilette auf und benutzte den Arm, der nicht wehtat, um sich ihre Hosen wieder hochzuziehen. Plötzlich musste sie sich festhalten, um nicht nach vor zu stürzen. Dann griff sie sich an den Arm. Ihren nicht gebrochenen Arm. Schmerz schoss hindurch und schickte ein Pochen hinauf in die Schulter und hinunter in die Fingerspitzen. Sie kniff die Augen zusammen und schickte ihre Eitelkeit zum Teufel.

"Ahh..." keuchte sie und schrie auf. Es fühlte sich an, als ob jemand mit einer Schere an hundert verschiedenen Stellen gleichzeitig an ihr herumschnitt. Der Schmerz war unerträglich. Sie kniete sich vor der Toilette hin und ihr war so übel. Der Schwindel überkam sie wieder und sie setzte sich auf den Boden.

*Mulder, hör mir zu, bitte. Mulder, tu das nicht,* wollte sie ihm mit aller Macht sagen, bis alles um sie herum schwarz wurde.

 

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Mulder brauchte ein paar Minuten, um zu begreifen, was da geschah. Er saß, als Jane ihn küsste, vollkommen bewegungslos auf seinen Knien, die Augen offen. Er fühlte Hände, die sein Gesicht streichelten, Lippen, die über seinen Mund strichen, einen Körper vor ihm, der ihm immer näher kam. Aber die ganze Sache schien weit weg zu sein, als wenn sie jemand anderem passierte. Es war so fehl am Platz, so unerwartet, dass er es nicht einmal mit seinem Verstand wahrnahm.

Sein Verstand war woanders. Sein Verstand war an einem dunklen, leeren Platz, wo ‚sie hat mich verlassen’ sein einziger Gedanke war, die einzige Realität.

Dann fühlte er ihre Hände, die in einer total angreifenden Art über seinen Körper glitten und er zog sich zurück. Sie fasste ihn an. Warum fasste sie ihn an? Wie lange fasste sie ihn schon an?

Er fühlte sich seltsam verletzt. Und er konnte nicht anders als sich zu fragen, ob Scully sich so gefühlt hatte. Als er ungebeten mitten in der Nacht in ihr Apartment kam, sie geküsst, angefasst, aggressive, ungewollte Vorstöße gemacht hatte. Es musste so gewesen sein. Gott, so musste sie sich gefühlt.

Außer dass diese Frau praktisch eine Fremde war. Seine Putzfrau, um Gottes Willen. Er aber hatte es der Frau angetan, sie seine Freundin sein sollte. Seine beste Freundin. Seine einzige Freundin. Der Frau, die er isoliert und dem Rest der Welt entfremdet hatte, so dass auch er ihr einziger Freund war. Er begann, die Tiefe seines Verrats voll zu verstehen.

Und mal ehrlich, Jane war eine Frau, er war ein Mann. Er konnte dies leicht beenden, konnte sie in einer Sekunde überwältigen. Scully hatte diesen Vorteil nicht gehabt. Er war so viel größer als sie. So stark und mutig sie auch war, er überragte sie. Er wusste, er konnte sie überwältigen, wenn er es wollte. Nicht dass er es jemals versuchen würde, aber das Wissen darum war da und er war sicher, dass sie es auch wusste. Sie musste wenigstens ein bisschen verängstigt gewesen sein. Eingeschüchtert. Durch ihn. Seine Scully. Er hatte sie erschreckt und verletzt und war nahe daran gewesen, sie zu vergewaltigen. Er wusste, dass er nicht so weit gegangen wäre. Sobald er gewusst hätte, dass sie unglücklich über das war, was er tat, hätte er aufgehört. Aber sie hatte es nicht gewusst. Nicht wirklich. Nach allem, was sie wusste, hätte er weitergehen können. Gott wusste, es hatte lange genug gedauert, bis er begriffen hatte, dass sie ärgerlich und nicht erregt gewesen war. Was, wenn er ein bisschen betrunkener gewesen wäre? Was, wenn er es überhaupt nicht bemerkt hätte?

*Gott, Scully, es tut mir so leid. Wenn du zu mir zurückkommen würdest, ich würde alles wieder gut machen. Bitte komm zurück. Kannst nicht verstehen, was ich ohne dich bin?*

Er fragte sich, ob sie ihn wohl hören könnte, wenn er fest genug daran dachte?

*Mulder, hör mir zu...* Ihre Stimme, weit entfernt und blechern, als wenn sie in eine Metallschachtel sprach, hallte in seinem Kopf wider. Sie war leise, aber sie war da. Er spürte sie.

Dann sah er auf seinen Arm herab und erkannte, dass er wahrscheinlich einen Schock hatte und halluzinierte. Und er erkannte auch, dass Jane immer noch da war und dass sie immer noch zärtlich zu ihm war und ihn küsste. Er zuckte von ihren Lippen zurück.

"Jane, was... was tust du da?" Er bemerkte, dass sie schwer atmete. Dass ihre Haut gerötet war. Sie war erregt. Sie wollte ihn. *Sie* wollte ihn! Die Ironie war schmerzlich und komisch und jämmerlich.

Sie schien ihn überhaupt nicht gehört zu haben. Ihre Hände waren immer noch überall auf ihm, wanderten über seine Brust langsam abwärts und begannen, sein Hemd aufzuknöpfen. Ihr Mund begann sich zu seinem Hals zu bewegen, ihn zu lecken und zu saugen. Sie nahm seinen unverletzten Arm und legte ihn an ihre Seite, beinahe auf ihre Brust. Sie stöhnte und seufzte und rieb sich an ihm. Sie hörte nicht auf und sie hörte ihm nicht zu. Hatte sie nicht gespürt, dass er sich fortbewegt hatte? Hatte sie ihn verdammt noch mal nicht gehört?

"Jane. Was tust du da?" Diesmal sagte er es lauter und kraftvoller. Sie zog sich ein wenig zurück und sah ihn mit einem verwirrten Stirnrunzeln an.

"Ich dachte, dass... dass ich... dass wir..." Gott, wie traurig. Was für ein vollkommen und total trauriges Paar sie abgaben. Er fragte sich, ob irgend jemand jemals den Menschen bekam, den er wollte. Ob Liebe der grausamste Feind war, dem er jemals gegenüberstand.

"Jane, du solltest jetzt nach Hause gehen."

"Aber... ich..." Er sah die Tränen, die sich in ihren Augen zu bilden begannen. Und er wünschte, er könnte wenigstens ein bisschen Sympathie für sie empfinden. Etwas menschliches. Aber er war leer. Da war nichts mehr in ihm.

"Du musst gehen."

"Mulder, ich möchte jetzt nicht gehen. Wir sollten wenigstens reden..."

"Jane, bitte geh." Warum hörte sie ihm nicht zu? Was zur Hölle musste er tun, um zu dieser Frau durchzudringen? Sie aus seinem Apartment herauszubekommen, so dass er sein Leben allein betrauern konnte?

"Mulder, lass mich wenigstens nach deinem Arm sehen. Du brauchst einen Arzt." Sie streckte die Hand aus und berührte seinen blutverschmierten Arm. Einen Arzt. Ja, er brauchte verdammt noch mal einen Arzt. Aber nur einen Arzt. Seinen Arzt. Was zur Hölle tat sie? Versuchte sie, sein Arzt zu sein, ihn zu pflegen, ihren Platz auszufüllen? Er zuckte vor ihr zurück und versuchte aufzustehen. Alles drehte sich um sich selbst und er hatte das Gefühl, dass er sich gleich übergeben müsste. Er stolperte rückwärts und fiel auf sein Hinterteil.

"Jane, verschwinde hier."

"Mulder, bitte, lass mich dich in ein Krankenhaus bringen. Oder lass es mich wenigstens saubermachen und verbinden."

"Verschwinde, verdammt noch mal, von HIER!" Es brauchte all seine Energie, um das letzte Wort hervorzubringen. Er begann, weiße Blitze zu sehen. In dem Moment, als sie zur Tür hinausging, wurde er bewusstlos.

 

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"Scheiße! Gott..." Sie griff eine Lampe und überlegte, ob sie sie herunterwerfen sollte. "Verdammt!" Sie warf sich auf die Couch und weinte ein wenig. Warum kann ich es nicht tun? Ich habe es früher gemacht. Die anderen Male war es so leicht gewesen.

Jane hatte Mulder als wirkliche Herausforderung gesehen und die Arbeit wert, weil sie so starke Gefühle für ihn hatte. Er war groß und schön und stark und er duftete so gut. Er war klug, nicht wie die anderen, die waren auch klug und erfolgreich und reich gewesen, aber sie hatten nichts davon mit ihr geteilt. Nach einer Weile hatte sie erkannt, dass sie nur eine Geliebte mit einem Barscheck geworden war. Sie wollte mehr. Sie wollte Liebe. Mulder schien sich wirklich um sie zu sorgen, um ihre Probleme und Gefühle. Also konnte er vielleicht der Mensch sein, der sie lieben würde.

Aber warum zur Hölle konnte er Scully einfach nicht vergessen?

Janes Tränen waren nun vollkommen getrocknet und sie wanderte durch das Wohnzimmer und wurde mehr und mehr wütend. Sie sollte ihr eine Lektion erteilen. Sie musste eine erteilen. Mulder gehörte ihr nicht, sie verdiente Mulder nicht einmal! Menschen wie die verdienten überhaupt nichts und Jane musste diejenige sein, die der hübschen, kleinen Dana zeigte, worum es im Leben ging. Dass sie nicht immer die beste, hübscheste, am meisten gewollte war.

Sie rannte zu dem Zimmer hinüber, in dem sie Scully festhielt und stieß die Tür auf.

Weg. Sie war weg. "Oh, verdammt!" flüsterte sie und fühlte ihren Herzschlag in ihrer Kehle. Wo zur Hölle konnte sie hingegangen sein?

Sie rannte ins Badezimmer. Auf dem Boden lag Miss Priss, schlafend, jedoch weit davon entfernt, friedlich zu sein. Ihre Atmung war flach und sie stöhnte, rief Mulders Namen.

Natürlich. Nun, tut mir leid, aber Mulder wird dich diesmal nicht retten. Er wird dich nicht retten, weil du ihn nicht verdienst.

"Du kannst nicht mal selber pinkeln gehen, warum zur Hölle soll er dich dann wollen?" Sie zerrte Scully grob hoch.

"Was?" fragte Scully erschöpft. "Was wollen Sie – ahh! Oh Gott, Jane, mein Arm, mein Arm."

"Was ich sagen will, ist," ächzte sie und warf Scully auf das Bett. "Von jetzt an gehst du, wenn ich sage, du kannst." Sie zurrte ein Seil um ihre Handgelenke und zog es fest. "Du wirst essen, wenn ich es sage." Damit legte sie das Seil um den Bettrahmen. "Und du wirst trinken, wenn ich sage, dass du kannst." Dann wiederholte sie dasselbe mit Scullys Füßen.

Scully hatte kaum verstanden, was Jane zu ihr gesagt hatte aus Angst um Mulder. "Was ist passiert, Jane? Was ist mit Mulder passiert? Haben Sie ihn ins Krankenhaus gebracht?" Sie hielt inne und hustete, nach Atem ringend. "Bitte, sagen Sie mir, dass es ihm gut geht," flehte sie.

"Ich weiß nicht, ob es ihm gut geht oder nicht," war alles, was Jane antwortete.

"Was?" Ihren Schmerz für einen Moment vergessend, schoss sie so weit hoch, wie es ihre Fesseln erlaubten. "Was meinen Sie damit, Sie wissen es nicht?"

"Ich meine, ich weiß es nicht, weil er mich aus seinem Apartment geworfen hat, verdammt noch mal!" Jane selbst war angespannt und sauer und ihre Brust hob und senkte sich heftig.

"Was ist passiert?" verlangte Scully unter Tränen zu wissen.

"Er hat seinen Arm in seinen Fernseher gestoßen, der verdammte Bastard. Das ist auch alles deine Schuld, das weißt du. Er hat mich nicht mal..." Jane brach ab und begann zu weinen. "Er hat mich nicht einmal die Wunde saubermachen lassen."

Scullys Herz hämmerte, als sie hörte, wie Jane die Vision, die sie gehabt hatte, wiedergab. "Wollen Sie mir damit sagen, dass Sie ihn in diesem Zustand allein gelassen haben? Sind Sie verrückt? Er könnte an dem Blutverlust sterben, er könnte sich eine Arterie verletzt haben, er hat wahrscheinlich einen Schock!" Sie schrie jetzt so laut sie konnte.

"Halt die Klappe!" fauchte Jane. "Halt einfach die Klappe. Ich kann nicht nachdenken, wenn du so schreist! Ich kann nicht nachdenken!" Scully sah, dass Janes Augen voller Tränen waren, als sie ihr Knie in Scullys Brust drückte und sie so ans Bett nagelte.

Scully begann unter dem Druck zu würgen und gerade als sie glaubte, sie könnte nicht noch mehr Schmerz ertragen, legte Jane ihre Hände um Scullys Hals und drückte zu, mehr und mehr. Genau in dem Moment, als sie glaubte, bewusstlos zu werden, ließ Jane los und flüchtete aus dem Zimmer.

 

Ende Kapitel 5/11

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Kapitel 6/11

 

Er hielt sie. Gott sei dank. Er hielt sie wieder. Er hüllte sie ein und kuschelte sich von hinten dicht an sie. Haut an Haut, so nah, daß sie sich wie ein Teil von ihm anfühlte. Sie waren in einem großen Bett mit weißen Laken und weichen Kissen. Da waren überall Pflanzen.

"Scully," seufzte er in ihren Nacken und zog sie noch näher. "Scully, das ist so gut. Ich habe das schon so lange gewollt." Sie war still, doch er wusste, wusste einfach, daß sie das Gleiche empfand.

"So gut. Das ist so gut." Flüsterte er wieder und wieder in ihren Nacken. Mulder konnte an nichts anderes mehr denken. Er ließ seine Hand, um sie zu umfassen und zu drücken, zu ihrer Brust gleiten und presste sich noch fester an sie. Die warme, weiche Haut ihres Hinterteiles war eine perfekte Wiege für seine brennende Erektion. So perfekt. Alles war so perfekt.

Mulder hörte das Plätschern von Wasser und blickte über ihre Schulter. Vor ihr war ein Springbrunnen in der Form eines Löwen. Wasser floß aus seinem Maul und lief über den Holzboden zu Pfützen zusammen. Er beobachtete einen Moment lang wie verzückt das Wasser.

Sie erbebte in seinen Armen und machte ein seltsames, ersticktes Geräusch. Mulder konnte nicht sagen, ob es aus Vergnügen oder Schmerz war. Panik ergriff ihn und er erkannte, dass er es wieder tat, er wollte das nicht tun. Er lag völlig falsch. Warum machte er immer wieder den gleichen dummen Fehler?

Dann sah er, wie sich das Wasser von einem klaren, sprudelnden in einen purpurroten Teich verwandelte. Von der Seite des Bettes lief Blut in das Wasser.

"Scully? Was ist das? Was passiert hier?"

Sie drehte sich in seinen Armen um. Ihr Gesicht war vollkommen verunstaltet, fast bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Bis auf ihre Augen. Er erkannte ihre Augen. Und diese waren voller Angst.

"Mulder, bring mich nach Hause. Ich will nach Hause gehen."

Mulder wachte ruckartig auf. Einen Moment lang war er erschrocken, doch als er erkannte, dass es nur ein Traum und nicht die Wirklichkeit gewesen war, beruhigte er sich. Und dann war er entsetzt, da er erkannte, was die Wirklichkeit war.

Alles, was er in diesem Moment bewußt wahrnahm, war der Schmerz. Ein pochender, unerträglicher Schmerz in seinem ganzen Arm und in seiner Schulter. Er fühlte sich ekelhaft und verwirrt, versuchte sich aufzusetzen und erkannte, dass er inmitten von Glasscherben lag, die seinen Rücken und die Beine zerschnitten. Er stand auf und schwankte.

Mulder sah sich im Zimmer um und die vagen Erinnerungen an die Nacht zuvor überkamen ihn. Er sah an seinem Arm herab, der von getrocknetem, verkrustetem Blut bedeckt war. Die Wunden infizierten sich bereits und er erkannte, dass er Glück gehabt hatte, diese Nacht zu überleben. Allerdings war Glück hier reine Ansichtssache. An diesem Punkt könnte er genauso gut tot sein.

Sie hatte ihn verlassen. Das war kein Alptraum. Das war seine Wirklichkeit.

Doch aus irgendeinem Grund, egal wie sehr er auch versuchte, sich von dieser Tatsache zu überzeugen, sich an die Wahrheit seiner Situation zu erinnern, es wollte einfach nicht zusammenpassen. Irgend etwas schien im Tageslicht nicht richtig zu sein. Irgend etwas in diesem Traum... er war so lebhaft gewesen. Es hatte sich so intensiv angefühlt. Er berührte sein Gesicht, um nach Narben zu suchen. Da war nichts.

Der Schmerz schoß nun noch intensiver durch seinen Arm und er glaubte, dass er in Ohnmacht fallen würde. Mulder musste ihn versorgen. Er mußte ihn reinigen und verbinden und dann damit beginnen, nachzudenken. Wirklich nachzudenken und nicht einfach aus viszeraler Angst heraus zu reagieren.

Als er ins Bad ging, um genau das zu tun, hörte er sein Telefon klingeln. Bedauerlicherweise hatte er keine Ahnung, wo es war. In dem Chaos begann er danach zu suchen und entdeckte es schließlich halb unter seiner Bratpfanne vergraben. Der unordentliche Zustand, in dem sich seine Wohnung befand, war beinahe lächerlich.

"Ja?" antwortete er, ein wenig über die Unterbrechung verärgert. Gott wusste, dass es keine lebendige Seele gab, mit der er im Moment sprechen wollte. Keine, die ihn nun anrufen würde.

"Mister Mulder?"

"Ja."

"Hallo. Hier spricht Charles Scully, Danas Bruder." Oh Gott. Oh nein. Er hatte noch nicht mal an ihre Familie gedacht. Hatte sich noch nicht überlegt, wieviel er ihnen über den Brief erzählen sollte.

Der Brief. Gott, der Brief. Mulder setzte sich an den Schreibtisch und zog den hassenswerten Gegenstand aus der Schublade, in die er ihn gelegt hatte. Er wurde von dem seltsamen Bedürfnis, ihn nochmals zu lesen, erfüllt. Der Brief lag neben dem einzigen Foto, das er von ihr hatte. Es war eine Aufname, die er, als sie bei einer Überwachung schlief, gemacht hatte. Noch eine weitere Verletzung, doch er war nicht dazu fähig gewesen, zu widerstehen. Seine Finger glitten über die Konturen ihres Gesichtes auf dem Foto. Gott sei dank hatte er es bei seinem gestrigen Anfall nicht zerfetzt.

"Äh, hallo."

"Ich fragte mich, ob Sie schon irgendwelche Hinweise über Dana gefunden haben."

"Ugh..." Mulder wollte das nicht am Telefon tun. Er wollte das überhaupt nicht tun. Als er zögerte, blickte er auf den Brief. Ein Wort sprang ihn an. Manipuliert.

Du hast mich immer manipuliert. Manipuliert.

"Ich fragte mich das, weil...nun, eigentlich habe ich mich gefragt, ob wir uns vielleicht treffen könnten, um darüber zu reden. Ich habe den nächsten Monat Landurlaub und ich werde hier in DC bleiben. Und da habe ich mich gefragt, ob ich irgend etwas tun kann, um zu helfen?"

Manipulation. Manipulation. Irgend etwas daran war einfach...falsch. Er sah sich das Bild ihres süßen engelsgleichen Gesichtes an und versuchte sich vorzustellen, dass diese Worte aus ihrem Mund, aus ihren Verstand kommen.

"Mister Mulder?"

"Häh?"

"Ich habe Sie gefragt, ob wir uns treffen können, ob wir darüber reden können..."

"Oh, oh ja." Scullys Bruder wollte sich mit ihm treffen. Plötzlich huschte ihm eine Vision von, wie der andere Mann ihm eine Kugel durch den Kopf jagt, durch seinen Verstand. Mit dem anderen Scullybruder hatte er nicht gerade besonders viel Glück gehabt und diese Situation war geradezu prädestiniert dazu, Feindseligkeiten zu fördern.

Und doch musste ihre Familie so bald als möglich erfahren, was er nun wusste. Oder das, was er zu wissen glaubte. Die Dinge erschienen ihm immer weniger klar zu sein.

"Ja sicher. Wollen Sie mich heute noch treffen?"

"Heute wäre großartig. Sagen wir in einer Stunde?" Mulder sah nochmals an seinem Arm hinunter. Da mußte er noch einiges tun.

"Geben Sie mir zwei."

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In dem Zimmer war es sehr, sehr leise. Scully glaubte, dass sie nach Janes kleinem Anfall eingeschlafen war, doch sie konnte sich nicht völlig sicher sein. Sie konnte sich über nichts mehr sicher sein. Zum millionsten Mal blickte sie sich nach einer Uhr um und konnte wieder keine entdecken.

Draußen war es dunkel und sie hatte keine Ahnung, wie spät oder welcher Tag es war. Seitdem sie in ihrem eigenen Haus gewesen war, könnten zwei Tage oder ein ganzer Monat vergangen sein, sie hatte keine Möglichkeit, es herauszufinden. In der Hoffnung, daß es ihr einen Hinweis auf den Zeitraum geben würde, versuchte sie sich die Ereignisse seit ihrer Entführung ins Gedächtnis zu rufen. Hatte sie den Brief letzte Nacht geschrieben? Aber wann wurde sie dann in den Kleiderschrank gestoßen? Und wann hatte sie ihr diese alten Reiskekse gebracht? War das vor oder nach dem Brief gewesen? Wann hatte Jane ihr zuletzt Wasser gebracht? Wie viele Tage waren vergangen, seitdem sie Mulders Stimme in der Wohnung gehört hatte?

Oder war das auch nur Einbildung gewesen?

Die Konzentration, die diese Meisterleistung erforderte, bereitete ihr Übelkeit und sie mußte die Augen schließen. "Ahh...!" Sie schrie plötzlich auf und fühlte wieder diesen stechenden Schmerz in ihrem Arm. Dann wurde ihr klar, dass ihr Körper immer noch nicht aufgehört hatte zu zittern. Sie schwitzte und fror und hatte Angst.

Die Tür flog auf und Scully zuckte mit weit aufgerissenen Augen zusammen, als sie Jane sah. Das Messer, das Jane in der Hand hielt. Oh Gott, was wollte sie ihr antun?

Scully sah den Wahnsinn in Janes Augen und schüttelte ihren Kopf. "Nein," sagte sie zu ihr.

Aber Jane nickte langsam und lächelte sie drohend an. "Ja," antwortete sie und drückte Scully mit einem Knie flach zurück auf das Bett. Dann führte sie das Messer schnell zu Scullys Gesicht hinunter.

Scully würgte und hielt ihren Atem an. Jane verhielt kurz vor ihrem Gesicht. Sie öffnete die Augen. Jane war immer noch über sie gebeugt und lachte sie leise durch die Nase aus. "Ich erschreck dich, nicht wahr?"

Scully ließ den Atem, den sie angehalten hatte, heraus. Da fühlte sie es. Das Messer stieß in die Haut an ihrer Schläfe. Janes Stimme schien kräftiger als je zuvor zu sein. "Wir werden hier nur ein paar Änderungen vornehmen."

"Ahh!" Als Scully fühlen konnte, wie die Klinge ihre Wange entlang glitt, schrie sie auf.

"Oooh, das ist hübsch. Hübsche kleine Narbe entlang deines hübschen..." Sie ließ das Messer zu ihrer anderen Wange gleiten, "kleinen Gesichtes."

"Aufhören," versuchte Scully zu schreien, doch es kam nicht mehr als ein Flüstern heraus.

"Äh-äh, wir sind hier noch nicht fertig." Scully fühlte noch ein Kratzen entlang ihres Gesichtes und dann noch eines. Als Tränen in ihre Wunden liefen, brannte ihr Gesicht. Wieder hielt sie ihren Atem an und zuckte bei jedem weiteren Schnitt zusammen. Sie hielt ihre Augen geschlossen und versuchte verzweifelt, sich Jane einfach weg zu wünschen.

"Ach du meine Güte, wir sind nun nicht mehr so hübsch, nicht wahr? Was habe ich nur getan? Überall sind kleine Narben. Ich denke nicht, daß man diesen gottverdammt perfekten Teint nun noch makellos nennen kann, hmm? Ich denke auch nicht, dass das Wunden sind , die heilen werden, aber..." Jane brach ab und sah Scully an. Sie schien sich etwas zu überlegen.

Jane erhob sich vom Bett und Scully ließ einen großen Atemzug heraus. Langsam, aber nicht ganz, entspannte sich ihr Körper wieder. Sie lag einfach da und wartete darauf, daß Jane zurückkommen würde. Das war unvermeidlich und alles, was Scully tun konnte, war sich darauf vorzubereiten.

Scully konnte fühlen, wie das Blut ihr Gesicht hinunterlief. Es fühlte sich wie eine brennende Flüssigkeit an und brannte die Narben, mit denen Jane ihr Aussehen für immer verändert hatte, aus.

'Scully, du bist so wunderschön.'

Sie begann zu wimmern.

'Dein Gesicht ist so perfekt, Scully. Makellos. Ich liebe es.'

Nicht mehr, Mulder. Nicht mehr. Sie hat es mir genommen. Sie hat es mir weggenommen. Dir weggenommen. Es tut mir leid, Mulder. Es tut mir so, so leid...

Aus dem Nirgendwo tauchte Jane wieder vor ihr auf. "Gehen wir sicher, daß das auch so bleibt," sagte sie, bevor sie ihr irgendeine Flüssigkeit in das Gesicht spritzte. Es fühlte sich zuerst kalt an. Wasser? Sie betete, das es das war. Dann begann es zu brennen. Sie hatte Angst davor, ihre Augen zu öffnen. Versuchte, den Geruch zu erkennen, aber alles was sie roch, waren ihr Schweiß und ihr Blut. Was ist es gewesen?

"Für den Fall, dass du dich das jetzt fragst, das ist Hydrofluorid-Säure. Schmerzt höllisch, hmm?"

Es schmerzte. Überall. Scully hatte Angst davor, ihren Mund zu öffnen, fürchtete, daß es ihr in den Mund laufen und ihre Kehle verbrennen könnte. Sie wollte ihr Gesicht berühren, um sich irgendeine Art der Erleichterung zu verschaffen. Sie rieb ihr Gesicht an dem Kissen, auf dem sie lag. Oh Gott, was wenn sie sich jetzt ihre Haut abrieb?

"Doch es schmerzt nicht so sehr, wie zurückgestoßen zu werden." Jane packte Scully an den Haaren und schrie ihr ins Ohr. "Aber du hast davon ja keine Ahnung, nicht wahr? Die kleine Miss Perfekt hat es immer leicht gehabt. Alle liebten die hübsche, kleine Dana, oder etwa nicht? Nun, die werden es herausfinden, wenn sie dich jetzt ansehen; du wirst herausfinden, zu was für einem Monster du geworden bist."

Mit einem Lachen brach sie ab. Ein volles bauchiges, böses Lachen, das durch die ganze Wohnung zu hallen schien.

Oh, Mulder. Ich möchte nach Hause gehen. Bitte komm und bring mich nach Hause.

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Scully fühlte sich warm und behaglich. Da war ein zärtlicher, sanfter Druck an ihrem Ohr. Als ein prickelndes Gefühl ihren Körper überflutete, lächelte sie. Sie hörte eine Stimme, die leise in ihr Ohr sprach. "Mmmm...weißt du wie lange ich das schon tun will?"

Es war Mulder. Er umfaßte mit seinen Armen ihre Taille und drückte sie auf das Bett. Scully fühlte sich so erleichtert. Sie fühlte keine Schmerzen mehr. Ich auch, ich auch Mulder, sagte sie, vielmehr in ihren Kopf als laut. Wieder versuchte sie, es zu sagen. Und wieder. Sie öffnete ihren Mund, doch sie konnte keinen einzigen Ton herausbringen.

Scully erinnerte sich daran, dass sie ihm etwas über sie erzählen musste, etwas, das er für sie tun sollte. Was war es? Sie sollte von diesem Ort verschwinden, musste verschwinden, doch sie wollte das Gefühl, das sie in diesem Moment hatte, nicht aufgeben. Mulder, halt mich, halt mich, sie versuchte wieder zu sprechen, aber es kamen immer noch keine Worte heraus.

Er sprach wieder, "So lang, so lang." Dann glitten seine Lippen an ihrem Hals entlang. "So gut," flüsterte er wieder und wieder. "Einfach wundervoll."

"Mulder," schließlich sprach sie mit ihm. "Ich will das auch, aber..." Sie hatte Angst davor, noch mehr zu sagen, sie wollte ihn nicht erschrecken und auch nicht vertreiben. "Aber du mußt mich zuerst von hier wegbringen. Hilf mir, Mulder. Rette mich, Mulder."

Als ob er nicht mal bemerkt hätte, dass sie mit ihm gesprochen hatte, antwortete er nicht auf ihre Bitten. Er ließ seine Hände zu ihren Brüsten gleiten, die, wie sie jetzt erkannte, genauso nackt wie der Rest ihres Körpers waren. Mulder, der vollständig bekleidet war, fuhr mit dem Angriff auf ihren Körper fort. Scully fühlte, wie sie brannte, wie in ihr eine vertraute Sehnsucht, von unten beginnend, aufstieg. Die Sehnsucht, die sie so viele Nächte lang dazu gebracht hatte, sich selbst, mit dem Verlangen nach Erlösung, in den Schlaf zu weinen. Das Verlangen nach ihm. Das Verlangen nach Vervollständigung. Nach Bestätigung.

Mit einem plötzlichen Funken Mut sagte sie. "Mulder, ich liebe dich, liebe dich so sehr."

"Ich liebe dich auch, Jane."

Scully wurde schlagartig wach und suchte nach Mulder. Sie erinnerte sich daran, wo sie war, erinnerte sich an den Traum und weinte. Sie fühlte sich so, als ob sie tagelang geschlafen hätte, was gut möglich war.

Wo zum Teufel war er? Hatte er diesem dummen, dummen Brief wirklich Glauben geschenkt? Machte er einfach, nachdem er vor Monaten aufgegeben hatte, nach ihr zu suchen, mit seinem Leben weiter? Hatte Jane das erreicht, was sie sich vorgenommen hatte?

Scully betastete die Narben auf ihrem Gesicht, die mit Schorf und getrocknetem Blut bedeckt waren. Ihr Gesicht war empfindungslos und juckte höllisch, doch sie hatte sogar Angst davor, es am Kissen zu reiben. Anhand dessen, wie sich ihr Gesicht anfühlte, versuchte sie, sich vorzustellen, wie es aussah. Sie hatte schon zuvor Opfer von Brandwunden gesehen, sie autopsiert, an ihnen notfallchirurgische Eingriffe durchgeführt. Rot und voller Blasen, vielleicht schälte sich die Haut ab, oder was auch immer sie tat, wenn sie Säure oder Hitze ausgesetzt gewesen ist. Sie hörte die Worte des Rekonstruktionschirurgen: "Ich werde tun, was ich kann, doch es gibt nichts, was ich tun kann, um deren Gesicht auch nur annähernd so wie zuvor aussehen zu lassen."

Es war immer traurig und unglückselig gewesen, das zu hören, aber irgendwie war sie dazu fähig gewesen, sich davon zu distanzieren. Sie sagte sich, für den, der sich wirklich um diesen Menschen sorgte, war es egal, wie er aussah. Er würde es schaffen, bei ihm zu bleiben und aus dieser Prüfung gestärkt hervorgehen. Doch diese Leute, die sie gesehen hatte, waren nicht sie gewesen. Wie konnte sie dazu fähig sein, Mulder so gegenüber zu treten? Für ihn wäre es gut, wenn sie hier sterben würde. Wenn er sie lebend finden würde, wäre sie nichts. Scully wollte nicht, daß Mulder sie so sah. Sie wollte nicht, daß irgendjemand sie so sieht.

Scully drehte sich um und beobachtete durch das Fenster zum Garten den Springbrunnen. Er erschien jetzt so viel größer. Das Wasser lief ununterbrochen und gab dem leblosen Objekt den Anschein, zu leben. Sie beobachtete ihn und versuchte sich von ihrem Schmerz, ihren Sorgen abzulenken. Scully konnte kaum glauben, daß ein so schöner Ausblick voller Leben am gleichen Ort existierte, an dem sie ihres allmählich verwirkte.

Durch dich bin ich zu einer reiferen Person geworden. Oh Gott, Mulder, ich kann nicht mehr. Ich kann nicht. Es tut mir so leid.

Scully wollte es ihm in dieser Nacht sagen. Ihm sagen, daß auch er für sie die Welt bedeutete. Es ihm endlich sagen. Ihm endlich sagen, daß sie ihn liebte. Zu spät. Sie hatte zu lange gewartet.

Als sie dem Wasser zusah, wurde ihr klar, daß ihr Mund trocken war. Sie hustete und jeder Muskel, jeder Knochen in ihrem Körper schrie auf. Sie brauchte etwas zum Essen, brauchte Wasser. Und sie betete trotz des Schreckens, den sie ihr gerade zugefügt hatte, dass Jane bald zurückkommen würde. Jane war beides, ihr schrecklicher Eroberer und ihre letzte Überlebenschance. Ihre einzige Hoffnung, Mulder wiederzusehen und ihm sagen zu können, wie furchtbar leid es ihr tat.

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Mittwoch, 13:30

Charlie sah sich besorgt in der verrauchten Bar um. Er wusste, wie Mulder aussah, doch in dieser Dunkelheit sahen alle Männer in ihren Anzügen gleich für ihn aus. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß er noch nicht hier war, setzte er sich in eine Nische in der Nähe der Tür und bestellte sich ein Bier.

Obwohl er es war, der es vorgeschlagen hatte, war er wegen dieses Treffens ein wenig nervös. Was er wirklich von Mulder wollte war, dass er ihn helfen ließ. Er wollte das auf der ganzen Linie. Die Art und Weise, wie seine ganze Familie diesem Mann die ganze Kontrolle überließ, erschien ihm irrsinnig. Sie ließen ihm praktisch die ganze Situation übernehmen, boten ihm nicht einmal an, ihm zu helfen, um dann unendlich darüber zu schwafeln, wie schrecklich er für Dana war, wie sehr er sie in Gefahr gebracht und im Stich gelassen hatte. Charlie konnte ihre Bereitwilligkeit, sich einfach zurückzulehnen und die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen, einfach nicht verstehen.

Charlie erinnerte sich an die Briefe, die Dana ihm geschrieben hatte, als sie krank war. Sie hatte ihm davon geschrieben, daß Bill und Mom Mulder sagten, dass man nicht versuchen sollte, diesen Chip, oder was immer es auch war, in ihren Nacken zu setzen, aber auch keine anderen Lösungsvorschläge hatten. Dana verdammt noch mal einfach sterben zu lassen, ohne etwas auch nur zu versuchen, das womöglich funktionieren könnte. Das hatte ihn unglaublich geärgert und er hatte sogar angefangen, ernsthaft darüber nachzudenken, abzuheuern, nur um näher bei seiner Schwester sein zu können. Gott wusste, dass sie die Unterstützung, die sie vom Rest der Familie brauchte, nicht hatte.

Jetzt wurde sie vermisst und wieder schien es, als ob sie alle auf ihren Ärschen sitzen und darauf warten würden, dass die Kacke am Dampfen war und über Mulder jammerten.

Die Tür fiel knarrend hinter ihm zu und er drehte sich um. Es war Mulder. Junge, war das unheimlich. Er trug immer noch dieselbe Kleidung, in der Charlie ihn zwei Nächte zuvor in Danas Wohnung gesehen hatte. Sein graues T-Shirt war mit etwas befleckt, das verdammt nach Blut aussah und sein Arm war vom Handgelenk bis zum Ellbogen verbunden. Seine Haare waren fettig und unordentlich und er sah aus, als ob er sich seit Tagen nicht rasiert hätte.

Mulder entdeckte ihn und ging auf den Tisch zu. Charlie stand auf und streckte ihm seine Hand entgegen. Mulder sah bei dieser Geste beinahe geschockt aus, doch er erwiderte sie. Sie setzten sich einander gegenüber hin und Charlie war von dem wilden Ausdruck in den Augen des anderen Mannes betroffen. Er sah wie ein Entflohener einer Irrenanstalt aus.

"Mister Mulder, ich wollte mich mit Ihnen treffen, weil..."

"Nur Mulder ist okay. Mister Mulder war mein Vater." Charlie nickte verstehend. Er war niemals Mister Scully.

"Mulder, ich wollte wissen, was ich tun kann, um Ihnen zu helfen, meine Schwester zu finden. Ich...ich muß irgendwas tun."

"Ähm...ja. Sie haben das bereits am Telefon erwähnt..." Mulder blickte von Charlie weg und in seinen Schoß hinab. Er schien äußerst nervös und am Rande des Zusammenbruchs zu stehen. "Sehen Sie, die Sache ist die, dass ich nicht weiß, ob das so eine gute Idee ist..."

"Verzeihung?" Charlie konnte das nicht glauben. War denn jedermann in dieser Welt verrückt geworden? Zuerst seine verdammte Familie und jetzt Mulder. Alles was er wollte war, seine Schwester zu finden.

"Ich bin...ich weiß, dass Sie besorgt sind und so..."

"Verdammt richtig, ich mach mir Sorgen. Und ich bin nicht bereit, herumzusitzen und darauf zu warten, dass man sie tot auffindet. Ich werde sie so oder so suchen, egal ob Sie nun meine Hilfe wollen oder nicht." Nach der ganzen Scheiße, die dieser Kerl mit seiner Schwester durchgemacht hatte, wie konnte er es da nicht kapieren?

"Ich...ich weiß, wie Sie sich fühlen. Glauben Sie mir. Ich weiß nur nicht...Ich meine, ich bin mir nicht vollkommen sicher, ob sie gefunden werden will." Er vermied es, Charlie direkt anzusehen und es wurde allmählich offensichtlich, daß er ihm etwas verheimlichte.

"Was soll das heißen? Warum sagen Sie so was?" Mulder biss sich auf die Unterlippe und es sah, für alle Welt sichtbar, danach aus, als ob er im Begriff war, zu weinen. Ungeachtet seines Misstrauens fühlte er mit Mulder mit. Gott wusste, dass er sich schrecklich fühlen würde, wenn Rena gerade ohne jede Spur verschwunden wäre. Er wüsste nicht was, zum Teufel er tun würde

"Mulder, was meinen Sie?"

Mulder fasste in seine Jeanstasche und zog ein zusammengefaltetes Stück Papier heraus. Stirnrunzelnd schob er es über den Tisch.

"Den hab ich gestern bekommen."

Charlie faltete das Papier in der Erwartung auseinander, eine Lösegeldforderung oder sonst irgendeinen Beweis vorzufinden. Seine Augen weiteten sich, als er die Handschrift seiner Schwester sah. Während er die Worte las, wand sich Mulder ihm gegenüber unbehaglich. Als Charlie fertig war, sah er den Mann ungläubig an.

"Mulder..."

"Es tut mir leid...ich wollte nicht..."

"Mulder stopp, meine Schwester hat das nicht geschrieben."

 

Ende Kapitel 6/11

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Kapitel 7/11

 

Bei jedem Geräusch, das Scully vernahm, zuckte sie zusammen. Sie versuchte, nur wach zu bleiben, so dass Jane nicht hereinkommen und sie überraschen konnte. Diese permanente Gratwanderung vergrößerte nur ihre ernsthafte Erschöpfung und diese Anspannung führte nur dazu, dass sich ihre Muskeln noch mehr verkrampften.

Scully hörte, wie die Eingangstür geöffnet und dann zugeschlagen wurde. Ihr Herz schlug schneller und ihr Körper verspannte sich. Einen Moment lang gab sich ihr Verstand der falschen Hoffnung hin, dass es endlich Mulder war, der sie von hier wegbringen würde. Sie in Sicherheit bringen würde. Jetzt war sie dazu bereit, sich ihm zu überlassen, das zu tun, was er schon immer für sie tun wollte und was die einzige Sache war, gegen die sie sich immer gewehrt hatte. Sie brauchte das jetzt und ihre einzige Hoffnung zu leben, war eine Wahnsinnige. Sie hatte überhaupt keine Kontrolle und auch keine Kraft mehr dazu, sich selbst zu retten.

Einige Minuten vergingen jedoch und er kam nicht herein. Sie schloss die Augen und schluckte noch mehr Tränen herunter. Ihre Kehle schmerzte und ihr Mund war immer noch sehr trocken. Als sie einatmete roch sie etwas vertrautes. Irgend etwas zum Essen. Sie schwor, dass es Chor-Mein-Nudeln waren. Wie die aus dem Restaurant unten an der Strasse, wo Mulder und sie sich immer bestellten. Hühnchen mit Knoblauch und Pfeffersauce, wo Mulder immer zuerst das ganze Hühnchenfleisch herauspickte, bevor sie den Karton bekam.

Scullys Herz wurde leicht, als sie an diese Momente dachte und sich an Mulders scheinbar unschuldigen Blick erinnerte, der besagte, er hätte nur ein paar Stückchen genommen.

Das Wasser lief ihr im Munde zusammen. Der Knoblauchduft schien köstlicher, als sie ihn jemals gerochen hatte. Gott, sie hatte Hunger.

Die Tür wurde aufgestoßen. Scully zuckte zusammen und riss ihre Augen so weit wie möglich auf, um Jane auf der Schwelle zu sehen, die eine Gabel voller Nudeln nahm und sich in den Mund schob. Scully schluckte wieder schwer. Wenigstens hatte sie kein Messer.

"Mmmm..." machte Jane, während sie kaute. "Das ist phantastisch." Sie kam herüber zum Bett und setzte sich in den Sessel daneben.

"Ist ne Weile her, seit du was gegessen hast, nicht wahr, Scully?" Jane nahm einen weiteren Bissen. "Und es ist wahrscheinlich noch länger her, seit du so etwas Gutes wie das hier geschmeckt hast. Ich nehme an, die Prinzessin würde gern etwas zum Mittag haben, oder?"

Scully schüttelte den Kopf, gerade als ihr Magen knurrte. Sie war hungrig, aber sie würde nicht um Essen betteln.

"Keinen Hunger, hä?" Jane lachte, als sie das Grummeln in Scullys Bauch hörte. Sie stand auf und hielt Scully den Karton unter die Nase. "Bist du sicher?"

Scully erkannte, dass sie keuchte. Sie glaubte nicht, dass sie jemals in ihrem Leben so verrückt nach Essen gewesen war.

"Nun," sagte Jane. "Ich denke, ich kann etwas davon für dich erübrigen."

Erleichterung überkam Scully und ihr Körper erwartete begierig den Stoff. Nur dass Jane aus dem Zimmer ging. "Wohin gehen Sie?" fragte Scully fassungslos, aber Jane antwortete nicht.

Sie sah Jane im Garten über einem der Pflanzbeete. Scully ließ die Luft heraus, die sie angehalten hatte und spürte Tränen, die über ihr zerschrammtes Gesicht liefen. Jane hatte sie wieder einmal bösartig ausgetrickst.

Aber dann kam Jane zur Tür herein. Setzte sich auf die Bettkante und steckte die Gabel in den Karton. "Willst du was, Scully?"

Scully sah Jane nur an und versuchte, im Gesicht der Frau zu lesen.

"Ich hab dich was gefragt, Miststück! Möchtest du was von dem Essen oder nicht? Weil ich nämlich gehen werde, wenn du mir nicht antwortest, und dann wirst du nie wieder essen!"

Also nickte Scully.

"Was? Ich hab dich nicht gehört. Was wünschen Eure Hoheit?"

Aus Angst, dass Jane gehen würde, wenn sie nichts sagte, flehte sie, "Bitte. Ich möchte etwas essen."

"Siehst du, das war doch nicht so schwer, oder?"

Trotz Janes Zugeständnis, sie zu füttern, empfand es Scully als fürchterlich demütigend, sich Jane in dieser Weise unterordnen zu müssen. Sie kam sich vor, wie ein Krüppel, der nicht mehr in der Lage war, allein zu essen. Aber sie wollte leben, wenigstens lange genug, um Mulder sagen zu können, wie leid es ihr tat, sogar wenn sie sich zum Überleben auf Jane verlassen musste.

"Mach auf," sagte Jane mit einem bösartigen Glucksen und schob einen Happen in Scullys Mund.

Für einen Augenblick empfand Scully wieder Erleichterung darüber, endlich etwas zu essen im Mund zu haben. Sie schluckte es praktisch wie ein Tier herunter. Sogar ein Stück Hühnchen hatte sie mit all dem bekommen.

Oder vielleicht war es Gemüse. Sie biss zu und es knirschte zwischen ihren Backenzähnen. Die Beschaffenheit war seltsam, seltsamer als alles Gemüse, das sie jemals gegessen hatte. Es war so ein seltsames Gefühl an ihrem Gaumen und ihrer Zunge, als sie das Stück Essen in ihrem Mund herumrollte. Dann wurde sie sich Janes heimtückischen unkontrollierten Gelächters bewusst.

Aus Angst, Jane würde sie wieder schlagen, schluckte sie das Gemüse herunter. Jane hielt sich vor Lachen den Bauch. "Schmeckt es?" fragte sie und brach wieder in Gelächter aus. Sie schüttelte sich dabei so sehr, dass Scully es schwer hatte, den nächsten Bissen zu bekommen.

Viel Gemüse diesmal, mit ein paar Nudelstücken. Sie schmeckten nicht so, wie sie es in Erinnerung hatte. Ihre Geschmacksnerven funktionierten vielleicht nicht mehr so richtig, weil sie so unglaublich hungrig war. Das Essen fühlte sich in ihrem Mund einfach seltsam.

Jane beobachtete sie noch immer, ihren Kopf nach vorn gebeugt, als wartete sie darauf, dass Scully ihr eine Einschätzung des Essens gab. Sie grinste und fuhr fort, durch die Nase zu lachen.

"Was? Was?"

Jane sagte nichts, sondern gab ihr einen weiteren Bissen. Scully nahm ihn dankbar und als sie aß, zeigte ihr Jane den Inhalt des Kartons. Zwischen den Nudeln und dem Grünzeug war etwas dunkles. Sich bewegendes. Krabbelndes. Käfer. Große wie Kakerlaken aussehende Käfer zusammen mit einigen kleinen glitschigen wurmähnlichen Maden, die zwischen den weißen Nudeln herumkrochen. Es war, als würde sie sie in ihrem Mund fühlen können. Scully spürte, wie sich ihr Magen zusammenzog und wünschte, sich von allem zu befreien, was sie gerade so verzweifelt verspeist hatte. Sofort beugte sie sich aus dem Bett heraus und spuckte alles aus, was sie im Mund hatte. Als sie sich vergewissert hatte, dass sie alle diese ekelhaften Kreaturen ausgespuckt hatte, empfand sie einen Anflug von Reue, da sie wusste, dass es wahrscheinlich ihre einzige Hoffnung auf irgend etwas zum Essen gewesen war.

"Sie leben da draußen auf einer meiner exotischen Pflanzen. Ja, die kleinen sind die Babys und dann wachsen sie und bekommen eine Schale wie die großen. Siehst du?" Jane schob den Karton näher zu Scully heran und einer der Käfer krabbelte heraus und verschwand im Bett. Jane lachte wieder. "Immer noch hungrig?"

Scully hätte schwören können, dass sie sie in diesem Augenblick in ihrem Magen herumkrabbeln fühlte, während sie versuchten, den Enzymen zu entgehen, die drohten, sie zur Verdauung zu zersetzen. Wenn sie Enzyme hatte, die dies mit diesen Käfern tun konnten. Und wenn die Käfer nicht irgendeine Art exotischen Gifts enthielten.

All diese Gedanken machten sie schrecklich krank und ihr Körper drohte, alles auszuspucken, was wahrscheinlich ihre einzige Nahrung auf lange Zeit war. Wer wusste schon, wann Jane entschied, ihr wieder etwas zu essen zu geben.

Dennoch überkam sie jetzt eine andere Art von Panik. Wenn Jane ihr schon all diese schrecklichen Dinge antat, was tat sie dann erst Mulder an?

 

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Charlie verstand überhaupt nicht, wie irgend jemand glauben konnte, dass seine Schwester diesen Brief geschrieben hatte. Besonders Mulder, jemand, der sie so gut kennen sollte. Natürlich hatte Dana es erwähnt, dass Mulder trotz seiner Arroganz und seiner irgendwie selbstgefälligen Haltung ein zutiefst unsicherer Mensch war. Irgend jemand nutzte dies offensichtlich zu seinem Vorteil. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es wahrscheinlich weniger beunruhigend war zu glauben, dass sie ihn verlassen hatte, als dass sie verletzt oder in Gefahr war. Aber er musste den Kopf aus dem Sand ziehen, sofort. Bevor es zu spät war.

"Mulder, das ist nicht Dana."

"Was meinen Sie damit, es ist nicht Dana? Es klingt verdammt noch mal sehr nach ihr."

"Die Worte ja, aber nicht das Gefühl dahinter."

Mulders Kiefer verspannte sich und Charlie sah einen Anflug von Ärger in seinen Augen. "Sehen Sie, ich denke, ich weiß ein wenig mehr darüber als Sie." Er zögerte kurz und fügte dann hinzu. "Sie haben... Sie haben den Streit, den wir hatten, nicht mitbekommen."

"Nein, das habe ich nicht, aber Sie haben die Briefe nicht gelesen, die sie mir über Sie geschrieben hat. Und Sie sind auch nicht mit ihr aufgewachsen. Sie haben nicht erlebt, wie sie gekämpft hat, um die Familie zusammenzuhalten, sogar wenn es ganz schlimm war und sogar, als es ihr total miserabel ging. Ich mag in den letzten Jahren nicht oft dagewesen sein, aber ich kenne meine Schwester und ich weiß, dass sie nicht einfach so von den Menschen weggeht, die ihr etwas bedeuten, egal wie die Dinge liegen." Mulder schwieg einen Moment und Charlie glaubte, dass er irgendwie zu ihm durchgedrungen war.

"Sie hat Ihnen Briefe über mich geschrieben?" Guter Gott. Dieser Typ hatte wirklich keine Ahnung. Er hörte sich tatsächlich verblüfft an.

"Ja nun. Natürlich hat sie das getan."

"Was... was hat sie gesagt?" Er klang so verzweifelt. Charlie geriet in Versuchung, ihm absolut jede wundervolle Sache zu erzählen, die seine Schwester jemals über ihn gesagt hatte.

"Sie hat eine Menge Dinge gesagt. Ich meine, es sind immerhin fünf Jahre, richtig? Aber die grundlegende Sache ist die, dass sie verrückt nach Ihnen ist. Ich meine, das beschreibt es nicht einmal ansatzweise. Sie hat mir eine Menge von dem erzählt, was Sie beide zusammen durchgemacht haben, aber die ganze Zeit ist die eine Sache, die immer bei mir ankommt, die, dass Sie ihr Universum sind. Sie liebt Sie. Sehr. Vollkommen und bedingungslos. Und auch wenn die Dinge für Sie beide wirklich schwierig geworden zu sein scheinen, das wird sich niemals ändern."

Charlie beobachtete aus den Augenwinkeln heraus, wie Mulders Mund zuckte. Er sehnte sich danach, zu lächeln, es zu glauben. Aber dann verschwand diese Hoffnung so schnell, wie sie gekommen war. Und wurde durch Angst ersetzt. Und dann durch Ärger. Und schließlich durch Resignation.

"Sogar wenn das wahr ist, ich habe ihr genug Gründe gegeben, zu gehen." Er hat es nicht begriffen. Mein Gott, er hat es immer noch nicht begriffen.

"Mulder, wissen Sie überhaupt, warum ich nicht da war? Wissen Sie, warum Sie mich nie kennengelernt haben?" Mulder schüttelte den Kopf.

"Weil ich mit meiner Familie nicht umgehen kann. Ich liebe sie, aber ich kann nicht bei ihnen sein. Ausgenommen Dana. Meine Mutter ist eine Nörglerin, mein großer Bruder ist genauso gierig nach Kontrolle wie mein Vater es war und ich kann es nicht aushalten, um sie zu sein. Das bin ich. So ein Mensch bin ich." Mulder sah ein wenig schockiert aus angesichts dieser persönlichen Offenbarung. Endlich war etwas zu verzeichnen.

"Das bin ich. Das ist nicht Dana. Sie machen sie auch verrückt, wissen Sie. Das haben sie immer getan. Aber sie würde niemals einfach so diese Familienbande zerschneiden. Ich meine, Sie haben keine Ahnung, wie oft ich versucht habe, von zu Hause fortzulaufen, als ich jünger war. Sie hat mich jedes Mal davon abgehalten. Sie hat mir gesagt, es ist die Familie und du darfst sie nicht aufgeben, egal was passiert."

Mulder schüttelte den Kopf, augenscheinlich immer frustrierter werdend durch seine Erinnerungen. "Das ist wirklich süß. Aber das ist etwas anderes. Das ist die Familie. Es ist nicht die gleiche Situation."

"Mulder, Sie SIND jetzt ihre Familie. Begreifen Sie das nicht?" Mulder starrte ihn einige Minuten ausdruckslos an und Charlie spürte ein überwältigendes Verlangen, diesen Mann dumm und dämlich zu schlagen. Wie konnte jemand nur so dickköpfig sein?

Mulder schluckte und blickte Charlie das erste Mal in die Augen. So viel Schmerz schwamm in seinen Augen. Charlie hatte niemals so einen Schmerz gesehen.

"Also glauben Sie wirklich nicht, dass sie diesen Brief geschrieben hat?"

"Nein. Nein, das tue ich nicht." Mulder seufzte und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ein paar Minuten saß er schweigend da. Charlie fragte sich, ob er ihm mehr erzählen musste. Ob er noch stärker versuchen musste, ihn zu überzeugen. Nach einer Weile wurde ihm das Schweigen so unangenehm, dass er bereit war, Mulder die ganze Lebensgeschichte seiner Schwester zu erzählen.

"Mulder..."

"Ich auch nicht."

Charlie ließ die Luft heraus, von der er nicht wusste, dass er sie angehalten hatte. Gott sei Dank. Gott sei Dank.

"Ich habe es beinahe getan. Letzte Nacht habe ich es getan. Aber... Sie haben recht. Das ist nicht sie. Das ist nur... nichts." Er sah schrecklich traurig darüber aus, das entschieden zu haben. Und so ängstlich. "Es ist ihre Handschrift. Ich meine, ich werde es ins Büro bringen und untersuchen lassen, nur um sicherzugehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es ist."

"Also glauben Sie, dass sie jemand gezwungen hat, das zu schreiben."

"Ich glaube..." Er kniff die Augen zusammen und nickte langsam. "Ich glaube, dass das an diesem Punkt die naheliegendste Erklärung ist."

"Also, das ist gut. Das bedeutet, dass sie noch am Leben ist."

Mulders Augen flogen auf und er sah Charlie ärgerlich an. "Natürlich lebt sie noch!" schrie er in überraschend lautem Tonfall auf. Bis zu diesem Moment hatte er kaum mehr als geflüstert.

"Okay. Ich weiß..."

"Ich würde es wissen, wenn sie... ich wüsste es..." stotterte er und Charlie nickte mitfühlend.

"Sicher würden Sie das. Natürlich. Also müssen wir nach ihr suchen." Er versuchte, so geduldig und verständnisvoll wie möglich zu sein. Mulder schien auf einem dünnen Grat zwischen klarem Verstand und, nun ja, dem anderen Extrem zu wandern.

"Das werde ich. Das tue ich. Ich... ich werde sie nicht aufgeben. Ich werde sie nicht aufgeben!"

"Nun, ich bin froh darüber, aber weswegen ich eigentlich hierher gekommen bin, war Ihnen meine Hilfe anzubieten. Ich weiß nicht viel über FBI-Arbeit, aber ich vermute, Sie werden es vermutlich als eine gute Sache bezeichnen. Was ich habe, ist das starke Verlangen, meine Schwester zu finden und der Wille, einfach alles dafür zu tun."

"Hm..." Mulder blickte wieder nach unten und begann mit der Serviette auf dem Tisch zu spielen. "Ich schätze Ihr Angebot, aber ich arbeite wirklich besser allein. Ich bin wirklich nicht das, was man einen Teamspieler nennt. Der einzige Mensch, der jemals in der Lage war, mir zu helfen, ist Ihre Schwester. Ich bin irgendwie schwierig."

"Sehen Sie, ich werde nach ihr suchen. Und Sie werden nach ihr suchen. Wir können es jeder für sich tun und Zeit verschwenden oder wir können zusammenarbeiten und schon etwas erreichen."

Mulder zuckte mit den Schultern und stand auf.

"He... wohin gehen Sie?"

"Wir holen die Schlüssel zu meinem Büro, damit wir anfangen können, nach ihr zu suchen."

 

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4:30 p.m.

Mulders Wohnhaus

Mulders Büroschlüssel waren in seiner Wohnung. Charlie war ihm mit ständig überhöhter Geschwindigkeit in seinem Wagen zu seinem Haus gefolgt.

Vor seiner Tür hielten sie inne und Mulder sah so aus, als würde er sich plötzlich an etwas Wichtiges erinnern. Bevor er die Tür aufschloss, drehte er sich zu Charlie um und lächelte ihn leicht an.

"Äh, vergeben Sie mir die Unordnung."

"Unordnung? Ich bitte Sie. Sie sollten mal mein... mein..." Charlie verstummte, als Mulder die Tür aufstieß und das schockierendste, scheußlichste Desaster offenbarte, das Charlie je gesehen hatte. Es sah aus, als wäre ein Tornado durch das ganze Apartment gefegt. Der Boden war mit zerbrochenem Glas, Papieren, Kleidungsstücken und Küchengeräten bedeckt, einfach mit allem, was man in einer Wohnung finden konnte. Es schien, als wäre einfach alles an diesem Platz zerbrochen oder auseinandergerissen.

Mulder sah irgendwie verlegen aus und zuckte mit den Schultern. Charlie hatte einen Moment geglaubt, dass jemand eingebrochen war, aber dem Gesichtsausdruck Mulders nach zu urteilen, war es offensichtlich, dass er die Zerstörungen selbst angerichtet hatte. Er beschloss, ihn nicht danach zu fragen. Es ging ihn wirklich nichts an und man brauchte kein berühmter Wissenschaftler zu sein, um zu erkennen, was ihn zu solcher Verzweiflung getrieben hatte.

Charlie bemerkte die zerbrochene Bildröhre des Fernsehgerätes, das Blut an dem Glas und brachte das mit dem Verband an Mulders Arm in Verbindung. Er hoffte, dass das Mitleid nicht in seinem Gesicht zu lesen war.

"Äh... lassen Sie mich nur diese Schlüssel finden." Charlie versuchte, nicht über den albernen Anblick Mulders zu lächeln, der sich durch die Trümmer wühlte. Es war, wie nach der Nadel im Heuhaufen zu suchen.

"Mulder, du bist zurück. Ich hatte Angst..." Charlie drehte sich um und sah eine Frau, die auf der Schwelle zu Mulders Schlafzimmer stand. Sie sah einigermaßen attraktiv aus und schien in Mulders Alter zu sein, vielleicht ein bisschen jünger. Und sie war in seinem Apartment und wartete auf ihn. Charlie spürte eine Woge von Ärger und Misstrauen. Vielleicht hatte er sich in Mulder geirrt.

Mulder sah mit einem überraschend alarmierten Gesichtsausdruck auf. "Jane... ich... äh... was..."

"Ich... ich dachte, ich komme vorbei und beseitige das Chaos. Ich wollte sichergehen, dass du nicht verletzt bist. Ich hoffe, das ist okay."

Mulder zuckte mit den Schultern und reckte den Kopf. Er sah so unbehaglich drein, es tat beinahe weh, das zu sehen. Charlie sah zwischen den beiden hin und her und versuchte herauszubekommen, was zwischen ihnen vorging.

"Ja... es ist... das ist gut. Mir geht es gut. Äh... hast du meine Büroschlüssel gesehen?"

Jane ging zum Bücherschrank hinüber und holte die Schlüssel von oben herunter.

"Ich habe sie hier mit einigen anderen Sachen raufgelegt, von denen ich dachte, dass du sie haben willst." Sie schielte mit einem seltsamen Ausdruck zu Charlie hinüber. Beinahe mit einem angstvollen Ausdruck.

"Ähm, danke." Mulder sah auf seine Füße und nahm die Schlüssel irgendwie widerwillig aus ihrer Hand. "Oh, entschuldige. Das ist Charles Scully. Er ist Scullys Bruder. Charlie, das ist Jane, meine Putzfrau." Seine Putzfrau? Warum wand er sich dermaßen wegen seiner Putzfrau? Er streckte seine Hand aus, um die ihre zu schütteln. Sie blickte sie einen Moment eigenartig an, bevor sie die Geste erwiderte.

"Scullys Bruder, ja?" Sie blickte zum Fenster hinüber und Charlie hätte schwören können, dass sie plötzlich sehr nervös zu sein schien.

"Ja, er äh..." Mulder sah Charlie an und lächelte. "Er hilft mir, sie zu finden." Charlie lächelte zurück. Er war überzeugt, dass Mulder mit dieser Frau auf keine romantische Art verbunden war, aber er konnte immer noch nicht herausfinden, welcher Art ihre Beziehung war. Sie war gelinde gesagt eigenartig.

"Dir helfen... sie zu finden?" Sie war definitiv nervös. "Ich dachte... ich meine... ist das eine gute Idee? Ich dachte, dass du glaubst..."

"Ich bin mir nicht mehr sicher, was ich glaube. Aber ich muss sie um jeden Preis finden."

"Ich... verstehe. Äh, sind Sie... auch ein FBI-Agent?" fragte sie Charlie.

"Nein, ich bin einfach nur jemand, der seine Schwester finden will." Er grinste höflich und Jane wurde um einen Spur blasser.

"Oh... ich verstehe."

"Äh, wir müssen jetzt gehen. Ich, äh... mach dir keine Sorgen um das Chaos, Jane. Ich werde mich darum kümmern." Mulder wich ihr aus und ging zur Tür.

Charlie folgte ihm und warf einen letzten Blick auf Jane, bevor sie das Apartment verließen. Sie sah sehr besorgt aus, sehr... seltsam. Charlie konnte es nicht genau einordnen, aber irgend etwas stimmte nicht.

 

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Scully betrachtete durch das Fenster hindurch den Springbrunnen. Es schien so, dass viel Zeit vergangen war, seit Jane zuletzt im Zimmer gewesen war, seit sie sie mit diesen ekelerregenden, sich windenden Insekten gefüttert hatte. Sie versuchte nicht daran zu denken, dass sie ein paar davon heruntergeschluckt hatte. Das war wirklich das geringste ihrer Probleme.

Sie fühlte sich eklig. Immer noch trug sie denselben Pyjama, wie in der Nacht, als Jane sie entführte. Dieselbe Nacht, in der Mulder und sie sich schließlich beide von dem Druck hatten hinreißen lassen, den sie aufeinander ausübten. Sie wimmerte bei dem Gedanken an den abscheulichen Zustand, in dem sie sich nun befinden musste. Von allen Arten zu sterben hatte sie diese niemals in Erwägung gezogen.

Einen Moment lang nahm sie an, dass sie es verdiente. Sie war diejenige, die das beste, was ihr jemals im Leben passiert war, als selbstverständlich vorausgesetzt hatte. Eine Nähe unterdrückt hatte, nach der sie sich gesehnt hatte und von der sie wusste, dass Mulder sie genauso wollte, bis es ihn forttrieb. Sie hatte so hart daran gearbeitet, sich selbst und Mulder zu beweisen, dass er zwar wichtig für sie war, sie aber letzten Endes niemanden als sich selbst brauchte. Dass sie zwar immer Mulders Besorgnis über ihr Wohlergehen schätzte, aber letzten Endes immer aus eigener Kraft überleben würde.

Während sie fortfuhr, dem Springbrunnen zuzusehen, bekam sie wieder einen ihrer Hustenanfälle. Sie konnte nicht aufhören und alles tat ihr weh. Ihre Kehle war rau, ihre Luftröhre wie zugeschnürt. Sie schmeckte Blut im Mund und war sich nicht sicher, ob es von ihrem Gesicht oder aus ihrer Lunge kam. Vor ihren Augen tanzten dunkle Flecke und sie fragte sich, ob das der Anfang vom Ende für sie war.

Nicht bereit, jetzt schon aufzugeben, öffnete und schloss ihre Augen mehrere Male und atmete so gleichmäßig, wie sie konnte. Die schwarzen Flecken waren immer noch da. Bewegten sich über das Bett und die Wand. Nein, sie bewegten sich nicht. Sie krabbelten.

Sie keuchte heftig, als sie erkannte, dass es die gleichen Käfer wie in den Nudeln waren. Die gleichen, die sie in ihren Körper aufgenommen hatte. Sie kamen in Scharen durch das Fenster ins Zimmer, kamen auf sie zu, über sie, in sie. Sie krochen in ihre Haut, gruben sich in ihre Poren. Scully sah an ihren Armen herunter und konnte sie sehen, wie sie sich unter der Haut bewegten.

Irgendwo im Hintergrund hörte sie Jane singen. "Sie schluckte die Spinne herunter, um die Fliege zu erwischen... ich weiß nicht, warum sie die Fliege herunterschluckte..."

"Nein!" schrie sie und fühlte einen in ihren Mund krabbeln. Sie versuchte, ihn auszuspucken, aber es gelang nicht. Sie bewegte sich, so sehr sie konnte, hin und her, aber sie kamen dennoch auf sie zu, krochen durch ihre Nase und ihren Bauchnabel und sogar durch ihre Vagina.

"Da war eine alte Lady, die eine Spinne verschluckte..." sang Jane.

Sie krabbelten weiter durch das Fenster, mehr und mehr von ihnen, bis das Bett vollkommen schwarz war, bedeckt von ihnen. Scully fühlte sich plötzlich hundert Pfund schwerer und begann zu spüren, wie diese Kreaturen buchstäblich das Leben aus ihr heraussaugten.

"Ich weiß nicht, warum sie die Fliege verschluckte..."

"Jane, helfen Sie mir, bitte," rief Scully schließlich nach ihr. "Machen Sie, dass es aufhört, machen Sie, dass es aufhört."

"Vielleicht stirbt sie..." Scully hörte sie den Vers wieder und wieder wiederholen und lachen, während sie sang.

"Nein, nein, nein," rief sie.

Scully hörte die Tür schlagen und Jane schreien, "WAS ZUR HÖLLE GEHT HIER VOR?"

Scully zuckte im Schlaf zusammen. Wenigstens war es das, was es sein sollte, aber sie empfand es nicht so, als würde sie ihre Augen aus dem Schlaf öffnen. Sie war nicht eingeschlafen. Sie konnte nicht eingeschlafen sein.

"Da waren Käfer," begann Scully und dann erkannte sie, dass da keine waren. Nicht im Bett, nicht auf dem Boden und nicht zum Fenster hereinkrabbelnd.

Wieder hörte sie Jane kichern und dann sah sie, wie sie etwas vom Bett aufhob. Es war einer von den Käfern. Jane hielt ihn zwischen zwei Fingern. Er war tot.

"Gott, was für ein kleiner Angsthase du doch bist. Er ist verdammt noch mal tot und du fürchtest dich vor ihm?" Sie schüttelte den Kopf über Scully und schleuderte ihr den Kadaver entgegen, traf Scully damit am Kopf und es fühlte sich so an, als wäre er in ihren Haaren hängengeblieben. "Jetzt halt endlich die Klappe oder ich muss dich umbringen!"

 

Ende Kapitel 7/11

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Kapitel 8/11

 

Freitag, 16:56

"Verdammt beweg dich, du Arschloch!" Mulder drückte gereizt auf seine Hupe und der Fahrer, der ihn gerade geschnitten hatte, zeigte ihm das internationale Zeichen der Straßenwüterei.

Es war jedenfalls nicht wichtig. Dieser Verkehr führte auf keinen Fall irgendwohin. Charlie und er saßen um fünf Uhr nachmittag am Beltway fest und es gab nichts, was man dagegen tun könnte.

Mulder blickte zu Charlie hinüber, der geduldig dasaß und mit in seinem Schoß gefalteten Händen aus dem Fenster sah. Er schien über diesen Verkehr überhaupt nicht verärgert zu sein. Zum Teufel, der Kerl schien sich über nichts jemals zu ärgern. Nicht einmal über Mulder.

Mulder hatte geglaubt, dass Charlie nach achtundvierzig Stunden, die sie nun zusammengearbeitet hatten, bereit gewesen wäre, ihn zu töten, doch bisher hatte er sogar gegen Mulders außergewöhnliche Untersuchungsmethoden keinen Einwand erhoben. Er ging mit, half, wenn er gebraucht wurde und hielt seinen Mund die meiste Zeit über geschlossen. Charlie entwickelte sich zum zweitbesten Partner, den Mulder je gehabt hatte. Vermutlich deswegen, weil er, wie Charlie selbst angedeutet hatte, kein FBI-Agent war.

Charlie war jedoch ein Navy-Offizier. Er wirkte aber trotzdem nicht wie der typische Militärtyp. Mulder war normalerweise gegenüber allem und jedem, das mit dem Militär zu tun hatte, misstrauisch, aber Charlie erschien ihm aus irgendeinem Grund anders.

Es sah nicht danach aus, als ob sie irgendwohin kommen würden, also beschloss Mulder, dass es sich lohnen würde, ein wenig in der Geschichte von Scullys Bruder zu graben. Er begann bereits mißtrauisch gegen Charlies mangelndes Misstrauen zu werden. Krycek hatte zuerst ja auch wie ein anständiger Kerl gewirkt.

"So Charlie, wie lange sind Sie jetzt schon bei der Navy?"

"Zu lange." Charlie grinste und schüttelte seinen Kopf. "Viel zu lange."

"Gefällt es Ihnen nicht?"

Es sah danach aus, als ob er die Frage sehr ernsthaft erwägen würde. Nach ein oder zwei Minuten seufzte er. "Ich würde es nicht genau so ausdrücken. Ich habe bestimmte Aspekte davon genossen. Und ich bin auf das, was ich dort erreicht habe durchaus stolz, doch es war, soweit es meine Karriere betrifft, lassen Sie mich das mal so ausdrücken, nicht meine erste Wahl."

Mulder war im Begriff, ihn zu fragen, was seine erste Wahl gewesen wäre, doch bevor er die Chance dazu hatte, begann Charlie wieder zu sprechen. "Ich liebe das Meer. Auf See zu sein ist ein wirkliches Erlebnis. Ich habe dort einige wirklich seltsame Dinge gesehen."

"Ach ja?"

"Ja, nun, Dana warnte mich, mit Ihnen jemals über solche Dinge zu sprechen, falls wir uns je begegnen sollten, aber ja. Seltsame Lichter und so ein Zeugs. Dinge, die sich niemand erklären konnte, so dass einige Leute deswegen wirklich nervös erschienen." Mulder wußte, dass er unter normalen Umständen wahnsinnig neugierig darauf gewesen wäre, doch das waren keine normalen Umstände. Außerdem ging das in die gleiche Richtung, was Krycek ihm serviert hatte und er begann, noch angespannter zu werden, als er sich daran erinnerte.

Mulder nickte nur und murmelte, "Ich bin nicht überrascht."

"Nun jedenfalls war es, wie ich bereits sagte, nicht immer das, was ich machen wollte. Tatsächlich war ich ganz gegensätzlich dazu eingestellt. Es wurde immer angenommen, dass es das ist, was ich machen werde, wissen Sie? Und als Bill eintrat war, es so, als ob es feststehen würde. Doch ich war bis zum Schluss dagegen."

"Und was brachte Sie dazu, Ihre Meinung darüber zu ändern?"

"Nun... offiziell habe ich das nie gemacht. Ich hatte mich sozusagen in eine Situation gebracht, in der das das kleinere Übel war."

"Was war das andere Übel?"

"Nun, Gefängnis." Mulder wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er war schockiert, doch aus irgendeinem Grund linderte das Geständnis ein wenig seine Sorgen. Letztendlich war Charlie doch nicht so perfekt. Da Mulder schwieg, fuhr Charlie fort.

"Ja, ich wurde beim Autoklauen erwischt. Ich war siebzehn und gerade aus der High School geflogen. Ich war ein wenig ähm...verwirrt. Nun, als der Captain das jedenfalls herausfand, sagte er, entweder ich boxe dich raus und besorge dir einen Anwalt und dann ab mit dir ins Ausbildungslager, oder du verrottest in dieser Zelle." Charlie lachte in sich hinein. Er schien zu denken, dass die Geschichte im Rückblick ganz lustig war. "War wirklich keine große Auswahl, wissen Sie."

"Wer...wer ist der Captain?"

"Mein Vater," brummte er mit kaum verstellter Verachtung. "So haben wir ihn genannt. Nun, Bill und ich jedenfalls. Melissa begann, ihn Dad zu nennen und natürlich war er Ahab für Dana. Doch eigentlich mochte er es..." Charlie trieb ab und ließ seine Hände durch sein volles, schwarzes Haar laufen. "Tut mir leid, ich sollte Sie nicht mit dem armseligen Melodrama der Scullyfamilie langweilen."

Mulder war eigentlich weit davon entfernt, gelangweilt zu sein. Tatsächlich war er fasziniert. Aus irgendeinem Grund hatte er immer angenommen, dass die Scullyfamilie so perfekt war, wie eine Familie nur sein konnte. Wenigstens solange, bis er ins Blickfeld gekommen war. Doch dann wiederum erschien jede Familie perfekt, wenn man aus so einer ordinären, bizarren Grube kam, aus der Mulder ausgespien wurde.

Vielleicht war nicht alles Sonnenschein und Rosen in der Welt der Scullys. Und von dort kam Scully her. Das war eine Chance, mehr über sie herauszufinden. Eine Chance, sie auf eine neue Weise zu verstehen. Und um es gelinde auszudrücken, war er daran sehr interessiert.

Und er begann sich für Charlie zu erwärmen. Er schien eine gewisse Feindseligkeit gegenüber seinem verstorbenen Vater zu hegen und das war sicherlich etwas, das ihm mit Mulder verband.

"Das ist okay. Es ist nicht so, daß wir irgend etwas anderes zu tun haben," brummte er, in Richtung des höllischen Staues gestikulierend. "Also, so weit ich das verstanden habe, sind Sie und Ihr Vater nicht gut miteinander ausgekommen."

"Ich nehme an, dass man das so ausdrücken könnte. Er führte zu Hause das gleiche Regiment, wie er es bei seinen Flotten tat und ich nehme an, dass das mit meinen Urinstinkten kollidierte. Es funktionierte großartig bei Bill. Und Missy, nun tatsächlich verschonte er Missy. Sie war was Besonderes. Sie wurde irgendwie vor allem verschont. Sie war so zerbrechlich. Doch Dana und ich bekamen es immer irgendwie ab.

Mulder nickte und versuchte, diesen Informationsbrocken aufzunehmen. Ihn in die Datenbank des Wissens, das er bereits über Scully hatte, zu integrieren.

"Es ist komisch, weil es gegensätzliche Effekte auf uns zu haben schien. All diese Unterdrückung und die Härte brachten Dana dazu, sich zu verschließen, davor Angst zu haben, wirklich über ihre Gefühle zu reden oder auch nur zuzugeben, dass sie sie die meiste Zeit über hatte. Und ich, nun ich kann scheinbar nicht aufhören, über Gefühle zu sprechen."

Das machte für Mulder perfekten Sinn. Und es erklärte eine Menge. In der Tat erklärte diese einfache Sache fast alles. Es brachte ihn dazu, weinen zu wollen. Er war ihr gegenüber so aufdringlich gewesen, so fordernd und angreifend.

"Jedenfalls glaube ich, dass alle wussten, dass ich in diese Richtung steuerte. Dana hat mich schon bevor ich überhaupt verhaftet wurde, Knastbruder genannt. Sie glaubte, dass es lustig war. Sie hatte es einmal beim Abendessen gesagt und Mom hat ihr gehörig den Kopf gewaschen, 'Das ist nicht lustig, Dana!' sagte Mom. 'Wie würdest du dich fühlen, wenn dein Bruder wirklich im Gefängnis enden würde?' blah blah blah. Sie war deswegen so böse, weil jeder wußte, dass es wahr war. Dana war die einzige die den Mumm hatte, das zuzugeben." Mulder lächelte bei der Vorstellung einer jungen Scully, die mit dem, was auch immer in ihrem Kopf war, herausplatzte und fühlte sich gleichzeitig bei dem Gedanken, dass ihre Überschwänglichkeit zum Schweigen gebracht und erstickt wurde, den Tränen nahe.

 

"Sie war auch die einzige, die damit umgehen konnte, die mich als der, der ich war, akzeptieren konnte. Ich glaube, dass das etwas ist, was wir uns gegenseitig gaben..." Charlie biß sich auf seine Unterlippe und sah von Mulder weg und aus dem Fenster. Er vermisste sie. Er sorgte sich um sie. Er liebte seine Schwester sehr.

Mulder konnte das auf jeder Ebene nachempfinden. Als ein Mann, der seine einzige Schwester verloren hatte. Als Scullys Freund, noch ein Mensch, den sie gegen den Rest der Welt verteidigt hatte, noch ein Verlierer, den sie, als es kein anderer tat, verstand. Als Mensch, der sie brauchte, sie anbetete, sie vermisste. Gott, er vermisste sie so sehr.

xxxxxx

"Wach auf, du Miststück! *Wach* *auf*!" Jane schüttelte Scully wieder und wieder.

Sie beobachtete Scullys Augen, die mehrmals blinzelten, bevor sie sich schließlich öffneten, um sie anzusehen. Sie sagte nichts, wankte nur ein wenig und starrte. Jane war erleichtert. Scully hatte beinahe achtzehn Stunden geschlafen. Als sie gekommen war, um sie zu untersuchen, hatte es so ausgesehen, als ob sie aufgehört hätte zu atmen. Jane war froh gewesen, die warme Luft von Scullys Atem, so flach er auch war, auf ihrer Haut zu spüren.

Ihr Gesicht war goldrichtig und verletzt, überall waren Spuren aus getrocknetem Blut. Gut. Sie war ihr ganzes Leben ein hübsches Mädchen gewesen. Gute Dinge können nicht ewig währen. Bedaure Schätzchen. Es musste einfach so sein. Du kannst nicht alles haben.

"Guten Morgen, Prinzessin," sagte sie in einem spöttischen Ton. "Sieht für mich nicht so aus, als ob du deinen Schönheitsschlaf bekommen hättest."

Scully sagte immer noch nichts. Ihre Augen waren geweitet und Jane bemerkte, dass sie fast durch sie hindurch zu sehen schien. Dann warf Scully ihren Kopf über den Rand des Bettes und fing an zu würgen. Sie erbrach nichts, nicht einmal Galle, konnte aber scheinbar ihre Beherrschung nicht wiedergewinnen.

Sie lächelte, als sie sie so sah, es war ein boshaftes Lächeln. Es gab ihr so eine Genugtuung, dass sie Mulders perfekten Engel, seinen einzigen gesegneten Erlöser, zu einem würgenden, beinahe beunruhigend irrsinnigen Durcheinander reduzieren konnte. Sie zitterte und schwitzte und Jane hörte sie stetig husten, in diesem Moment wusste sie, dass Scully es nicht länger kontrollieren konnte. Doch, anstatt sie lediglich zu verärgern, war es unglaublich erfüllend, das Geräusch ihrer Qual zu hören.

Wenn du sie jetzt nur sehen könntest, Fox Mulder. Du würdest sie nicht mehr so sehr begehren.

Was genau das war, was sie hoffte. Die Dinge hatten eine neue Richtung eingeschlagen. Wenn das bedeutete, Mulder ein wenig leiden zu lassen, dann war es das mehr als wert. Für all das gottverdammte Leiden, das sie durchgemacht hatte, konnte er diese kleine Schwierigkeit für einen Moment lang überleben. Außerdem, sie würde da sein. Da sein, um ihn zu trösten, ihm bei der Heilung helfen. Und dann würde er sie lieben.

"Sieh dich an! Sicherlich weit entfernt von dieser starken, schönen Frau, über die Mulder niemals aufhören konnte zu sprechen. Weit davon entfernt."

Scully richtete sich auf und fühlte sich schwächer als je zuvor. Sie war so verwirrt, sie konnte kaum etwas erkennen, ihr Blickfeld war so verschwommen. Ein rasender Schmerz in ihrem Bauch, drohte sie wieder zum würgen zu bringen.

"Da war 'ne alte Dame, die eine Fliege verschluckte..." sang Jane über ihr. "Vielleicht wird sie sterben."

"Ja-," flüsterte sie durch Janes entartetes Kichern. "Jane, bitte ...Wasser." bettelte sie.

"Was ist denn, Liebes? Ach, du willst Wasser? Ich denke, wir können das arrangieren, eure Hoheit."

Sie wusste, dass es gefährlich war, doch Scully erlaubte sich den Luxus der geringen Erleichterung, Janes Zustimmung zu hören. Ihr war beinahe bewusst, dass Jane den Raum verließ und als sie laufendes Wasser hörte, war sie so dankbar.

Jane lachte noch, als sie zurückkam. In ihrer Hand hielt sie ein durchsichtiges Glas, überfüllt mit kaltem Wasser. Es schwappte über den Rand und lief, als sie ging, die Seiten hinunter. Agent hübsches Mädchen sah, so wie sie am Rande des Bewusstseins dalag, so erbärmlich verzweifelt aus.

Sie kniete sich direkt neben sie und Scully bewegte sich so nahe sie konnte zu dem Glas hin. "Uh-uh-uh, Eure Hoheit, benimm dich wegen dem nicht wie ein Ferkel, denk dran, du bist immer noch eine Dame. Nun, zumindest hast du noch eine leichte Ähnlichkeit mit einer." Sie lachte wieder.

Scully konzentrierte sich so auf dieses Glas, als ob sie glauben würde, dass das Jane dazu bringen würde, es näher zu ihrem Mund zu bringen. Aber stattdessen führte Jane es zu ihrem eigenen Mund und als sie immer mehr und mehr von dem Wasser trank, bis schließlich nur noch ein Drittel davon übrig war, schrie Scully frustriert auf.

Scully sah wie Jane, noch lachend, etwas in das Glas eintauchte. Einen Lappen. Einen schmutzigen, fettigen Lappen. Er roch nach Benzin. Er saugte das restliche Wasser auf und Scully schluckte ihren nichtexistenten Speichel in einer reinen Reflexhandlung, hinunter. Sie lag nun wieder flach auf dem Bett, verfluchte sich selbst für ihr Glauben, für ihre Hoffnung.

Dann war Jane wieder über ihr. "Daaa-nahhh," rief sie ihr zu und kicherte wieder. Scully öffnete ihre Augen vor dem Lumpen. "Nun, mach auf, wenn du einen Drink willst, Verehrteste," sagte Jane, als sie einige Tropfen in Scullys Mund drückte und die ganze Zeit mit diesem nun erschreckenden, wahnsinnigen Ton lachte. Es schmeckte wie Seife und Bleichmittel und Fett, hinterließ einen widerlichen Nachgeschmack auf ihrer Zunge.

"Och, zu schade, das ist alles was du bekommst."

Jane war, als sie Scully weinen sah, absolut mit sich selbst zufrieden. "Hier, saug doch daran, wenn du so mitleiderregend tust." Sie hielt den Lumpen hin und Scully drehte ihren Kopf.

"Nimm ihn, verdammt noch mal!" schrie sie wieder und stieß ihn in Scullys Mund.

Als sie den schmutzigen Waschlappen weiter in ihren Mund stopfte, war der irre Blick in Janes Augen mehr als beängstigend. Scully kämpfte die ganze Zeit gegen sie an und bald schon schien Jane zu ermüden und hörte auf Scully anzugreifen.

Scully spuckte das dreckige Ding aus ihrem Mund und sie könnte schwören, dass sie diese Maden von zuvor auf ihm kriechen sah. Als Jane das Zimmer verließ, rief Scully so gut sie konnte nach ihr. "Jane," sagte sie schwach, ihre Augen waren geschlossen.

"Was?"

"Was Sie mit mir machen, kümmert mich nicht. Bitte," brach sie ab und nahm einen keuchenden Atemzug. "Tun Sie Mulder nur nicht weh."

Jane rannte zurück zum Bett. "Was? Wovon redest du, verdammt noch mal? Warum zum Teufel, sollte ich ihn verletzen wollen? Verflucht seist du, Dana Scully. Ich weiß genau, was Mulder braucht, du musst mir nicht erzählen, wie ich ihn zu behandeln habe. Ich weiß, was er will und es ist so sicher wie die Hölle, dass das nicht du bist!"

Sie floh aus dem Zimmer und kam prompt mit etwas in ihrer Hand zurück. Scully stärkte sich selbst gegen weitere Schmerzen.

"ÖFFNE DEINE AUGEN, VERDAMMT NOCH MAL! ÖFFNE SIE!"

Scullys geschwollene Augen flogen schmerzhaft auf und sie sah Jane wieder einmal über ihr stehen, die sie schüttelte. Jane tobte weiter. "Also, versuch erst gar nicht, mir zu sagen, dass ich es nicht tue. Es ist so sicher wie die Hölle, dass er DICH nicht liebt! Wer würde schon jemanden wie DICH wollen? Sieh dich doch an."

Sie schob den Gegenstand, den sie in das Zimmer gebracht hatte, vor Scullys Gesicht. Es war ein Handspiegel. "SIEH DOCH, VERDAMMT NOCH MAL!!!" schrie Jane. "Sieh dich doch an, wie häßlich du jetzt bist, du DUMMES Miststück!! Du schmutzige, schmutzige Hure!! Du warst jedenfalls nur ein Fehler! Wer würde denn überhaupt IRGENDETWAS MIT DIR ZU TUN HABEN WOLLEN!!"

Scully folgte Janes Aufforderung und sah in den Spiegel. Bei dem, was sie sah, schreckte sie zusammen. So wie sie es sich zuerst vorgestellt hatte, war es blutig und purpurrot und total verbrannt. Nicht wiederzuerkennen. 'Wir können nichts tun, um ihr Gesicht völlig wiederherzustellen' hallte es in ihrem Kopf wieder. 'Makellos, Scully. Ich liebe es. Schön.'

Scully winselte und es wurde ihr wieder bewusst, wie sehr ihr Gesicht schmerzte. Sie schloss ihre Augen und atmete tief ein, versuchte Jane und den Spiegel und die Erinnerung an ihr abstoßendes Gesicht, aus ihrer Realität zu verdrängen. Sie hatte sich nie in ihrem Leben gewünscht, zu sterben. Jetzt tat sie es.

"Er wird sich in mich verlieben, wart's nur ab," Janes Stimme drang wieder zu ihr durch. "Ich werde ihm nicht weh tun."

"Was denken Sie, wird er tun, wenn er herausfindet, was Sie mir angetan haben?" Scully war überrascht, dass sie es schaffte, diese vielen Worte herauszubringen.

Jane dachte eine Minute nach und dann wurde ihr Gesichtsausdruck böse. "Hey, wart mal ne Minute. Versuch mir nicht einzureden, dass ich verrückt bin. Nun, ich bin es nicht, ich bin es NICHT. Da ist nichts verkehrt bei mir. Nichts. Also probier hier keine Psychologiescheiße an mir aus, weil das nicht funktionieren wird."

"Es tut mir leid, Jane, Sie haben recht. Ich wollte nicht andeuten-"

"Behandle mich VERDAMMT NOCH MAL nicht so gönnerhaft."

"Das hab ich nicht. Wirklich, Jane, das hab ich nicht." Sie hustete.

"Du denkst wirklich, ich bin blöd, nicht wahr?"

Scully stärkte sich selbst gegen einen weiteren Ausbruch physischer Gewalt von ihr und für einen Moment lang sah es so aus, als ob Jane wieder daran dachte, ihr wehzutun. Verdammt, ich hab zu viel gesagt. Verdammt. Gott, wie sehr sie Mulder bei dem hier brauchen würde. Er hätte gewusst, welche Fragen man stellen darf und was man nicht sagen sollte.

Zu Scullys Überraschung sah sie in Janes Augen Tränen und sie sog ihre Lippen ein. Sie winselte einmal und lief aus dem Zimmer und Scully atmete auf.

*Mulder, ich bin hier, kannst du mich nicht hören? Sie ist es, sie ist es. Oh, Mulder, sei vorsichtig.*

xxxxxx

Montag, 1:04 morgens

Mulders Wohnung

Mulder kickte seine Schuhe weg und brach erschöpft auf der Couch zusammen. Es waren drei lange und verrückte Tage gewesen. Oder waren es vier? Alles war so verschwommen. Charlie und er hatten Scullys Nachbarschaft durchstreift, jede Person, die in der Nacht ihres Verschwindens innerhalb eines 50-Meilen-Radius gewesen sein könnte, befragt. Und dann war dieses Treffen mit Skinner gewesen. Mulder erschauerte schon bei dem Gedanken daran. Ganz zu schweigen von den Backgroundüberprüfungen von jedem in Scullys Wohnhaus und das stundenlange Ansehen dieser Überwachungsvideos von ihrem Foyer. Und sie hatten immer noch nichts. Keinen einzigen Hinweis. Mulder konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal geschlafen hatte. Oder gegessen. Und es war nur Charlies Beharrlichkeit zu verdanken, dass er zugestimmt hatte, für eine Nacht zu unterbrechen. Er hatte es geschafft, Mulder davon zu überzeugen, dass sie nutzlos waren, wenn sie zu müde zum Denken waren, und dass es da sowieso nicht viel gab, das sie mitten in der Nacht tun könnten.

Als er in den Polstern versank, erkannte Mulder, dass er Recht hatte. Sie brauchten ein wenig Zeit, um sich zu sammeln, um ihre weitere Strategie zu überdenken, da sie so nicht weiterkommen würden.

"Ich hasse es einen ehrgeizigen Betrunkenen zu ermutigen, aber was halten Sie davon, wenn wir diese hier aufmachen?" Mulder drehte sich um und sah Charlie in seiner Küche stehen und eine Flasche Whiskey hochhalten.

"Ja sicher, das hilft mir beim Denken."

Charlie schnaubte und brachte die Flasche mit zwei Gläsern in das Wohnzimmer. "Es hilft mir dabei das nicht zu tun. Und das ist es, was ich gerade jetzt brauche."

Charlie setzte sich Mulder gegenüber auf den Boden. Jeder von ihnen nahm einen Schluck und Mulder war bei dem Gedanken, dass er dazu fähig war mit einem irischen Seemann mitzuhalten, stolz. Er wurde wirklich gut beim Trinken.

"Also, ähm, es sieht so aus, als ob Jane es ziemlich gut geschafft hat, diese Wohnung aufzuräumen." Mulder zuckte bei der Erwähnung ihres Namens zusammen. Noch ein Durcheinander, das er zurückgelassen hatte. Sie hatte in den vergangenen Tagen unaufhörlich angerufen und er hatte sie wie die Pest gemieden. Er fühlte sich wegen dem, was zwischen ihnen vorgefallen war, ziemlich merkwürdig. Oder nicht vorgefallen war. Was immer es, verdammt noch mal, war. Und, um ehrlich zu sein, hatte er neuerdings auch nicht viel Zeit für ihre Probleme gehabt. Tatsächlich konnte er sich nicht einmal erinnern, dass er ihr diese Woche ihren Gehaltsscheck gegeben hätte.

"Ja, ich schätze, das hat sie. Ich bin seither überhaupt nicht mehr hier gewesen." Ist es tatsächlich schon eine Woche her, seitdem er diesen fürchterlichen Brief bekommen hatte?

Als er ihnen einen weiteren Schluck einschenkte, lächelte Charlie. "Ich weiß. Ich war bei Ihnen."

"Richtig." Charlie hatte ihn noch nicht gefragt, wie seine Wohnung in so einen Zustand geraten war und Mulder war froh darüber. Er hatte wirklich keine Lust dazu, Scullys Bruder an seiner geistigen Verwirrung teilhaben zu lassen. Der Typ schien ihn aus irgendeinem unbekannten Grund zu mögen und Mulder wollte das nicht gefährden. Es war so ungewöhnlich, von einem Angehörigen von Scullys Familie akzeptiert zu werden und es war für ihn eine wertvolle Sache.

Und Mulder war überrascht zu bemerken, dass er Charlie auch mochte. Tatsächlich arbeiteten sie ziemlich gut zusammen. Charlie war so problemlos und fröhlich und es war schwierig, mit dem Typen nicht zurechtzukommen. Und er war ihm auch dankbar. Wenn Charlie nicht gewesen wäre, würde er immer noch in irgendeiner Bar rumhängen und den verdammten Brief wieder und wieder lesen, anstatt das zu tun, was er von Anfang an hätte tun sollen. Nach Scully zu suchen. Und sein Arm wäre, wenn Charlie ihn nicht davon überzeugt hätte, in die Notaufnahme zu gehen und ihn nähen zu lassen, inzwischen wahrscheinlich entzündet.

Es stimmte, dass sie nicht gerade viel Erfolg gehabt hatten. Aber es war ein Anfang. Es war etwas. Und er war jetzt entschlossen dazu. Sie werden sie finden. Und sogar das war keine Frage. Sie mussten das. Die Frage war nur noch, wann und wie. Und in welcher Verfassung sie sein wird, wenn sie sie finden. Mulder fühlte plötzlich Panik in sich aufsteigen. Was wenn es für sie, je länger sie dazu brauchten, immer schlimmer wurde? Was, wenn eine Pause, sei sie auch nur für ein paar Stunden, den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeutete?

Der Adrenalinstoss ging vorüber und ihm wurde wieder klar, dass Charlie Recht hatte. In diesem Stadium war er für sie nutzlos. Es war besser, sich in den Schlaf zu trinken und am Morgen frisch zu beginnen.

Charlie goß einen weiteren Schluck ein. Wie viele waren es dann? Mulder war froh darüber, festzustellen, dass er sich nicht daran erinnern konnte. Es musste wohl wirken.

"Hey, habe ich Ihnen jemals meine Familie gezeigt?" fragte Charlie, mit schon leicht undeutlicher Stimme.

"Nope."

Charlie fasste in seine Tasche und zog seine Brieftasche hinaus. Nach einiger Verwirrung war er dazu fähig, das Bild, nachdem er gesucht hatte, zu finden und reichte es Mulder über den Tisch. Er erkannte Charlie, der breit grinsend neben einer großen und dunklen, schönen asiatischen Frau stand, die wie Mulder annahm, seine Frau war. Sie hatten zwei bezaubernde Kinder, einen sehr kleinen Jungen und ein Mädchen, dass wie zwölf Jahre aussah. Sie standen vor dem Grand Canyon.

"Das wurde letztes Jahr während meines Landurlaubes aufgenommen." Mulder nickte und versuchte zu lächeln. Er wollte sich für ihn freuen. Er tat es wirklich. Doch er gab ihm das Bild mit schwerem Herzen zurück.

"Sie sind ein glücklicher Kerl."

"Danke. Nicht gerade die perfekte traditionelle irische katholische Familie, hä?" Mulder lächelte darüber. Er hatte das Gefühl, dass Charlie selten perfekt traditionelle Dinge machte. "Mom und Dad waren nicht gerade erfreut."

"Wirklich?"

"Ja, nun Rena ist ein wenig vom anderen Schlag. Sie ist Künstlerin. Und sie hat einige wirklich feste Meinungen, die sie nie zu verheimlichen versuchte. Mom hatte nie daran geglaubt, dass sie für meine Kinder eine 'geeignete Mutter' sein würde." Mulder nickte teilnahmsvoll.

"Die Ironie dabei ist, dass sie echt erfolgreich gewesen ist. Ich meine, sie ist eine großartige Mutter, aber sie ist auch mit ihrer Kunst wirklich erfolgreich. Sie ist in vielerlei Hinsicht auch stabiler als ich es bin." Er klang so stolz auf sie, schien sie auf eine Weise zu lieben, die Mulder verstand, aber bezweifelte, dass das viele andere Leute taten.

"Wie heißen dein...Ihre Kinder?"

"Der Junge ist Charlie Junior, recht originell, ich weiß. Der Name meiner Tochter ist Pele, nach der Feuergöttin, wissen Sie. Das war Renas Idee." Mulder grinste. Charlies Begeisterung über seine Familie war ansteckend.

"Das ist süß."

"Ja, sie ist eine Süße. Trotzdem treibt sie einen in den Wahnsinn. Erinnert mich an die rote Bedrohung selbst."

"Meinst du Scully "?

"Gott, ich kann mich nicht daran gewöhnen, dass jemand Scully sagt und dabei nicht über mich spricht. Jedenfalls, ja. Sie erinnert mich an Dana, als sie ein Kind war. Ich hoffe nur, dass wir mit ihr keinen Jeff-Bloomfield-Zwischenfall haben, da ich nicht denke, dass mein Herz das verkraften könnte." Mulder hatte fast Angst davor zu fragen, wer Jeff Bloomfield war, aber seine Neugier war der überwältigende Antrieb.

"Was ist ein Jeff-Bloomfield-Zwischenfall?"

"Oh Mann, dass kannst du...können Sie nicht ernst meinen. Hat Dana Ihnen diese Geschichte denn nie erzählt?" Er schüttelte seinen Kopf. Es gab so viel, was sie ihm nicht erzählt hatte. So viel, das sie noch miteinander zu teilen hatten.

*Verdammt Scully, wo bist du?*

"Wow, ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen sollte. Es ist wirklich peinlich."

An diesem Punkt war Mulder fast verrückt vor Neugierde. Er hatte immer angenommen, dass Scully keine peinlichen Geschichten zu erzählen hatte. Sie war immer so perfekt gewesen. Jeff Bloomfield. Vielleicht ist das irgendein Junge gewesen, der einmal in sie verliebt gewesen ist. Oder jemand, den sie verprügelt hatte.

Charlie sah aus, als ob er versuchen würde, nicht zu lachen. Es musste gut sein.

"Ich bin mir sicher, dass sie nichts dagegen hätte, wenn du es mir erzählst."

Charlie rollte mit seinen Augen. "Ich bin mir sicher, dass das nicht wahr ist, doch was soll’s, es ist spät, ich bin betrunken. Warum nicht?" Er goß ihnen, bevor er anfing, noch eine weitere Runde ein und kippte sie runter.

"Okay, Jeff Bloomfield war dieser Typ, der auf der Basis in Kalifornien

wohnte, als wir dort in der Marineunterbringung waren. Er war Kadett, oder so. Jedenfalls stand Dana ungefähr eine Million Jahre wahnsinnig auf ihn. Also, an besagtem Wochenende waren Dad und Bill nicht zu Hause, auf See, weißt du und Mom wollte Oma besuchen. Das war, bevor ich die High School geschmissen habe, ich schätze, ich war so um die fünfzehn. Dana war sechzehn." Charlie goss sich noch einen Schluck ein. Mulder war bereits über die Geschichte schockiert. Scully schwärmte für jemanden? Er hatte sich nie vorgestellt, dass sie, aus welchen Grund auch immer, für jemanden schwärmen würde. Und Charlie hatte die High School geschmissen? Scullys Familie wurde von Minute zu Minute interessanter.

"Nun, Dana sagte Mom, dass sie krank sei und uns deshalb nicht begleiten könne. Kopfschmerzen oder irgendeinen Quatsch. Und Mom machte sich Sorgen darüber, sie das ganze Wochenende alleine zu lassen, was Dana völlig sauer machte, da sie ja 'praktisch eine Erwachsene' war." Mulder konnte sie diese Worte in seinem Kopf sagen hören. "Also gab Mom nach und schleifte mich und Missy zu Oma. Als wir schon die halbe Zeit des Besuches hinter uns hatten, entschloss Mom sich, Dana anzurufen, um sicherzustellen dass sie okay war, doch sie ging nicht ans Telefon. Deshalb entschied Mom, dass wir zurück nach Hause müssten, da sie sich natürlich Sorgen machte. Also packte sie uns ins Auto und fuhr zurück nach Hause. Und dann, als wir zu Hause ankamen, stand ein Auto, das wir nicht kannten, in der Auffahrt und Mom begann dann wirklich auszuflippen und dann..." Charlie brach in einen hysterischen Lachanfall aus und Mulder hätte ihn am liebsten durchgeschüttelt. Was zum Teufel war dann passiert? Er begann sich schon selbst um Scully Sorgen zu machen.

"Dann öffnete Mom die Tür und da war Jeff Bloomfield, der auf dem verdammten Boden, die Hölle aus meiner Schwester bumste." Charlie brach in eine weiteren Lachanfall aus, der noch an Intensität zu gewinnen schien, als Mulder einen Mundvoll Whiskey ausspuckte.

 

Ende Kapitel 8/11

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Kapitel 9/11

 

"Sie waren... er war... sie..." Mulder stotterte eine Weile herum, unfähig einen zusammenhängenden Gedanken zu formen. Alles, wozu sein Gehirn in der Lage zu sein schien, war im Geiste ein Dutzend Bilder zu produzieren, die zu Charlies Geschichte passten.

"Du hättest das Gesicht meiner Mutter sehen sollen. Jesus, es war unbezahlbar. Ich wünschte, ich hätte meine Kamera gehabt. Und Danas erst. Sie war so erschrocken. Und da waren Missy und ich, wir haben uns halbtot gelacht."

"Also was... was war passiert? Ich meine..." Mulder verfluchte sich selbst für seine verdammte Neugier. Aber da gab es ein paar Dinge, die er einfach wissen musste. Sie war erst sechszehn gewesen, um Gottes Willen. "Ich meine, was genau haben sie getan? Ich meine... war sie nackt?"

Mulder fürchtete, Charlie würde deswegen platzen. "Natürlich war sie nackt. Sie hatten Sex miteinander! Die Geschichte wäre nur halb so lustig, wenn sie ihre Sachen noch angehabt hätte, oder?"

"Na ja, nein, ich dachte nur..." Mulder war sich nicht sicher, was genau er gedacht hatte. Dass Scully eine 35 Jahre alte Jungfer war? So etwas wie eine Heilige? Nein, begriff er, das hatte er niemals wirklich geglaubt. Er wusste, dass sie Beziehungen gehabt hatte. Es war nur so, dass dieses "Jack und ich waren ein Jahr lang zusammen" weniger beschreibend war als dieses "die Hölle aus meiner Schwester bumste". Er hatte es sich einfach niemals wirklich... vorher vorgestellt. Nicht so, wie er es jetzt tat, vollkommen gegen seinen Willen. Eine sechszehn Jahre alte Dana Scully, jung und knackig, heiratsfähiger jugendlicher Körper, die sich mit irgendeinem Typen auf dem Boden herumwälzte. Nein, so konnte es nicht gewesen sein. Vielleicht hatte er sie ausgenutzt. Vielleicht war es ein traumatisches Erlebnis für sie gewesen.

"War sie in Ordnung?"

"In Ordnung? Was meinst du?"

"Nun, ich meine... hat er ihr wehgetan oder so?"

"Ihr wehgetan?" Charlie lachte wieder. "Nicht dass ich wüsste. Für mich sah es so aus, dass sie einen Mordsspaß hatte. Um das mal so auszudrücken." Aus irgendeinem Grunde amüsierte das Mulder überhaupt nicht. "Na ja, bis meine Mutter begann, die beiden anzuschreien. Da waren sie nun, stolperten umher, um ihre Sachen wieder anzuziehen und Mom zeterte und zeterte. Es war so verdammt lustig. Dann ging sie auf Jeff los. ‚Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie alt das Mädchen ist?’ und er antwortete ‚Einundzwanzig, richtig?’. Und Mom wieder ‚Nein, Sie Idiot, sie ist erst sechszehn und jetzt raus aus meinem Haus!’"

*Das sollte mich nicht anmachen. Das sollte mich nicht anmachen.* Mulder wiederholte diesen Satz in seinem Kopf wie ein Mantra. Aber es funktionierte nicht. Dieses Bild ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Er fragte sich, wie oft sie es gemacht hatten. Ob sie es überall in ihrem Elternhaus getrieben hatten, bevor sie unterbrochen wurden. In welcher Stellung waren sie erwischt worden?

"Gott, arme Dana. Es war ihr so peinlich."

"Darauf wette ich." Die kleine Dana, die ihr Shirt über ihre rosigen kleinen Brüste zerrte, im Gesicht rot wie eine Rose. Was für ein unartiges Mädchen. Mulder schlug in einem lahmen Versuch, dass was ihm passierte zu verbergen, die Beine übereinander.

"Und hat es dein Vater herausbekommen?" Mulder hatte das Gefühl, wenn er es getan hatte, hatte Jeff ein sehr unglückliches Schicksal erlitten. Womöglich war er wegen Unzucht mit Minderjährigen im Gefängnis gelandet.

"Nein, Gott sei Dank nicht. Dana schaffte es, meine Mutter davon zu überzeugen, ihm nichts zu erzählen und Missy und ich hätten es bestimmt nicht getan. Sie heulte Rotz und Wasser. Ich vermute, Mom fühlte sich schlecht wegen ihr. Aber wir haben Jeff nie wieder in der Nähe unseres Hauses gesehen."

"Und was hast du getan? Ich meine, wolltest du ihm nicht in die Eier treten?"

"Wofür?"

Gute Frage. Mulder hatte wirklich keine Antwort darauf, aber aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, er müsste den Typen umbringen.

"Er war kein schlechter Junge. Dana war diejenige, die ihm weisgemacht hatte, sie wäre einundzwanzig. Er hat nicht wirklich etwas falsch gemacht. Bestimmt war es gut, dass Bill nicht da war. Der wäre an die Decke gegangen. Er hat die Typen von Dana immer gehasst. Ich meine, ich bin sicher, dass er dich deswegen hasst. Nebenbei, ich würde das nicht persönlich nehmen. Er hat jeden Freund von Dana gehasst, den sie hatte. Irgend so ein deplazierter Vaterkomplex oder so ein Mist." Mulder war plötzlich unglaublich durcheinander. Und ihm war schwindelig. Worüber zur Hölle redete er? Danas Typen? War er Danas Typ?

"Äh... was?"

"Tatsächlich wusste ich, sobald ich gehört habe, dass er dich nicht mag, dass du in Ordnung sein musstest. Er schätzt Charaktere fürchterlich ein. Den einzigen Typen, mit dem sie sich traf, den er mochte, war dieser totale Blödmann..."

"Warte... was? Glaubt er, dass ich... dass wir... glaubt er, dass Scully und ich etwas miteinander haben?" Nur das Aussprechen dieser Worte schickte einen Schauer durch seinen ganzen Körper.

Charlie sah ihn an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. "Nun, ich nehme an, dass er das tut. Ich meine, habt ihr nicht?"

Mulder war plötzlich sprachlos. Habt ihr nicht? Was zur Hölle war die Antwort darauf? Nun, wir haben nichts miteinander, aber ich habe einmal versucht, sie zu vergewaltigen. Er schüttelte den Kopf.

"Habt ihr nicht? Wirklich?"

"Nein. Wirklich."

"Oh. Oh wirklich? Wow. Es tut mir leid. Ich habe es einfach angenommen. Ich meine, Dana hat nie viel gesagt, aber du weißt, wie sie ist. Ich habe es einfach aus der Art, wie sie über dich geredet hat, geschlossen..."

Mulder fragte sich, ob jeder in ihrer Familie das glaubte. Glaubte ihre Mutter das? Glaubte jedermann in der Welt das? Wie genau hatte sie denn über ihn gesprochen? Mulder schauderte unwillkürlich. Plötzlich veränderte sich das Bild in seinem Kopf von der jungen Dana und dem gesichtslosen Jeff in die Scully von heute. Und er. Auf dem Boden. Jesus.

Mulder zog mit einer, wie er hoffte, lässigen Bewegung, ein Kissen von der Couch auf seinen Schoß. Er stützte seinen Ellbogen darauf, um zu beweisen, dass es der Bequemlichkeit wegen da war und nicht, um irgend etwas zu verbergen. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er wieder in dieser Weise an sie dachte. Dieser Mist hatte das ganze Chaos schließlich erst verursacht.

"Ich habe tatsächlich ein Bild von uns allen aus diesem Jahr." Charlie begann, Bilder aus seiner Brieftasche zu ziehen und sie durchzusehen. Jesus, nein. Mulder betete dafür, dass er es nicht fand. Er wollte es nicht sehen. Gott, er wollte es wirklich nicht.

Charlie hob mit einem Grinsen eines der Bilder von dem Stapel. "Willst du die kleine Dana sehen?"

Mulder überlegte, dass er Charlie nach all dem vielleicht doch nicht so mochte.

Er erkannte alle Scullygeschwister auf dem Schnappschuss. Bill und Charlie im Vordergrund, die einen Fußball herumschossen und Melissa, die in Shorts und T-Shirt im Gras lag. Im Hintergrund war ein Haus, von dem er annahm, dass es das Zuhause der Scullys war. Und auf der Veranda dieses Hauses saß die kleine Scully.

Zwei lange rote Zöpfe hingen an den Seiten ihres Gesichts herab. Ein paar lose Locken umrahmten ihr Gesicht. Ihre Haut war von der Sonne ein wenig gerötet. Ihre Brust und ihre Arme waren mit Sommersprossen bedeckt. Sie trug abgeschnittene Jeans und ein Bikinioberteil, das ihre runden, wohlgeformten Brüste bedeckte und am Nacken zugebunden war. Mit einem Buch und einem Stift in der Hand saß sie auf den Eingangsstufen zum Haus. Sie sah zu dem auf, wer immer auch das Foto gemacht hatte. Ihre Augenbraue war hochgezogen und sie grinste verächtlich.

Scully war alles, was er sich vorgestellt hatte und nichts, was er sich in seinen wildesten Phantasien ausmalen konnte. Sie war Wildfang und Lolita in einem. Sie war das stille, schlaue, in sich gekehrte, oft übersehene mittlere Kind, dessen Herz und Seele mehr Geheimnisse bargen, als sich irgendjemand vorstellen konnte. Sie war Daddys kleines Mädchen. Sie war das Mädchen, das dann und wann spürte, dass sich etwas in ihr regte. Ein Drang. Ein brennendes Verlangen, etwas rebellisches zu tun, etwas, das niemand von ihr erwartete. Etwas, wie mit dem Nachbarn von nebenan in Mamis Wohnzimmer zu schlafen.

Er biss sich auf die Innenseite seiner Wange, um nicht laut aufzustöhnen.

"Mulder?"

Beim Klang von Charlies Stimme, die seine Überlegungen unterbrach, zuckte er zusammen. Er bemerkte, dass er das Foto mit einer verschwitzten Hand umklammerte. Er hatte es eine ganze Weile festgehalten und es einfach angestarrt, möglicherweise in Verzückung geraten.

Mulder gab Charlie das Foto zurück, damit es aus seinem Blickfeld verschwand.

"Niedlich, nicht wahr?"

Mulder starrte ihn einen Moment an, unfähig, auch nur ein einziges Wort hervorzubringen. Er schluckte, schaffte es, zu nicken und hervorzustoßen, "Niedlich."

Charlie hielt die Flasche verkehrt herum. Sie war leer. "Mann, die haben wir ziemlich schnell geschafft. Hey, irgendwie bin ich müde. Hast du was dagegen, wenn ich es mir auf dem Sessel oder so bequem mache? In diesem Zustand will ich nicht mehr versuchen, zu fahren."

Mulder nickte abwesend, nahm die Bitte kaum wahr und Charlie zog seine Schuhe aus und warf sich in den Sessel neben dem Tisch. Mulder saß einige Minuten schweigend da und wartete vergeblich darauf, dass sich sein Körper und sein Geist ein wenig beruhigten. Bald hörte er Charlie schnarchen und er befand sich immer noch in demselben Zustand.

Was zur Hölle stimmte nicht mit ihm? Scully wurde vermisst, war möglicherweise in Gefahr. Er musste klar denken, sich darauf konzentrieren, sie zu finden. Und nicht über kleine Mädchen phantasieren. Sogar, wenn das betreffende kleine Mädchen Scully war. Verdammt, besonders wenn es Scully war. Nach allem, was passiert war, nach dem, wie diese Art, an sie zu denken, ihn ihr gegenüber handeln ließ, sollte er sie in seinem Kopf in einen Schleier hüllen. Er sollte sein bestes tun, um sie wieder so zu sehen, wie früher. Scully, die Unberührbare. Scully, die Heilige. Scully, die im Herzen und im Kopf zu sauber war, um an Sex zu denken. Um es zu brauchen.

Aber er konnte es versuchen, soviel er wollte, er bekam diese Bilder nicht aus seinem Kopf. Und er konnte nicht beenden, was sie ihm antaten. Er verfluchte Charlie in erster Linie dafür, dass er ihm diese dumme Geschichte erzählt hatte. Was hatte er sich dabei gedacht? Wirklich niedliche Geschichte, Charlie. Was für ein Spaß. Natürlich hatte er geglaubt, Mulder würde diese Seite von Scully bereits kennen. Persönlich.

Aber dann zeigte er ihm dieses verdammte Foto. Um diese ganze gottverdammte Sache noch zu illustrieren. Was zur Hölle versuchte er, mit ihm anzustellen?

Mulder veränderte seine Haltung, um es, wie er hoffte, ein wenig bequemer zu haben und lehnte sich in die Couch zurück. Es machte keinen Unterschied. Wie zur Hölle sollte er jetzt schlafen? Er drehte sich auf die Seite und umklammerte das Kissen unter ihm. Hoffnungslos, er war ein absolut hoffnungsloser Fall.

Mulder sah auf den Tisch vor sich. Das Foto war immer noch da. Charlie hatte es zuoberst auf dem Stapel Schnappschüsse liegen lassen. Schnell sah er weg und wollte der Versuchung widerstehen. Er konnte nicht. Er würde nicht. Er hatte es nicht mal mit dem Bild von ihr gemacht, dass er von ihr aus der Gegenwart hatte.

Mulder linste zu Charlie hinüber. Er schlief geräuschvoll im Vollrausch. Mulder war mehr oder weniger allein. Er stieß einen frustrierten Seufzer aus. Es war lange her. Seit sie verschwunden war, wirklich. Er war nicht einmal fähig gewesen, auch nur daran zu denken. Zum ersten Mal in seinem Leben war es das letzte gewesen, woran er gedacht hatte. Bis jetzt. Bis zu dieser verdammten Geschichte.

Nach ein paar Minuten mehr, nach ein paar unbequemen Haltungen mehr erkannte er, dass er zwei Möglichkeiten hatte. Die ganze Nacht hellwach und wahnsinnig geil zu verbringen, um sich am Morgen unausgeschlafen und noch abgespannter wieder auf die Suche zu machen, oder er konnte etwas dagegen unternehmen. Etwas, das ihm erlauben würde, sich auszuruhen, wenn es getan war. Etwas, das ihn möglicherweise davor bewahren würde, in seinen Hosen gleich hier auf der Couch zu kommen.

Mulder warf einen letzten Blick auf Charlie, stellte absolut sicher, dass er schlief und stand mit zitternden Beinen auf. Er begann, sich auf den Weg ins Bad zu machen, aber auf halbem Weg machte er kehrt. Wieder sah er auf den Tisch. Es war immer noch da. Es waren keine Feen hereingekommen und hatten es von ihm fortgenommen. Warum konnte Charlie es nicht zurückgelegt haben? Es in seine Brieftasche, in seine Hosentasche gesteckt haben? Warum musste es so daliegen?

Er versuchte, an diese Nacht zu denken. Versuchte, sich zu erinnern, wie ärgerlich seine Avancen sie gemacht hatten. Versuchte, sich vorzustellen, wie sie ihn angeschrien hatte, ihm gesagt hatte, dass er aufhören sollte. Einfach aufhören. Im Namen Gottes, hör auf.

Aber die ärgerliche erwachsene Scully verwandelte sich in seiner Vorstellung in die junge geile Scully. Und dann in die erwachsene geile Scully, deren Lippen sich unter seinen öffneten in diesem einen einzigen großartigen Moment in seinem Lebens.

Er schielte zu Charlie hinüber. Verdammt sei er. Verdammt sei er, dass er das tat.

Mulder schnappte sich das Foto vom Tisch und stolperte nervös ins Badezimmer. Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich, mit dem Bedürfnis nach einem Halt, gegen den Rahmen . Er war so betrunken und so erregt, dass er glaubte, hinzufallen.

Mulder legte die Finger über die anderen Mitglieder der Scullyfamilie, so dass er sich nur auf sie konzentrieren konnte. Er musste nicht an den Bildern arbeiten. Sie waren lebhaft, aber unterbrochen. Keine fortlaufende Szene, sondern Teile und Stücke, Fragmente, die in seiner Vorstellung zusammengeworfen waren in einer verdrehten Mischung. Es war einfach mit dem Foto. So einfach, sie vom Papier zum Leben zu erwecken in den Szenarios seiner Phantasien.

Die kleine Dana in einem knappen Top und abgeschnittenen Jeans, wie sie auf dem Rasen stand und das Objekt ihrer Begierde mit einer Mischung aus Lust und Angst ansah, ihre Lippen leicht geöffnet, ihre Augen geweitet vor Hunger, ihre Zöpfe um ihre Finger gewickelt.

Das Geräusch seines Reißverschlusses war unerträglich laut in der Stille des Badezimmers.

Scully, die an ihrem Laptop sitzt und ihn quer durch den Raum ansieht, während sie schreibt, eine Augenbraue hochgezogen, eine Mischung aus Ärger und Erregung, während er über alles und nichts redet.

Seine gefühllose Hand klammerte sich beinahe schmerzhaft an sein nun hypersensibles Geschlecht.

Die kleine Dana, liegt in ihrem kleinen Bikinioberteil auf ihrem kleinen Bett, öffnet ihre Jeans, schiebt, während sie ihre Augen zusammenkneift und ihren Mund in einem stummen Schrei öffnet, ihre Hände zwischen ihre Beine. Das Fenster ist offen und Mami und Daddy veranstalten draußen auf dem Rasen ein Barbecue.

Die ersten Lusttropfen liefen über seine Finger und Schweißtropfen liefen über sein Gesicht, während er das Foto fester packte.

Scully, wie ihren Bademantel auszieht und ihm jede süße Kurve, jeden Zentimeter ihres zarten Fleisches zeigt, sich genau an der Stelle, wo die Kurve ihrer Hüfte den Beginn ihres runden kleinen Hinterteils trifft, berührt.

Das Pochen ging von seinem Penis aus zu seinem Kopf und zu seinem Herzen und dann wieder zurück, bis sich sein ganzer Körper anfühlte, als stünde er kurz vor der Explosion.

Die kleine Dana, die ihren gesichtslosen Liebhaber in Mamis Küche küsst, auf dem Spülschrank sitzt und sich mit um ihn gelegten Beinen an ihm reibt, in seinen Mund stöhnt, während ihre Zunge zwischen seine Lippen gleitet.

Er ließ das Foto zwischen seinen Fingern hindurch auf den Boden gleiten.

Scully, wie sie neben ihm, in einem zerwühlten Bett, in einem dunklen Hotelzimmer, in einer namenlosen Stadt, liegt, sich ihre Hände unter den Laken über ihren Körper bewegen, ihr stöhnen im Kissen erstickt, während er vorgibt zu schlafen.

Er langte mit seiner nun freien Hand nach dem Handtuch im Regal gleich neben ihm und umklammerte es, als ob es um sein Leben ginge, während er auf das Foto am Boden starrte.

Die kleine Dana, die sich seinen Körper hinaufschiebt, seinen nun, nicht Jeffs, auf seinem Gesicht sitzt, der Geschmack ihres erdbeerfarbenen Lustzentrums seinen Mund füllend, während sie sich an ihm reibt und darauf hofft, dass Mami nicht heimkehrt, bevor sie kommt.

Das Handtuch glitt vom Regal, als er in die Knie ging und damit auf den Fliesen des Bodens aufschlug. Er konnte keinen Schmerz fühlen. Zu nahe, er war bereits zu nahe. Widerwillig zog er seine Hand von seiner pochenden, harten Erektion fort. Er wollte mehr. Noch mehr Phantasien, mehr Scully, mehr Zeit. Er atmete tief ein und versuchte, seine Gedanken umzulenken. Mach es langsamer...

Scully schläft, während er fährt, im Auto neben ihm, ihre Zunge leckt unbedacht über ihre Lippen, ein kleiner Seufzer, der ihren feuchten Mund verlässt, ihre Beine reiben sich aneinander.

Mulder biss sich, in dem Versuch zu verhindern, dass er laut aufschrie, auf die Unterlippe und Blut lief über sein Kinn.

Die unanständige kleine Dana, die in seinem Schoß sitzt, in Daddys Sessel, in ihrer Mädchenuniform der Katholischen Schule, Wollrock und Kniestrümpfe und kein Höschen, ihre perfekte Kehrseite gegen seinen Penis pressend, ihn mit offenem Mund und forschender Zunge küssend.

Seine Finger zitterten an seinem Geschlecht und er wusste, es hatte keinen Zweck, zu versuchen, das Unausweichliche hinauszuzögern.

Scully... und er... er und Scully, auf seiner Couch, im Büro, in einem Hotelbett, auf dem Fußboden im Haus ihrer Mutter, Schweiß und Sperma und Blut und Tränen und ihr Mund und ihre Zunge und sie auf ihm und er auf ihr und ihr Orgasmus um ihn, zerrte an ihm, holte ihn so tief in sich hinein, so dass er niemals wieder den Weg herausfinden konnte, und ihre Augen offen, weit und wild, verbrannten ihn, als sie vor Lust schrie.

Er stopfte sich das Handtuch in den Mund, um sein Stöhnen zu ersticken, während seine Finger wild an seinem Penis arbeiteten. Sein Kopf schlug auf den Boden, als er in der Intensität seines Orgasmus nach vorn kippte.

*Mulder, ich fühle dich. Wo bist du?*

"Scully?" flüsterte er außer sich. Ihre Stimme war so klar gewesen, es hörte sich so an, als wäre sie mit ihm im Raum. Er warf den Kopf hoch und sah sich in dem winzigen Raum um. Er war allein. Allein mit einem Berg Sperma auf seinem frisch gewischten Badezimmerfußboden. Ein Tropfen war auf das Bild gespritzt.

‚Gott... oh Gott.’ Zitternd atmete er tief ein und stellte sich auf Beine, die die Konsistenz von Gelee angenommen hatten. "Mist. Mist, Scully." Er benutzte das Handtuch, um seine Finger und seinen Penis und das Foto sauberzumachen, Gott, das Foto, und zog seinen Reißverschluss hoch. Dann sah er an sich herunter. Sperma hatte bereits begonnen, auf der Baumwolle seiner Jeans zu trocknen und einen dicken, krustigen Film zu bilden. Wunderbar, wahrhaft bezaubernd. Er musste sich umziehen, bevor Charlie wach wurde.

Gott, Charlie. Wie konnte er ihm nachdem hier wieder ins Gesicht sehen? Was für ein kranker Scheißkerl er doch war. Was für ein ekelhafter Chaot. Aber wenigstens hatte er nun eine Chance, zu schlafen. Vielleicht.

Mulder öffnete die Badezimmertür und spähte langsam um die Ecke. Er sah Charlies Profil, der immer noch geräuschvoll im Sessel schlief. Gott sei Dank. Er war gerade dabei, zum Schrank hinüberzugehen und etwas zum Umziehen zu finden, als ihm etwas ins Auge fiel. Es war dunkel im Wohnzimmer, aber er konnte die Umrisse von etwas sehen... von jemandem. Irgend jemand anderes war im Wohnzimmer.

 

xxxxxx

 

Erst als Scully etwas warmes und salziges in ihren Mund laufen fühlte, bemerkte sie, dass sie weinte. Und etwas herunterleierte... in ihrem Kopf. Was?

*Mulder, ich bin genau hier. So nahe. Genau hier. Mulder.*

Scully hatte begonnen, es in ihrem Kopf wieder und wieder zu sagen, bis sie sich dessen nicht länger bewusst war. Sie wünschte, sie könnte mir ihm reden. Sie wollte ihn so sehr sehen, mit ihm sprechen, ihn berühren. Wissen, dass sie real war. Sie begann zu bezweifeln, dass er es noch war.

Scully befand sich in einem erschöpfteren Zustand, als sie jemals geahnt hätte. Und sie fürchtete sich genauso sehr davor, ihre Augen zu schließen, wie sie offenzuhalten. Was Realität war, begann sich in verwirrten Visionen zu verlieren.

Sie schloss die Augen.

Draußen war es warm und stickig. Ihre Brüder spielten vor ihr im Garten und diskutierten die ganze Zeit, während sie einen Fußball hin und her schossen. Melissa lag auf der Erde, starrte in die Wolken und erzählte ihr irgendetwas darüber, wie die alten Inka sie gelesen oder zu ihnen gebetet hatten oder irgendetwas darüber, wie sie bei Unfruchtbarkeit geholfen hatten. Sie kannte diese Szene, sie hatte sie schon früher erlebt. Und sie konnte sich daran erinnern, dass sie an diesem Tag ihre eigenen Ängste in Bezug auf Fruchtbarkeit gehabt hatte. Zwei Tage und sie würde mit Sicherheit wissen, ob sie sich über irgendetwas Sorgen machen musste. Was hatte sie gedacht...

Etwas ließ sie aufblicken. Mulder war da und starrte sie mit diesem heißhungrigen Ausdruck auf seinem Gesicht an. Ihr Herz hämmerte bei seinem Anblick. Sie erwiderte den Blick und legte ihr Notizbuch auf die Stufen nieder.

‚Komm mit in mein Zimmer, Mulder. Ich möchte dir etwas zeigen.’

Ihre Brüder und ihre Schwester sahen ihn nicht und sie war froh darüber. Sie schienen vollkommen uninteressiert daran, dass sie einen 37 Jahre alten Mann in ihr Schlafzimmer bat. Scully drehte ihnen allen den Rücken zu und verschwand ins Haus, die Treppen hoch in ihrem Zimmer.

‚Diesen Sommer ist es so heiß, nicht wahr, Mulder? Ich wünschte, wir hätten eine Klimaanlage, wie die Bartalas auf der anderen Straßenseite.’

Scully legte sich auf ihr Doppelbett nieder und Mulder ließ sich in den Sessel am Fußende von Missys Bett fallen. Unter halbgeschlossenen Liedern hervor warf sie ihm einen Blick zu und öffnete den Reißverschluss ihrer Shorts. Sie hörte Mulder stöhnen und schlucken. Ihre Hand glitt in ihre Hosen, zwischen ihre Beine.

‚Oh, Mulder... es fühlt sich so gut an...’

Draußen lachten Mom und Da und sie konnte italienische Würstchen und Cheeseburger auf dem Grill riechen. Mulder sah besorgt aus, aber sein Gesicht war geröteter, als sie es jemals gesehen hatte, seine Augen waren dunkel und Schweißtropfen fielen von seinen Schläfen. Er hielt sich durch seine Jeans fest und blickte extrem unbehaglich drein. Er wollte wieder weglaufen.

Scully bedeutete ihm mit ihrer freien Hand, näher zu kommen, dann stöhnte sie durch die Vibrationen, die sie durch ihren Körper schickte. Er schüttelte den Kopf, gehorchte jedoch und legte sich zu ihr aufs Bett. Sie ersetzte ihre Hand durch seine.

‚Oh ja, Mulder, bitte...’

Seine Berührung war leicht, vorsichtig, praktisch ängstlich.

‚Mehr, Mulder. Ich brauche es.’ nötigte sie ihn und er intensivierte seine Zärtlichkeiten, während er die ganze Zeit an ihrem Hals leckte und saugte und knabberte. Für den Bruchteil einer Sekunde sorgte sie sich darum, was Mom wohl zu den Knutschflecken sagen würde. Besonders seit... Jeff? Aber das war so lange her. Sie und Jeff in der Küche...

Mulder stand nun zwischen ihren Beinen, sie saß auf dem Spülschrank. Sie war sich dessen bewusst, dass sie nun ihre Schuluniform trug, weiße Kniestrümpfe, aber keine Unterwäsche. Sie war 35 Jahre alt und sechszehn zur selben Zeit. Und sie zog Mulder näher zu sich heran, in ihre Glut. Ihre Beine um seine Taille und ihre Arme um seinen Hals, rieb sie sich an ihm. Als er seinen Mund in einem Stöhnen öffnete, verschloss sie ihn mit ihrem und stieß ihre Zunge hinein. Er begann, sich zurückzuziehen und sie geriet in Panik.

‚Nein, Mulder, warte. Sieh.’

Sie schob ihren Rock hoch, um ihm zu zeigen, wie nackt sie darunter war. Er fiel auf die Knie und sie schlang ihre Beine um seinen Hals.

Dann waren sie plötzlich auf dem Boden des Wohnzimmers. Mulder, vollkommen nackt und sie mit gespreizten Beinen über seinem Bauch. Bald schob sie sich an seinem Körper nach oben, nur um von ihm bei den Hüften gepackt zu werden und ihr feuchtes Geschlecht über seinem Mund zu platzieren.

‚Oh ja, Mulder. Oh Gott, ja!’

Ihre Stimme ermutigte sein Handeln und er saugte und leckte und küsste sie so kraftvoll, es schien, als würde sie einfach mit ihm verschmelzen. Sie wollte das jetzt. Oh Gott, was war mit Mom und Dad, sie waren draußen...

‚Oh mach weiter, Mulder. Bitte... ich brauche...’

Er hörte auf.

‚Oh nein, Mulder, nicht. Gott, ich kann nicht. Ich brauche dich.’

Und dann waren sie im Wohnzimmer, im Fernsehsessel. In dem, den Mom für Dad zum 50. Geburtstag gekauft hatte. Mulders Hände waren in ihrer aufgeknöpften weißen Regeluniformbluse, eine steckte in ihrem BH, bedeckte ihre Brust und knetete sie beinahe besitzergreifend. Sie küsste ihn härter, stöhnte und rieb ihren Po über seine Erektion.

Er hörte wieder auf. Und dann verschwand er. Verließ das Haus. Diesmal hörte sie seine Stimme.

‚Es tut mir so leid, Scully.’

Warum tat es ihm leid?

Sie rannte aus dem Haus, ohne sich darum zu kümmern, wie sie aussah, was ihre Familie sagen würde, was die Nachbarn denken würden. Sie musste zu Mulder kommen. Schnell. Aus irgendeinem Grunde wusste sie, dass sich die Zeit erschöpfte. Oder dass sie sich erschöpfte.

Draußen war sie in Arlington, vor einem Haus, das sie gut kannte. Sie bemerkte Menschen, Autos, andere Gebäude, die sie kannte, alle in der Umgebung von Mulders Apartment. Menschen passierten sie, bewegten sich direkt durch sie hindurch, sahen sie überhaupt nicht.

Mulder. Sie war ihm nahe. Er war nicht weit gegangen.

Sie sah an dem Gebäude hoch. Hinter seinem Fenster brannte kein Licht. Sie musste da hoch, dachte sie und im Nu fühlte sie sich aufsteigen, beinahe in das Apartment schweben. Es war nicht mehr viel Zeit.

Im Raum war es dunkel, aber so real, wie das letzte Mal, als sie hier war. Außer dass sie nicht Mulder hier fand. Es war Charlie. Schlafend. Oh Gott, war Mulder tot? War sie diejenige, die zu spät kam?

Nein, sie spürte ihn. In sich, physisch und emotional. Er war in der Nähe. Sie brauchte ihn hier, dass er sie berührte, mit ihr redende, sie wissen ließ, ob das hier real war. Ob sie real war, am Leben.

‚Mulder, ich spüre dich. Wo bist du?’

Sie versuchte, laut zu sprechen, aber sie konnte nicht. Es brauchte all ihre Energie, die Worte auch nur zu denken. Sie spürte etwas in ihrem Rücken, wie ein Seil, das sie leicht zerrend dorthin zurückzog, woher sie gekommen war.

Scully versuchte, ihren Bruder aufzuwecken. Sie schrie ihn im Geist an, aufzuwachen, ihr zuzuhören, ihr zu zeigen, wo Mulder war. Dann hörte sie ihn. Mulder.

"Jesus... Jesus, Scully."

Es war so klar und laut in ihrem Kopf. Sie sah auf und Charlie war erwacht. Er sah sie ernsthaft verwirrt an, seine eisblauen Augen waren ungläubig aufgerissen.

Dann sah sie Mulder, der nach ihr griff und ihren Namen rief. Sie war von einer tiefen Angst überwältigt, dass er sie berühren würde, obwohl sie es so sehr wollte. Wieder spürte sie dieses Seil, das sie nun beharrlich zurückzog. Zurück zu ihren Qualen, zurück zu Jane...

Mulder war in Tränen aufgelöst, näherte sich ihr und Charlie begann, aufzustehen. Ihre Zeit wurde immer knapper. Sie musste es ihnen sagen. Ihnen sagen, wo sie sie finden konnten.

‚Ich bin so nahe bei dir, Mulder.’

‚Bei Jane, Charlie. Bei Jane. Sag es Mulder. Ich habe keine Zeit.’

Keiner von ihnen hörte sie. Das Seil zog sie zurück. Sie würde nicht fähig sein, sich länger dagegen zu wehren. Mulder kam näher.

Ein Gedanke ging ihr durch den Kopf. Ein Durcheinander relevanter Informationen, sie wusste nur noch nicht, was es war. Charlie schien sie zu hören, sie zu verstehen, auch wenn sie es nicht tat. Sie betete, dass es so war. Sie wollte so sehr einfach nur hier bleiben, bei den beiden Menschen sein, die ihr am meisten auf der Welt bedeuteten, aber sie konnte nicht. Sie verlor ihr Sehvermögen, ihre Atmung.

Mulder streckte seine Hand nach ihr aus.

‚Ich liebe dich, Mulder. Ich brauche dich.’

Sie versuchte, zu ihm zu sprechen, aber er war bereits gegangen.

 

Ende Kapitel 9/11

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Kapitel 10/11

 

Charlie wurde aus einem Traum gerissen, der davon handelte, von Außerirdischen entführt zu werden. Aus irgendeinem Grund, hatte Rena das Licht eingeschaltet. Er rollte rüber und versuchte, um herauszufinden was nicht stimmte, nach ihr zu greifen. Seine Arme ertasteten jedoch nur einen leeren Platz und ihm wurde klar, sie war nicht da. Und er war nicht zu Hause.

Seine Augen öffneten sich langsam, stellten sich auf die abrupte Helligkeit ein. Das erste, das er sah, war Mulder, der mitten im Wohnzimmer stand, seine Hand schwebte in der Nähe der Lampe. Er war völlig ruhig und starrte ausdruckslos vor sich hin. Sein Mund öffnete und schloss sich, ohne einen Laut. Er sah aus, als ob er unter irgendeiner Art von Schock stehen würde.

Charlie folgte seinem Blick. Das Fenster. Der Schreibtisch. Jemand...Gott, das war Dana. Das war Dana. Sie stand einfach da. Nein, sie stand nicht einfach da. Sie bewegte ihren Mund, so als ob sie sprechen würde, doch es kam kein Ton heraus.

Charlie blinzelte und rieb sich die Augen. Irgendeine Halluzination. Oder ein Traum. Das ist es, das musste es sein. Es machte einfach keinen Sinn. Aber als er wieder hinsah, stand seine Schwester noch dort, sie trug etwas, das wie eine schlecht sitzende Schuluniform aussah.

Er sah wieder zu Mulder hinüber. Der sah genauso verwirrt aus, wie Charlie sich fühlte. Und dann, ganz plötzlich, veränderte sich sein verwirrtes Stirnrunzeln zu einem beginnenden Lächeln. Bald war es ein Grinsen. Er war glücklich. Es war nicht wichtig für ihn, dass das ganze Szenario nicht real sein konnte. Sie war da und das war alles, was zählte.

"Scully..." Seine Stimme war ein Flüstern, kratzte an den Silben ihres Namens. Urplötzlich wurden Danas Worte klar. Charlie konnte sie laut und deutlich verstehen. Sie rezitierte eine Liste aus Zahlen. Er sah sich krampfhaft nach einem Stift und Papier um und begann, sobald er es gefunden hatte, alles was sie sagte aufzuschreiben.

Mulder wankte inzwischen mit einer fast unheimlichen Langsamkeit auf sie zu. Es sah so aus, als ob er durch Melasse gehen würde. Er erreichte sie schließlich und streckte, in der Absicht ihre Wange zu streicheln, seine Hand aus. Als seine Finger einen oder zwei Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt waren, schien es, als ob etwas in ihm zerbrechen würde. Er stürzte auf sie zu und schlang seine Arme um sie, versuchte sie an sich zu pressen. Aber sobald seine Haut die ihre berührte, war sie verschwunden. Einfach weg. So wie in den Wiederholungen von alten 'Verliebt in eine Hexe' Folgen. Zucke mit der Nase und verschwinde.

"Scully?" Er streckte völlig außer sich seine Hände aus, versuchte sie wieder zu finden. Aber sie war verschwunden. Er sank auf die Knie, auf den Boden hinunter und schrie auf. Es war ein schrecklicher, wortloser Schrei. Und dann, "Scully! Scuuuulllllyyyyyy "!

Charlie ging leise zu ihn hinüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Mulder, sie ist gegangen. Ich hab nicht, ...ich weiß nicht, was es war, aber..." Mulders Körper schüttelte sich unter der Wucht seiner Schluchzer.

"Sie war da...sie war...da." Er streckte seine Hände wieder zu der Stelle aus, auf der sie zuvor gestanden hatte und ballte sie dann zu Fäusten. "Wo ist sie? Wo ist sie? WO?!"

"Ich weiß es nicht, doch sie hat etwas gesagt, ich denke, es könnte wichtig sein. Ich...." Als er bemerkte, dass Mulder ihn nicht zuhörte, brach Charlie ab. Er hockte sich vor Mulder hin und fasste ihn an den Schultern. "Mulder, hör auf! Sie ist gegangen. Hör einfach auf und hör mir zu." Mulder begegnete seinen Augen und Charlie erschrak fast bei dem, was er dort sah. Doch er hatte seine Aufmerksamkeit. Er drückte das Papier, das er Mulder hinhielt. "Das ist das, was sie sagte. Ich hab es aufgeschrieben. Ich weiß nicht, was es bedeutet, es sind einfach ein Haufen Zahlen. Aber es ist etwas. Es muss irgendetwas bedeuten."

Mulder schüttelte den Kopf. "Was war das, Charlie? Ich verstehe das nicht. Was, wenn....was wenn es...." Er sank noch weiter zu Boden und weinte weiter. Ein Geist. Das musste es sein, was er dachte und Charlie war selbst ein wenig über diese Möglichkeit besorgt. Eigenartigerweise war es die glaubwürdigste Erklärung. Doch es erschien irgendwie nicht richtig. Wenn Dana tot wäre, würde er es wissen. Gott wusste, dass Mulder das auch wissen würde. Sie war nicht tot. Sie war es einfach nicht. Es war etwas anderes. Und Charlie würde schon herausfinden, was es war.

xxxxxx Dienstag 16:45

Sie denkt, dass ich verrückt bin. Geisteskrank. Die kleine Miss Käfer-Halluzination denkt ich bin verrückt? Ich bin NICHT verrückt. Nur weil ich einige Zeit in diesem Krankenhaus verbracht habe, heißt das noch gar nichts. Ich war nicht halb so verrückt, wie der Typ, der mit seinem Ellbogen so geredet hatte, als ob er sein Hund wäre. Ich gehörte nicht zu diesen Wahnsinnigen.

"Oh, sie ist *großartig*, sie ist *wundervoll*," sagte er. Nun, verdammt noch mal, ich bin genauso großartig und wundervoll. Ich war in Yale. Jedenfalls eine kleine Weile. Du kommst nicht in so eine Schule, wenn du dumm bist. Oder verrückt. Wenigstens wäre ich dazu bereit, mit ihm ins Bett zu gehen, ihm das zu geben, was er will, was er braucht. Special Agent Dana Scully ist ja Miss Zölibat, nicht wahr? Möglicherweise muss sie ja zuerst verheiratet sein, bevor sie es tut. Ich meine, ach komm schon, sie ist doch die Wahnsinnige, da sie Mulder in dieser Nacht zurückgestoßen hatte.

Jedenfalls, ist sie nicht alles, was Mulder braucht. Mulder braucht eine sexy Verführerin. Eine tröstende Mutter. Eine Frau, die all das ist, dass er will. Eine Frau, die alles für ihn tun würde. Ich bin diese Frau. Sie nicht, sie hat doch keine Ahnung, wie man Mulder behandeln muss. Ich schon. Ich weiß es.

Jane drückte, als sie durch ihre Kamera spähte, die Wahlwiederholung. Sie konnte ihn nicht sehen und der Anrufbeantworter hob nach dem zweiten Klingeln ab. Sie gab Mulders Code ein um die Nachrichten abzuhören. Es waren zwei.

"Guten Tag, Mister Mulder, hier spricht die First City National Visa, wir möchten Sie darüber informieren, dass Sie ihre Rechnung noch nicht bezahlt haben und Sie nun Mahnspesen zu entrichten haben. Wenn Sie nicht in der Lage sind, Ihre Zahlung in der Höhe von $340 zu leisten, rufen Sie uns unter der gebührenfreien Nummer auf Ihrer Rechnung an, so dass wir dann eine Vereinbarung erzielen können."

Er begann schon, seine Zahlungen zu vergessen? Er war wirklich abgelenkt. Diese Nachrichten waren auch schon zwei Tage alt. Hat sie sich niemals angehört. Sie musste seine Aufmerksamkeit wiedererlangen. Sie von Scully ablenken.

"Ja, Mulder, hier spricht Charlie. Hör zu, ich bin aus einer Laune heraus zu dem Hauswirt dieser Frau, in Janes Wohnhaus, gegangen, um mit ihm zu sprechen. Irgendetwas scheint mir mit ihr nicht zu stimmen, ich denke, sie ist etwas merkwürdig. Jedenfalls dachte ich, dass ich rübergehe, um mit den Leuten in diesem Wohnhaus zu reden und ich hab da etwas sehr interessantes darüber herausgefunden, wie diese Frau ihr Apartment bekommen hat. Scheinbar gibt es eine Warteliste, um in diesem Haus eine Wohnung zu bekommen und Jane war die letzte auf dieser Liste. Der Typ hat mir erzählt, dass sie zwei Riesen hingeblättert hat, um ihn zu bestechen und dann noch die Miete für sechs Monate bezahlt hat. Das ist ein wenig merkwürdig, oder? Ich weiß nicht, vielleicht ist es auch gar nichts, doch ich dachte, dass es sich jedenfalls lohnt, das zu überprüfen. Ich versuch, dich auf deinem Handy zu erreichen."

Janes Herz raste, als sie die Knöpfe drückte, die diese Nachrichten löschen würden. Verdammt, verdammt. War ihre gesamte Familie ein einziges Ärgernis? Sie kannte den Hauswirt, der wird ihm nichts erzählen können, er wusste nichts über sie und war ein so seniler, alter Mann, der sich doch kaum an den Namen seiner eigenen Frau erinnern konnte. Doch etwas musste geschehen, um Mulders Aufmerksamkeit umzuleiten. Auf sie. Und das schnell.

Nach wenigen Augenblicken hatte Jane einen Plan ausgeheckt. Sie wählte seine Nummer und hinterließ eine verzweifelte, mitleiderregende Mitteilung.

"Mulder, ich bin’s, Mulder, ich weiß, dass du damit beschäftigt bist, nach Scully zu suchen, aber, ich glaube... ich glaube, dass sie wiederkommen. Ich fühle es einfach. Es wird bald passieren. Oh, Mulder." Sie schluchzte einige Male leise. "Ich möchte nicht gehen. Ich möchte nicht noch mal gehen und du bist der Einzige, der mir helfen kann, Mulder. Bitte ruf mich an, wenn du das hörst. *Bitte*."

Sie sah nach der Prinzessin. Sie schlief. Oder war ohnmächtig, eins von beiden, offen gesagt hätte es sie an diesem Punkt nicht weniger kümmern können. Sie musste über ihre nächsten Schritte entscheiden. Sie würde über etwas nachdenken müssen.

xxxxxx

Mittwoch, 19:45

 

"Könnte irgendeine Logarithmische Formel sein."

"Oder eine verschlüsselte Matrix."

Mulder zuckte mit den Achseln und sah Charlie mit den Augen rollend an, als sich seine Freunde über die scheinbar zufällige Zahlenreihe, die auf ein Blatt Papier gekritzelt war, den Kopf zerbrachen. Die beiden hatten, seitdem ihnen Scullys Bild erschienen war, virtuelle Löcher in das Papier gestarrt. Sie hatten es zu einem Codeknacker und einem Numerologen gebracht. Schließlich hatte Mulder sich dazu entschlossen, es zu den Einsamen Schützen zu bringen. Nun diskutierten Langly und Frohike, während sie die Nummern in den Computer eingaben, weit hergeholte Möglichkeiten über deren Bedeutung und Byers saß neben Charlie auf der Couch. Mulder lief hin und her.

Trotz der grässlichen Natur dieser Situation amüsierte sich Charlie über Mulders dusselige Freunde. Die waren gewiss eine merkwürdige Truppe, doch sie schienen sich um Danas und Mulders Wohlergehen zu sorgen.

Als Mulder außer Hörweite stelzte, beugte sich Byers zu ihm hinüber und sprach ihn leise an. "Wie geht’s ihm?" Charlie schüttelte seinen Kopf. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er hatte noch nie mit jemandem umgehen müssen, der so durcheinander war.

"Schlecht, hmm?" Er nickte nachdrücklich. Schlecht war eine Art, das zu beschreiben. "Ich hab eines begriffen. Sie bedeutet ihm mehr, als sein ganzes Leben, wissen Sie."

Charlie nickte. "Es ist unmöglich, länger als fünf Minuten um ihn zu sein, ohne das zu wissen."

"Was zum Teufel macht ihr Typen da?!" Byers und Charlie zuckten beim Wirbel den Mulder, als er Frohike und Langley anbrüllte, machte zusammen. Sie waren schon fast zwei Stunden dort gewesen und Mulder begann offensichtlich, bereits seine Geduld zu verlieren. Charlie hatte das während ihrer Suche über ihn herausgefunden. Wenn sich die Dinge nicht schnell herauskristallisierten, wurde er gereizt und besorgt und begann dann damit, laute Forderungen an den zu stellen, der ihn, wer auch immer es war, gerade unterstützte. Außer bei Charlie selbst. Ihm gegenüber war er aus irgendeinem seltsamen Grund nie ungeduldig gewesen. Und Charlie hatte diese Geste erwidert.

Er fragte sich, ob Mulder immer so war, wenn er an einer Ermittlung arbeitete. Er bezweifelte es jedoch. Dana hätte sich damit nicht abgefunden. Und er glaubte, dass Mulders rasendes Tempo mehr mit der Natur dieser besonderen Ermittlung, als mit irgendetwas anderen zu tun hatte.

Charlie schielte zu den beiden Freaks an dem Computer rüber. Sie sahen aus, als ob sie durch Mulders Ausbruch erschrocken und ein wenig verängstigt worden wären. Mulder schien das nicht zu bemerken. Er schnauzte weiter herum.

"Das sind Zahlen. Verdammte Zahlen. Was zu Teufel macht ihr damit? Was haben diese verdammten Logarithmen mit Scully zu tun? Ihr vergeudet nur Zeit."

Charlie stand auf und näherte sich Mulder. Er fühlte mit diese Typen mit. Um Gottes Willen, sie sahen aus, als ob sie im Begriff wären, zu weinen.

"Mulder?"

"Was? WAS?!"

"Sie versuchen doch nur, zu helfen. Warum ruhst du dich nicht ein wenig aus." Keiner von ihnen hatte viel geschlafen, doch er wusste, dass Mulder es seit Tagen nicht einmal versucht hatte. Er stand am Rande des totalen Zusammenbruches.

Mulder warf ihn einen bösen Blick zu, doch er schien dem auch zuzustimmen. Er warf seine Hände in die Höhe und stürmte hinaus in einen anderen Raum im endlosen Labyrinth der Garage der Einsamen Schützen.

Als er außer Sichtweite war, drehte sich Frohike zu Charlie um und schnitt eine Grimasse. "Er ist völlig durcheinander."

"Ich hab ihn noch nie so gesehen. Nicht einmal, als sie krank war..." fügte Langly hinzu und schüttelte den Kopf.

"Was ist mit seinem Arm passiert?" fragte Frohike.

"Ähm ...ich bin mir nicht wirklich sicher." Charlie war sich immer noch nicht sicher, ob er sich das selbst angetan hatte und sogar wenn er das getan hatte, so war er sich sicher, dass das nichts war, worauf er besonders stolz war. "Ich hab ihn dazu überredet, ins Krankenhaus zu gehen, um einen Blick drauf werfen zu lassen. Doch es blutet weiterhin durch den Verband."

"Wow!" rief Byers aus. "Sie konnten ihn dazu bringen, ins Krankenhaus zu gehen? Wenn Scully vermisst wird? Ich bin beeindruckt. Sie müssen sehr überzeugend sein." Charlie zuckte mit den Schultern, war noch immer unsicher darüber, warum Mulder auf ihn und niemand anderen zu hören schien. Er drehte sich zum Computer zurück und warf einen kurzen Blick auf die ausführlichen Formeln und Tabellen auf dem Bildschirm. Er sah wieder auf das Papier hinunter und etwas kam ihn in den Sinn. Etwas so offensichtlich, dass es lächerlich war. So offensichtlich, dass er Tage gebraucht hatte, um daran zu denken.

"Ähm, Jungs, denkt ihr nicht, dass das vielleicht eine Telefonnummer sein könnte?" Die ersten drei Zahlen der wiederholten Zahlenfolge, waren die Vorwahl vieler Telefonnummern im DC-Gebiet. Nach den drei Nummern waren noch fünfzehn weitere, doch vielleicht waren die nächsten vier mit ihnen verbunden.

Die drei Männer drehten sich um und starrten ihn einen Moment lang ausdruckslos an. Dann suchte Langly ein Telefonbuch heraus. Alle drei rannten zu einem der verschiedenen Computertische und begannen damit, angestrengt Befehle einzugeben. "Wir können in weniger als zwei Minuten eine Suche starten," verkündete Langly.

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"Au!" Nachdem er in einem abgelegenen Zimmer, das er gefunden hatte, in der Dunkelheit gegen das Sofa getreten hatte, blickte Mulder finster drein. "Scheiße." Er setzte sich, um das Gewicht von seinem nun schmerzenden Fuß zu nehmen, hin. Er musste nachdenken. Musste sich konzentrieren. Und musste sich zusammenreißen. Er hatte gegen etwas getreten, da er hoffte, dass es ihn aufwecken würde.

Doch nun musste er sich hinsetzen und das verschlimmerte die Situation sogar noch. Alles war so verschwommen. Ihm war übler als je zuvor und Gegenstände, die sich nicht bewegen sollten, wie die Wände, begannen sich auf ihn zuzubewegen. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, welcher Tag war, wieviel Zeit vergangen war, seitdem er sie zuletzt gesehen hatte.

Mulder begrub sein Gesicht in seinen Händen und stieß ein frustriertes Stöhnen aus. So war er für sie nutzlos. Er konnte seine Augen auf nichts mehr fokussieren, geschweige denn klar denken. Seine Augenlider fielen, trotz seiner Bemühungen um das Gegenteil, zu und er sank noch tiefer in die Kissen. Er glitt weg. Ging unter, trieb ab, ertrank....

Als er wieder auftauchte, fand er sich in einem dunklen Korridor wieder. Er ging an mehreren Türen vorbei und wusste, dass eine von ihnen jene war, die er öffnen musste. Sie waren alle mit Zahlen versehen. Die Zahlen. Er suchte nach den vertrauten, nach denen, die er vom Papier auswendig gelernt hatte. 307. Das waren drei von ihnen. Er erkannte sie und drehte den Knauf der Tür.

Einen Moment lang stand er im Korridor und blickte prüfend auf das, was hinter ihm lag. Pflanzen und Bäume und Blumen und ein seltsames zischendes Geräusch, das von der Sprinkleranlage kommen könnte. Sie war hier irgendwo. Er konnte sie spüren.

Aber er konnte sie nicht sehen. Er ging zu dem seltsamen Ort und schloss die Tür hinter sich. Sobald sie geschlossen war, verschwand sie in einem Meer aus Grünzeug. Für einen Moment lang hatte er Angst. Sein einziger Ausweg war verschwunden. Doch es war wichtiger, Scully zu finden. Er musste Scully finden.

Er kämpfte sich einen Weg durch die Pflanzen. Die Pflanzen waren, als er ging, für eine Weile alles, was er sehen konnte. Sie umgaben ihn und erstickten ihn. Er musste seine Hand ausstrecken, um sie zur Seite zu schieben und an ihnen vorbei zu gelangen. Sie schlugen ihm ins Gesicht und zerschnitten ihm die Haut. Er wurde an eine Zeit, einen Ort, eintausend Meilen und eintausend Jahre weit weg, erinnert. Ein Maisfeld. Auf der Suche nach Scully, das verzweifelte Rufen nach ihr, weil er nichts sehen konnte, nichts außer Pflanzen sehen konnte. Immer auf der Suche nach Scully.

Er öffnete seinen Mund, um nach ihr zu rufen, doch es kam kein Laut heraus. Und Blätter füllten seine Kehle.

Schließlich erreichte er eine Lichtung. Die Pflanzen wichen zurück und er stand vor einer Statue. Der Löwe. Der gleiche Löwe. Der aus dem anderen Traum von ihr. Der Löwenspringbrunnen, der Scullys Gesicht genommen hatte.

"Scully!" rief er und diesmal funktionierte seine Stimme. Doch sie antwortete nicht. Sie war nicht da. Oder sie konnte ihn nicht hören.

Ein paar der Bäume schaukelten und er bemerkte hinter ihnen ein Glaspaneel. Er lief drauf zu und zog es zurück, damit er sehen konnte. Durch das Glaspaneel sah er in ein Schlafzimmer. Ein Bett. Ein...er versuchte die anderen Details des Zimmers zu erkennen. Er wusste, dass es wichtig war. Doch er konnte sich auf nichts, außer der Tatsache, dass Scully auf diesem Bett lag, konzentrieren.

Er drückte sein Gesicht gegen das Glas, versuchte eine bessere Sicht zu erlangen. Sie lag bewegungslos da, ihre Augen waren vor Angst geweitet. Ihre Arme waren über ihr gefesselt und sie trug den gleichen Pyjama, den sie an jenem Freitag, als er sie verletzte, getragen hatte.

Mulder hämmerte mit seiner Faust gegen das Glas, rief nach ihr, doch sie bewegte sich immer noch nicht. Sie war völlig erstarrt. Er sah sich nach etwas um, mit dem er das Glas zerschlagen könnte, doch da war nichts. Er versuchte, es mit seiner unverletzten Hand zu zerbrechen, doch es gelang ihm nur, sein Handgelenk zu brechen.

"Scully, kannst du mich nicht hören? Ich bin genau hier!" Gott, ihre Augen. Sie waren noch geöffnet und starrten bewegungslos auf die Decke. Und da waren Schnitte auf ihrem Gesicht. Sie war so dünn. So blass.

"Scuuullleeee! Gott..." Ein Stein. Da war ein Stein. Er hob ihn hoch und fand, dass er überraschend schwer war. Er zielte und schleuderte ihn durch das Glas. Es zerbrach. Gott sei dank, es zerbrach.

Mulder bewegte sich darauf zu, sprang jedoch zurück, als er sah was durch das zerbrochene Glas zu sickern begann. Blut. Überall lief Blut, floß aus dem Zimmer, in dem sie gewesen war, bedeckte alles, bedeckte ihn. Er konnte sich nicht bewegen, konnte nicht atmen. Er starb. Sie war tot....

Mit einem Schrei auf den Lippen wachte er auf.

Die Bilder waren da, es war lebhaft, es war real. Die Zahl. 307. Der Garten. Die Glaswand. Er hatte das alles gesehen. Er hatte es vor kurzem gesehen. Es war hier. Es war gleich hier auf der anderen Straßenseite.

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"Daddy? Daddy, ich bin’s, Janie," Jane sprach in ihr Handy und saß am Parkplatz der Bank. "Daddy, ich habe gerade versucht, etwas Geld von meinem Konto abzuheben und ich hab von beiden Konten nur eine ungültige Kontonummermeldung bekommen."

Jane sah nervös auf die Uhr auf ihrem Armaturenbrett. Sie musste bald wieder zu ihren Apartment zurück. Nicht auszudenken, wenn Mulder ihre Nachricht bekommen und zu ihrer Rettung eilen würde. Sie wollte nicht, dass er äußerste Maßnahmen ergreift, indem er den Hauswirt holte, um ihre Tür aufzuschließen. Oder die Tür aufbrach. Als sie sich vorstellte, wie Mulder ihren Namen rief und, verzweifelt um ihre Rettung bemüht, ihre Tür zertrümmerte, fühlte sie, wie eine warme Welle sie durchlief. Scully war in dem Zimmer eingesperrt und sie hatte die Jalousien zum Garten geschlossen, weswegen er es nicht sehen würde. Aber, wenn er beunruhigt genug war, würde er möglicherweise glauben, dass sie in diesem Zimmer wäre. Ihr Herz hämmerte ein wenig. Komm schon, Daddy.

"Aber Daddy, ich brauche das Geld," flehte sie in einen Ton, der eher zu einer Vierzehnjährigen passte. "Meine Miete ist morgen fällig. Warum hast du die Konten geschlossen?"

Er war nicht glücklich über sie. Er schrie sie wieder und wieder an, dass sie nie wieder Geld von ihm bekommen würde. Jane fühlte, wie sich ein Klos in ihren Hals bildete. Er enterbte sein wieder.

"Aber Daddy, ich werde umsichtiger sein, ich verspreche es. Ich *versprech’s*, Daddy. Daddy, du musst mir noch eine Chance geben. Das musst du." Dann sagte er, dass dies das letzte Mal war, dass dies passierte, dass es hier keine Chancen mehr geben würde. Sie erschrak, er meinte es diesmal wirklich ernst.

"Daddy, warum kommst du heute heut Abend nicht rüber? Komm doch rüber und ich werde dir ein Abendessen machen und du kannst dir meinen Garten ansehen. Er sieht so schön aus. Deswegen hab ich auch soviel ausgegeben. Doch nun muss ich das nicht mehr, wirklich, ich muss nicht mehr."

"Dein gottverdammter Garten interessiert mich einen feuchten Dreck. Dafür hast du also das ganze Geld und deine Zeit verschwendet? Du bist ein mitleiderregender Verlierer, Jane Elizabeth. Du bist zu nichts zu gebrauchen und ich verschwende nicht noch mehr von meiner Zeit und meinem Geld an dich."

Jane versuchte, nicht laut zu weinen. Er hasste das. Sie sagte nichts.

"Ich will nichts mehr von dir hören," war alles, was er sagte und die Verbindung wurde beendet.

Sie saß in ihrem Auto und weinte. Sehr. Er meinte es ernst. Sie stand wieder vor dem nichts. Kein Geld. Keine Familie.

Nachdem sie eine Weile geweint hatte, rief sie bei sich an. Keiner antwortete und es waren keine Nachrichten auf ihrem Anrufbeantworter. Verdammt. Er sah bisher noch nicht nach ihr. Sie rief bei Mulder an und auch dort antwortete niemand und da waren auch keine Nachrichten.

Schlampe. Verdammte Schlampe. Das ist ihre verdammte Schuld.

Jane fühlte, wie die Wut in ihr wie ein wildes Feuer aufloderte. Bald hyperventilierte sie und sie dachte an nichts anderes, als daran, wie sehr sie Dana Scully hasste. Sie legte den Rückwärtsgang ein und manövrierte den Wagen aus dem Parkplatz, ihre Reifen quietschten, als sie um die Ecke fuhr.

Mulder wird mein sein, verdammt. Er wird mein sein, und ich werde glücklich sein

und sie wird verschwunden sein.

Auf ewig verschwunden.

Und nur so kann es sein.

Und in diesem Moment entschloss sich Jane, dass sie zurück nach Hause gehen würde, um Scully zu töten. Es war der einzige Weg.

 

Ende Kapitel 10/11

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Kapitel 11/11

 

Das Programm brauchte ewig, um die Nummern aufzulisten und als es sie anzeigte, stellte sich heraus, dass die Nummer mit keiner von diesen einen Sinn ergab. Eine der Kombinationen war eine Faxnummer, eine andere war eine abgeklemmte Pagernummer. Wieder eine andere war eine abgemeldete Handynummer.

Es wäre auch zu einfach gewesen, wenn es eine so leicht zu entschlüsselnde Nummer gewesen wäre. Es machte Charlie krank, er wurde müde und nichts funktionierte, verdammt noch mal. Gerade als er soweit war, den Jungs zu sagen, sie sollten Mulder wecken, damit sie hier verschwinden konnten, hörte er einen Schrei. Mulder war bereits aufgewacht. Er stand auf und versuchte, sich zu entscheiden, ob er hingehen und versuchen sollte, mit ihm zu reden oder nicht, während die Gunmen sich gegenseitig bestürzt ansahen.

"Ich glaube, wir sollten vielleicht..." Charlie wurde durch Mulders wildes Hereinstürzen unterbrochen.

"Mulder, hey, äh, wir kommen irgendwie mit der Num..." meinte Byers etwas vorsichtig.

"Wir müssen gehen." Mulder schnappte sich seinem Mantel und begann, in Richtung Tür zu eilen.

"Wohin..."

"Bei Jane. Sie ist bei Jane. Sie ist bei dieser verdammten Jane! Wir müssen, verdammt noch mal, gehen!"

Charlie blinzelte einen Moment lang verwirrt. Dann begriff er, dass er jetzt los musste oder Mulder würde ohne ihn gehen. Er war bereits halb zur Tür hinaus.

Mulder scheuchte ihn zum Auto und ließ die Einsamen Schützen, die ihnen alarmiert hinterher starrten, zurück. Sobald Charlies Tür geschlossen war, startete Mulder durch und brachte den Wagen, in ungefähr fünfzehn Sekunden von null auf sechzig Meilen .

Charlie hielt sich nervös am Armaturenbrett fest. Er wollte Mulder fragen, was ihn denn so sicher machte, dass Dana bei Jane war. Er war dieser Frau gegenüber von dem Moment an, als er sie traf, misstrauisch gewesen, aber dennoch schien Mulder, soweit Charlie das einschätzen konnte, keinen sichtbaren Beweis dafür zu haben.

Außerdem wollte er Mulder fragen, was genau sie tun wollten, wenn sie bei Jane eintrafen. Sie hatten keinen Durchsuchungsbefehl und sie würde sie wahrscheinlich nicht ihr Apartment durchwühlen lassen. Wenn sie überhaupt zu Hause war.

Er wollte ihn eine Menge Dinge fragen. Aber er fürchtete sich tatsächlich davor.

Mulder war ein besessener Mann. Er schlängelte sich in halsbrecherischer Geschwindigkeit durch den Verkehr, rote Ampeln und Stoppschilder einfach ignorierend. Dabei umklammerte er das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Seine Augen waren wild und er war, während er fuhr, vollkommen still, was nicht üblich war. Charlie hatte angefangen, sich an sein Gemurmel und sein Fluchen zu gewöhnen, besonders wenn er in Eile war. Aber nun schien er sich zu sehr darauf zu konzentriert, zu Jane zu kommen, als zu sprechen.

Aber als Mulder das Lenkrad herumriss und auf den Mittelstreifen des Highways fuhr, spürte Charlie doch das Bedürfnis, etwas zu sagen. Irgend etwas. Er begann, um sein eigenes Leben zu fürchten.

"Ähm... Mulder?"

"Ich hatte einen Traum." Er sagte es so, als wäre es tatsächlich eine Erklärung und schwieg wieder.

"Oh... okay..."

"Den gleichen Traum. Mit dem Löwen und den Pflanzen. Und in diesem waren Zahlen. 307. Es war Janes Apartment. Sie war dort. Ich habe sie gesehen."

Charlie atmete tief ein und versuchte, sich zu sammeln. Er begann sich zu fragen, ob Mulder nicht vollkommen die Kontrolle verloren hatte.

"Mulder... ich weiß nicht, ob..."

"Sie war tot. Sie war verdammt noch mal tot, Charlie." Sie hatten den schlimmsten Verkehr hinter sich und Mulder brachte sie wieder auf die Straße zurück. Reifen quietschten, Hupen tönten und Charlie roch verbrannten Gummi.

"Im Traum?" Er versuchte angestrengt, dem ganzen zu folgen. Dabei hatte er das seltsame Gefühl, dass er es womöglich irgendwann vor einem Psychiater wiederzugeben hatte.

"Ja, im Traum!" Mulder schüttelte den Kopf. Er regte sich zunehmend über die Unterhaltung auf. "Begreifst du das nicht? Wir müssen dorthin. Gott... wir müssen dorthin, bevor es zu spät ist."

 

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Nur noch sechs Blocks. Sie beschloss, dass sie dieses Miststück ersticken und die Leiche dann irgendwo weit entfernt wegwerfen würde. Sie würden die Leiche niemals zu ihr zurückverfolgen können. Das würde unmöglich sein. Es würde vollkommen Sinn machen, wenn ihre Leiche auf irgendeinem Feld oder so auftauchen würde, nachdem sie solange vermisst wurde. Gerade wegen dem brillanten Brief, den sie geschrieben hatte. Vielleicht wäre es eine gute Idee, sich irgendwo auf Daddys Besitzungen zu verstecken...

Jane fuhr in eine Parklücke auf der Straße und stürzte in das Gebäude. Sie fühlte sich aufgeheitert. Mulder wird es so schlecht gehen und ich werde für ihn da sein.

 

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"Jane, ich bin es, Mulder. Bist du da?" Mulder und Charlie sahen sich auf dem Flur vor dem Apartment 307 um. Mulder hatte eine Zeitlang geklopft. Es war offensichtlich, dass sie nicht zu Hause war. Er probierte die Türklinke, aber es war natürlich abgeschlossen.

Mulder trat ein paar Schritte zurück und drehte sich zur Seite. Charlie erkannte plötzlich, was er vorhatte und hob die Hand hoch. "Warte, nur keinen Ärger." Er nahm eine Kreditkarte aus seiner Brieftasche und schob sie in das Schloss. Nachdem er ein paar Mal gewackelt hatte, war die Tür offen.

Mulder zog eine Augenbraue hoch und Charlie zuckte mit den Schultern. "Nur etwas, das ich über die Jahre aufgeschnappt habe."

Sie gingen in das Foyer von Janes Apartment, ein Ort, an dem Mulder bei vielen Gelegenheiten gewesen war. Seit Scullys Verschwinden war er nur einmal hier gewesen. Er erinnerte sich an ein eigenartiges Gefühl, ein seltsames Unbehagen, das er dabei hatte. Es war nichts im Vergleich zu den Empfindungen, die ihn diesmal überfielen. Beim letzten Mal war er zu verwirrt, zu sehr auf andere Möglichkeiten konzentriert gewesen. Seine Instinkte waren von seinen überwältigenden Gefühlen begraben worden.

Diesmal spürte er sie. Er spürte sie so lebhaft, dass er sich beinahe darunter krümmte. Sie hatte Schmerzen. Oh Gott, sie hatte heftige Schmerzen. Aber sie war am Leben. Am Leben. Am Leben. Und nahe. So nahe.

Er war sich dessen bewusst, dass Charlie auf ihn einredete, während er in den hinteren Bereich ging und jeden Raum des Apartments untersuchte. Er erzählte etwas über Einbruch und Eindringen und Durchsuchungsbefehle und Unterstützung. Nichts davon ergab irgendeinen Sinn für ihn, also reagierte er überhaupt nicht und fuhr mit seiner Suche fort.

Die meisten Türen waren unverschlossen. Als er auf eine stieß, die verschlossen war, wusste er, dass er sie gefunden hatte. Er hämmerte seine Faust gegen das Holz.

"Scully?" Überhaupt keine Reaktion. Sie konnte nicht einmal nach ihm rufen. Sie musste so schwach sein. "Scully, bist du da drin? Ich komme, Scully. Ich komme, um dich nach Hause zu bringen." Er erinnerte sich an den Traum, daran, wie das Glas nicht zerbrechen wollte. Daran, dass er zu spät gekommen war. Er betete.

Bitte, lieber Gott. Bitte lass mich nicht zu spät kommen.

Charlie probierte seinen Kreditkartentrick, aber das Schloss dieser speziellen Tür war zu gut gearbeitet. Er drehte sich zu Mulder um und schüttelte frustriert den Kopf. "Das wird nichts."

*Mulder, ich kann dich hören. Hilf mir, Mulder. Ich sterbe.*

Ihre Stimme war klarer in ihrem Kopf, als sie es jemals gewesen war.

"Scully, wenn du in der Nähe der Tür bist, möchte ich, dass du weggehst, wenn du kannst. Wir werden dich da rausholen, das verspreche ich." Er nickte Charlie zu und die beiden Männer nutzten die Kraft ihres Gewichts, um die Tür aufzubrechen.

Sie war da. Gott, sie war da. Alle Luft wich aus seinen Lungen und bei ihrem Anblick hatte er das Gefühl, als hätte er einen Schlag in den Magen bekommen. Er konnte nicht atmen und nicht denken. Einen Moment fürchtete er, dass er durch sein Entsetzen so paralysiert und durch ihren Zustand so schockiert sein würde, dass er überhaupt nicht fähig sein würde, ihr irgendwie zu helfen.

Dann sah er ihre Augen. Er sah sie sich öffnen und aufleuchten, als sie ihn entdeckten. Er sah sie sich mit Tränen der Freude und Erleichterung füllen und hörte sie ein winziges, verzweifeltes, wimmerndes Geräusch machen und er war zerstört.

"Scully... oh, Scully." Sie war an Händen und Füßen ans Bett gefesselt. Und sie trug immer noch den Pyjama, den sie in besagter Nacht getragen hatte, den er in seinen Alpträumen sah. Wunderschönes schimmerndes Gold, das das Rot ihrer Haare unterstrich und es sogar noch kraftvoller und üppiger erscheinen ließ. Gold, das wie Lumpen an ihre Haut hing. Ihr Körper. Gott, sie war so mager.

Er ging auf sie zu und begann, ihre Fesseln zu lösen. Und er bemerkte, dass ihr Arm verdreht und verletzt war. Er hing in den Fesseln und war wahrscheinlich an mindestens zwei Stellen gebrochen.

Mulder drehte sich zu Charlie um, der immer noch schweigend an der Tür stand.

"Ruf einen Krankenwagen. Sofort."

 

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"Mulder." Charlie steckte seinen Kopf in das Schlafzimmer hinein. Er hatte einen Krankenwagen gerufen und das FBI und die Polizei zwecks Unterstützung kontaktiert und dann hatte er sich ein wenig umgesehen. Dabei hatte er etwas entdeckt, von dem er annahm, dass es eine besondere Bedeutung für Mulder haben würde. Eine Erklärung. Ein möglicher Grund für das hier.

Dana schien das Bewusstsein verloren zu haben, während er fort war. Ihre Augen waren geschlossen und sie lag bewegungslos auf dem Bett. Ihr Arm hing schlaff an ihrer Seite. Auf der anderen Seite war Mulder. Er war zu ihr ins Bett geklettert, hatte sich neben ihr ausgestreckt und streichelte ihr Haar und ihr Gesicht, redete leise mit ihr, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht hören konnte. Oder vielleicht konnte sie ja. Charlie hätte in diesem Moment nichts überrascht.

Als er Charlie hörte, sah Mulder auf. "Krankenwagen und Polizei sind unterwegs."

"Gut. Das ist gut." Er sah zurück zu Scully und strich eine Haarsträhne aus ihrem zerschrammten und blutigen Gesicht. "Du wirst wieder in Ordnung kommen, Scully. Wir bringen dich hier heraus."

"Äh... Mulder, ich glaube, da ist etwas, dass du dir vielleicht ansehen solltest."

Er schüttelte vehement den Kopf. "Ich will sie nicht allein lassen."

"Nur für eine Sekunde. Ich glaube, es ist wichtig. Es ist gleich nebenan."

"Okay. Ich... ich bin sofort zurück, Scully. Du kommst wieder in Ordnung. Du... du bist okay.." Er beugte sich herab und drückte einen Kuss auf ihre Stirn.

Charlie brachte ihn in den fraglichen Raum und atmete tief ein. "Es ist, nun ja... ein bisschen beunruhigend, um es milde auszudrücken."

Charlie öffnete die Türen des Schrankes und enthüllte den Mulderschrein. Die Wände des schmalen Teiles waren mit Fotos von ihm in seinem Apartment, auf dem Gehweg, vor dem Hoover Building, im Restaurant auf der anderen Straßenseite und scheinbar an jedem denkbaren Ort bedeckt. Und auf diesen Fotos tat er anscheinend alles. Essen, sprechen, schlafen. Es gab einen ganzen Bereich, der ihm offensichtlich beim Masturbieren gewidmet war. In der Mitte des Schrankes gab es einen kleinen Tisch, auf dem eine Sammlung von Dingen lag, von denen Charlie annahm, dass sie Mulder gehörten. Da war eine Flasche Rasierwasser, ein Kamm, ein Büschel Haare, ein Bündel Papier, das so aussah, als wäre es aus einem Tagebuch herausgerissen. Es war das bizarrste und erschütterndste, was Charlie jemals gesehen hatte. Er fühlte sich durch das bloße Anschauen verletzt. Und er war sich nicht sicher, warum er das Bedürfnis gehabt hatte, es Mulder zu zeigen. Es schien einfach, dass er ein Recht darauf hatte.

Aber sobald er Mulders Reaktion sah, begann Charlie seine Entscheidung zu bereuen. Einen Moment lang war er vollkommen ruhig und schweigsam. Aber bald begann er sich zu schütteln, beinahe zu zittern, als wäre es plötzlich sehr kalt.

"Ich... ich bin es..." Charlie hatte das Gefühl, als müsste er sich selbst ohrfeigen. Was hatte er sich dabei gedacht? Der Mann war bereits fast am Ende.

"Komm, Mulder, lass uns..."

"Ich bin es. Sie hat es wegen mir getan. Sie... Scully..." Er stolperte von dem Schrank weg und warf die Türen zu. "Gott... oh Gott." Er stöhnte und hielt sich den Magen. Bevor Charlie aus dem Weg gehen konnte, bedeckte Erbrochenes seine Schuhe. Mulder sank auf den Boden, beugte sich nach vorn und gab das bisschen Essen, das er in seinem Magen hatte, von sich. Als nichts mehr drin war, begann er Magensaft und Galle zu spucken.

"Mulder..." Charlie hatte keine Ahnung, was er sagen sollte. Was zur Hölle war da überhaupt zu sagen?

"Ich habe sie gelassen... ich habe sie das tun lassen... das geschehen lassen..." schaffte er hervorzustoßen, bevor ihn ein trockener Würgeanfall überkam.

"Nein. Nein, das hast du nicht. Das ist einfach nicht wahr. Du hast es beendet. Du hast sie gefunden. Jetzt komm und lass uns zurück..." Er wurde durch das Geräusch einer sich öffnenden Tür unterbrochen. "Mulder, der Krankenwagen ist hier. Lass uns Dana ins Krankenhaus bringen."

Mulder nickte stumm und schaffte es, aufzustehen. Sie gingen zum Wohnzimmer, um den Sanitätern zu zeigen, wo sie war.

"Was zur Hölle..." Während sie den Flur entlanggingen, hörten sie die vertraute Stimme. Mulder lief schneller und zog seine Waffe aus dem Holster.

"Mulder..." Charlie sah hier etwas ziemlich schief gehen, wenn er es nicht aufhielt. So sehr er Jane in diesem Moment auch hasste, so wusste er doch, es würde niemandem etwas Gutes tun, wenn Mulder durchdrehte und dieses Miststück tötete. Mulder hob seine Hand, um Charlie abblitzen zu lassen und ging um die Ecke ins Wohnzimmer. "Mulder, du solltest..."

"Stillgestanden!" Mulders Hände zitterten an der Waffe. Janes Kinn klappte nach unten und sie ließ die Papiertüte, die sie hielt, auf den Boden fallen. Nachdem sie ihn ein paar Sekunden blind wie ein Reh, das von Scheinwerfern erfasst wurde, angestarrt hatte, drehte sie sich um und griff nach der Türklinke. "Ich sagte stillgestanden, du verdammtes MISTSTÜCK!" Charlie und Jane zuckten beide zusammen, als Mulders Waffe ein Loch in die Tür schoss. Die Kugel ging nur knapp an ihr vorbei und Charlie war sich nicht ganz sicher, ob er nicht doch auf ihren Kopf gezielt hatte.

"Mulder... was... ich verstehe nicht..."

"Halt die Klappe." Er ging auf sie zu, seine Waffe immer noch auf ihr Gesicht gerichtet. Tränen begannen über ihre Wangen zu laufen.

"Mulder, warum..."

"Ich sagte, du sollst verdammt noch mal die Klappe halten." Er schrie, doch seine Stimme war gebrochen. Es hörte sich so an, als hätte er Kies in seiner Kehle. Mit seiner freien Hand griff er in die Tasche und holte seine Handschellen heraus. Charlie war gleichzeitig erleichtert und, wie er begriff, ekelhaft enttäuscht. Er würde sie nicht umbringen. Sie nur festnehmen.

"Dreh dich um und leg die Hände auf den Rücken." Diesmal gehorchte Jane. Als er die Handschellen um ihre Handgelenke legte, drehte sie den Kopf herum und Charlie hätte schwören können, dass dieses verrückte Miststück tatsächlich ein bisschen erregt aussah.

"Du bist festgenommen, du verdammte Schlampe." Er steckte seine Waffe ein und stieß sie mit dem Gesicht zuerst gegen die Wand. "Du hast das Recht, zu schweigen, du krankes Miststück und du tust es besser, denn wenn ich auch nur noch ein Wort aus deinem verdammten Mund höre, werde ich dir dein verdammtes, hässliches Gesicht wegblasen." Er packte sie an den Haaren und riss ihren Kopf nach hinten. "Hast du das verstanden?" Sie nickte, soweit sie es in dieser Position konnte.

"Du hast das Recht auf einen Anwalt..." fuhr er fort, hielt sie immer noch an den Haaren. Mitten in seiner Tirade über ihre Rechte murmelte sie etwas. Charlie spürte sein Herz schneller schlagen. Dumm. Das dumme Miststück war dabei, sich selbst umzubringen.

Mulder erstarrte beim Klang ihrer Stimme und ließ ihr Haar los. "Was hast du gesagt?" Als sie nicht reagierte, packte er sie an den Schultern und schleuderte sie herum. "Ich fragte, was du verdammt noch mal gesagt hast, Schlampe. Antworte mir!"

"Ich...ich..."

"Antworte, du Hexe!"

"Ich sagte, dass..." Sie schluchzte in dem Moment und konnte die Worte kaum hervorbringen. "Dass ich es für dich getan habe, Mulder. Ich habe das alles für dich getan..."

Einen Moment lang sprach niemand im Zimmer. Ihre Worte hingen in der Luft, wie giftiges Gas. Falsche Antwort. Gott, eine verdammt falsche Antwort.

"Mulder..." Charlie trat in einem vorbeugenden Versuch nach vorn, aber es war bereits zu spät.

"Du... kranke... verdammte..." Seine Hände legten sich um ihre Kehle, bevor er den Satz beendete. "SCHLAMPE!" Er drückte zu und stieß sie wieder gegen die Wand.

"Soll das komisch sein? Glaubst du verdammt noch mal, dass das komisch ist?"

"Ich... Mu..." Sie begann zu strampeln und er rammte ihr sein Knie in den Bauch.

"Halt die Klappe. Halt einfach die Klappe, du verdammte törichte Hure. Halt verdammt noch mal die Klappe!" Ihr Gesicht begann, blau anzulaufen und ihre Augen traten hervor und Charlie erkannte, dass Mulder nicht aufhören würde.

"Mulder, hör auf," murmelte er lahm. Er wünschte, er hätte es mit mehr Überzeugung sagen können. Er wünschte sich, er würde dieses Miststück nicht einfach sterben sehen wollen. Aber er musste hier an seine Schwester denken. Es würde ihr noch schlechter gehen, wenn Mulder im Gefängnis landen würde, weil er sie verteidigt hatte.

"Mulder, du musst aufhören." Er sagte es laut genug, damit Mulder ihn dieses Mal hören konnte, doch er ignorierte es völlig. Jane wurde bereits schlaff in seinen Händen. Charlie sagte das einzige, von dem er glaubte, dass es zu Mulder durchdringen könnte.

"Verdammt, Mulder, Dana braucht dich! Du musst jetzt zu ihr gehen." Seine Hände lockerten ihren Griff an ihrer Kehle ein wenig und er schien darüber nachzudenken, was Charlie gesagt hatte.

"Sie braucht dich. Sie braucht dich bei sich und nicht im Gefängnis."

Genau in diesem Moment wurde heftig an die Tür geklopft. "Aufmachen. Polizei."

"Komm schon, Mulder. Überlass sie ihnen. Geh zurück zu Dana. Sie braucht dich."

Seine Hände lösten sich schließlich ganz von ihr und Jane ging in einem Hustenanfall in die Knie. Sie sah zu Mulder auf und schaffte es, hervorzukeuchen, "Ich liebe dich."

Mulder beugte sich herab, fast so als ob er sie küssen wollte und spuckte ihr ins Gesicht.

 

Ende Kapitel 11

 

Ende: Desideratum I - Verloren